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Über das Buch

Kirchzarten ist der friedlichste Ort der Welt. Bis eines Tages im Morgengrauen ein Holzschuppen in Flammen aufgeht – und plötzlich ein Inferno losbricht. Verheerende Explosionen überraschen die freiwillige Feuerwehr und fordern ein Menschenleben. Wie sich herausstellt, hatten Unbekannte unter dem Schuppen ein Waffenlager angelegt.

Die Freiburger Hauptkommissarin Louise Bonì steht vor dem bislang schwierigsten Fall ihrer Karriere. Die Spuren führen zurück in das zerfallende Jugoslawien der Neunzigerjahre. Doch als ein kaltblütiger Mord geschieht, beginnt Louise zu begreifen, dass der Fall weitaus größere Dimensionen hat.

 

 

Über den Autor

Oliver Bottini wurde 1965 geboren. Für seine Kriminalromane erhielt er zahlreiche Preise, unter anderem viermal den Deutschen Krimi Preis, den Krimipreis von Radio Bremen, den Berliner ›Krimifuchs‹ sowie zuletzt den Stuttgarter Krimipreis für ›Ein paar Tage Licht‹ (DuMont 2014). Oliver Bottini lebt in Berlin.

Der erste und der vierte Band der Louise-Bonì-Reihe, ›Mord im Zeichen des Zen‹ und ›Jäger in der Nacht‹, wurden 2014 und 2015 mit Melika Foroutan in der Hauptrolle für die ARD verfilmt. Der vorliegende Band ist der zweite Fall für die Kommissarin Louise Bonì.

OLIVER BOTTINI

IM SOMMER DER
MÖRDER

EIN FALL FÜR LOUISE BONÌ

Ohne ethisches Prinzip gibt es keine langfristige Politik.

ANDRÉ GLUCKSMANN

 

 

Ich sage Ihnen, es gibt noch so einige andere Geschichten …

SEYMOUR HERSH IN EINEM INTERVIEW MIT DER
SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG

PROLOG

ADAM BAUDY SAH DAS FEUER ERST, als sie den Ortsrand von Kirchzarten erreicht hatten. Ein schmaler Streifen Glut auf der Weide zwischen Straße und Wald, vereinzelte Flammen, die in der beginnenden Morgendämmerung träge aufflackerten. Das Feuer war im Begriff zu erlöschen, sie kamen zu spät.

Der Einsatzleitwagen vor ihm verlangsamte, bog in den Feldweg ein. Baudy folgte ihm. Auf der Brandfläche stürzte eine letzte Eckstütze um. Eine Funkenwolke flog hoch, ein Schwarm aus hektischen rötlichen Insekten, der Momente später im Dunkelgrau des Morgens erlosch. Von Riedingers kleinem Holzschuppen war nichts geblieben als Glut und Asche.

»Du kannst die Augen aufmachen, Schatz«, sagte Baudy und nahm das Handy aus der Halterung. Während er Martin Andersens Nummer wählte, dachte er, dass er sich schon nicht mehr erinnerte, wie der Schuppen ausgesehen hatte. Seit Jahrzehnten kam er täglich daran vorbei und hatte ihn nicht ein einziges Mal bewusst wahrgenommen. Er fragte sich, wie genau man schauen musste, um alles zu sehen, was es gab. Die wichtigen Dinge, die unwichtigen Dinge.

Die Mailbox sprang an, Baudy sagte: »Ruf zurück.«

»Das ist ja schon aus, das Feuer«, sagte Lina.

»Ja, zum Glück.«

Im Rückspiegel tauchten die Scheinwerfer des ersten Tanklöschfahrzeugs auf. Rechts und links holte das Blaulicht ein paar Meter Weide aus der Dämmerung. Baudy unterdrückte ein Gähnen. Zum ersten Mal an diesem Morgen spürte er die Müdigkeit. Wenn Lina bei ihm war, schlief er wenig. Er lag lange wach und dachte daran, dass sie bald wieder fort sein würde.

»Papa, war da ein Mensch drin?«, flüsterte Lina.

Baudy wandte sich halb um. Lina hatte sich im Kindersitz vorgebeugt, um das Feuer sehen zu können. Er lächelte beruhigend. »Nein.«

»Und ein Tier?«

»Auch nicht.«

»Vielleicht zwei oder drei Mäuse.«

»Die sind doch schnell, die bleiben nicht da, wo’s brennt. Die rennen weg, Schatz.«

Lina sah ihn an. »Und was war dann da drin?«

»Nur ein bisschen Heu.«

Baudy blickte auf die Uhr. Viertel nach fünf. Vor fünfzehn Minuten hatte Riedinger den Notruf gewählt. Vor dreizehn Minuten hatte Freiburg die Kirchzartener Freiwilligen über den Funkalarm informiert. Vor zehn Minuten hatte er, Lina auf dem Arm, »ohnezähneputzen?«, die Wohnung verlassen. Vor drei Minuten waren sie vom Gerätehaus losgefahren. Das Feuer musste gegen Viertel vor fünf ausgebrochen sein. Eine halbe Stunde später erlosch es, und der kleine, alte Holzschuppen, den er nie bewusst wahrgenommen hatte, existierte nicht mehr.

»Fahren wir jetzt wieder nach Hause zu dir?«, fragte Lina.

»Bald. Schlaf doch noch ein bisschen.«

Das Handy klingelte. »Kein Treibstoff, keine Gasflaschen, keine Düngemittel«, sagte Martin Andersen. Er hatte mit Riedinger telefoniert. Baudy richtete den Blick auf den Einsatzleitwagen. Andersen hatte die Faust aus dem Seitenfenster gestreckt, Daumen nach oben.

»Okay«, sagte Baudy.

Kurz darauf hielten sie. Baudy wandte sich um, zog die Decke über Lina und strich ihr mit den Fingern über die Wange. »Ich muss jetzt ein bisschen arbeiten, Liebes.«

»Schade, dass Heu nicht wegrennen kann«, flüsterte Lina.

Baudy wartete neben dem Einsatzleitwagen, bis die beiden Löschfahrzeuge angehalten hatten. Dann gab er Befehl zum Absitzen. Seine Stimme war heiser und tief vor Müdigkeit. Während die sechzehn Männer zwischen den Fahrzeugen Aufstellung nahmen, trat er bis auf zehn Meter an die beinahe quadratische Brandfläche heran. Er trug keine Atemschutzmaske. Wegen Kohlendioxid mussten sie sich keine Gedanken machen, dazu war der Brand zu klein gewesen und der Sauerstoffgehalt der Luft im Freien zu hoch. Er atmete konzentriert durch die Nase ein. Kein Benzin. In der Mitte der Brandfläche züngelte eine schmale Flamme hoch, die schon keine Nahrung mehr fand. Urplötzlich war sie fort. Zehn Quadratmeter Glut und ein paar Brandnester. »Zwei B-Rohre«, sagte er, ohne sich umzudrehen.

Lew Gubnik und der Führer des zweiten Angriffstrupps wiederholten das Kommando.

Baudy hob den Blick. Mittlerweile waren fünfzig Meter weiter die Umrisse des Waldstreifens zu erkennen, hinter dem die B 31 lag. Ein schmales Band aus Dunkelheit und Schweigen. Darüber blinkten wie vier synchronisierte Sterne die Warnleuchten der Windräder vom Rosskopf. Im Nordosten flackerte Blaulicht. Ein drittes Löschfahrzeug, die Kameraden aus Zarten.

