cover

Christopher Winn

DAS
WEIHNACHTS­BUCH

BRÄUCHE UND TRADITIONEN AUS ALLER WELT

Imagepub

 

 

Inhalt

Einleitung

Weihnachtliche Zeittafel

 

  1Weihnachten

  2Der Weihnachtsbaum

  3Weihnachtsdekoration

  4Adventskalender und Karten

  5Weihnachtsmärkte

  6Krippenspiele

  7Weihnachtsmusik

  8Die zwölf Weihnachtstage

  9Heiligabend

10Der Weihnachtsmann

11Santa Claus

12Erster Weihnachtsfeiertag

13Zweiter Weihnachtsfeiertag

14Kurioses in Kürze

 

Über den Autor

Danksagung

Quellen

Einleitung

Stille Nacht, heilige Nacht … Ihr Kinderlein, kommet … Süßer die Glocken nie klingen … Am Weihnachtsbaume die Lichter brennen … Leise rieselt der Schnee … Es ist ein Ros entsprungen … O du fröhliche … Kommet, ihr Hirten, ihr Männer und Fraun … Macht hoch die Tür … Kling, Glöckchen, klingelingeling … Vom Himmel hoch, da komm ich her … Morgen, Kinder, wird’s was geben … Fröhliche Weihnacht überall …

Abb

Weihnachten ist eigentlich ein christliches Fest, doch es wird überall auf der Welt, in jedem Land und von jeder Nation, von Menschen aller Glaubensrichtungen und sogar von Nichtgläubigen gefeiert – man schätzt, dass sich die Hälfte der Weltbevölkerung aktiv daran beteiligt. Und während jede Gesellschaft ihre eigenen Sitten und Traditionen pflegt, findet man doch überall Weihnachtsbräuche, deren Wurzeln man bis nach Deutschland und zu den Winterritualen der germanischen Völker Nordeuropas zurückverfolgen kann.

Der erste Weihnachtsbaum, der in Quellen belegt ist, stand 1419 in Freiburg. Doch weltweite Popularität erlangte Weihnachten, so wie wir es heute kennen, erst im Jahr 1848, als eine Illustration auf der Titelseite der Weihnachtsbeilage der Illustrated London News erschien, die Königin Victoria und Prinz Albert zusammen mit ihren Kindern um einen geschmückten Weihnachtsbaum gruppiert in Windsor Castle zeigte. Prinz Albert brachte die Bräuche seiner Heimat, des Herzogtums Sachsen-Coburg-Gotha, mit nach England. Es war allerdings nicht der erste Weihnachtsbaum außerhalb Deutschlands: Deutsche Immigranten hatten die Tradition zuvor schon vereinzelt an der Ostküste Nordamerikas eingeführt. Und sogar in Großbritannien hatte bereits im Jahr 1800 die deutsche Großmutter von Königin Victoria, Königin Charlotte, einen Baum zum Weihnachtsfest aufstellen lassen. Es war jedoch wohl das Zeitschriftenbild der Royals aus Windsor, das Weihnachten und einige der deutschen Gebräuche in der ganzen Welt berühmt machte.

Doch warum ist gerade Weihnachten ein solcher Exportschlager und damit das meistgefeierte Fest der Erde geworden? Welche althergebrachten heidnischen Riten wurden zu christlichen Traditionen umgewandelt, was davon wurde in anderen Teilen der Welt adaptiert, mit kulturellen Eigenarten vermischt und mittlerweile ebenfalls zu weihnachtlichem Brauchtum? Was bedeutet uns das Weihnachtsfest heute?

Dieses Buch soll dabei helfen zu ergründen, worum es bei Weihnachten geht, wie sich das Fest im Laufe der Zeit rund um den Globus entwickelt hat und was seine Faszination ausmacht.

Alle Jahre wieder …

Weihnachtliche Zeittafel

v. Chr.Mittwinterfeste der Druiden, nordisches Julfest und römische Saturnalien

Jesus Christus wird in Bethlehem geboren.

n. Chr. 

