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Die Niceville-Trilogie

Niceville. Eine Kleinstadt im Süden der USA. Ein nicht enden wollender Fluch. Eine mit pechschwarzem Wasser gefüllte Senke, die über der Stadt thront. Menschen, die verschwinden. Andere, die zu Monstern mutieren. Und mittendrin Nick Kavanaugh, Ex-Militär und Ermittler, dessen Familie und gesamte Existenz bedroht wird, durch das Böse, das in Niceville schlummert. Wird es ihm gelingen, dem Spuk ein Ende zu bereiten? Ein rasanter Mix aus Hardboiled-Thriller, Fantasy und Horror – eine packende, sich über alle Genregrenzen hinwegsetzende Trilogie, hochgelobt vom großen Steven King.

Bereits lieferbar:

Band 1: Niceville

Band 2: Die Rückkehr

Band 3: Der Aufbruch (erscheint Anfang November 2015)

Band 2: Die Rückkehr

Ein kleiner Ort im Süden der USA wird zum Schauplatz einer Folge nie da gewesener, schockierender Ereignisse, und mit einem Mal ist alles anders als je zuvor.

Der Learjet einer Delegation dubioser chinesischer Unternehmer gerät kurz nach dem Abflug in einen Schwarm pechschwarzer Krähen, stürzt ab und explodiert. Ein Excop wird gefasst, in seinem Hummer-SUV liegen 100 000 Dollar eines kürzlich verübten Banküberfalls. Doch ihm gelingt die Flucht, weil der Gefangenentransport in einen bestialischen Unfall verwickelt wird, bei dem ein Hirsch eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Der Excop verschanzt sich in einem Laden für Survivalausrüstung und provoziert eine üble Schießerei. Gleichzeitig betritt ein Gentleman die Bühne, bis auf die Zähne bewaffnet und skrupellos, denn drei Machos im Knast haben einen Plan. Auf dem Highway rast ein tiefergelegter Sportwagen, verfolgt von einer Streife, mit über dreihundert Sachen in eine Reihe schaulustiger Trucker. Der kleine Rainey hört eine Stimme aus der Vergangenheit und mutiert von einem normalen Jungen in ein gnadenloses Monster. Und mittendrin der Ermittler Nick Kavanaugh und seine Frau Kate, die versuchen, Ordnung in das Chaos zu bringen. Aber über Niceville liegt ein Fluch, der nicht enden will …

Carsten Stroud

war Bootsbauer an der Baja California und Berufstaucher in der US Army. Er hielt sich in geheimer Mission in den gefährlichsten Gegenden der Dritten Welt auf. Er ist Journalist und preisgekrönter Sachbuchautor, seine Romane sind Bestseller in den USA.

Carsten Stroud hat drei erwachsene Kinder und lebt heute mit seiner Frau in Toronto. Sein erster ins Deutsche übersetzte Roman ›Niceville‹ erschien 2012 im DuMont Buchverlag, der Nachfolgeband ›Die Rückkehr‹ 2013.

Carsten Stroud

DIE RÜCKKEHR

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch
von Robin Detje

 

 

Für Linda

 

 

Unter den Toten gibt es solche,
die erst noch umgebracht werden müssen.

Fernand Desnoyers
1858

Vielleicht hängt das Universum
am Reißzahn eines Ungeheuers.

Anton Tschechow
1892

NACH DEM SÜNDENFALL

Was der militärische Ausdruck »vertikale Stationierung im Gelände« wirklich bedeutet

Da steht dieser chinesische Learjet, ganz vorne in der Schlange vor der Startbahn vom Flughafen Mauldar Field, alle Schotten dicht, ein Pfeil auf einer gespannten Sehne, die Turbinen warm gelaufen, mit qualmenden Bremsen und klappernden Startklappen – und dann klingelt im Tower das Telefon – ein lautes blechernes Jaulen – der Boss im Tower, John Parkhurst, schnappt sich den Hörer, und dann kommt – wie er später den Cops erzählt – dieses kreischende Wutgebrüll von dieser großmäuligen –

Okay, damit man das besser versteht, Parkhurst ist in seiner Freizeit Pastor bei den Pfingstlern, also nennt er den Anrufer den Cops gegenüber nur Person und nichts Härteres – jedenfalls, der Typ am Telefon behauptet, er sei vom FBI und er verlange – seine Stimme überschlägt sich fast –, dass dieser Fluch Fluch chinesische Learjet gestoppt wird, aber pronto, mitten auf der Startbahn festgenagelt, und als Parkhurst – ein eher pingeliger älterer Herr, der statt Fluglotse wahrscheinlich lieber Zahnarzt hätte werden sollen – nach seiner ID-Nummer fragt, da knallt der Typ einfach völlig durch – fängt wieder an zu fluchen – nimmt ganz schlimme Wörter in den Mund – und hat schon fast du blöde Fot… gesagt, und man weiß, wo das endet – da drückt Parkhurst ihn weg und knallt das Telefon hin.

Zwei Minuten später donnert der Learjet, eine 60 VR Luxury Edition – locker zehn Millionen – in den Himmel davon, steil im Steigflug, mit Donner und Blitz – die beiden Triebwerke röhren so laut, dass im Umkreis von einer Meile die Fensterscheiben wackeln, und Parkhurst lehnt sich zurück, starrt das Telefon an, mit ganz roten Öhrchen, und sagt oje und achjemine, lässt einen Seufzer fahren, schüttelt den Kopf und denkt: Und das auch noch am Tag des Herrn.

Aber … von dieser bösen Sache abgesehen … er beruhigte sich wieder und blickte in die Runde – die meisten starrten ihn an und fragten sich, was das jetzt wieder war – und dann blickte er aus dem Fenster, und weil es dem Herrn so gefiel, war es noch immer ein wunderschöner frühlingshafter Sonntagvormittag und er konnte am strahlend blauen Himmel kein Wölkchen entdecken … okay, außer diesem irgendwie merkwürdigen Ding da im Südosten. Sah aus wie ein Schmutzfleck, ein schwarzes Rauchfähnchen oder vom Wind aufgewirbelte Blätter vielleicht.

Parkhurst, der beim Alten Testament Trost suchte, grübelte ein Weilchen über den Schmutzfleck nach und machte sich Gedanken über dessen Wesen.

Der chinesische Learjet legte sich währenddessen in 300 Meter Höhe und einer Entfernung von einer halben Meile in eine elegante Südkurve.

Parkhurst ließ sich die Psalmen durch den Kopf gehen, als ihn ein leises Unbehagen zwickte. Er drehte sich zum Dopplerradar um. Dort tauchte der Schmutzfleck als diffuses Rauschen wieder auf, ohne sein Wesen preiszugeben. Also griff er zum Fernglas.

Er brauchte ein, zwei Sekunden, bis er das Objekt scharfgestellt hatte, und eine weitere, bis er begriffen hatte, was er sah, aber dann zog sich ihm die Kehle zusammen und ihm wurde kalt.

Das war keine Rauchwolke, das waren auch keine Blätter. Das war ein Krähenschwarm. Ein sehr großer Krähenschwarm.

Mit einem Satz war Parkhurst am Funkgerät – Flight Zero Six Notfall China Lear sofortige Kursänderung auf – aber bei der Geschwindigkeit des Düsenflugzeuges reichte das längst nicht mehr aus. Parkhurst empfing eine kurze Antwort des Kopiloten – Tower wir sind –, gefolgt von einem gebrüllten Fluch auf Chinesisch.