Langsam ging er weiter. Keine Menschen, keine Tiere, hatte Riedinger der Leitstelle und auch Martin Andersen berichtet. Nur ein paar alte Arbeitsgeräte und ein wenig Heu. Der unbenutzte Holzschuppen hatte inmitten einer Weide gestanden, im Umkreis von zweihundert Metern wohnte niemand. Aber man konnte nie wissen. Wenn man in vierzig Jahren nicht sah, woran man täglich vorbeikam, war alles möglich.

Als er die Hitze der Glut spürte, blieb er stehen. Keine Verletzten, keine Toten, das war das Wichtigste. Er ließ den Blick über die Brandfläche gleiten. Noch einmal überprüfte er, ob es nach Benzin oder einem anderen Brandbeschleuniger roch. Dann trat er zur Seite und gab Befehl zum Löschangriff.

Rauch stieg auf, die Glut zischte.

Blieben noch die Glutnester, dann würden sie wieder einrücken. Er würde Lina nach Freiburg in den Kindergarten bringen, sich mit einer Tasse Kaffee in die Tischlerei setzen, Gubniks merkwürdige Schatulle fertig machen. Ein kurzer, harmloser Einsatz. Doch das Gefühl, den Kampf gewonnen zu haben, das er so liebte, blieb aus. Vielleicht wegen der Müdigkeit. Oder, dachte er, weil sie nicht gekämpft hatten.

Gubnik rief: »Feuer unter Kontrolle!« Ein paar der Männer lachten, und Baudy lachte mit.

Dann trafen die Zartener ein. Baudy hob die Hand und winkte in Richtung Führerhaus. Fehlte nur noch die Polizei. Er fragte sich, was den Brand ausgelöst haben mochte. Eine Zigarettenkippe? Selbstentzündung des Heus? Oder war es Brandstiftung gewesen? Doch wer zündete einen Heuschuppen an? Er dachte an die Asylbewerber vom Keltenbuck, die vielen Holländer auf dem Campingplatz, die amerikanischen Studenten, die im Großen Tal zelteten. An Riedinger, dem alles zuzutrauen war.

Am Horizont blitzten die ersten Sonnenstrahlen auf. Von einem Moment auf den anderen wurde das Licht im Osten freundlicher. Baudy fand, dass dies die am wenigsten schlimme Zeit für Brände war. Ein neuer Tag brach an. Das Leben ging weiter. Ein Keim der Hoffnung, selbst im Anblick der Zerstörung, die Brände anrichteten.

Hinter Gubnik und dem jungen Paul Feul am ersten Rohr tat er ein paar Schritte in die Hitze hinein. Er hörte Gubnik fluchen. Im Grunde hätten sie nicht kommen müssen, schon gar nicht mit drei Löschfahrzeugen und zwei Dutzend Mann. Es gab kein Feuer mehr, und weit und breit stand kein anderes Gebäude, das geschützt werden musste. Ein paar Eimer Wasser hätten genügt. Baudy lächelte. Lew Gubnik, der Russlanddeutsche, war im Breisgau schwer geworden und bedauerte jede Bewegung, die nicht hätte sein müssen.

Karl, der Zartener Abteilungsleiter, trat neben ihn. »War jemand drin?«

»Nein.«

»Pferde? Vieh?«

»Nein.«

Karl nickte. »Braucht ihr uns?«

»Nein«, sagte Baudy zum dritten Mal und hielt ihm die Hand hin. »Danke fürs Kommen.« Karl nickte. Sie mochten sich nicht. Zu viele Prügeleien als Kinder, später waren sie zu oft hinter denselben Mädchen her gewesen. Wenn man sich dann zu Hochzeit oder Taufe nicht einlud, war es zu spät, um noch etwas zu ändern. Doch bei gemeinsamen Einsätzen spielte all das keine Rolle. Dann hatte es die Prügeleien, die Mädchen nicht gegeben. Manchmal, dachte Baudy, waren Dinge, die geschehen waren, nicht geschehen. Eine der angenehmen Seiten des Lebens.

»Da steht wer«, sagte Gubnik plötzlich.

Auch Baudy entdeckte jetzt im grauen Morgenlicht einen Mann. Er stand etwa dreißig Meter von ihnen entfernt und starrte reglos auf die Brandfläche.

Hannes Riedinger.

Baudy ging auf ihn zu. Er hatte Lust, mit ihm zu sprechen. Ihm von dem Keim der Hoffnung zu erzählen, auch wenn nur ein kleiner Schuppen niedergebrannt war. Jeder brauchte doch eine Hoffnung.

Riedinger blickte ihm entgegen. Sein faltiges, abweisendes Gesicht glänzte von Schweiß. »Das bisschen Heu geht nicht einfach so in Flammen auf.«

Baudy nickte. »Nicht in der Nacht.«

Die verkohlten Bohlen knackten, das Zischen der Glut war leiser geworden. Ein paar Meter weiter brummelte Gubnik.

»Sah aus, als hätte einer die Pforte zur Hölle geöffnet«, sagte Riedinger, als spräche er zu sich selbst.

Baudy musterte ihn. Beim Brand eines Schuppens? »Du bist sicher, dass nur Heu drin war?«

Riedinger nickte knapp.

»Keine Düngemittel? Gasflaschen, Treibstoff, Brandkalk?«

»Wie oft wollt ihr es noch hören?«

Baudy dachte daran, dass Riedinger vollkommen allein war. Die Frau weggelaufen, die Kinder im Ausland, die Nachbarn mieden ihn. Er hatte alle vertrieben. »Also?«

»Nein.«

Ihre Blicke trafen sich. Trotz der Dunkelheit waren in Riedingers Augen die Härte, die Unbarmherzigkeit zu erkennen. Baudy deutete mit dem Kopf in Richtung Gubnik und Paul Feul, um zu signalisieren, dass er wieder an die Arbeit müsse. Er wandte sich ab.

»Das bisschen Heu geht nicht einfach so in Flammen auf«, hörte er Riedinger hinter sich sagen.

Kurz darauf gab Baudy Befehl, das zweite B-Rohr einzuholen. Nur Gubnik und mit ihm Paul Feul blieben an der Brandstelle, die anderen sammelten sich am Verteiler oder am Tanklöschfahrzeug. Sie unterhielten sich über die Tour de France, während sie Gubnik und Paul zusahen. In der Ferne bemerkte Baudy das Blaulicht eines Streifenwagens. Die Kollegen vom Revier Freiburg-Süd. Die Kirchzartener Polizisten schliefen noch, ihr Dienst begann gegen halb acht.

Baudy stieg in den Einsatzleitwagen und schaltete das Blaulicht ein, damit sich die Kollegen besser orientieren konnten. Dann ging er zu seinem Passat und öffnete die Fondtür leise. Lina hatte die Augen geschlossen. Er wartete einen Moment, ob sie wirklich schlief oder das alte Spiel mit ihm spielte, das Schlafe-ich?-Spiel aus der Zeit, als es noch nicht sein Zuhause und ihr Zuhause gegeben hatte. Aber dann hätte sie spätestens jetzt gegrinst.

Die Fahrt in den Kindergarten noch, dann musste er wieder zwei Wochen ohne sie auskommen.

»Wasser aus«, hörte er Gubnik rufen.

