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EINE LIEBESERKLÄRUNG AN DAS LEBEN AUF DEM LAND

Der englische Historiker, Schriftsteller und Farmer John Lewis-Stempel erzählt von einer Wiese, die zu seiner Farm gehört. Dabei ist es ebenso sein Land wie es das des Dachses, des Habichts oder auch der Gräser und Wildblumen ist. Mit seltener Farbigkeit und Dramatik erzählt der Naturschriftsteller von Fauna und Flora. Und er erforscht die Historie dieses Fleckchens Erde. Er weiß, wie die Menschen hier vor fünfhundert Jahren gelebt haben, ja sogar, wer die Hecke pflanzte, die die Wiese bis heute umrahmt.

Aber auch seiner literarischen Ahnen ist er sich stets bewusst, so zitiert er Dichter wie Walther von der Vogelweide oder William Wordsworth ebenso wie alte Bauernweisheiten.

»Fesselnd, genau beobachtet und wunderschön«

daily mail

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© privat

JOHN LEWIS-STEMPEL ist Farmer und Autor zahlreicher in England hochgelobter Bücher. ›Ein Stück Land‹ ist sein erstes auf Deutsch erscheinendes Buch. Mit seiner Frau und seinen zwei Kindern lebt er in England, nahe der Grenze zu Wales.

SOFIA BLIND lebt als Übersetzerin, Journalistin und Autorin im Lahntal. Sie übersetzt Romane und Sachbücher, unter anderem von Nigel Slater, Will Gompertz und Grayson Perry.

John
Lewis-Stempel

EIN STÜCK LAND

MEIN LEBEN MIT PFLANZEN
UND TIEREN

Aus dem Englischen von
Sofia Blind

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© 2017 für die deutsche Ausgabe: DuMont Buchverlag, Köln

www.dumont-buchverlag.de

 

Für Penny, Tristram und Freda. Natürlich.

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VORWORT

 

Ich kann nur erzählen, wie es sich angefühlt hat. Wie es war, ein Stück Land zu bearbeiten und zu beobachten und mit allem verbunden zu sein, was dort ist und jemals dort war. Eine vernünftige Begründung dafür – würde überhaupt keinen Sinn ergeben. Der romantische Dichter William Wordsworth mag nicht der zuverlässigste Zeuge des britischen Landlebens gewesen sein, aber hiermit hatte er recht:

Natur mag süße Kunde bringen;

Doch lästiger Intellekt

Zerstört die schönste Form von Dingen:

Seziert mordend das Objekt.

JANUAR

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Wiesenpieper

Der Wintermond steigt schon über dem Merlin’s Hill empor, als ich spät am Abend hinuntergehe zur Wiese, um nach Schnepfen Ausschau zu halten. Frostige Kälte zieht auf dem Rücken des Windes heran; er lässt die letzten toten Blätter, die sich noch an die Flusseichen klammern, blechern rasseln. Als ich das Tor öffne, macht mein Herz den üblichen kleinen Hüpfer angesichts der Pracht des Anblicks: die große Ebene der Wiese, eingerahmt von Hecken, die sanfte Steigung des Merlin’s Hill zur Linken, dann ringsum der abweisende Wall der Black Mountains. Es liegt Schnee entlang der Berggipfel, Schnee, so glatt wie eine Hochzeitstorte. Auf die Wiese hinauszutreten fühlt sich an, als stünde ich auf einer weiten quadratischen Bühne, der letzte Mensch auf Erden. Es ist weder Haus noch Mensch noch Auto zu sehen. Dieses Stück Land gehört zu den Orten, bei deren Betreten man unwillkürlich ausatmet.

Die Schnepfen lieben die feuchte Ecke der Wiese, wo Wasser aus dem lecken alten Graben heraussickert und scharfe Riedgraswedel die Vorherrschaft übernommen haben. Sie kommen schon seit zwei Tagen spätabends hierher, die Erde nimmt ihre Dolchschnäbel freundlich auf und das Riedgras bietet Deckung. Schon lässt der Frost das Gras auf der Wiese geisterhaft schillern. Ein kleiner Schwarm Wiesenpieper steigt vor mir empor, langsam, als würden die Vögel zögernd eine unsichtbare Treppe erklimmen und dabei miteinander zwitschern. Der unauffällige Wiesenpieper lebt im Winter gesellig, und er ist ein echter Vogel des Graslands.

Der lateinische Name dieses Vogels ist Anthus pratensis. Pratensis heißt »auf der Wiese lebend«, »Pieper« heißt der Vogel nach seinem pfeifenden Gesang. Im Englischen wird er lautmalerisch pipit, moss cheeper, teetan oder peeper genannt – die Vielzahl von Namen zeigt, wie unmöglich es ist, die Komplexität von Vogelstimmen in bloßen menschlichen Worten wiederzugeben.

Ich glitsche hinunter in den Graben am hinteren Ende der Wiese, wo sie an die Grove Farm grenzt. Dies ist der äußerste Westen von Herefordshire, an der Westgrenze Englands, und es fällt Regen. Dieser Graben, angelegt als Ablauf für die darüberliegenden Weiden, wäre vor hundert Jahren in Flandern tief genug für einen Soldaten gewesen.

Unten in dem tropfenden, rotwandigen Graben warte ich, die Arme auf den oberen Rand gelegt. Ich warte gerne hier im Graben, unsichtbar. Manchmal bringe ich mein Gewehr mit, um Tauben, Fasane und Kaninchen zu schießen, aber keine Schnepfen. Dieser winzige Watvogel mit dem Stilett im Gesicht ist als Besucher zu selten, um von meiner Hand zu sterben. Das wäre, als ermordete man einen Gast. Eine Amsel tschilpt in einer weit entfernten Hecke.