Der purpurgoldene Jet, der in der Vormittagssonne glitzerte, bohrte sich mitten in diesen Krähenschwarm hinein und schoss auf der anderen Seite wieder heraus, Streifen aus Blut und mattschwarzem Gefieder am Rumpf, und aus der Steuerbord-Turbine quoll dünner blauer Rauch. Der Jet verlor schon an Höhe.

Ein weiterer Funkspruch des Piloten – Tower hier Flight Zero Six Vogelschlag wiederhole Vogelschlag – Sicht gleich null –, dann nur noch Knistern und Rauschen.

Im Tower standen alle wie gelähmt da, als der Learjet nach links abschmierte – die Nase senkte sich – aus der Linkskurve wurde eine Rolle, dann eine sich immer enger ziehende Spirale – die Nase senkte sich – immer tiefer – das Flugzeug ging in den Sturzflug – Neuigkeiten aus dem Funkgerät – der Pilot war ins Hakka zurückgefallen und brüllte ins Mikrofon – im Hintergrund waren Stimmen und Schreie und das metallische Knattern des Flugzeugrumpfes zu hören – der Pilot wieder auf Englisch – Tower wir stürzen ab wir stürzen ab.

Den letzten Funkspruch hörten sie alle – sagt meinem Sohn –, dann ein heiserer Schrei – der Learjet krachte in zwei Meilen Entfernung auf, mitten im vierzehnten Grün des »Anora Mercer Golf and Country Club«.

Er ging in einen gelb-rot-schwarzen Feuerball auf, der sich ausbreitete und hoch in den Himmel erhob. Ein paar Augenblicke später spürten die Männer im Tower, wie die Schockwelle auf die Fenster traf, ein dumpfer Schlag, gefolgt von rollendem Donner.

Das wars wohl mit meiner Karriere, dachte Parkhurst. Und dann, im Nachklapp: Die Ärmsten.

Rund dreihundert Meter über der Absturzstelle formierte der Krähenschwarm sich neu, zog sich zu einer dichten Wolke zusammen, die wie eine Sense aussah, flog dicht über die Stadt hinweg, brausend und wirbelnd, erfüllte die Luft mit blechernen Vogelschreien, schwang sich dann wie eine feste Masse auf und verschwand nach Osten in Richtung Tallulahs Wall.

Im Tower herrschte Grabesstille, nur ganz hinten sagte jemand leise und ehrfürchtig: »Ach du Scheiße.«

Parkhurst musste schlucken, was wehtat, und er dachte an Feuer, Hagel, Schnee und Rauch. Während er den Absturz meldete, warf ein Neuer namens Matt Lamar kurz einen Blick auf den Flugverkehrsplan.

Er blickte zu den anderen auf, die noch immer alle gebannt auf die pilzförmige Wolke starrten, die sich über den Golfplatz erhob, nur dass sie einander dabei jetzt anbellten und -kläfften und nacheinander schnappten wie ein Rudel durchgeknallter Labradoodles.

»He, Leute«, sagte er in diesem Lärm, und dann noch einmal lauter: »Leute!«

Alle außer Parkhurst drehten sich zu ihm um.

»Was denn?«

»Morgan Littlebasket ist um 1020 mit seiner Cessna abgehoben, oder?«

»Ja«, sagte einer der anderen. »Na und?«

»Und wo bitte ist der jetzt hin?«

Nach vier Minuten war die Polizei von Niceville am abgestürzten Learjet, gleich darauf kam die Feuerwehr. Das Feuer wütete heftig und rund um die Absturzstelle loderten Lachen aus Flugbenzin. Für Löscharbeiten war es viel zu heiß. Man konnte nicht viel mehr tun als abwarten, bis es heruntergebrannt war, und im näheren Umkreis nach Verletzten suchen.

Sie fanden ein einziges Opfer, das verwirrt herumirrte, ein verhutzeltes Männchen mit einer dicken Binde auf der Nase und einem schwer versengten Gesicht, das seinen Namen als Thad Llewellyn angab.

Seinem hysterischen Gefasel nach klang es ganz so, als hatte seine Frau sich mitten am Einschlagspunkt befunden, als der Learjet donnernd aufs vierzehnte Grün niedergefahren war.

Sie hieß Inge und hatte ihm offenbar den Flaggenstock gehalten, während er versuchte, sich aus einem Sandbunker zu chippen.

Die Streifenbeamten verkniffen sich die auf der Hand liegenden »Mit einem Schlag eingelocht«-Witze – wenigstens in seiner Hörweite – und halfen dem Mann behutsam in einen Streifenwagen in Richtung Lady-Grace-Krankenhaus, mit Festbeleuchtung und Musik.

Dann sperrten sie das Gelände ab, um die Schaulustigen auf Distanz zu halten – hauptsächlich Platzwarte und ein paar Leute, die zum Sonntagsfrühstück in den Hy Brasail Room gekommen waren –, und machten es sich gemütlich, bis ihre Schichtleiter eingetroffen waren und das Feuer weit genug heruntergebrannt war, dass man es sich vornehmen konnte.

Sie sahen so lange zu, wie das Wrack des Learjets zu einem Trümmerfeld aus Glas- und Aluminiumsplittern und Leichenteilen zusammenschmolz, aus dem sich schwarze Rauchschwaden erhoben, mit einem grell orangefarbenen Feuer in der Mitte. Den Rauch trieb der Wind nach Osten, weg von der Karawane aus Polizeiwagen, aber die Hitze konnten sie noch aus dreißig Metern Entfernung spüren. Das Fairway-Gras rund um die Absturzstelle war schwarz.

Kurz, das ganze vierzehnte Grün war ein schwelender Krater, fünfzehn Meter tief und dreißig Meter im Durchmesser. So ist das nämlich, wenn ein Flugzeug vertikal im Gelände stationiert wird.

Ein paar Minuten später waren Nick Kavanaugh und sein Partner Beau Norlett vor Ort. Auf der Spur für die Golfcarts stauten sich die Feuerwehrwagen, und Männer in Schutzanzügen versprühten auf dem ganzen Gelände Schaum. Ein Stück weiter weg standen die Rettungswagen; die Sanitäter lehnten sich vorne an die Stoßstangen oder plauschten in kleinen Gruppen. Für sie war nichts zu tun. Es gab keine Überlebenden. Was immer von den Passagieren oder Thad Llewellyns Frau Inge übriggeblieben sein mochte, würde irgendwann von den Gerichtsmedizinern oder den Jungs von der Flugunfalluntersuchung mit Anhängern versehen und eingetütet werden.

Nick brachte den dunkelblauen Crown Vic hinter einem großen schwarzen Suburban zum Stehen, auf dessen Stoßstange in leuchtenden Goldbuchstaben SUPERVISOR stand. Das war der Schlitten von Mavis Crossfire. Als Nick die Fahrertür öffnete, warf er Beau einen Blick zu.