Er drückte die Tür vorsichtig ins Schloss. »Wasser aus«, befahl er. Der Schlauch erschlaffte. Baudy warf einen Blick auf Riedinger. Die Hände in den Hosentaschen, sah er auf die Brandfläche. Sein Zuhause, ihr Zuhause. Der Gedanke, dass sie manches gemeinsam hatten, war ihm unangenehm. »Josef, die Wärmebildkamera.«

»Was willst du da noch Glutnester finden«, sagte Josef, der Dienstälteste der Kirchzartener Freiwilligen. Manche Menschen wurden mit den Jahren und der Erfahrung vorsichtiger, Josef war leichtsinniger geworden.

»Die Kamera«, wiederholte Baudy. Josef nickte und wandte sich dem Löschfahrzeug zu. Die Männer am Verteiler sprachen über Jan Ullrichs misslungene Attacke am Col du Tourmalet eine Woche zuvor. Ihre Stimmen waren lauter geworden.

Im Osten schien jetzt ein schmaler Streifen Licht am Horizont.

»Ruhe«, grunzte Gubnik plötzlich, doch niemand außer Baudy schien es gehört zu haben. Gubnik hatte eine Hand gehoben und sich seitwärts gedreht, als lauschte er auf etwas. »Ruhe, ihr Ärsche!«, brüllte er und riss die Hand nach unten.

Die Stimmen verstummten.

Baudy machte ein paar Schritte in Gubniks Richtung. Jetzt hörte er es auch. Ein Geräusch, als würde Wasser auf Stein treffen. Doch der Schuppen war nicht aus Stein gewesen, und das Wasser lief nicht mehr. Baudy wandte sich Riedinger zu. »Ist der Schuppen unterkellert?«, fragte er laut.

»Nein.«

»Josef?«, sagte Baudy.

Josef, der ein paar Meter neben Gubnik stand, hielt die Wärmebildkamera bereits vors Auge. »Nichts zu sehen.«

Gubnik ließ das Rohr los, nahm den Helm ab und betrat das Aschefeld. Baudy rief, von plötzlicher Angst ergriffen: »Stehenbleiben, Gubby!«

Gubnik hielt in der Bewegung inne.

»Helm auf, Mensch!«

Gubnik zog eine Grimasse und salutierte. Setzte den Helm schief auf. Baudy hörte den jungen Paul Feul kichern.

Keine Glutnester, dafür Wasser, das auf Stein trifft, dachte er. Während er zu Josef ging, gab er Befehl, das zweite B-Rohr wieder klarzumachen.

»Alles aus«, sagte Josef. »Da glüht kein Strohhalm mehr.«

»Vielleicht darunter?«

»Wie darunter, wenn es keinen Keller gibt?«

Baudy nahm die Kamera. Zweimal suchte er die Brandfläche ab, doch er fand nichts. Viel Grau, kein Weiß. Da glühte wirklich kein Strohhalm mehr. Er gab Josef die Kamera zurück. Noch immer war das Geräusch zu hören – Wasser, das ohne großen Druck auf Stein traf. »Jede Wette, dass es einen Keller gibt.«

»Hört mal«, murmelte Gubnik.

Baudy trat zu ihm. In das erste Geräusch mischten sich jetzt andere – Erdreich, Steine, Sand, die nach unten fielen. »Der Boden bricht durch.«

Dann sahen sie es auch. Etwa in der Mitte der Brandfläche geriet die nasse Asche in Bewegung. Plötzlich war ein quadratmetergroßes Loch entstanden. »Komm da weg.« Baudy zog Gubnik auf die Weide zurück. Ihre Blicke trafen sich. Gubnik nickte zufrieden, als wollte er sagen: Vielleicht gibt’s ja doch noch was zu tun. Schwerfällig kehrte er zu Paul Feul an das erste Rohr zurück.

»Da ist was«, sagte Josef, die Kamera vor den Augen. »Schräg unter dem Loch.«

»TLF eins, erstes und zweites Rohr, bereitmachen!«, rief Baudy. »Josef?«

»Breitet sich aus. Da unten brennt was.«

Gubnik und Paul Feul richteten das erste B-Rohr auf das Loch. Ein paar Meter neben ihnen bezog der zweite Angriffstrupp Position. Baudy gab Befehl zum Löschangriff. Das Wasser schoss aus den Rohren.

»Da ist kein Keller«, sagte Riedinger, der näher gekommen war.

»Bleib, wo du bist!«, rief Baudy. Als er sich wieder der Brandfläche zuwandte, sah er, dass weitere Löcher entstanden waren. Zu hören war nichts, das Rauschen des Wassers übertönte jedes andere Geräusch.

»Scheiße, da unten brennt was«, wiederholte Josef. Fast im selben Augenblick stoben ein paar Funken aus einem der Löcher.

»Alle zurück!«, befahl Baudy. Die Männer an den Rohren, Josef, Riedinger, er selbst gingen ein paar Schritte rückwärts. Er drehte sich um und befahl Martin Andersen, die Zartener vorsichtshalber zurückzuholen. Aus dem Streifenwagen vom Revier Freiburg-Süd, der inzwischen eingetroffen war, stiegen dunkle Schemen. Der Streifen Licht am Horizont hatte sich orange gefärbt und war jetzt ein gutes Stück breiter.

Baudy wandte sich wieder der Brandfläche zu.

»Da unten braut sich richtig was zusammen«, sagte Josef.

Baudy hob die Signalpfeife an den Mund, um das Gefahrenzeichen zu geben. Im selben Augenblick ereignete sich eine ohrenbetäubende Detonation, und aus dem Aschefeld schoss eine Fontäne aus Flammen, Gesteinsbrocken, Erdreich. Paul Feul stieß einen hellen Schrei aus, Gubnik begann wild zu fluchen, Baudy hielt den Atem an. Steine und Erde prasselten auf den Boden, Aschepartikel tanzten in der Luft.

Dann herrschte Stille.

Niemand bewegte sich, alle schienen zu warten.

»Martin, bring Lina weg!«, schrie Baudy nach einem Moment in die Stille hinein, ohne sich umzudrehen. Kaum fünf Sekunden später sprang der Motor des Passats an.

Gubnik knurrte: »Was hat das Arschloch da gelagert?«

Plötzlich überkam Baudy Panik. Er blies in die Signalpfeife, schrie: »Rückzug! Zurück!«

Da brach der Boden des Schuppens auf der ganzen Fläche ein, Flammen schlugen meterhoch nach oben. Dann gab es eine weitere Explosion, und Baudy wurde von der Druckwelle nach hinten gestoßen. Halbtaub kam er wieder auf die Beine. Mit dem schreienden Paul Feul auf der einen und Josef auf der anderen Seite stolperte er auf die Löschfahrzeuge zu. Im Widerschein der Flammen sah er, dass die Männer vom zweiten Rohr ebenfalls zu den Wagen rannten, und irgendwo im Durcheinander waren auch die Polizisten und Riedinger. Vor ihm erklangen hektische Rufe. Mehrere Stimmen brüllten durcheinander. Was sie schrien, verstand er nicht. Er öffnete und schloss den Mund, aber es wurde nicht besser.

Wenige Meter von ihm entfernt lag der rote Verteiler am Boden, die beiden Rohre tanzten hin und her. »Wasser stopp!«, rief er. Niemand schien zu reagieren. Trotzdem versiegte das Wasser fast in derselben Sekunde. Er änderte die Richtung und eilte auf eines der Rohre zu. Da wurde ihm bewusst, dass Gubnik nicht unter den Männern war. Er blieb stehen, rief: »Gubby?« Zwei weitere Detonationen erfolgten, und jemand zerrte ihn zu Boden. Unvermittelt kamen ihm Riedingers Worte in den Sinn: Die Pforte zur Hölle.