Die Schnepfen kommen nicht. Aber Schnepfen sind immer rätselhaft; ihr Gefieder ist Hexenwerk, ein Tarnkleid aus mit der Erde verschmelzenden Bändern und Tupfen. Nach ungefähr vierzig Minuten fühle ich mich steif und kalt und alt und will gerade die Grabenwand emporklettern, als ich aus dem Augenwinkel einen verschwommenen Umriss sehe, der sich unter dem Drahtzaun hindurchzwängt und dabei am untersten Stacheldraht einige silberne Borsten hinterlässt.

Wir schreiben Tieren ein fast übernatürliches Riechvermögen zu, aber die Wahrheit ist: Weil der Wind auf mich zuweht, nimmt er meine Gegenwart nicht wahr.

Als er hinausläuft auf die Wiese, erkenne ich ihn an seinem nachgezogenen Hinterbein. Es ist das alte Dachsmännchen. Dachse machen keinen echten Winterschlaf, aber er war seit Tagen unter der Erde, um dem schneidend kalten Raureif aus dem Weg zu gehen. Obwohl er hungrig sein muss, beschließt er, zunächst durch sein Revier zu patrouillieren.

Amüsanterweise ist die Ostgrenze seines Territoriums die gleiche wie unsere; er hat den Zaun für das Vieh der Menschen als seine Reviergrenze übernommen. Entlang dieser Grenze watschelt der Dachs jetzt, schwarz-weiße Schnauze am Boden, mit Duck-und-Schnüffel-Pausen alle fünf Meter. Die Sonne ist schon vor langer Zeit untergegangen, und im Schein des Viertelmondes kann ich seine Fortschritte nur anhand des verblüffenden Leuchtens der weißen Streifen an seinem Kopf ausmachen.

Als er mit seinen übel riechenden Verteidigungslinien zufrieden ist, kommt er über die Wiese auf mich zugeschlurft.

Für Säugetiere von so beträchtlicher Größe mögen Dachse ausgesprochen winzige Essensbrocken. Als er auf zwanzig Meter herangekommen ist, sehe ich, dass er alte Kuhfladen wendet, mit der Lässigkeit eines Pizzabäckers. Bei dieser Kälte gibt es vielleicht ein paar Würmer, aber im Spätsommer, als das Gras gerade zu Heu gemäht worden war und es leicht regnete, sah ich die ganze Dachsfamilie draußen, wie sie Regenwürmer zu Hunderten verputzte. Ein Dachs kann problemlos zwanzigtausend Regenwürmer im Jahr fressen. Aber diese 2,3-Hektar-Wiese beherbergt wahrscheinlich sechs Millionen Exemplare von Lumbricus terrestris; es scheint unwahrscheinlich, dass sie den Dachsen je ausgehen werden.

Heute Abend allerdings ist die Ernte mager, und er schlurft davon. Ich folge ihm. Und genau so sollte es sein. Ihm gebührt der Vortritt. Der Dachs ist der älteste Grundeigentümer Großbritanniens; er streifte schon durch die Laubwälder Südenglands, bevor der Ärmelkanal uns vom »Kontinent« abschnitt. Auf dem Weg über die Wiese wende ich mit dem gummibestiefelten Fuß ein paar Kuhfladen, um zu schauen, was der Dachs gefressen hat. Kleine, glänzend graue Nacktschnecken.

Ich hatte unrecht, als ich sagte, die Wiese sei flach, obwohl sie für eine hügelige Gegend ungewöhnlich eben ist. In Wahrheit ist sie sanft geneigt, von Westen nach Osten. Auf den ersten Blick wirkt sie wie ein einheitlicher Lebensraum, wie alle Wiesen, aber sie ist mehr als nur ein Lebensraum, wie fast alle Wiesen. Schauen wir noch einmal hin. An den beiden Gattern, wo die Kühe warten und glotzen, ist die Erde nackt und bildet dunkle Striemen im zunehmenden Mondlicht. Wo der westliche Graben leckt, der das Wasser von der darüberliegenden Sumpfweide aufnimmt, erobern Sumpf und Schnepfen die Fläche. Ein Teil des Grabens entlang der Sumpfweide ragt in die Wiese hinein; das Wasser ist so tief und langsam, dass es einen rechteckigen Teich bildet, in dem sich Frösche und Molche vermehren. Am Ufer des Escley hebt sich ein wild wuchernder Streifen deutlich von der Wiese ab, wie ein Finger; er ist dicht von Bäumen umgeben und wird nie gemäht, weil nicht genug Platz ist, um mit dem Traktor (oder, vor langer Zeit, mit dem Pferd) und dem Mäher hineinzukommen. Unter den meisten Hecken rings um die Wiese ist die Erde trocken, vor allem am nördlichen Ende der Westhecke. Hier suchen die Schafe gerne Schutz und Schlaf; sie hinterlassen gezwirbelte Wollbüschel im Weißdorn und schwarzgrüne Dungkügelchen am Boden. Genau das tun sie gerade, eine Herde von dreißig Ryeland-, fünfzehn Shetland- und zehn Hebridean-Schafen, die schnaufend wiederkäuen. Hier wachsen die Disteln, und im Oktober stoßen die strahlenden Distelfinken in all ihrer Pracht herab, um an den Samenständen zu fressen.

Legt man sich in den Raureif und schaut flach über den Boden, ist die graue Wiese gar nicht mehr eben, sondern trägt die Beulen und Pockennarben von Jahrhunderten der Nutzung. Ein Geäder aus Wegen zieht sich über die Erde, kaum wahrnehmbar vertieft: die Trampelpfade von Generationen von Schafen. Wasser, das sich in den Hufspuren der Rinder vom letzten Jahr gesammelt hat, reflektiert das Mondlicht, als hätte jemand Hunderte von Taschenspiegeln verstreut.