»Der Lieutenant muss wissen, dass wir hier sind. Sag Tig, dass Staff Sergeant Crossfire auch vor Ort ist. Danach gehst du dir anhören, was die Rettungskräfte zu sagen haben.«

Beau Norlett war ein junger Schwarzer, der aussah wie eine Artilleriegranate. Unbeleckt, aber eifrig und taff. Er machte sich täglich nützlicher. Nick und er waren erst seit einer Woche Partner, aber das war eine hammermäßige Schicht gewesen: Ein Bankraub mit sechs Toten, darunter vier Cops. Eine reiche alte Dame namens Delia Cotton spurlos verschwunden und ihr alter Gärtner, ein Mann namens Gray Haggard, gleich mit. Eine Geiselname in einer Kirche, bei der ein Polizei-Scharfschütze hatte antreten müssen. Und gestern erst Kates Vater Dillon – aus seinem Büro am VMI verschwunden und seither nicht mehr gesehen.

Und jetzt das.

»Wird erledigt, Chef«, sagte Beau, noch immer im Adrenalinrausch der letzten paar Tage. Da in Belfair und Cullen County beim CID, der Kriminalpolizei, der Schick sehr wichtig war, oder zumindest bei Nick, hatte er sich zwei neue Anzüge gekauft, einen von Kors und einen von Zegna, und drei Paar Allen-Edmonds-Schuhe. Bei seinem Gehalt, mit einer Frau und drei Kindern, war das eine größere Investition.

»Da drüben steht ein Imbisswagen, Nick. Willst du einen Kaffee? Süßes Teilchen?«

»Kaffee wäre super. Aber bitte nenn mich vor den Jungs von der berittenen Truppe nicht süßes Teilchen.«

Beau lachte, griff sich das Mobilteil, drückte auf den SENDEN-Knopf. Nick schloss die Autotür und klopfte sich die Anzugjacke glatt, bevor er sie anzog. Er trug heute Dunkelgrau, dazu ein schwarzes Hemd. Keine Krawatte. Es war viel zu heiß. Er klemmte sich das goldene Detective-Abzeichen an den Gürtel, zupfte an seinem Colt Python rechts im Halfter, verschaffte sich einen Überblick und machte sich spielfertig.

Für einen Detective beim CID war Nick mit zweiunddreißig Jahren noch jung, aber er hatte acht Jahre bei den Fifth Special Forces gedient, also waren seine zweiunddreißig nicht so wie bei dem üblichen verfusselten Zweiunddreißigjährigen, der noch immer bei dir im Keller wohnt und sich endlos mit seiner Doktorarbeit über Gender- und Rassismusfragen in der neukantianischen Hermeneutik abquält.

Nick war etwas über eins achtzig, hatte blaugraue Augen, tiefschwarze Haare mit etwas Grau an den Schläfen, war noch immer fit wie ein Turnschuh, verheiratet mit Kate Walker, einer Anwältin für Familienrecht, die er vergötterte, so wie sie ihn, das hoffte er jedenfalls, und meistens tat sie es auch.

Er trat an die Fahrerseite des Suburban vom Polizeirevier von Niceville und klopfte an die Scheibe. Mavis Crossfire erwiderte sein Grinsen und ließ das Glas herunterfahren. Sie war eine große grobknochige Frau mit gerötetem Gesicht, kurzen roten Haaren und Lachfältchen um die blassblauen Augen und trug an diesem Morgen volle Montur: eine frisch gebügelte dunkelblaue Uniform mit einer großen goldenen Dienstmarke auf der Kevlar-Weste und den Staff-Sergeant-Streifen am Ärmel.

»Nick. Schönen guten Morgen auch!«

Nick schüttelte den Kopf.

»Was soll das denn heißen?«

»Du bist kein Ire, was?«

»Kalifornisches Urgestein.«

Mavis lächelte, trank einen Schluck Kaffee aus einer Thermoskanne mit einem Ole-Miss-Logo und nickte zur Absturzstelle hinüber.

»Der Hammer, die Sache.«

»Ja, wirklich. Überlebende?«

»So was von überhaupt nicht. Und noch eine Tote, als das Teil auf sie drauf ist.«

»Wissen wir, wer es war?«

»Inge Llewellyn.«

»Mein Gott. Die Frau von Thad Llewellyn? Nordische Dame mit Übergröße und einer Stimme, bei der einem die Gläser zerspringen?«

»Genau die.«

»Harte Woche für Thad Llewellyn. Erst wird seine Bank ausgeraubt und jetzt kriegt seine Frau auf dem vierzehnten Grün die volle Packung. Weiß er schon Bescheid?«

»Er war da drüben in einem Sandbunker, als das Flugzeug runterkam. Die Rettungskräfte haben ihn ohne Augenbrauen auf dem Fairway aufgegriffen. Hat alles mit angesehen.«

»Wo ist er jetzt?«

»Mit dem Streifenwagen ins Lady Grace. Haben ihn ruhiggestellt.«

»Das will ich auch hoffen. Arme Sau. Vogelschlag, stimmt das?«

Mavis nickte.

»Vom Tower aus haben sie alles gesehen. Der Lear ist mitten in den Schwarm rein. Tausende Krähen. Hatte keine Chance. Und jetzt hör dir das an. Unten an Tallulahs Wall ist noch eine Rettungsmannschaft zugange. Wühlt in einem Cessna-Wrack rum. Der Nummer auf dem Leitwerk nach vom Cherokee Nation Trust. Mit einem knusprigen Braten namens Morgan Littlebasket darin.«

»Den Namen kenne ich.«

Mavis nickte und warf einen Blick auf ihren Notizblock.

»Das überrascht mich nicht. Das wäre dann der Morgan Littlebasket, Vorsteher des Cherokee Trust und oben in Gracie der große Mister Aufgeblasen. Ist heute Morgen um 0900 zu einem kleinen Spazierflug aufgetaucht, sagen die Jungs im Tower. War ein bisschen fahrig. Hat ein bisschen Preflight-Check gespielt und ist dann gegen 1020 abgehoben. Richtung Süden. Zeugen zufolge ist er über die alten Bäume auf dem Kamm von Tallulahs Wall geknattert. Dann ist er runter und ungefähr eine halbe Meile weit dem Lauf des Tulip River gefolgt, hat wieder Gas gegeben und ist nach links abgedreht, rauf auf hundertfünfzig, zweihundert Meter vielleicht. Kursänderung nach Nordwest, hat sich gerade gelegt und ist dann volle Kanne direkt gegen Tallulahs Wall gebrettert.«

»Ganz ruhig und gerade?«

»Ohne jedes Gewackel. Wie eine Pistolenkugel.«

»Mann«, sagte Nick mit einem Lächeln. »Was glaubst du, was ihm durch den Kopf gegangen ist?«

»Die Frontscheibe, und danke für die Vorlage.«

»Selbstmord vielleicht? Irgendwo ein Abschiedsbrief? Letzte Worte?«

»Bisher nichts. Wir lassen gerade sein Haus durchsuchen. Kann auch ein Schlaganfall gewesen sein oder ein Herzinfarkt. Müssen wir abwarten.«

»Er hat Töchter, oder?«

»Zwei. Twyla und Bluebell. Mutter vor zwei Jahren verloren, Krebs. Hieß Lucy. Twyla ist übrigens so was wie Cokers Hauptfreundin.«

»So eine kesse Schwarzhaarige? Große braune Augen und bonbonroter Lippenstift? Kurven wie eine Wendeltreppe? Ein Killerteil. Ich hab sie mit Coker in der Bar gesehen.«

»Klingt ganz nach ihr.«

»Jung für ihn, oder?«

»Dazu sage ich nichts. Aber Coker hat so was Clint-Eastwood-mäßiges, das zieht, musst du zugeben. Und du würdest dich wundern, wie viele naive Mädchen Polizei-Scharfschützen sexy finden.«

»Du auch?«

»Nein. Ich stehe mehr auf diese stahlharten CID-Detectives, die mal bei den Special Forces waren, mit Mörderblick und einer Riesenkanone, die wie eine Schlange heißt.«

»Mavis, wer hätte das gedacht?«

»Ich habe ja nicht dich gemeint. Jedenfalls, ich habe einen Wagen hingeschickt, sie sollen es den Kindern so vorsichtig beibringen wie möglich.«

»Haben wir ein Zeitfenster für Littlebaskets Aufprall?«

»Verschiedenen Zeugen nach genau 10 Uhr 41.«

»Und rund zwanzig Minuten später fliegt der Learjet da drüben in eine Krähenwolke?«

Mavis nickte.