Dann waren Laute in seinem Kopf, die viel zu leise waren, als dass sie von außen hätten kommen können: ein hohes, verzweifeltes Wimmern.

»Adam«, sagte Josef dicht neben ihm.

Baudy versuchte, das Wimmern zu unterdrücken. Aber es stammte nicht von ihm.

»Adam«, sagte Josef erneut. Sein Blick war auf die Brandfläche gerichtet, wo grelle Flammen hochschossen. Baudy fuhr herum. Unmittelbar vor den Flammen kniete Gubnik auf allen vieren, als wollte er über den Rand in den Keller, den es nicht gab, hinabblicken. Einzelne Flammen schienen nach ihm zu greifen, umhüllten seinen Oberkörper. Er trug keinen Helm mehr, seine Haare brannten. Kraftlos bewegte er ein Bein zur Seite, hob das Hinterteil an. Aber er kam nicht hoch. Sein Körper bewegte sich wie auf einem schwankenden Schiff hin und her. Seine Arme knickten ein.

Erneut rief Baudy seinen Namen. Das Wimmern antwortete. Baudy sprang auf, doch ebenso schnell stand Josef vor ihm. Vier, fünf Hände packten und hielten ihn.

Im selben Moment kippte Gubnik vornüber und verschwand im Flammenmeer.

Eine knappe Stunde später war alles vorüber. Der Keller stand auf halber Höhe unter Wasser. Die Reste von Holzkisten, verbogene Metallteile, zersplitterte Bretter, verkohlte Planken trieben an der schwarzen Oberfläche. Gubniks Leiche im roten Schutzanzug. Nur der Helm fehlte.

Baudy wandte sich ab.

Er ging auf seine Männer zu, die vor den Löschfahrzeugen saßen. Mittlerweile war die Sonne ein Stück über den Horizont gekrochen. Der Keim der Hoffnung, der den Tod gebracht hatte.

Noch immer trafen Einsatzkräfte von Kripo, Schutzpolizei und Feuerwehr ein. Auf dem Feldweg stand einer der Freiburger Branddirektoren im Gespräch mit Almenbroich, dem Leiter der Kripo, und Martin Andersen, Baudys Stellvertreter. Ein Lokalpolitiker, dessen Namen er sich nie merken konnte, Kirchzartens Bürgermeister, ein Staatsanwalt und Heinrich Täschle, der Leiter des Polizeipostens, befanden sich bei ihnen. Auch die ersten Reporter, Fotografen und Kamerateams waren mittlerweile da. Bereitschaftspolizisten hielten sie hinter den Absperrungen. Die Pressesprecherin der Polizeidirektion, die eine Leuchtweste mit der Aufschrift »Presse Polizei« trug, war bei ihnen. An der Brandfläche standen und knieten Leute der Freiburger Berufsfeuerwehr und eine Handvoll Männer in weißen Kunststoffanzügen. Hannes Riedinger sah er nicht. Vielleicht hatte ihn die Kripo weggebracht.

Baudy dachte an Lew Gubniks letzte Worte. Was hat das Arschloch da gelagert? Das schwarze Wasser verbarg die Antwort.

Vor seinen Männern blieb er stehen. Alle blickten ihn an, selbst Paul Feul, der auf der Seite lag, zusammengerollt wie ein Fötus. »Habt ihr seinen Helm?«

»Nein«, erwiderte Josef. Er trug einen Verband um die rechte Schläfe. Auf der Wange darunter klebte getrocknetes Blut. Er berichtete, was passiert war. Gubnik war gestolpert, hatte den Helm verloren. Kniend hatte er sich um die eigene Achse gedreht. Offenbar hatte er für Momente nichts gesehen. Dann war er in die falsche Richtung gekrochen. Ein paar der Männer hatten Warnungen gebrüllt. Gubnik hatte sie nicht gehört.

»Was machen die hier?« Josef deutete vage mit dem Kopf.

Baudy hob den Blick. Der Branddirektor, der Leiter der Kripo, der Lokalpolitiker, der Bürgermeister. Berufsfeuerwehr, Erkennungsdienst, ein Heer von Bereitschaftspolizisten und Kripobeamten.

Da war sie wieder, Gubniks Frage.

Er zuckte die Achseln. Er hatte keine Kraft, darüber nachzudenken.

»Holen wir ihn«, sagte er.

Die Bestatter legten Gubniks Leiche in einen Metallsarg. Einer der Kameraden murmelte: »Vergiss nicht, Gubby, Mittwoch ist Kegeln.« Sie lachten ein wenig. Mit Sprüchen und Lachen würden sie seinen Anblick schon aus ihren Köpfen bekommen. Sein Gesicht war vollkommen verbrannt.

Baudy folgte den Bestattern zum Leichenwagen. Er dachte an Gubniks Schatulle, die halbfertig in der Tischlerei stand. Was sollte er mit ihr anfangen? Er konnte sie doch nicht wegwerfen.

Die Bestatter hoben den Sarg in den Wagen und schlossen die Tür. Gubniks Leiche war beschlagnahmt worden. Sein letzter Einsatz endete in der Rechtsmedizin.

Baudy trat zurück. Er hatte das Bedürfnis, zum Abschied ein paar Worte zu sagen. Aber ihm fielen nur die Floskeln ein, die er sonst bei Einsätzen sagte. »Wird schon wieder.« »Kopf hoch, ist doch halb so schlimm.« »Nur Mut, morgen ist ein neuer Tag.«

Also sagte er nichts.

Später trat Berthold Meiering zu ihm, der Bürgermeister von Kirchzarten, ein gebürtiger schwäbischer Allgäuer. Auf seiner Glatze standen Schweißperlen, sein Blick irrte umher. Baudy berichtete. Anschließend sagte Meiering, aus seiner Sicht treffe ihn, Baudy, keine Schuld am Tod »des Kameraden«, und das sähen »die Kollegen«, wenn er sie richtig verstanden habe, auch so. Das runde, speckige Gesicht war leichenblass. In Meierings Stimme lag Mitgefühl.

Baudy überlief ein Frösteln, während er die Worte im Stillen wiederholte. Er begann zu ahnen, dass es jetzt nicht mehr um die Kriterien ging, die ihn in zwanzig Jahren freiwilliger Feuerwehr begleitet hatten: Analyse, Fakten, Loyalität. Jetzt ging es um Interpretation, Interessen, Schuldzuweisungen. Trotzdem hatte er den Eindruck, dass Meierings Mitgefühl aufrichtig war.

Er nickte.

»Und bitte kein Wort an die Medien, Adam. Die sollen sich an die Pressesprecherin der Polizei wenden.«

Sie sahen einander an. Wieder stand Gubniks Frage im Raum, wieder hatte Baudy keine Lust, über eine Antwort nachzudenken. Aber er spürte, dass sich die Frage in seinem Kopf festzusetzen begann. Nicht, weil ihn die Antwort sonderlich interessierte, sondern weil diese Frage mehr und mehr zu dem wurde, was von Gubnik bleiben würde. Eine Frage und eine halbfertige Schatulle.

Meiering hob die Hand zum Kopf. »Deine Augenbrauen.«

»Ja?«

»Sind ein bisschen versengt.«

Baudy nickte. Wenigstens hörte er wieder normal.

Martin Andersen, der in diesen Minuten überall zu sein schien, kam und flüsterte ihm ins Ohr, dass seine Frau Lina zu ihnen nach Hause bringe. Lina sei okay, sie habe nicht viel mitbekommen. »Fahr bei uns vorbei, wenn du hier fertig bist.« Baudy nickte, und Martin Andersen ging wieder.