Die Wiese hat auch immaterielle Konturen. Ich stehe auf und suche jenen unsichtbaren Punkt in der Mitte der Fläche, an dem die Lufttemperatur sich verändert – so stark, dass ich fröstele.

Ein kleiner Bergfluss zieht sich an der Ostkante der Wiese entlang und sucht sich seinen Weg zum Meer. Über schiefrigen Kies, in gläserne Becken und durch eine gewundene Schleife, in der eine Landzunge entstanden ist, ein Finger, wie wir das nennen. Ein Großteil der Uferböschung ist steil und mit einem Dickicht aus Ilex, Erle, Weißdorn, Hasel, Feldahorn und Efeu bedeckt: das verwilderte Kind einer uralten Elternhecke. In dem Dickicht stehen zwei majestätische Eichen, die sich altersschwach ans Ufer klammern und über dem jähen Abgrund am Fluss hängen, auf Wurzeln, dick wie Elefantenrüssel, die sich gewaltsam in die Erde zwirbeln und dabei albtraumhaft dunkle Trollhöhlen hinterlassen. Die Eichen sind ungefähr siebenhundert Jahre alt, Überbleibsel aus der Zeit, als dieses abgeschiedene Tal bewaldet war.

Wo der Fluss die Wiese verlässt, läuft das Dickicht in einem kleinen Wäldchen aus; hier, verborgen unter Farnkraut und Gestrüpp, liegt ein Fuchsbau. Füchse wohnen gerne am Wasser.

Der Fluss hat einen Namen, Escley. In seinem Buch The Place Names of Herefordshire aus dem Jahr 1916 teilt der Reverend A. T. Bannister Folgendes über das Hauptwort »Escley« mit: »Kluge Gelehrte weigern sich, Flussnamen zu erörtern; aber man ist versucht, das Wort mit jener keltischen Wurzel in Verbindung zu bringen, von der Exe, Usk, Ock und Ax-ona abstammen.« Wahrscheinlich hat er recht mit seiner Ableitung; sie scheint von einem brythonischen Wortstamm zu kommen, der »reich an Fisch« bedeutet. Einfacher ausgedrückt, ist Escley mit dem walisischen Wort für Fisch verwandt – eine lexikalische Spur, die daran erinnert, dass dieses Grenzland in der Vergangenheit zwischen zwei Nationen hin- und herdriftete und dass die Wiese heute nur eine Meile von der Grenze Englands entfernt liegt. Im Escley gibt es in der Tat Fische, und ein geduldiger Mensch, der zwischen den Erlen, die den Flusslauf säumen, seine Fliegen auswirft, könnte Forellen finden. Heute Abend murmelt der Escley diskret.

Als ich die Wiese verlasse, krächzt der Rabe trotz der nächtlichen Stunde, um mich daran zu erinnern, dass ein Paar seiner Art in dem kleinen Tannenwäldchen gleich jenseits des Flusses lebt und nistet, und dass sie den allerbesten Blick auf die Wiese haben. Raben bleiben einander ein Leben lang treu, und dieses Paar ist schon genauso lange hier wie wir.

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Als wir auf diesen Bauernhof zogen, war die Wiese mein Entzücken und mein Schrecken. Kein Stück Land könnte einen schöneren Anblick bieten; nur wenn ich mich einmal ganz im Kreis drehe, kann ich Häuser sehen, und selbst dann nur drei, von denen eines uns gehört. So sah das Entzücken aus – der Schrecken war der Zustand der Grasnarbe. Mein Geist war in konventionellem landwirtschaftlichem Denken befangen, und ich bedauerte den Mangel an Klee für unsere Rinder und Schafe; außerdem waren zwei Bereiche der Wiese von Drahtwürmern verwüstet.

So wurde dieses Stück Land die Fläche, mit der ich nichts anfing, wo ich das Vieh hinpackte, wenn nichts Besseres verfügbar war. Aber andererseits hatte auch niemand anders je viel mit der Wiese gemacht; es gab Distelbüsche, deren Dichte für ein bemerkenswertes Alter sprach.

Manchmal ist Vernachlässigung gut. In der Stadt leben die reichen Leute auf dem Berg. Auf dem Land sind es die Armen. Die großen Rinderzüchter und Getreidebarone haben das Flachland. Bergbauern haben oft nicht genug Kapital, um die Landschaft gravierend zu verändern. Nichts wirkt so bewahrend wie Armut. Eines Sommers ließ ich die Wiese in Ruhe, statt Vieh darauf abzustellen. Der Bauerndichter John Clare nannte Pflanzen »green memorials«, grüne Denkmäler. Ende Juni waren auf der Wiese Blumen gesprossen, deren Existenz ich vergessen hatte, Blumen wie Flockenblumen und Günsel, Zeugen einer landwirtschaftlichen Nutzung, die mehr war als ein Viehparkplatz.

Vor langer, langer Zeit einmal war dieses Stück Land eine Heuwiese gewesen.

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7. JANUAR  Schnee legt seine mittelalterliche Stille über das Land. Zwölf Zentimeter tiefer Schnee, tief genug zum Schlittenfahren, und Tris und Freda veranstalten ein Rodelrennen nebenan auf der Uferweide. Fern im unsichtbaren Dorf quietschen andere Kinderstimmen vor Vergnügen.