129Das erste Weihnachtslied, »Gloria in excelsis Deo« (»Engelshymnus«), wird in Rom gesungen.

274Wintersonnenwende, 25. Dezember: In Rom wird der Tempel von Sol Invictus, dem »unbesiegten Sonnengott«, eingeweiht.

313Die Vereinbarung von Mailand erlaubt unter Kaiser Konstantin I. das Christentum im gesamten Römischen Reich.

325Das Konzil von Nicäa, von Kaiser Konstantin einberufen, endet mit einem Bekenntnis zum Christentum, zu Jesus Christus als Sohn Gottes. Einer der Teilnehmer ist Nikolaus von Myra.

336Der 25. Dezember als Tag der Geburt Jesu ist laut dem Codex Chronograph von 354 zum ersten Mal ein Feiertag.

337Kaiser Konstantin lässt sich auf dem Sterbebett taufen und wird so zum ersten christlichen Kaiser.

380Kaiser Theodosius I. erklärt das Christentum zur offiziellen Staatsreligion des Römischen Reiches.

381Auf dem Konzil von Konstantinopel wird der 25. Dezember offiziell als Datum der Geburt Christi festgelegt.

567Das Konzil von Tours erklärt die zwölf Tage von Weihnachten bis Epiphanias zu einer sakralen, festlichen Zeit.

597Erste Feier des Christmas Day in England. Augustinus von Canterbury tauft mehr als 10 000 englische Konvertiten in Canterbury.

1021Schriftliche Erwähnung der Kirche Santa Maria »ad praesepe« (»Heilige Maria an der Krippe«) in Neapel

1066Wilhelm der Eroberer wird am Weihnachtstag in der Westminster Abbey gekrönt.

Abb

1223Franz von Assisi führt in Greccio in Italien das erste Krippenspiel mit Menschen und lebenden Tieren im Hintergrund auf.

1296Wiener Dezembermarkt, der erste dokumentierte Wintermarkt

1419Erster Bericht über einen Weihnachtsbaum in Freiburg

1434Erster Dresdner Striezelmarkt

1492Heiligabend: Die Santa Maria, eines der Schiffe von Christoph Kolumbus, läuft vor der Insel Hispaniola (heute Haiti und Dominikanische Republik) auf Grund. Aus den Wrackteilen wird ein Fort errichtet. Kolumbus lässt die Besatzung dort zurück und nennt diese erste spanische Kolonie in der Neuen Welt La Navidad – »Weihnachten«.

1510Bericht über den ersten in Riga (Litauen) aufgestellten Weihnachtsbaum

1777Heiligabend: Captain Cook entdeckt eine kleine Insel im Pazifischen Ozean, rund 2000 km südlich von Hawaii. Er nennt sie »Weihnachtsinsel« – heute lautet ihr Name Kiritimati. (Eine zweite »Weihnachtsinsel« liegt im Indischen Ozean, 350 km südlich von Java; so benannt wurde sie von dem englischen Kapitän William Mynors, der sie am 25. Dezember 1643 erreichte.)

1800Erster Weihnachtsbaum in Großbritannien, in der Queen’s Lodge, Windsor

1843Henry Cole erfindet die Weihnachtskarte.

1848Erste Erwähnung gläserner Christbaumkugeln im thüringischen Lauscha

1882Erster Weihnachtsbaum mit elektrischer Beleuchtung in New York (USA)

1898In Kanada kommt die erste Briefmarke mit dem Aufdruck »XMAS« heraus.

1914Weihnachtsfrieden: Britische und deutsche Soldaten treffen sich an der Westfront in Flandern, um Geschenke auszutauschen und Fußball zu spielen.

1922Heiligabend: Die BBC strahlt das erste, speziell für das Radio geschriebene Stück aus. Es ist ein Weihnachtshörspiel für Kinder von Phyllis Twigg mit dem Titel The Truth about Father Christmas.