»Die Kripo will mit dir reden«, sagte Meiering.

»Ja.«

»Und die Leute von der Leitstelle wollen einen Bericht.«

»Bekommen sie.«

»Das ist zu groß für Kirchzarten, Adam, das macht alles Freiburg.«

Baudy nickte. Plötzlich fröstelte er wieder. »Es heißt Kirchzarten, nicht Kirchzarten«, sagte er.

»Was?«

»Du hast Kirchzarten gesagt.«

Meiering schwieg.

»Hier sagen wir Kirchzarten«, wiederholte Baudy sanft.

»Ja. Danke.«

Dann sahen sie zu, wie die Berufsfeuerwehr an der Brandfläche mit dem Abpumpen des Löschwassers begann. Der Wasserspiegel sank rasch. Für einen Moment glaubte Baudy, Gubniks gelben Helm an der Oberfläche treiben zu sehen, aber er war sich nicht sicher.

»Was ist das nur für ein Geruch?«, fragte Meiering in plötzlicher Verzweiflung.

Baudy atmete tief ein. Es roch, wie es nach einem Brand roch. Doch dann nahm er, ganz vage, weitere Gerüche wahr. Essig. Honig. Noch etwas, das er nicht identifizieren konnte.

Das ist zu groß für Kirchzarten. Das macht alles Freiburg.

Er sagte: »Was hatte das Arschloch da gelagert?«

»Waffen«, flüsterte Meiering, als hoffte er, dass niemand sonst es hörte.

I

Die höllischen Legionen

1

DIE ZEIT DER ERSTEN MALE, dachte Louise Bonì, während sie eine Flasche aus der Umhängetasche zog und sich im Gras niederließ. Zum ersten Mal Überstunden, zum ersten Mal Kirchzarten, der erste Tote. Heute Nacht die erste schwere Krise, vor ein paar Tagen zum ersten Mal Sex mit Anatol, vor einer Woche der erste Streit mit Rolf Bermann. Die ersten Albträume, die ersten Zweifel, ob sie es schaffen würde. Ihre Rückkehr in den Alltag wurde von Premieren begleitet.

Sie öffnete den Schraubverschluss und leerte die Flasche halb. Bald dreiundvierzig, und das Leben – dieses Leben – begann von vorn.

Kein allzu angenehmer Gedanke.

Sie sah zu Schneider hinüber, der seit Minuten reglos am Rand der Brandfläche stand, den Blick auf den Wald oder die Hügel dahinter gerichtet. Der schöne, langweilige Schneider, ohne Bermann verloren wie eh und je. Wie vor fünf Monaten im Schnee nahe Münzenried, an dem Tag, als Natchaya und Areewan gestorben waren.

Alles, dachte sie, geschah nach ihrer Rückkehr zum ersten Mal und führte doch geradewegs in das Leben vor ihrer Zeit im Kanzan-an. Sie setzte die Flasche an die Lippen, trank sie aus, öffnete die zweite, trank sie halb. Sie konnte so viel Wasser trinken, wie sie wollte, der Durst blieb.

Der Durst und die Schlaflosigkeit.

Heute Nacht um drei hatte sie an der Kasse einer Freiburger Tankstelle gestanden und vier Flaschen mit hochprozentigem Alkohol in eine Tüte gepackt. Zu Hause hatte sie die Flaschen vor sich auf den Couchtisch gestellt. Also gut, hatte sie geschrien, wenn du unbedingt trinken willst, dann tu’s! Willst du Wodka? Bourbon? Nimm dir, was du willst! Wodka? Ja? Dann trink! Trink, was du willst!

Ja, ja, ja, riefen die Dämonen in ihrem Kopf.

Nein, schrie Louise. Heute nicht!

Stattdessen hatte sie die Wohnung verlassen, war in die verwaiste Polizeidirektion gefahren. Sie hatte noch kein Büro, keinen Schreibtisch, kein Telefon. Also setzte sie sich in Almenbroichs Büro, weil er den bequemsten Schreibtischsessel hatte und der Leiter der Kripo war und seine Beamten im Kampf gegen ihre Dämonen unterstützte.

Doch Almenbroich war an diesem Morgen nicht in seinem Büro erschienen. Das Führungs- und Lagezentrum hatte ihn zu Hause informiert. Er war direkt nach Kirchzarten gefahren.

Ihr Blick glitt über die Brandfläche. Viel wusste sie noch nicht, Bermann hatte sie erst am späten Nachmittag kommen lassen. Waffen in einem Keller, von dessen Existenz niemand gewusst hatte, unter einem Holzschuppen, den niemand benutzt hatte, auf der Weide eines Bauern, den niemand mochte.

Und ein toter Feuerwehrmann.

Sie hatte noch keine Zeugenaussagen gelesen, an der ersten Besprechung der Ermittlungsgruppe »Waffen« am frühen Abend nicht teilgenommen. Der umsichtige Bermann. Er wollte sie langsam wieder an den Alltag heranführen. Wir dürfen sie nicht überfordern, hatte er vergangene Woche vor versammelter Mannschaft gesagt. Sie war lange weg. Sie war krank. Aber jetzt ist sie wieder gesund. Oder, Luis? Du bist doch wieder gesund?

Anfangs hatte er darüber nachgedacht, sie in ein anderes Dezernat zu versetzen. Wie wäre das, hatte er an ihrem dritten Arbeitstag gefragt, wäre zum Beispiel die Sitte nicht das Richtige für dich, Luis? Wäre die Sitte nicht schön? Oder die Jugendkriminalität? Quatsch, hatte sie gesagt.

Sie waren übereingekommen, dass sie in Bermanns D 11 blieb, in der ersten Zeit jedoch nur »assistierte«, wie Bermann sich ausgedrückt hatte. Was »assistieren« bedeutete, hatte er nicht gesagt.

Sie leerte die zweite Flasche Wasser, steckte sie ein. Sie wäre gern noch eine Weile fortgeblieben. Weit weg von Welt und Alltag, von Fremdbestimmung und Fremdsein. Andererseits fand sie es aufregend, verändert zurückgekehrt zu sein. In jedem Blick, in jeder Stimme Neugier, manchmal Überraschtheit wahrzunehmen. Und hin und wieder, bei Bermann und anderen Männern, sogar eine eigentümliche Intensität, wie sie sie seit Jahrhunderten nicht mehr ausgelöst hatte.

Sechs Kilo weniger und vier Monate frische Luft waren eben nicht zu übersehen.

In Schneider kam Bewegung. Er wandte sich ihr zu, hob eine Hand und wies Richtung Freiburg. Fahren wir endlich? Sein Gesicht wurde von den letzten Strahlen der Sonne beleuchtet. Ein freundliches, leeres Modekataloggesicht, von dem man den Blick erst wenden konnte, wenn man begriffen hatte, dass es sich womöglich nie mit Seele füllen würde.

Sie schüttelte den Kopf. Wir bleiben noch. Warten auf den Geist, den es wieder hertreiben wird.