Auch ich benutze einen Schlitten, allerdings nicht für das Vergnügen, mit hoher Geschwindigkeit einen Hügel herunterzufahren. Ich binde einen Ballen bleiches Heu auf einen Bilderbuch-Schlitten aus Holz und ziehe ihn auf eine Art und Weise hinunter zur Wiese, bei der ich ebenso romantisch wie großspurig an Scott in der Antarktis denke. Die Schafe interessieren sich mehr für den halben Sack Zuckerrüben, den ich dabeihabe, und scharen sich um mich; die Mutigen und die Hungrigen springen an mir hoch. Der Schnee hängt um ihre Hälse wie die Perlenketten von Debütantinnen. Er überdeckt die Kräuterdüfte der Natur, und so mildert nichts den Moschusdunst der Schafe.

Große, schimmernde Bereiche der Wiese sind von den Hufen der Schafe unberührt. Auf diesen jungfräulichen Flächen fühle ich mich, als würde ich einen neuen Planeten erkunden, was ich natürlich tue. Den weißen Planeten. Die Sonne glänzt auf dem kristallenen Schnee so grausam hell, dass ich die Augen zukneifen muss, als würde ich in die Zukunft spähen.

In Wahrheit ist nicht die ganze Wiese weiß; es gibt zwei Flecken Grün in der Mitte, wo aus dem Boden sickerndes Wasser verhindert hat, dass der Schnee liegen bleibt. Sie sind Oasen, um die sich Vögel versammelt haben, um zu trinken und den Boden nach Nahrung zu durchsuchen. Im weichen Schlamm kann ich die Fußabdrücke von Fasanen sehen, und auch die schwachen dreieckigen Spuren eines kleinen, langkralligen Vogels.

Am Nachmittag kommen sie kurz zurück. Drei Kiebitze.

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Die Landwirtschaft hat sich in den letzten siebzig Jahren bis zur Unkenntlichkeit verändert. Bevölkerungsdruck führte dazu, dass die Bauern mehr produzieren mussten, und schneller. In den 1930er-Jahren bauten britische Farmer genügend Nahrungsmittel an, um sechzehn Millionen Menschen zu ernähren; heute produzieren sie genug für vierzig Millionen. Praktisch alles Grünland wird heute »intensiv« bewirtschaftet, wofür bestimmte Grassorten mit Dünger und Herbiziden behandelt werden. Auf intensiv bewirtschaftetem Grünland ist der Gras-Ertrag seit den 1940er-Jahren um hundertfünfzig Prozent gestiegen.

Das hat seinen Preis. siebenundneunzig Prozent der traditionellen Wiesen sind verschwunden. Die Behandlung mit Kunstdünger tat den zarteren Wiesengräsern nicht gut, und sie wurden von den robusteren Sorten erdrückt. Ebenso wenig hilfreich war das neue System, Gras zwei- oder dreimal im Jahr für Silage zu mähen, weil der erste Schnitt schon im Mai stattfand, bevor die Blumen Samen bilden konnten und während bodenbrütende Vögel und Kleinsäuger noch ihre Jungen aufzogen. Manche Tierarten sind ausgestorben. Ich habe keinen Wachtelkönig mehr gesehen, seit ich in den 1970ern in einem Heufeld beinahe auf einen getreten wäre, als ich kindisch mit dem Luftgewehr auf Ratten schoss. Dieser Vogel ist in England ausgestorben. Er steht als Symbol für den unermesslichen Schaden, den wir der britischen Landschaft und unserem Naturerbe zugefügt haben, indem wir uns bemühten, so viel Nahrung wie möglich auf unserer überfüllten kleinen Insel zu produzieren.

Viele der Pflanzen auf traditionellen Wiesen, die spät gemäht und dann von kleinen Gruppen von Rindern und Schafen beweidet wurden, hatten keinen direkten landwirtschaftlichen Nutzwert, aber sie erhielten das Gleichgewicht der Nährstoffe und boten Wildtieren Nahrung. Und waren sie nicht auch das Besondere an Großbritannien? Wenn Männer in Kaki-Uniformen an der Somme oder im burmesischen Dschungel an ihre Heimat dachten, stellten sie sich dann nicht wildblumenübersäte Wiesen vor, mit kleinen Cottages und sanften Hügeln?

»Meadow«, das englische Wort für Wiese, ist in seiner Bedeutung überraschend eng; es leitet sich vom altenglischen mædwe ab, das mit māwan – mähen – verwandt ist. Eine Wiese ist ein Ort, an dem Gras und Blumen zu Heu wachsen, als Winter-Trockenfutter für Vieh. Eine Wiese ist kein natürlicher Lebensraum; sie ist eine Beziehung zwischen Natur, Mensch und Tier. Im besten Fall ist sie außerdem Gleichgewicht und Kunstform.

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9. JANUAR  Noch mehr Schnee, und mit ihm ein Westwind, der den Schnee zu Rippen bläst; es wirkt, als wäre eine weiße Flut über die Wiese gestiegen und wieder gesunken. Ein paar zerzauste, schrumpelige Distelstiele stechen durch den Schnee und zerstören die Illusion.

Die Schafe scharren an dem glitzernden Spektakel, um an das Gras darunter zu kommen, und lungern stundenlang um die Heuraufe herum. Die Shetlands nagen die dicken Efeuranken in der Hecke ab bis auf die weißen Knochen. Sie haben auch an den Blättern der Brombeeren gezerrt, einer sommergrünen Pflanze mit einer verblüffenden Neigung zum Immergrünen. Nachts geht die Temperatur bis auf sieben Grad minus hinunter, und eine dünne Eisschicht bildet sich auf den ruhigen Partien des Escley. Ich schaue zu, wie sie wächst, eine kriechende, blass pilzige Invasion. Das Wasser im Teich bildet eine zolldicke Glasplatte. Sie stöhnt und protestiert, aber sie trägt mein Gewicht.