»Hab ich mir auch gedacht. Littlebasket knallt in Tallulahs Wall, die Explosion schreckt in den Bäumen rund um Crater Sink die ganzen Krähen auf. Der Schwarm fliegt los, nach Nordwesten. Dann ist er gerade rechtzeitig im Luftraum von Mauldar Field, um dem Learjet in den Weg zu kommen.«

»Also einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.«

»Genau. Bei so etwas muss alles auf exakt die richtige Weise falsch laufen, aber dann – voller Dominoeffekt, und Bob ist dein Onkel.«

»Ich weiß immer nicht, was das heißen soll.«

»Ich auch nicht. Wahrscheinlich so was wie: Bingo!«

»Was wissen wir über die Leute im Learjet?«

Mavis warf einen Blick auf ihr Klemmbrett.

»Eigner des Flugzeugs war eine chinesische Handelsgesellschaft aus Schanghai. Daopian Canton Incorporated. Fortunate City Road 2000. Pilot und Kopilot Firmenangestellte. Die drei Passagiere ebenfalls. Der Ranghöchste war ein Mann namens Zachary Dak. Bereichsleiter Logistik.«

»Wo wollten sie von hier aus hin?«

»Dem Flugplan zufolge zum Auftanken nach LAX, dann über Honolulu nach Macao.«

Nick ließ sich das durch den Kopf gehen.

»Macao? Was haben die in Niceville getrieben? Hatte das was mit Quantum Park zu tun?«

»Auf dem Visum steht, dass sie sich Immobilien für eine geplante Zweigstelle angesehen haben.«

»Mit wem haben sie sich getroffen? Einem Makler von hier? Jemandem aus Cap City?«

Mavis sah ihn schief an.

»Was ist denn?«

»Weiß auch nicht. Ich würde einfach gerne wissen, mit wem sie sich getroffen haben. Und wozu. Fünf chinesische Staatsangehörige, ein privater Learjet, und jetzt sind sie Asche. Da müssen wir uns auf einen Haufen Fragen vom State Department vorbereiten. Wo sind sie untergekommen? Im Marriott?«

»Ja. Anreise am Freitag, die Crew und die drei Zivilpersonen. Alle in Einzelzimmern. Haben bei Airport Limos ein schwarzes Lincoln Town Car gemietet.«

»Ich weiß nicht. Irgendetwas … stimmt da nicht.«

Mavis kannte Nick lange genug, um sein Bauchgefühl ernst zu nehmen.

»Manager im Dienst ist Mark Hopewell. Ich habe ihn schon angerufen und er stellt uns zusammen, was er hat. Außerdem gibt es da noch einen pensionierten Deputy Sheriff im Marriott, Edgar Luckinbaugh. Arbeitet als Chefpage. Edgar hat ein waches Auge. Ich kann mit ihm reden, mal sehen, was er über diese Typen weiß.«

»Kann ich auch machen«, sagte Nick. »Ich kenne Luckinbaugh. Arbeitet nebenbei als Informant für Coker.«

Nick schwieg kurz.

»Jemand sollte Boonie Hackendorff auf dem Laufenden halten, Mavis. Das State Department wird definitiv das FBI in Cap City ausquetschen, und ich will nicht, dass Boonie kalt erwischt wird.«

»Ich sorge dafür, dass er den Bericht bekommt. Im Augenblick hat er gerade alle Hände voll zu tun.«

Nick hörte in Mavis Stimme etwas mitschwingen.

»Echt? Was denn? Was ist denn mit Boonie?«

Mavis hatte das schon eine Weile loswerden wollen.

Sie grinste Nick mit diebischer Freude an.

»Na ja, offenbar hat die State Patrol vor ungefähr einer Stunde auf dem Highway 366, gleich hinter der Auffahrt Arrow Creek, Byron Deitz erwischt, mit 140 Meilen, sie haben ihn angehalten, mit gezogener Waffe und allem Drum und Dran, er wollte nicht richtig. Er fuhr diesen dicken gelben Hummer. Haben im Getränkehalter neben dem Fahrersitz eine Dose Ecstasy gefunden, lag offen da, also haben sie Deitz Handschellen angelegt und routinemäßig den Hummer durchsucht. Rate mal, was sie in der Heckklappe gefunden haben?«

»Tu mir das nicht an.«

»Cash aus dem Bankraub bei der First Third in Gracie.«

Das haute Nick um.

Und dann gleich noch einmal.

Byron Deitz war sein Schwager, ein Gangster, der seine Frau schlug. Kates Schwester war mit dem Arsch verheiratet. Erst gestern Abend hatte Beth endlich eine zu viel aufs Maul bekommen.

Sie hatte die Kinder in den Geländewagen gepackt, Byron gesagt, sie gehe ins Hotel, und vom Handy aus Kate angerufen. Als Nick heute Morgen zur Arbeit gefahren war, saßen Kate und Beth noch immer im Wintergarten und bekakelten die Sache. Nick hatte später bei Deitz vorbeischauen wollen, ihm den Kopf geraderücken, ein Donnerwetter, das schon lange überfällig war.

Aber das?

Der Bankraub bei der First Third, das war am vergangenen Freitag gewesen. Die Beute hatte mindestens zweieinhalb Millionen Dollar betragen, vielleicht auch mehr. Bei der Verfolgungsjagd waren vier Cops abgeknallt worden.

So sehr Nick den Typen auch verabscheute, dass Deitz, ein pensionierter FBI-Mann, in etwas so Widerliches verwickelt sein könnte wie das kaltblütige Abschlachten von vier Cops, konnte er nur schwer glauben.

»Wie können sie wissen, dass es aus der First Third war?«

»Die Bank-Banderolen waren noch dran. Ein dicker fetter Packen druckfrischer Hunderter. Außerdem haben sie eine Rolex aus der Beute aus den Schließfächern gefunden.«

»Das – das kann ich einfach nicht glauben.«

»Solltest du aber«, sagte Mavis. »Es wird noch besser. Deitz ist auch in den Absturz verwickelt.«

»Wie?«

»Parkhurst sagt, gegen Viertel vor elf habe jemand den Tower angerufen, sich als Byron Deitz vorgestellt und verlangt, dass man den chinesischen Learjet auf der Startbahn festhält, bis er da ist.«

»Das war Deitz

»Die Stimme hat Parkhurst nicht wiedererkannt, aber der Anruf kam von BD Securicom, und das ist die Firma von Deitz. Ich habe die Nummer von hier aus angerufen und bin auf Deitz’ Mailbox gelandet.«

»Also war er es wirklich.«

»Würde ich auch sagen. Der Anrufer hat sich als FBI-Agent ausgegeben, aber als Parkhurst nach einer ID-Nummer gefragt hat, ist der Typ durchgedreht und hat nur noch geflucht und geschrien …«

»Klingt nach Byron.«

»Aber hallo. Parkhurst hat einfach aufgelegt und dem Learjet Startfreigabe erteilt. Dann war die Kacke am Dampfen und er hat nicht mehr an den Anruf gedacht, bis die ersten Kollegen vor Ort ihm Fragen gestellt haben. Ich wollte gerade rauf und es nochmal mit Parkhurst durchgehen. Willst du …«

»Nur damit ich das richtig verstehe. Deitz war auf dem Weg hierher

»Offenbar hat er gerade am Handy Parkhurst angeschrien, als er der State Patrol in die Radarfalle gegangen ist. Und, kommst du mit? Vielleicht bringt es ja was.«

Nick starrte sie an und versuchte, das alles zu verarbeiten.