1965Ausstrahlung des ersten Weihnachtsliedes aus dem Weltall. Nach einem scherzhaften Bericht über die Sichtung von Santa Claus in seinem Schlitten spielen die Astronauten von Gemini 6 »Jingle Bells« mit einer Mundharmonika, begleitet von Glöckchen-Klang.

1968Erste Weihnachtsgrüße aus dem Weltall, gesendet von Astronaut Frank Borman, während er mit Apollo 8 den Mond umkreist: »Alles Gute, frohe Weihnachten und Gotte segne euch alle – euch alle auf der guten Erde.«

1969Die Deutsche Bundespost gibt zum ersten Mal eine Weihnachtsmarke – mit Sonderzuschlag für wohltätige Zwecke – heraus.

200025. Dezember: erstes Weihnachtsfest des dritten Jahrtausends

Kapitel 1

Weihnachten

Abb

»Für mich bedeutet Weihnachten – das mag altmodisch oder modern klingen – ganz einfach: Nächstenliebe.«

Bob Hope

In der Einleitung stellten wir die Frage, warum Weihnachten das meistgefeierte Fest der Welt ist. Mit anderen Worten: Was ist so besonders an Weihnachten, dass es so viele Menschen anspricht, ungeachtet ihrer Religion und Nationalität?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir herausfinden, was Weihnachten ist und woher es kommt.

Schauen wir uns erst einmal an, was Weihnachten tatsächlich bedeutet.

Die deutsche Bezeichnung »Weihnachten« leitet sich von der heiligen Nacht ab. In einer Predigtsammlung und einem Gedicht aus der Zeit um 1170 erscheint das Wort zum ersten Mal; im Gedicht heißt es, Christus sei ze wîhen naht, also zur »geweihten Nacht« geboren worden.

Der englische Begriff Christmas verweist auf »Christ’s Mass«, die anlässlich der Geburt Christi gefeierte Messe. »Messe« kommt vom lateinischen missa, was »entsenden« bedeutet. So wie ein Missionar ein Ausgesandter zur Verbreitung des Wortes Gottes ist, so werden am Ende der Messe die christlichen Gläubigen ausgesandt, ein christliches Leben zu führen. Der Name Christus kommt vom griechischen XΡΙΣΤΟΣ (gesprochen: »Kristos«), einer Übersetzung des hebräischen Wortes maschiach (»Messias«) für »Gesalbter«. Die häufig verwendete Abkürzung Xmas bezieht sich auf den ersten Buchstaben, das »X«, im griechischen Ausdruck. Christmas, das Weihnachtsfest, ist somit die Zeit, in der wir in die Welt hinausgesandt werden, um die Geburt des Messias zu verkünden.

Welche Geschichte steht hinter dieser Geburt, die wir feiern und der Welt kundtun?

Die Geschichte von der Geburt Christi, als »Weihnachtsgeschichte« bekannt, wird in der Bibel im Lukas- und Matthäusevangelium erzählt. Auf den folgenden Seiten wird diese Geschichte ganz kurz wiedergegeben.

Die Weihnachtsgeschichte

Vor etwas mehr als 2000 Jahren erschien der Erzengel Gabriel einer Jungfrau namens Maria, die in Nazareth im Gebiet von Galiläa lebte und mit Josef, einem Zimmermann, verlobt war. Gabriel verkündete Maria, sie werde ein Kind gebären, das der Sohn Gottes sei und den Namen Jesus tragen solle. Ein anderer Engel erschien Josef und eröffnete ihm, es sei der Wille Gottes, dass er Maria heirate und das Kind wie seinen eigenen Sohn aufziehe. Kurz vor der Geburt Jesu ließ der römische Kaiser Augustus eine Volkszählung durchführen; dafür sollte jede Familie im Römischen Reich den Heimatort des Familienvaters aufsuchen. Josef stammte aus dem Haus Davids; seine Vorfahren lebten im rund 110 Kilometer entfernten Bethlehem.