Neben dem Graben zum Nachbargrundstück kann ich die breiten Pfotenspuren des Dachses sehen und die Stellen, an denen sein zotteliger Pelz die Schneefläche abgeschabt hat. Am anderen Ufer ist ein kleiner Kaninchenbau; normalerweise gehen die Kaninchen zum Grasen auf die Wiese der Nachbarn und benutzen die Erdhöhlen auf unserer Seite als Notausgänge. Heute Morgen sind sie herübergekommen auf die Wiese und haben gescharrt, um an das Gras unter der windgeschützten Seite der Sumpfweidenhecke zu kommen. Der wissenschaftliche Name des Kaninchens ist Oryctolagus cuniculus, »grabender Hase«. Aber der Schnee ist tief und der Boden eisenhart; die Kaninchen haben sich auch auf die Hinterbeine gestellt und an der süßen Haselrinde geknabbert.

Die Kinder sind in der Schule. Die Schafe sind zu niedergedrückt von der Kälte, um zu blöken. Nur das ledrige Knarren meiner Füße im Schnee stört die Welt. Selbst der Fluss ist still.

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Einst war ein Meer über diesem Stück Land, und Fische schwammen auf der Wiese. Damals lag die Wiese südlich des Äquators. Im frühen Devon-Zeitalter, vor vierhundertfünfundzwanzig Millionen Jahren, war der Ort, an dem ich jetzt stehe, von einer seichten tropischen Flussmündung überflutet, in deren Bett primitive Fische und Krustentiere zappelten – Stachelhaie, Seeskorpione, Cephalaspidae, Pteraspidae und wissenschaftlich Verwandtes. Ich weiß genau, was alles um meine Füße herumgeschwommen wäre, weil eine halbe Meile flussaufwärts aus dem grünen Schluffstein eines alten Bauernhof-Steinbruchs, Wayne Herbert Quarry, Hunderte von fossilen Überresten geholt wurden, darunter die eines frühen Neunauges, das wunderbarerweise zu Ehren seines Fundorts Errivaspis waynensis getauft wurde. Die gleiche Linse aus grünem Schluffstein, in dem Errivaspis waynensis entdeckt wurde, verläuft unter der Wiese, deren Geologie leicht zu bestimmen ist: Der Fluss hat eine Seite des Terrains weggespült, und so ist praktischerweise ein Querschnitt zu sehen. Natürlich gibt es einen guten Grund dafür, warum Heuwiesen traditionell an Flussufern liegen; wenn Gras saftig und dick wachsen soll, braucht es so viel Wasser, wie es nur bekommen kann. Der Fluss tut seine Pflicht, indem er seine Fracht durch Trillionen unterirdischer Kapillaren in die Tiefen des Wiesenbodens sickern lässt.

Wenn ich im Fluss stehe und das Ufer betrachte, sehe ich vierhunderfünfzig Millionen Jahre Erdgeschichte vor mir, mit den horizontalen grünen Schichten der Schluffstein-Linse ganz unten. Ich verbringe den Tag damit, gedankenverloren mit Hammer und Meißel herumzuklopfen, und selbst an diesem rauen Tag mitten im Winter wird mir von der Arbeit warm.

Irgendwann am Nachmittag, als ein Splitter Sonnenlicht durch die Eichenäste auf die grüne Platte fällt, finde ich das, weswegen ich gekommen bin: ein Fragment versteinerter Fischschuppen, fast mit Sicherheit von einem Acanthodium. Diese zwanzig Zentimeter langen, dickschuppigen Wirbeltiere waren die ersten Fische mit Kiefer, die direkten Vorfahren jener Forellen, Schmerlen und Groppen, die heute im Fluss leben. Und der neugierigen Elritzen, die im klaren Wasser meine Gummistiefel inspizieren.

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Auf der Fahrt nach Hereford nehme ich die Strecke über Land, in der Hoffnung, den Stau zu umgehen. (Schön wär’s.) Trotz der spärlichen Bebauung zähle ich mindestens fünf Häuser, deren Bewohner ihr Grundstück zur Straße hin mit dem Fadenschneider bis auf den letzten Zentimeter Leben abrasiert haben. Innerlich fluche ich über die Vorortmentalität einer solchen Ästhetik. (Warum aufs Land ziehen, wenn man es in einen spießigen Vorgarten verwandeln will?) Straßenränder sind oft Überreste alter Wiesen – in einigen Gegenden die einzigen – mit reicher Flora, und sie dienen Wildtieren als Zufluchtsort. In Wormelow schwebt ein rostfarbener Falke über einer ungemähten Wiese.

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11. JANUAR  Der Schnee zieht immer noch streifige Schlieren am Boden. So wetterwendisch ist die Natur im Januar, dass der Wind nachlässt, die Sonne zwischen den Wolken erwacht und Mücken in den Lichtsäulen tanzen. Meine treuesten Gefährten auf diesem Stück Land, die Wiesenpieper, tollen herum. Ich tanze nicht; linde Lüfte im Januar haben etwas seltsam Ungesundes.

Im Lauf des Nachmittags schmilzt der Schnee rapide. Die Erde unter dem Gras ist schon vollgesogen.

Gemäß der Bodenuntersuchung für Großbritannien, Bulletin Nr. 2 (1964) des Agricultural Research Council, ist die Geologie der Wiese »devonischer Mergel mit feinkörnigen Sandsteinbändern und, sehr vereinzelt, dünnem Geschiebe«. Ich bohre meine Finger durch das matschige Gras in die Erde und packe eine Handvoll des devonischen Mergels. In meinen Händen und in den Händen all derer, die ihn bearbeiten, ist der Boden von Herefordshire dicker roter, kalter Lehm. Wenn ich ihn in der Hand zu einem Ball drücke, rollt er sich zu einer festen Mini-Weltkugel zusammen.