Eine halbe Stunde verging. Die Sonne verschwand hinter den Hügeln. Schneider hatte sich in den Wagen gesetzt, sie hörte ihn telefonieren. Einer der Kirchzartener Dienstwagen fuhr langsam vorbei, auch Heinrich Täschle, der Leiter des Postens, machte Überstunden. Sie hatte ihn am Nachmittag gesehen, aber keine Gelegenheit gehabt, ihn kennen zu lernen. Ein großer, etwas linkischer Polizeihauptkommissar in den Fünfzigern, in Kirchzarten geboren, in Kirchzarten zur Schule gegangen, in Kirchzarten verheiratet. Misstrauisch war er neben Bermann hergelaufen, die Kappe in der Hand. Später hatte er aus dem Dienstwagen zugesehen, wie die Kripo seine Weide Zentimeter für Zentimeter durchkämmte. Die alte Rivalität zwischen Schutzpolizei und Kriminalpolizei. Gegen sieben war er gefahren und seitdem drei-, viermal vorbeigekommen.

Ihr Handy spielte Erik Satie. Sie brauchte eine Weile, um es zwischen den leeren Plastikflaschen in der Tasche zu finden. Das Telefon war neu, sie hatte nur wenige Nummern schon gespeichert, diese war nicht darunter. Wilhelm Brenner, einer der Schusswaffenexperten der Kriminaltechnischen Untersuchungsstelle. »Hab gehört, du bist zurück. Wie war’s bei den Buddhisten?«

»Wie’s bei Buddhisten so ist.«

»Und, wird jetzt täglich meditiert?« Sie lachte höflich. »Musst bei Gelegenheit mal erzählen«, sagte Brenner.

»Ja.« Einen Moment lang ging sie davon aus, dass es eine solche Gelegenheit tatsächlich geben würde. Sie schmunzelte. War sie im Kanzan-an naiv geworden? Oder nur nicht mehr an die Alltagsfloskeln gewöhnt?

Schneider trat neben sie und ging in die Hocke. Auf seinem Gesicht lag, wenn sie die rötliche Färbung in der Abenddämmerung richtig deutete, ein Schimmer Verlegenheit oder Nervosität. Sie formte die Buchstaben K-T-U mit den Lippen. Schneider streckte die Hand nach dem Telefon aus, aber die Bewegung war nicht besonders selbstbewusst.

Richtig, offiziell »assistierte« sie nur.

Sie lächelte drohend, und Schneider zog die Hand zurück.

Brenner hatte die ersten zerstörten Waffen untersucht und auf einigen Herstellerkennzeichen sowie Modellbezeichnungen gefunden: Pistolen vom Typ Modell 57, der jugoslawischen Lizenzversion der russischen 7,62-Millimeter-Tokarew. Klein-Maschinenpistolen vom Typ Modell 61, der jugoslawischen Lizenzversion der tschechoslowakischen Skorpion. Kalaschnikows ohne Modellbezeichnung, aber die Bauart ließ darauf schließen, dass es ebenfalls jugoslawische Lizenzversionen des russischen Originals waren.

»Jugos«, informierte Louise Schneider.

»Ja«, sagte Brenner.

»Die Waffen?«, fragte Schneider.

Sie nickte.

»Rottweil«, sagten Brenner und Schneider gleichzeitig.

Brenner ergänzte »Anfang der Neunziger«, Schneider »letztes Jahr«. Sie nickte erneut. Der Waffenfund in einer Rottweiler Garage im vergangenen Jahr war zu vernachlässigen. Waffennarren, die sich offenbar auf den dritten Weltkrieg vorbereiten wollten, hatten Maschinenpistolen, Maschinengewehre, Pistolen, Munition gehortet. Interessanter war wohl Rottweil Anfang der Neunziger: Das LKA war auf einen kroatischen Waffenhändlerring gestoßen. Wenn sie sich richtig erinnerte, war ein Teil der Waffen aus Jugoslawien gekommen.

Brenner versprach herauszufinden, um welche Typen und Modelle es sich damals gehandelt hatte.

»Habt ihr das Zeug schon gezählt?«, fragte sie.

»Ja. Vierundzwanzig Kartons.«

»Und?«, flüsterte Schneider.

»Sie haben noch nicht gezählt.«

»Mit wem sprichst du?«, fragte Brenner.

»Mit Schneider.«

»Schneider, Schneider … Welcher war das noch gleich?«

»Der Schöne. Wann bekommen wir das Behördengutachten?«

Schneider runzelte die Stirn, Brenner seufzte. »In vierzehn Tagen.«

»Ihr seid nicht eben schneller geworden, während ich bei den Buddhisten war.«

»Doch. Wir sind nur wieder langsamer geworden, seit du zurück bist.«

Lächelnd verabschiedete sie sich.

Schneider erhob sich mit knackenden Kniegelenken, und sie dachte, dass unter seinem hübschen Äußeren wider Erwarten das hässliche Alter zu wüten begann. Er war Ende Vierzig, was von außen kein Problem war, nur von innen.

In diesem Moment sah sie den Geist. Er stand kaum zwanzig Meter hinter Schneider reglos in der Abenddämmerung und starrte sie an.

Der Tag der reglosen Männer.

Sie hatte mit Baudy gerechnet, dem Kommandanten der Kirchzartener freiwilligen Feuerwehr, nun war Riedinger gekommen, der Bauer. Auch gut, dachte sie.

Als sie am Nachmittag bei der Brandfläche eingetroffen war, hatte Riedinger am Rand des Waldstreifens gestanden und das Treiben beobachtet. Bermann hatte gesagt, er sei den ganzen Tag lang befragt worden, von Kripo, Erkennungsdienst, Feuerwehr, Bürgermeister, Staatsanwalt, Presse, »dem Dings, dem Däschle«. Mittlerweile sei er so wütend, dass sich niemand mehr an ihn herantraue. Einen der Reporter habe er bedroht, einen der Bereitschaftspolizisten beschimpft. Als sie zu ihm gehen wollte, hielt Bermann sie zurück. »Du assistierst hier nur, Luis«, sagte er und sah sie mit dieser neuen Intensität an. Der Männerblick. So lächerlich er auch war: Sie nahm ihn als weiteren Beleg dafür, dass sie sich verändert hatte. Dass sie es überstanden hatte und jede weitere Minute, jede weitere Stunde, jeden weiteren Tag überstehen konnte.

Während sie Hannes Riedinger jetzt musterte, beschloss sie, nicht gleich zu ihm zu gehen, sondern damit noch zu warten. Entspanntheit zu signalisieren. Sie lächelte ihm höflich zu.

»Und, was sagt Brenner?«, fragte Schneider.

»Sag mir erst, was Riedinger sagt.«

»Wieso Riedinger?«

»Wann hat er den Brand bemerkt?«

Schneider schnaubte unwillig.

Riedinger hatte ausgesagt, dass er gegen halb fünf aufgestanden war, die Kühe versorgt und den Hund an die Leine gelegt hatte. Während er zum Wohnhaus zurückgegangen war, hatte er in der Dunkelheit die ersten Flammen gesehen. Er war auf den Traktor gestiegen, hatte nach fünfzig, sechzig Metern begriffen, dass er den Brand allein nicht würde löschen können, schon gar nicht ohne Wasser. Also war er umgekehrt, hatte den Notruf abgesetzt. Mit ein paar Eimern Wasser war er zu dem brennenden Schuppen gefahren, aber da hatten die Flammen schon haushoch gestanden. Als hätte einer die Pforte der Hölle geöffnet.

»Das hat er gesagt?«

Schneider nickte. »Was ist jetzt mit Brenner?«

Sie fasste das Telefonat zusammen. Dabei fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, Brenner nach Munition und Sprengstoff zu fragen. Danach, ob der Brand die Explosion ausgelöst haben konnte. Schweigend sah sie Schneider an.

»Und wie ist das Zeug in die Luft gegangen?«

Sie seufzte und zuckte die Achseln.