»Wenn Deitz das mit der First Third war, hat er vier Cops umgebracht. Warum lebt er dann noch?«

»Der Tag ist noch lang, Nick. Vielleicht ist er bei Sonnenuntergang ja tot. Die Patrol hat ihn nach Gracie in ihre Zentrale gebracht. Boonie Hackendorff ist auf dem Weg dorthin, um sich für das FBI ein Stück von ihm abzuschneiden. Die First State operiert in mehreren Bundesstaaten, also ist die ganze Scheiße Bundesangelegenheit.«

»Mein Gott. Weiß Reed Walker davon, Mavis?«

Reed Walker war Kates Bruder. Dünn wie eine Rasierklinge mit etwas von einem Raubvogel an sich, immer unter Strom, aggressiv und mutig, bis es nicht mehr schön war. Er war bei der State Patrol, fuhr einen Police Interceptor für Verfolgungsjagden auf dem Highway und war Nicks Auffassung nach offiziell verrückt. Zwei der Cops, die beim First-Third-Bankraub erschossen worden waren, gehörten zu seinen engen Freunden, mit einem von ihnen war er in der Ausbildung gewesen. Reed war in Virginia und suchte nach Kates Vater, der seit Samstagnachmittag nicht mehr gesehen worden war.

Mavis war ihm einen Schritt voraus.

»Das haben wir abgedeckt, Nick. Marty Coors hat ihn oben am VMI angerufen und ihm gesagt, er solle dortbleiben. Er hat gesagt, wenn Reed wieder hier runterrast und auch nur in die Nähe vom Deitz kommt, wirft er ihn hinten in einen Hundetransporter und lässt einen von diesen Werwölfen auf ihn los. Reed ist unter Kontrolle. Jedenfalls im Moment.«

Schweigen.

»Irgendwelche Neuigkeiten? Was Kates Vater angeht?«

Nick senkte den Blick und schüttelte den Kopf.

»Bisher nicht. Oben am VMI gibt es einen Cop von der State Police, Linus Calder. Er tut sein Möglichstes. Ich sollte mit dem Hubschrauber rauf und helfen, aber jetzt haben wir … das hier.«

Er machte eine Geste, die den Absturz umfasste, die vielen Cops und die Übertragungswagen der Medien, die jetzt auftauchten.

»Also ist er einfach … weg?«

»Da steckt mehr dahinter, Mavis. Ich bringe dich auf den Stand, sobald ich kann.«

»Jetzt nicht?«

»Geht nicht. Sorry.«

»Warum?«

»Wenn ich dir die ganze Geschichte erzähle, erklärst du mich für verrückt. Ich glaube sie ja selber nicht.«

»Ich halte dich sowieso schon für verrückt.«

»Ich weiß. Ich mich auch.«

Mavis blickte Nick prüfend an und las, was ihm ins Gesicht geschrieben stand. Dann ließ sie das Thema fallen.

Fürs Erste jedenfalls.

»Und was willst du jetzt mit der Scheißkiste hier machen? Das CID ist zuständig. Noch.«

»Mann. So eine Mega… Kannst du dabeibleiben?«

»Mit Vergnügen.«

»Rede du mit Parkhurst, Mavis, wenn das okay ist. Du rollst die Deitz-Geschichte von dieser Seite auf. Und kannst du Boonie warnen wegen diesem Ding mit den chinesischen Staatsangehörigen? Bevor er das State Department und den FBI-Direktor am Hals hat?«

»Mach ich. Und du?«

Nick sah sich nach Beau um. Er stand mitten in einer Gruppe Uniformen aus Niceville, und dem Grinsen auf seinem Gesicht nach erzählte er Scheiße und amüsierte sich köstlich.

»Ich muss Beth anrufen und es ihr beibringen.«

»Das kann vielleicht noch warten. Vielleicht ergibt sich noch was.«

»Ein ganzes Bündel gestohlenes Geld, da wird Deitz sich nicht rauswinden können.«

»Nein. Aber wenn du noch abwartest, kannst du Beth mehr erzählen als das, was wir bis jetzt wissen. Und du musst auch an ihre Kinder denken. Je mehr du weißt, desto besser.«

»Findest du?«

»Ja. Warte noch eine Stunde ab. Bis dahin haben Marty Coors und Boonie Hackendorff sich ausgetauscht. Dann haben wir ein klareres Bild.«

Nick hörte auf sie.

Er würde Beth am liebsten überhaupt nicht anrufen.

»Okay. Ein guter Rat. Also, ich bin dann mal weg.«

»Was hast du vor?«

»Ich gehe zu Edgar Luckinbaugh im Marriott.«

»Bring ihm eine Schachtel Donuts mit. Die mit Honig. Da steht er drauf.«

Liebe mag blind sein, aber nach ein paar Jahren Ehe ist das anders

Während Beau Norlett und Nick Kavanaugh zum Marriott unterwegs waren, saßen Nicks Frau Kate und ihre Schwester Beth im Wintergarten von Kates Haus in Garrison Hills, einem Viertel aus großen Vorkriegs-Reihenhäusern im Kolonialstil mit schmiedeeisernen Balkonen und Mauern um die Gärten. Es war ein schöner Vormittag im Frühling und sie waren allein. Beths Kinder Axel und Hannah, acht und vier, schliefen tief und fest in einem der Gästezimmer.

Hinter dem Bleiglas der Glasveranda leuchteten die Ringelblumen, Hortensien und Rosen in Kates Garten, dessen Rasen zu einem kleinen Hain aus Kiefern und Weiden hin abfiel. Weiche Tupfer aus Licht spielten auf den Fenstern, auf dem Gras und auf Beths abgehärmtem und müdem Gesicht.

Obwohl Beth nur vier Jahre älter war als Kate und ihr Gesicht die gleichen blassen feinknochigen Züge der Schwarziren aufwies, war es in den letzten paar Jahren hart geworden, und ihr Blick war erschöpft und abweisend. Kate trank Eistee, aber Beth war schon beim vierten Scotch auf Eis. Ihr langes rotes Haar hing ihr schlaff über die blassen Wangen und sie blickte in das schwere Glas; sie hielt es so fest umklammert, dass ihre Finger ganz weiß waren.

»Alles hat mit der Klimaanlage angefangen …«

»Die Prügelei?«

Beth lächelte Kate müde an.