Die Natur hasst einfache Klassifizierungen. Streng betrachtet, ist dieses Stück Land »neutrales«, nicht verbessertes Grünland, das heißt, der Lehmboden ist mit einem pH-Wert von 7 weder stark sauer noch stark alkalisch; tatsächlich streunen Teile der Wiese in Richtung sauer – pH 4,9 bis 5,4. Für den gemeinen Feldbotaniker wie mich heißt das, die Wiese ist das Domizil säurehungriger Pflanzen wie Sauerampfer; und ich liebe Sauerampfer mit seinen trübroten Spitzen im Sommer und seinen Lanzenblättern, die nach Mineralien und Vitaminen für Mensch und Tier duften.

Wasser läuft nicht leicht ab aus diesem neutralen bis sauren devonischen Mergel.

Am nächsten Tag glitzert ein Großteil der Wiese unter zolltiefem Wasser, und ich muss die Schafe vorläufig herausholen. Wasser rinnt in einer durchgehenden Fläche von der Wiese in den Fluss. Die Erde saugt an meinen Füßen und lässt meinen Gang arthritisch wanken.

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14. JANUAR  Über Nacht durchbricht der Escley sein Ufer und überflutet den unteren Teil des Fingers. Als ich mittags hinuntergehe, ist das Wasser schon gefallen und hat ein wüstes Gewirr aus zerbrochenen Zweigen, Scheiten, Stämmen und Ästen hinterlassen. Im Wäldchen sehe ich, dass die Flut den Fuchsbau knapp verfehlt hat.

Der Wasserstand des Escley mag gesunken sein, aber er schäumt immer noch in wildem Meereszorn.

Spätabends auf der Wiese. Die für die Jahreszeit unpassende Wärme hat Regenwürmer an die Oberfläche getrieben, aber sie ertrinken in den bleigrauen Becken, jeder Wurm ein stilles weißes S. In der klösterlichen Düsternis kann ich einen Fuchs erkennen, der herumpaddelt und dabei Unmengen von Würmern aufleckt. Der Fuchs wäre in Bezug auf die Regenwürmer bestimmt der gleichen Meinung wie der Naturschutz-Pionier Gilbert White: »Sie wirken zwar wie ein kleines und verabscheuungswürdiges Glied in der Kette der Natur, würden aber eine beklagenswerte Lücke hinterlassen, wenn sie verloren gingen. Würmer scheinen die großen Förderer der Vegetation zu sein, die ohne sie nur langsam vorankäme.«

Regenwürmer sind generell im Winter nicht sehr aktiv und überlassen die Arbeit der Bodenkultivierung den Würmern Allolobophora nocturna und Allolobophora longa. (Und Sie dachten, alle Würmer wären gleich.) Unterdessen ziehe ich Trost aus der alten Bauernregel:

The grass that grows in Janiveer
Grows no more all the year.

Das Gras, das wächst im Januar,
wächst nicht mehr weiter übers Jahr.

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15. JANUAR  Snoopy, unser winziger dreifarbiger Jack Russell, kläfft etwas unter der Salweide an, deren Ruten den herabsinkenden Nebel durchstechen wie Antennen. Als ich bei dem Hund ankomme, tropft dickes Blut von seiner zerstochenen Nase und befleckt auch seine krummen Beine. Er hat einen Igel angegriffen, der, vom falschen Frühling verwirrt, aus seinem Winterschlaf angetapst kam. Ein fest zusammengerollter Ball liegt auf den fauligen Blättern; nur ein leichter Atemreflex verrät, dass dieses riesige natürliche Nadelkissen lebt.

Irgendein dummer Impuls lässt mich die Stacheln des Igels berühren, um zu prüfen, wie spitz sie sind. Jeder einzelne dieser fünftausend charakteristischen Stacheln kann bis zu 2,5 Zentimeter lang werden. Kniend gerate ich ein wenig aus der Balance und übe mehr Druck aus als beabsichtigt. Ein Stachel dringt unter meinen Fingernagel. Blutbefleckt ziehen wir uns zurück, der Hund und ich; die Stachelabwehr hält die meisten Raubtiere fern, mich eingeschlossen. Ein Dachs allerdings kann einen Igel entrollen, von innen her auffressen und das Fell wie Einwickelpapier wegwerfen.

Hinter mir brüllt der Fluss so selbstvergessen wie eine Horde Fußballfans.

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17. JANUAR  Die uralte Zwölfte Nacht. Ich gebe einem heftigen Anfall von Traditionsbewusstsein nach und gehe zum Wassailing. »Wassail« leitet sich vom mittelenglischen waes hael, gute Gesundheit, ab. Beim social wassailing geht man mit den Nachbarn etwas trinken; in den Obstgärten der Apfelwein-Grafschaften im Westen Englands gibt es auch das orchard-wassailing. Dabei werden die Apfelbäume aufgeweckt, indem man sie mit Stöcken schlägt, eine Scheibe Toast in die Äste legt und die Wurzeln mit Cider beträufelt. Alles, um eine gute Ernte für das kommende Jahr zu sichern. Idealerweise sollte man dazu ein Wassail-Lied singen, so etwas wie:

Wassail the trees, that they may bear
You many a plum, and many a pear.

Wassail den Bäumen sollst du singen,
damit sie dir Pflaumen und Birnen bringen.