Schneider ging zum Dienstwagen, um Brenners Informationen an Rolf Bermann weiterzugeben. Sie hob den Blick. Riedinger sah sie noch immer an. Die Pforte der Hölle, wenn einem ein kleiner, unbedeutender Schuppen abbrannte? Sie wusste so gut wie nichts über Riedinger. Nur, dass ihn niemand mochte, dass er allein lebte. Dass er in einem brennenden Holzschuppen die Pforte der Hölle sah. Nicht eben viel. Doch wenn man berücksichtigte, dass Kirchzarten heiles, wohlhabendes Bildungsbürgertum war, dann war es womöglich schon genug.

Schneider kehrte zurück. »Rolf sagt, wir sollen endlich in die Direktion kommen, lass uns also bitte fahren.«

»Was sagt er noch?«

»Dass Löbinger und das D 23 mit im Boot sind.«

»Ich meine, über den Brand und die Waffen.«

Schneider zögerte.

»Na los, Heinz.«

Schneider ging vor ihr in die Hocke. Obwohl er seit vierzehn Stunden im Dienst war, saß der Krawattenknoten perfekt, und auf dem hellbraunen Cordanzug war kein Staubfleck oder Grashalm zu erkennen. Insekten ließen sich ohnehin nur auf anderen nieder, nicht auf Heinz Schneider. Selbst die hohen Temperaturen dieses Sommers konnten ihm nichts anhaben. Sie dachte an Hollerer – unrasiert, die Uniformjacke fleckig, auf dem Bauch Brotkrümel.

Das runde weiße Gesicht vor dem schattigen, blutigen Nachtschnee.

Erste Male, die ihr noch bevorstanden – Hollerer besuchen, zu Nikschs Grab gehen.

Sie verdrängte diese Gedanken, hörte Schneider zu, der mit leiser Stimme sagte, Bermann habe schon am Nachmittag und jetzt wieder darauf hingewiesen, dass Brandstifter überproportional häufig aus den Reihen der Berufs- und freiwilligen Feuerwehr kämen. Dass vielleicht einer der Freiwilligen von Kirchzarten den Schuppen in Brand gesteckt habe. Sie nickte nachdenklich. Für einen Pyromanen ein ideales Objekt. Das Feuer hatte sich nicht ausbreiten, keine Menschen gefährden können.

Schneider stand auf, erneut knackten die Gelenke. »Fahren wir endlich, ja?« Er erstarrte in der Bewegung. »Da steht einer …«

»Riedinger.« Louise erhob sich, hängte sich die Tasche um.

»Seit wann steht der da?«

»Seit ein paar Minuten. Komm, reden wir mit ihm.«

Schneider hielt sie zurück. Riedinger war gefährlich. Ein Mann, den die Nachbarn mieden, der seinen Hund auf Asylbewerber und holländische Camper gehetzt hatte, weil sie seinen Grund betreten hatten. Der seine Kinder und seine Frau geschlagen, seine Angestellten vertrieben, den Großteil seines Bodens aus finanziellen Gründen verkauft hatte. Der vor dem Ruin stand.

Geschichten, die Berthold Meiering, der Bürgermeister von Kirchzarten, erzählt hatte.

»Also Vorsicht, Luis.«

»Ist er Alkoholiker?«

Schneider wandte erschrocken den Blick ab.

Sie schmunzelte. »Komm«, sagte sie.

Riedinger war kaum größer als sie, doch doppelt so breit. Sein Gesicht war verschlossen, der Blick klar, die Iris hell. Nein, kein Alkoholiker. Sie wusste nicht, weshalb, aber der Gedanke beruhigte sie.

Schneider stellte sie als »Kollegin« vor und sagte, sie hätten noch ein paar Fragen. Riedinger sagte, er habe keine Lust mehr, Fragen zu beantworten, er habe den ganzen Tag lang Fragen beantwortet. »Ich habe andere Fragen«, sagte Louise.

Schneider sah sie überrascht an, Riedinger spuckte zur Seite aus.

»Wo sind Ihre Kinder?«

Riedinger lachte zornig auf.

»Ihre Frau, Ihre Angestellten? Warum ist niemand mehr da?«

»Luis«, sagte Schneider warnend.

»Solche Fragen, Herr Riedinger.«

Riedinger hatte aufgehört zu lachen. Seine runden Wangen waren rot, die Augen klein geworden. Irgendetwas an ihm oder in ihm schien zu vibrieren. Schneiders Hand lag plötzlich auf ihrem Arm und zog sie nach hinten. Sie begriff, dass beide Männer glaubten, sie wolle Riedinger provozieren, und dass er kurz davor stand, auf sie einzuschlagen. Sie hob eine Hand, winkte ab. Manchmal hatte sie beim Sprechen noch Schwierigkeiten, die alte, schroffe Louise und die neue, gelassenere zu koordinieren. Dann formulierte die alte Louise Gedanken, die der neuen durch den Kopf gingen.

»Solche Fragen«, wiederholte sie, mit einem Mal ungeheuer müde. Doch da hatte Riedinger sich schon abgewandt und verschwand in der Dunkelheit.

Schneider schwieg, bis sie in den Tunnel der B 31 kamen. Dann murmelte er vor sich hin: »Was für Fragen … Sind wir Psychiater? Wir sind doch Polizisten …« Louise hatte keine Lust, darauf einzugehen. Sie dachte an Riedinger, der in der Dunkelheit hinter ihnen in seinem Zorn hauste und niemanden mehr hatte, auf den er einschlagen konnte. Sie war davon überzeugt, dass irgendwo in seinem Kopf die eine Information gespeichert war, die sie brauchten, um einen ersten Schritt voranzukommen. Der Schuppen gehörte ihm, die Weide gehörte ihm, und das nicht erst seit ein paar Tagen. Selbst wenn er von dem Waffenlager wirklich nichts gewusst hatte: Er war die Verbindung zwischen dem Keller und denen, die den Keller benutzt hatten.

Sie wünschte, sie könnte mit Reiner Lederle darüber sprechen. Brainstorming machen, ohne Gefahr zu laufen, für verrückt erklärt zu werden. Doch Lederle war irgendwo in Franken in einer onkologischen Reha-Einrichtung. Vor fünf Monaten hatte er gesagt, er werde gewinnen. Doch er hatte nicht gewonnen. Der Krebs war an einer anderen Stelle wiedergekommen. Wenige Tage vor ihrer Rückkehr war ihm ein Gallentumor samt Galle entfernt worden.

Sie dachte noch an Lederle, als sie hinter Schneider die Treppe in den dritten Stock der Polizeidirektion hinaufging. Im Gang wurden ihre Schrittgeräusche von der tiefhängenden Decke verschluckt. Schneider schien darauf zu achten, dass er immer einen Meter vor ihr ging. Vor Bermanns Büro richtete er Krawattenknoten und Hemdkragen, als hätten die wenigen Stunden mit ihr seine äußere Erscheinung in Mitleidenschaft gezogen. Er klopfte, und sie traten ein.

Almenbroich saß auf Bermanns Schreibtischkante. Er sah übermüdet aus. Vom Frühstückstisch nach Kirchzarten, am Vormittag zurück nach Freiburg zur allwöchentlichen Führungsbesprechung, anschließend erneut nach Kirchzarten, und das bei sechsunddreißig Grad Celsius. Aber er lächelte flüchtig, als er Louise sah. Die Strenge, mit der er sie vor knapp einem halben Jahr in den Krankenstand geschickt hatte, war einer distanzierten Milde gewichen. Auch er schien auf die Veränderungen an und in ihr zu reagieren. Ob als Mann oder als fürsorglicher Chef, wusste sie nicht.