»Prügelei kann man das nicht nennen. Er hat mir siebzig Kilo über. Es war heiß im Haus, die Kinder jammerten und Byron war völlig außer sich wegen irgendetwas, das auf der Arbeit passiert war. Etwas, das mit diesem grässlichen Bankraub am Freitag zu tun hatte.«

»Hat er gesagt, was es war?«

»Nur dass die Räuber die gesamten Gehälter für ganz Quantum Park erbeutet hätten, dass alles Thad Llewellyns Schuld sei, und weil BD Securiom für die Security von Quantum Park verantwortlich sei, werde man ihm die Hölle heiß machen. Ich habe versucht, ihm das auszureden, aber er wollte nicht hören. Er hat gesagt, er verstehe nicht, wie ich solche pieps erzählen könne und dass ich diese pieps lassen solle, und ich solle jetzt pieps nochmal die pieps halten.«

»Vor Axel und Hannah?«

»Nein. Die waren auf ihren Zimmern. Aber gehört haben sie es bestimmt. Wenn Byron explodiert, hört man sein Gebell bestimmt bis nach Cap City. Für die Kinder war das nichts Neues.«

»Aber gestern Abend war es anders?«

Beth seufzte und trank einen Schluck Scotch.

»Nicht anders. Es hat mir nur einfach plötzlich gereicht. Lag vielleicht an der Hitze. Ich hatte einfach keine Lust mehr, ihn zu beruhigen.«

»Er hat dich geschlagen.«

Das war keine Frage.

Beth nickte.

»Nicht zum ersten Mal. Aber vielleicht zum letzten.«

»Hast du eigenes Geld, Beth?«

Beth nickte, ohne den Blick zu heben.

»Wo ist es? Weil, wenn Byron wirklich denkt, dass du nicht wiederkommst, ist er ganz der Typ, der dir das Konto leerräumt und die Anlagen versteckt.«

Beth blickte zu Kate auf.

Ihre Augen waren grüner als Kates und durch die Tränen glitzerten sie wie Smaragde. Am linken Wangenknochen hatte sie einen frischen blauen Fleck, eine wunde dunkellila und grüne Stelle mit einem tiefen blutigen Kratzer in der Mitte. Von seinem FBI-Ring, wie Beth erklärt hatte, als Kate die Wunde versorgte.

»Glaubst du, dazu wäre er fähig? Wirklich? Und die Kinder?«

»Ich bin Anwältin für Familienrecht, Beth. So etwas passiert ständig. Erst am Freitag habe ich einen Fall abgeschlossen, ein gruseliger Typ namens Tony Bock. Ein ganzes Jahr lang hat er seine Exfrau malträtiert und …«

»Tony Bock?«

»Ja. Wieso? Kennst du ihn?«

Beth sah ein bisschen geschockt aus.

»Na ja, irgendwie schon. Byron war gestern Abend deshalb so schlecht gelaunt, weil die Klimaanlage hinüber war. Die Stadtwerke haben jemanden zum Reparieren geschickt, er hieß Tony Bock …«

»Klein und untersetzt mit Froschgesicht? Schwarze Haare, pickelig?«

»Na ja, eine Augenweide war er nicht. Und er hieß eindeutig Tony Bock. Seltsam, oder?«

»Bock arbeitet für die Stadtwerke, so viel weiß ich. Das ist ein schlechter Mensch, Beth. Damit du Bescheid weißt.«

»Okay. Für den Fall, dass ich ihm noch einmal begegne, wozu es nie kommen wird.«

»Jedenfalls, was ich sagen wollte, ist: Typen wie Tony Bock und dein Mann, wenn diese Typen dazu fähig sind, dich mit der Faust zu schlagen – Tony Bock hat seine Frau auch geschlagen –, warum sollten sie dann nicht auch versuchen, dir dein ganzes Geld wegzunehmen?«

Beth fasste sich mit einem Finger an die Wunde und zuckte bei der Berührung leicht zusammen. Gestern Abend hatte Kate mit ihrer Digitalkamera ein paar Aufnahmen von Beths Gesicht gemacht, während Nick Axel und Hannah zu Bett brachte. Dann war sie mit Beth in ihr Schlafzimmer gegangen und hatte sich den Rest ihres Körpers zeigen lassen. Als sie ihn sah, fuhr ihr ein Blitz aus purem Zorn durch die Brust. Die Striemen, die Beth in die bläulich weiße Haut geschlagen worden waren, zeigten deutlich, dass Byron sie schon früher geschlagen hatte. Oft. Auch von diesen alten Verletzungen machte Kate Fotos. Dabei dachte sie darüber nach, wie sie Byron umbringen könnte, ohne dafür lebenslänglich zu bekommen.

Nick könnte sich etwas ausdenken, hatte sie gedacht, und das würde er mit Vergnügen tun.

Als sie jetzt am Vormittag darauf im weichen Sonnenlicht des Wintergartens Beths Gesicht sah, dachte sie noch immer dasselbe. Man musste es ihr ansehen können, denn Beth brachte ein Lächeln zustande.

»Nein, mein Schatz, umbringen können wir ihn nicht«, sagte sie.

»War das so deutlich?«

Beth lachte sogar.

»Reed und ich waren immer überzeugt, dass du jemanden umbringen könntest, wenn du willst, Kate.«

»Byron kann von Glück sagen, dass Reed ihn nicht längst umgebracht hat. Nick war auch so weit. Aber du hast die beiden immer zurückgehalten.«

Beth senkte die Augen und blickte Kate dann wieder an.

»Reed hätte Byron nicht bloß verprügelt. Er hätte ihn übel zugerichtet. Übel genug, dass er seinen Job los gewesen wäre. Er hätte ihn vielleicht sogar umgebracht. Du weißt, wie zornig er werden kann. Und Nick ist genauso verrückt, nur dass er es besser unter Kontrolle hat, wegen dem Krieg vielleicht. Und stimmt es etwa nicht, dass gewalttätige Ehemänner Bestrafungen dieser Art früher oder später an Frau und Kindern auslassen …«

»Nicht wenn sie tot sind.«

»Aber das hier ist das wirkliche Leben, Kate, und du kannst sie nicht umbringen, sonst landest du im Knast. Außerdem habe ich geglaubt … ich habe geglaubt, dass er aufhört. Ich habe ihn wirklich geliebt, früher. Es hat ihm immer so … leidgetan. Er war so niedergeschmettert.«

Kate schüttelte den Kopf.

»Natürlich tut es ihm leid. Er tut sich selber leid, es tut ihm leid, dass es ihm leidtun muss. Und nach einer Weile nimmt er es dir wieder übel, weil, es war deine Schuld, dass es ihm leidtun musste. Das wird nicht aufhören, bis ihn jemand zwingt aufzuhören, Beth. Das ist immer so. Du kannst nie wieder zu ihm zurück. Nie wieder.«

Beth hatte wieder angefangen zu weinen, lautlos, und schluchzte tief und schauerlich. Sie rang darum, sich in der Gewalt zu haben.