Wassail mag zwar Mittelenglisch sein und vom Altnordischen her kommen, aber der Brauch ist wahrscheinlich älter – vorchristlich oder sogar ein Relikt jener Opfer, die Pomona gebracht wurden, der römischen Göttin der Früchte. Wassailing war in Herefordshire beliebt. Das Gentleman’s Magazine schrieb im Februar 1791:

In Herefordshire versammeln sich, wenn sich der Abend nähert, die Bauern mit ihren Freunden und Bediensteten und gehen ungefähr um sechs Uhr hinaus auf ein Feld […] Auf dem höchsten Punkt der Fläche werden zwölf kleine Feuer und ein großes entzündet. Die Anwesenden, angeführt vom Familienvorstand, trinken mit altem Cider, der bei solchen Gelegenheiten reichlich fließt, auf die Gesellschaft. Man bildet einen Kreis um das große Feuer, und dann findet ein allgemeines Schreien oder Rufen statt, auf das man Antworten aus den benachbarten Dörfern und Feldern hört. Manchmal sind fünfzig oder sechzig dieser Feuer gleichzeitig zu sehen. Die Feuer stehen für den Heiland und seine Apostel.

Rätselhafterweise sind Penny und die Kinder zu beschäftigt, um mit mir zum Wassailing zu kommen, also gehe ich allein, mit einem Stück Brot, einer Flasche Westons-Cider, der Flinte und meinem schwarzen Labrador Edith.

Ich taste mich durch die Schwärze und stoße mit Toast und Cider auf die beiden alten Apfelbäume unten an der Flussseite der Uferweide an. Dann feuere ich wie ein Vandale die Flinte in die schemenhaften Baumwipfel ab, um die Geister zu verscheuchen.

Wenn beide Läufe einer Kaliber-12-Flinte nicht ausreichen, um eine bösartige Aura zu zerpulvern, dann reicht gar nichts aus.

Die alten Bräuche wirken gar nicht so verrückt in einer uralten Landschaft, in der ich nur ein einziges elektrisches Licht sehe und wo ich den ewigen Frieden der Nacht in meiner hohlen Hand halten kann. In diesen Ausläufern der Black Mountains haben mehr als die Hälfte der Bauernhöfe noch weitgehend ihre historischen Grundrisse, und die kleinen heckenumfriedeten Felder stammen aus Waldrodungen im Mittelalter. Genau wie die Wiese, genau wie diese Heuwiese.

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18. JANUAR  Das Wetter ist hinterlistig. Durchs Fenster gesehen, ist es bedeckt, feucht, nichts Besonderes. Ich habe die Schafe wieder auf die Weide gelassen; erst als ich mit einem Mineralieneimer und einer Plastik-Leckschale schon den halben Weg zu ihnen hinuntergegangen bin, fühle ich die messerscharfe Kälte, die durch meine Jacke schneidet und versucht, mein Leben auszuhöhlen. Meine Hände (ich habe dummerweise sowohl meine Handschuhe als auch meine Ersatzhandschuhe verlegt) sehen aus wie Brombeerklöße. Ich komme an einer Kohlmeise vorbei, deren Augen von Hoffnungslosigkeit getrübt sind; sie liegt auf dem bleichen Gras unter der Sumpfweidenhecke, die nackt und nutzlos und überhaupt nicht heimelig ist. Der Winter fordert seinen Tribut; ich beschließe, den Vogel auf dem Heimweg mitzunehmen, zu wärmen und zu füttern.

Es regnet nicht; trotzdem holt der Wind Tränen aus meinen Augen, sodass alles milchig, fischäugig, unterwasserhaft ist. Als ich den Mineralieneimer abgesetzt habe und zu der Meise zurückkomme, ist sie tot. Ich halte sie in meiner gefühllosen Faust; sie wiegt nichts. Die weißen Flecken unter ihren Augen sehen aus wie Comic-Tränen.

Im Tod liegt das Versprechen auf neues Leben. Die Winde, Schneefälle und Fluten des Winters haben das Land blankgeschrubbt, bereit für einen neuen Anfang. Die beharrlichen letzten Blätter der Eiche sind gefallen, Bäume und Hecken sehen aus wie Röntgenbilder ihres früheren Ichs, und die beiden Eichhörnchenkobel, einer in dem Haselstrauch im Wäldchen und der andere in der beschnittenen Eiche in der Sumpfweidenhecke, sehen im Gitternetz der Äste aus wie Tintenkleckse. Eine Gruppe von Staren streicht wie eine fliegende La-Ola-Welle an den Feldern entlang. Ich freue mich über ihre Gesellschaft an diesem kahlen, knochigen Tag, an dem das einzige andere Geräusch das erbarmungslose Kreischen eines kreisenden Bussards ist.

Der Schnee ist noch nicht fertig mit uns. Die ganze Nacht flirren Flocken herab, sodass der Schnee am Nachmittag schon fast zehn Zentimeter hoch liegt, als der Wind seine Oberfläche verkrustet und die samtigen Kaninchennasen der Eschenknospen aussehen wie das einzig Weiche auf der Wiese. Entlang des äußeren Grabens die eisklirrenden Pfotenspuren eines Wiesels oder Hermelins, dann die Zeichen eines fliegenden Galopps, eines Kampfes, heller werdende Blutspritzer, dann die breite Schleifspur, wo der Kaninchenkörper in die Hecke gezerrt wurde.

Der Unterschied zwischen den Pfotenspuren von Wiesel und Hermelin ist klein; ich entscheide mich wegen der Trittlänge für das Hermelin, den größeren der beiden Marder-Cousins.