Bermann saß auf dem Schreibtischstuhl und drehte sich mit den Füßen hin und her. An dem kleinen Handwaschbecken stand Anselm Löbinger, der Leiter des Dezernats Organisierte Kriminalität. Er grinste Louise aus dem Spiegel an.

»Haben wir das dann geklärt?«, fragte Almenbroich und stand auf.

Bermann nickte, Löbinger sagte »Ja«. Bermann sah man die Verärgerung an, Löbinger nicht. Seit bekannt war, dass der Leiter der Inspektion I Ende des Jahres in Pension gehen würde, waren sie Konkurrenten – beide hatten sich für die Nachfolge beworben. Chef der Inspektion I zu sein hieß: Stellvertreter des Kripoleiters, fünf Dezernate führen, darunter die wichtigen Kapitalverbrechen und Staatsschutz, Beförderung in Besoldungsgruppe A 13 zum Ersten Kriminalhauptkommissar. Da lohnte es sich zu kämpfen. Die Stelle war im ganzen Regierungsbezirk ausgeschrieben, doch Almenbroich hatte das Anforderungsprofil natürlich auf Bermann und Löbinger zugeschnitten – Erfahrung in der Dezernatsleitung, in der Soko-Leitung, in der Zusammenarbeit mit den französischen Polizeien, nicht älter als Ende Vierzig. Er wollte einen von beiden. Welchen, hatte er noch nicht erkennen lassen. Das machte die Kommunikation schwierig.

Almenbroich ging zur Tür. »Also dann«, sagte er und verließ den Raum.

Löbinger, ein kleiner, kompakter Mann Anfang Vierzig mit schmaler Brille, trocknete sich die Hände ab und drehte sich dann zu Bermann um. »Keiner hat bekommen, was er wollte. Machen wir das Beste draus.«

Bermann nickte desinteressiert. »Morgen«, erwiderte er.

»Morgen« begann bei Rolf Bermann, unmittelbar nachdem Anselm Löbinger gegangen war. »Rottweil 1992«, sagte er. »Schaut euch alles an, was das LKA gesammelt hat. Setzt euch mit Pilbrich in Verbindung, der war damals Leiter der Ermittlungsgruppe. Überprüft jeden Namen, der irgendwie eine Rolle gespielt hat.« Seine Augen waren klein vor Konzentration, in seinen Bewegungen lagen Kraft und Bestimmtheit. Wir kriegen sie, versprachen seine Mimik, seine Gestik, seine Körperhaltung. Schneider hing an seinen Lippen, Louise ebenfalls. »Angeklagte, Anwälte, Zeugen, Verdächtige, Verwandte, die ganze Palette. Klar?«

Sie nickten schweigend.

Bermann stützte sich auf den Schreibtisch. »Ist irgendwas? Hab ich was verpasst? Heinz?«

Schneider fummelte an seinem Krawattenknoten herum. »Was meinst du?«

»Er will nicht, dass ich ihm assistiere«, sagte Louise.

Schneider sah Bermann an, öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Bermann lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Was ist passiert?«

Schneider erzählte von ihren Fragen an Riedinger. Er hob die Hände, schüttelte den Kopf. »Was sind das für Fragen?«

»Buddhistenfragen«, erklärte Bermann.

»Ihr habt euch nicht verändert«, sagte Louise.

Bermann gähnte demonstrativ. »Wir haben ja auch keine Entziehungskur gemacht.«

Bermann löste das Problem rasch und erstaunlich gelassen. Schneider würde sich mit einem anderen Kollegen um Rottweil 1992 kümmern, Louise mit einem weiteren Kollegen um das Feuer in Riedingers Schuppen. Waren unter den Feuerwehrleuten potenzielle Verdächtige? Hatte es in Kirchzarten in den letzten Jahren ungeklärte Brände gegeben? »Du weißt schon, was ich meine.«

Sie nickte. »Zwei Großbrände in den letzten zwei Jahren. Das Sägewerk Dold, Ortsteil Buchenbach, vor einem Jahr. Ein altes Bauernhaus mit Töpferei, Ortsteil Falkensteig, vor zwei Jahren. Bei Dold war es ein Schaden in der Technik, in Falkensteig ein Fehler in der Wärmedämmung.«

Bermann hob die Augenbrauen. »Sie hat’s nicht verlernt«, sagte er, ohne den Blick von ihr abzuwenden.

»Schluss damit, Rolf.«

»Womit?«

»Das weißt du genau.«

Bermann sah Schneider an. »Holst du uns mal was zu trinken, Heinz?« Schneider verließ den Raum. Sie lauschten auf seine sich entfernenden Schritte. Dann drehte Bermann den Stuhl in ihre Richtung und musterte sie. Nach einer Weile sagte er: »Okay.« Sie wartete, doch er fügte nichts hinzu. An seinem ruhigen Blick glaubte sie zu erkennen, dass er es ernst meinte.

Bermanns Okays.

Wie vor einigen Monaten am Opfinger See fand sie auch diesmal, das Wort klang, als wären darin eine Menge andere Wörter verborgen. Wörter wie: Wir freuen uns, dass du wieder da bist. Du warst ganz unten, jetzt bist du zurück. Respekt. Du kriegst deine Chance. Ich wünsch dir alles Gute für die Zeit danach.

Solche Wörter.

Sie nickte. »Okay.«

Schneider brachte Cola und Cracker aus dem Automaten vor der Cafeteria. Während sie tranken und aßen, berichtete Bermann von der ersten Besprechung der Ermittlungsgruppe am frühen Abend, die weniger eine Besprechung als ein Zuständigkeitsgerangel gewesen war. Der Kriminaldauerdienst hatte am Morgen das Dezernat Kapitalverbrechen informiert, Bermann seine Leute versammelt und losgeschickt. Daraufhin hatte Löbinger Almenbroich in Kirchzarten angerufen. Waffen in dieser Menge, argumentierte er, wiesen auf organisierte Kriminalität hin, und deshalb sei sein Dezernat zuständig. Almenbroich hatte verfügt, dass die Ermittlungsgruppe von Bermann und Löbinger gemeinsam geleitet wurde und zu gleichen Teilen aus Beamten beider Dezernate bestand. Dazu kamen ein Experte für Schusswaffen und ein Erkennungsdienstler.

»Und Täschle?«, fragte Louise.

»Wer?«, fragte Bermann.

»Der Leiter des Postens Kirchzarten.«

»Ich bitte dich. Das ist zu groß für die.«

»Er kennt den Ort und die Leute.«

»Luis, die machen um fünf Feierabend, wie soll das gehen?«

Nach seinem Telefonat mit Schneider hatte Bermann Wilhelm Brenner von der KTU angerufen. Brenner, sagte er freundlich, werde in Zukunft nur noch ihm persönlich Bericht erstatten. Falls er auf dem Klo sei, werde Brenner Löbinger informieren, und falls der auch auf dem Klo sei, Schneider. Louise lächelte. »Und wenn ihr mal zu dritt aufs Klo wollt?«

Bermann grinste.

Auf die Frage nach der Brandursache hatte auch Brenner noch keine Antwort. Brandbeschleuniger wie Benzin waren nicht verwendet worden. In Frage kam eine Selbstentzündung des Heus, bei Bränden in der Landwirtschaft häufig die Ursache. Dagegen sprach, dass das Feuer am frühen Morgen bei milden Temperaturen ausgebrochen war.