»Das weiß ich auch. Aber hier können wir nicht bleiben.«

»Doch, das könnt ihr. Das Haus ist viel zu groß für uns. Wir wohnen hier zu zweit.«

»Was ist mit Rainey Teague? Wird er nicht bald hier einziehen?«

»Ja. Das wird er. Dann sind wir zu dritt.«

»Na ja, das habe ich gemeint. Rainey Teague ist schon zu euch unterwegs. Das arme Kind. Entführt, traumatisiert, eine Waise. Und da wollt ihr euch das Haus mit noch drei Lebensflüchtlingen vollpacken? Da könnt ihr ja gleich ein Heim für missbrauchte Flüchtlinge aufmachen und fertig.«

»Nur direkte Verwandte, Beth.«

»Mit Rainey seid ihr nicht verwandt.«

»Wir werden ihn in die Familie aufnehmen. Hör mal Beth, wir haben sechs Zimmer und vier Bäder. Und dazu noch die Remise hinten. In der Remise gibt es sogar eine separate Küche. Dad hat das Haus für eine Großfamilie umbauen lassen. Du kannst sogar dein altes Zimmer wiederhaben.«

In Beths Gesicht veränderte sich etwas.

»Dad … ich kann nicht fassen, dass er weg ist.«

Kate atmete tief durch, ein wenig zittrig.

»Er ist nicht weg, Beth. Er wird … vermisst. Und das erst seit ein paar Stunden. Ich habe gestern noch mit ihm gesprochen. Er wollte runterkommen und uns besuchen …«

»Und er ist nie aufgetaucht.«

»Nein. Das ist wahr. Das ist er nicht. Aber vielleicht musste er noch Nachforschungen anstellen …«

»Aber sicher doch. Was für Nachforschungen denn?«

Kate antwortete mit Bedacht.

»Ich hatte ihn gebeten … ein paar … Familienangelegenheiten zu untersuchen. Vielleicht steckt er gerade mittendrin. Wenn er arbeitet, verliert er jedes Zeitgefühl. Es sind erst ein paar Stunden, Beth.«

Kate würde Beth nicht erzählen, was die Cops in Virginia in Dillon Walkers Büro oben am VMI gefunden hatten. Beth hatte schon genug am Hals. Irgendwann würde sie es tun, aber nicht jetzt. Beth fing wieder an zu weinen und versuchte, das Schluchzen zu unterdrücken.

»Aber wo ist er dann? Und warum wird er vermisst? Du hast es auf seinem Handy versucht. Keine Antwort. Warum ruft er nicht an? Das ist nicht seine Art, Kate. Wirklich nicht. Ich verstehe das alles nicht … was sagt Nick dazu? Was sagt Reed? Unternehmen sie denn etwas?«

»Da oben am VMI gibt es einen Detective Calder. Er ist mit der Sache befasst. Er ruft uns an, sobald er Dad gefunden hat. Oder Reed. Ruft uns an. So lange bleibst du hier.«

Beth riss sich zusammen und richtete sich kerzengerade auf.

»Nein. Ich bin eine erwachsene Frau. Mit zwei Kindern. Ich kann allein mit dieser Sache fertigwerden. Wir können ins Hotel ziehen.«

»Und was, wenn Byron im Hotel vor der Tür steht? Das wird er nämlich. Was dann?«

»Nick kann nicht zu Hause bleiben und meinen Leibwächter spielen, Kate. Er muss arbeiten. Genau wie Reed. Und du.«

»Wir finden eine Lösung. Nick ist hier im Haus nicht der einzige, der eine Waffe hat.«

»Du hast eine Waffe?«

»Ich habe eine Glock und ich kann damit umgehen.«

»Ist sie geladen?«

»Eine Waffe, die nicht geladen ist, ist ein Briefbeschwerer, sagt Nick. Jedenfalls, Nick wird Byron nachher einen Besuch abstatten. Also ist Byron für dich vielleicht kein ganz so großes Problem, wie er es gerne wäre.«

»Das wird Byron nicht gefallen. Er springt Nick ins Gesicht.«

»Na hoffentlich. Dann bekommt er eine Ladung von dem ab, was du von ihm bekommen hast. Wenn er wirklich auf Nick losgeht, schlägt Nick ihn krankenhausreif und verhaftet ihn dann wegen tätlichen Angriffs auf einen Polizeibeamten, dafür kommt er in den Knast, und wegen häuslicher Gewalt gegen dich. Dafür habe ich digitale Beweise. Vielleicht muss er sogar hier im County sitzen. Ich würde ihn gerne mal sehen, wie er versucht, mit den Leuten im Twin-County-Gefängnis klarzukommen. Ein Ex-FBI-Mann? Der seine Frau verprügelt? Die sperren ihn in einen Schuppen und machen Party mit ihm. Die schneiden ihm die Eier ab.«

All das sagte sie mit tonloser Stimme, ganz sachlich.

Beth starrte sie an.

»Wäre nicht das erste Mal«, sagte Kate. »Frag Nick.«

»Mein Gott. Du bist wirklich zornig, oder?«

»Ja, das bin ich. Und das solltest du auch sein.«

Beth seufzte, lehnte sich auf dem Sofa zurück und nippte an ihrem Scotch.

Sie schwiegen.

Kate nahm einen Schluck Eistee und blickte Beth prüfend an, sah, wie ihr die Härte aus dem Gesicht wich und Spuren ihres früheren Lebens wieder darin sichtbar wurden.

»Er hat versucht, dich umzubringen, Beth. Ich hoffe, das ist dir klar. Vielleicht nicht körperlich. Aber deine Seele. Sie wollen dir die Seele aus dem Körper saugen. Das ist es, was Typen wie Byron machen.«

Beth seufzte noch einmal unsicher, legte den Kopf zurück, schloss die Augen. Nach einer Weile sagte sie: »Ich hatte immer das Gefühl, dass eine Leere in Byron ist, und dass er verzweifelt versucht, sie zu füllen. Und was ich auch probiert habe, ich konnte ihm nicht helfen.«

Kate beugte sich vor, legte Beth eine Hand auf den Arm, ganz sanft, kam näher und gab ihr einen zarten Kuss auf die lädierte Wange. Dann lehnte sie sich wieder zurück, lächelte lieb und sagte: »So ein Bullshit.«

Das Telefon klingelte.

»Hey, Kate, hier ist Reed. Hast du das mit Byron gehört?«

Wenn im Wald ein Bär umkippt

Während Kate von Reed Walker in Sachen Byron Deitz auf den Stand gebracht wurde, war Staff Sergeant Coker vom Sheriffs Department von Belfair und Cullen County auf dem Highway 311 in Richtung Norden unterwegs, ungefähr zehn Meilen südlich von Gracie, rauchte eine Zigarette und erfreute sich daran, wie auf den Hügeln ringsum das Duftende Mariengras in der Sonne leuchtete.

Er saß in seinem Stamm-Schlitten, einem Crown Victoria Police Interceptor in Schwarz und Hellbraun mit großen goldenen sechszackigen Sternen an den Türen und einem LED-Lichtbalken auf dem Dach, den man bei Vollbetrieb noch vom Mars aus sehen konnte. Staff Sergeant Coker hatte alles in allem gute Laune, denn es war ein wunderschöner Vormittag und er fuhr bis an die Zähne bewaffnet und voll gepanzert in seinem Lieblingswagen dahin. Und die Krönung war: Er und sein guter Freund Charlie Danziger waren vor ein paar Tagen ungestraft mit einem Bankraub in Gracie davongekommen, der ihnen rund zwei Millionen Dollar in Bargeld und Wertsachen eingebracht hatte.

Charlie Danziger und er kannten sich schon von den Marines, und bis vor ein paar Jahren war Charlie ein Sergeant bei der State Highway Patrol gewesen. Seither war er bei der Firma Wells Fargo Armored Trucks für die Streckeneinteilung verantwortlich, eine Stellung, die ihm viel Insiderwissen über große Bargeldlieferungen an örtliche Banken verschaffte.