Eine Nachmittagsstunde lang sitze ich auf einem leeren Zuckerrübensack aus Plastik an der Ecke der Wiese, wo die Haselhecke zusammengebrochen ist. Der Lakritzduft der Zuckerrübenreste ist kindisch tröstlich. Ich bin so fixiert darauf, den Tatort am anderen Ende der Wiese im Auge zu behalten, dass ich das Hermelin erst nicht bemerke, das fünf Meter zu meiner Linken aufrecht dasitzt und mich anstarrt. Es ist tatsächlich ein Hermelin; Wiesel werden im Winter nicht weiß. Ein ziemlich fleckiges Weiß allerdings, mit einem braunen Fleck an Flanke und Schulter.

Ich blinzle als Erster, und das Hermelin springt davon, kleine Sturmwolken aus Schnee in die Luft sprühend.

Drüben im Wäldchen singt ein Rotkehlchen fortissimo. Ein Zaunkönig, nicht größer als ein Nachtfalter, arbeitet neben mir die Laubstreu unter der Hecke durch. Zaunkönige singen nicht im Winter, sie sind zu beschäftigt mit der Nahrungssuche.

Der Nebel senkt sich herab und löscht die Welt jenseits der Wiese aus. Die Wiese ist eine Insel.

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Wir sind eingeschneit. Um vom Hof zur Landstraße hinaufzukommen, müssen wir uns mit einem Schneepflug am Frontlader des Traktors einen Pfad bahnen.

Ich fange wieder an, den Schafen mit dem Schlitten Heu und Rübenschnitzel hinunter auf die Wiese zu bringen; rings um ihre Tröge und Heuraufen haben sie den Schnee in den Schlamm getrampelt. Eine dankbare Amsel pickt in der freigelegten Erde herum, und ein paar Spatzen durchsuchen die Reste von Grassamen und Rübenstückchen am Boden der Futterkrippe.

Eine andere Amsel pickt an der Mistelkugel, die in den Haselbüschen am Tor hängt; die meisten Singdrosseln des Hofs haben sich vor den Westwinden in die Dörfer und ins Tiefland zurückgezogen, zusammen mit den durchziehenden Rot- und Wacholderdrosseln. Die Seetangblätter der Mistel lassen die Pflanze aussehen, als wäre sie von einer unsichtbaren Springflut angeschwemmt worden.

In der Nacht bellt ein Fuchs irgendwo am anderen Ufer den Mond an. Ich kann der Versuchung einer Abfahrt über die Rodelbahn nicht widerstehen; die Schlickspur des Schlittens ist das einzig Schlammige im Mondlicht.

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21. JANUAR  Ich zähle Edward Thomas zu meinen Lieblingsdichtern. Tatsächlich ist »Adlestrop« eines von nur zwei Gedichten, die ich auswendig kann. (Das andere ist Shelleys »Masque of Anarchy«, das ich als Teenager in einer Punk-Rebellionsphase lernte.) Thomas fand, das größte Geschenk, das er seinen Kindern machen könne, sei das englische Land. In seinen Household Poems schrieb er sein Vermächtnis an seinen Sohn Merfyn nieder:

Gesetzt, mir gehörte dieses Land,

So weit, wie ein Mann reiten kann,

Und die Anger, die könnt’ ich verschenken, verpachten –

Wingle Tye und Margaretting

Tye, – und Skreens, Gooshays und Cockerells,

Shellow, Rochetts, Bandish und Pickerells,

Martins, Lambkins und Lillyputs,

Ihre Haine, Teiche, Straßen, Wege,

Felder mit dampfenden Gäulen, auf denen

Kiebitze flattern und piepen, Hecken

Für Liebende, Obst, Sträucher, Mauern,

Wo Sonne, vom Nordwind ungetrübt, scheint,

Und Bäume, auf denen die Drossel schön singt,

In unübersetzbaren Redensarten,

Ich schenkte sie alle meinem Sohn,

Wenn er mir nur eines ließe,

für das Lied einer Amsel am Morgen.

[…]

Englische Flurnamen sind nur selten so romantisch wie Dorfnamen (Wingle Tye!, Margaretting!); sie erheben sich nur selten über das Ultra-Prosaische hinaus. Wir nannten die Wiese immer »Wäldchenweide« oder »Fingerweide«; bei unserer Ankunft sagten die Nachbarn uns, sie heiße »Untere Weide«. Ich nutze einen trüben Tag, um die Aufzeichnungen in der Bibliothek von Hereford nachzuschlagen, wo ein paar emsige, engagierte Amateurhistoriker einen Band mit lokalen Flurnamen zusammengestellt haben. Zwischen den Büchern fast allein – alle unter vierzig sitzen am Computer –, entdecke ich den historischen, offiziellen Titel der Wiese, wie ihn der Tithe Survey von 1840 verzeichnet: Lower Meadow, Untere Wiese. Daneben die Uferweide. Die Flurstücke in der Nähe heißen unter anderem Großes Feld, Schafstallfeld, Lange Weide, Kuhweide, Feld an der Straße, Weites Feld, Große Wiese und Flaches Feld.

Flurnamen sind nicht die einzigen uninspirierten Bezeichnungen im ländlichen England. Auch die Namen der Bauernhöfe sind allesamt zweckmäßig, wie die gleiche Quelle bestätigt. Der Tiefpunkt liegt ungefähr vier Meilen entfernt. Farmhouse Farm.

Der Tithe Survey war eine Landvermessung, die nach der Verabschiedung des Tithe Commutation Act von 1836 stattfand. Dieses Gesetz sollte das Finanzierungssystem der Gemeindepfarrer vereinfachen, das damals in einem Sumpf aus Verwirrung und Steuerhinterziehung versackt war. Es schrieb vor, dass Kirchenabgaben in bar bezahlt werden mussten statt wie bisher in Form von Tieren oder Agrarprodukten (daher Tithe CommutationStubbsStockingButtsWalk