So auch über die Lieferung von über zwei Millionen an die First Third Bank in Gracie am vergangenen Freitag.

Danziger und der Fahrer des Fluchtwagens, ein harter Typ mit Brandnarben namens Merle Zane, hatten den eigentlichen Überfall durchgeführt, und Coker, der beste Polizei-Scharfschütze im ganzen Bundesstaat, hatte sich mit einer Barret Fifty um die unvermeidliche Polizei-Verfolgungsjagd gekümmert.

Das Resultat: vier schrottreife Streifenwagen, vier tote Cops, zwei tote Medienfritzen, die der wilden, verwegenen Jagd in einem Live-Eye-Hubschrauber hinterher gewesen waren, und etwas später dann leider der Schuss in Merle Zanes Rücken, ein bedauerliches Ding der Notwendigkeit, damit alles sauber blieb. Merle war zuletzt gesehen worden, wie er mit einer Neun-Millimeter-Kugel von Charlie Danziger in der rechten Niere taumelnd im Wald verschwand.

Ein hektischer Nachmittag also, aber für Coker und Charlie Danziger am Ende sehr profitabel.

Coker vertrieb sich gerade die Zeit damit, sich verschiedene Möglichkeiten durch den Kopf gehen zu lassen, die neu erworbenen Vermögenswerte so anzulegen, dass sie den größtmöglichen sinnlichen Genuss für ihn abwarfen, als sein Funkgerät zum Leben erwachte und sein Handy klingelte.

Er checkte das Display – C DANZIGER –, schaltete es auf Mailbox und griff zum Funkgerät.

»Coker.«

»Sie müssen sich mit Ihrer Wagennummer melden, Staff Sergeant Coker.«

»Habe ich vergessen, Bea. Worum gehts?«

»Ich bin nicht Bea. Ich bin Zentrale

Coker grinste, was sein Wolfsgesicht noch bösartiger aussehen ließ.

»Okay, Zentrale. Was läuft?«

»Ein Bürger meldet ein 10-38 und benötigt sofortige Hilfe. 2990 Old Orchard.«

»Das ist Ernie Pullmans Ranch, oder? Mit einem Hund kann der selber fertigwerden. Der ist besser ausgerüstet als jeder Waffenladen.«

»Es geht nicht um einen Hund, es geht um einen Bären. Ich habe nur 10-38 gesagt, weil wir keinen Funkcode für einen Bären haben. Können Sie das übernehmen, Coker? Wir haben sonst niemanden in diesem Abschnitt.«

»Wo sind denn alle hin?«

»Die meisten Einheiten unterstützen die State Patrol. Ein Großeinsatz bei Arrow Creek, irgendeine Verhaftung offenbar.«

»Wer ist verhaftet worden?«

»Das sagt die State Patrol nicht. Ein Typ in einem großen gelben Hummer. Mit Waffengebrauch.«

Coker überlegte und beschloss, in der Sache »großer gelber Hummer« nicht weiter nachzufragen.

»Okay. Von wem stammt der Anruf?«

»Von Ernie selbst. Er klang ziemlich aufgeregt.«

»Einen Bären kann Ernie genauso gut erlegen wie ich.«

»Er sagt, es sei nicht so einfach.«

Coker seufzte.

»Okay, schon unterwegs. Ist er noch dran?«

»Ja.«

»Sag ihm, ich bin in fünf Minuten da, okay? Ende.«

Coker seufzte, schaltete den Lichtbalken ein und ging aufs Gas. Außerdem griff er sich das Handy und hörte die Mailbox ab.

»Coker, hier ist Charlie. Wo bist du? Ruf mich an. Es ist wichtig.«

Was Coker auch tat.

»Charlie?«

»Coker. Wo bist du?«

»Ich habe einen 10-38 auf der Ranch von Ernie Pullman …«

»Ernie wird nicht mit einem tollwütigen Hund fertig?«

»Das ist kein – hör zu, Charlie, worum gehts?«

»Wir treffen uns bei Ernie

»Du klingst ein bisschen durch den Wind.«

»Das bin ich auch

Ernie Pullmans Rocking Bar Ranch war mehr ein Schrottplatz als eine Farm, mit einem großen eingezäunten Platz voller alter Treckerteile, durchgerosteter Karosserien und Alteisen aller Art. Mittendrin, als hätte man ihn aus großer Höhe fallen lassen, stand Ernies riesiger Wohnwagen. Als Coker auf den Feldweg einbog, hörte er es hinter sich hupen, und ein weißer Ford F-150-Pick-up füllte seinen Rückspiegel aus.

Coker stieg aus dem Cruiser, schüttelte sich die Beine aus und wartete, bis Charlie Danziger seine eins achtzig hinter dem Lenkrad hervorgequält hatte.

Charlie hatte lange weiße Haare und einen großen weißen Schnauzer. Er stammte aus Montana und sah auch danach aus. Coker stammte auch aus Montana, sah aber eher nach einem Drill Sergeant bei den Marines aus, was er auch tatsächlich gewesen war.

»Was ist los, Charlie?«

»Wo ist Ernie?«

»Hinten, sagt Bea, mit einem durchgeknallten Bären.«

»Richtig durchgeknallt oder bloß sauer?«

»Da werden wir mal nachsehen müssen.«

»Wir müssen reden.«

»Das höre ich ungern.«

»Lass uns erst gucken, wo Ernie ist. Ich kann hier nicht vor dem übelsten Säufer südlich von Sallytown rumplappern.«

Sie gingen um den Wohnwagen herum. Dahinter gab es noch einen Platz, einen schlammigen Abhang hin zu einem kleinen Wäldchen – hauptsächlich Eichen, Kiefern und Erlen, überragt von ein paar hohen Pappeln. Drei Viertel auf dem Weg zur Krone der höchsten Pappel hing ein dicker schwarzer Klumpen, mit einem kleineren blau-weißen Klumpen ein paar Meter darüber. Der kleinere blau-weiße Klumpen rief ihnen etwas zu und winkte.

Der größere schwarze Klumpen tat offenbar gar nichts. Coker und Danziger standen einen Augenblick lang da und genossen den Anblick.

»Ernie, bist du das?«, rief Coker.

»Scheiße, wer sonst!«, schrie Ernie Pullman. »Könntest du jetzt bitte den scheiß Bären abknallen?«

Coker sah sich den Bären an. Er war völlig reglos. Er warf Danziger einen Blick zu und flüsterte: »Hast du deine Winchester dabei?«

»Ist im Pick-up.«

»Den Stutzen oder die lange mit dem Zielfernrohr?«

»Den Stutzen.«

»Glaubst du, du kannst mit dem Stutzen diesen Bären treffen? Ich habe nur meine Schrotflinte und diese Pistole.«

»Diesen Bären kann ich mit einem Stein treffen, Coker.«

Und dann, noch leiser: »Willst du hören, was ich zu sagen habe?«

Ernie war immer noch am Brüllen.

»Wie lange hängst du schon da oben?«, rief Danziger.

»Fast eine Stunde.«

»Wie konntest du den Notruf anrufen?«

»Mit dem Handy, du Arschgesicht. Hatte ich in der Tasche, als der Bär aufgetaucht ist. Charlie, knall den scheiß Bären ab, ja?«

»Der Bär sieht schon aus wie tot, Ernie.«

Das fand Ernie nicht komisch.