Also begaben sich Josef und Maria, die nun seine Frau war, auf die lange Reise nach Süden. Dort, in Bethlehem, gab es jedoch in der Herberge keinen Platz mehr für sie, da so viele Menschen zur Registrierung gekommen waren. Maria und Josef suchten Schutz in einem Stall mit einem Ochsen und einem Esel. Nachdem Maria ihren Sohn Jesus zur Welt gebracht hatte, wickelte sie ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe mit Stroh. In dieser Nacht erschien ein Engel einigen Hirten auf dem Feld, die dort über ihre Herde wachten, und erzählte ihnen von der Geburt eines Erlösers, Christus des Herrn, in der Stadt Davids. Die Hirten eilten nach Bethlehem und fanden Jesus in dem Stall in der Krippe liegen, genau so, wie es der Engel verkündet hatte. Sie verbeugten sich und huldigten ihm als Messias.

Abb
Abb

Im Evangelium nach Matthäus heißt es:

Aus dem Osten kamen Sterndeuter, um dem König der Juden zu huldigen. Sie wurden von einem Stern nach Bethlehem geleitet, der über dem Ort stand, an dem das Jesuskind lag. Und die Sterndeuter fielen nieder, huldigten ihm und überreichten Gold, Weihrauch und Myrrhe als Geschenke. – So lautet also in etwa die Weihnachtsgeschichte.

Aber warum feiern Menschen, die keine Christen sind, das christliche Fest Weihnachten?

Weil Weihnachten viele der vorchristlichen und heidnischen Feste absorbiert, adaptiert und schließlich ersetzt hat, die von verschiedenen Völkern und Kulturen weltweit gefeiert wurden. Weihnachten bewahrte grundlegende Elemente dieser Feste und band sie ins Christentum ein. Über die Jahrhunderte kamen säkulare zu den religiösen Aspekten von Weihnachten hinzu, Dinge wie Einkaufen und üppiges Essen, die jedermann genießen kann, unabhängig von seinem Glauben und seiner Nationalität. Weihnachten ist zu einem Fest geworden, dem jeder seine individuelle Bedeutung zuschreiben kann.

Abb

Erforschen wir die Ursprünge von Weihnachten etwas genauer.

Viele heidnische Gesellschaften, deren Leben vom Rhythmus der Jahreszeiten geprägt war, feierten Feste zur Wintersonnenwende. Mittwinter war die dunkelste Zeit des Jahres, und die Zeremonien drehten sich um Hoffnungen und Gebete, dass die Sonne zurückkehren, wiedergeboren würde. Die Druiden glaubten, die Sonne stünde im Mittwinter für zwölf Tage still, und ließen während dieser Tage durchgehend ein Feuer brennen, um die Dunkelheit zu bannen und zum Schutz vor bösen Geistern. Ganz ähnlich war das beim zwölftägigen nordischen Julfest, bei dem die Menschen um Lagerfeuer saßen, sangen, tranken und schlemmten, um sich die dunklen Stunden zu vertreiben.

»Jul« ist einer der vielen Namen, die man dem nordischen Göttervater Odin gab. Jul leitet sich möglicherweise von dem altgermanischen hweal ab, was »Rad« bedeutete; es könnte also mit der nordischen Vorstellung von der Sonne und ihrer kreisförmigen Bahn am Himmel zusammenhängen. Die zwölf Tage im Dezember, an denen Jul in seinem Wagen die Erde besuchte, waren folglich die Julzeit oder Yuletide, wie die Briten die Weihnachtszeit auch nennen.

Die Römer hatten ihr eigenes Fest zur Wintersonnenwende, die Saturnalien, die viele Elemente mit der Julfeier teilen, wie wir später noch sehen werden.

Im 4. Jahrhundert wurden diese Mittwinterfeste angepasst und »christianisiert«, als der römische Kaiser Konstantin I. das Christentum im Reich zuließ. Später, 380 n. Chr., erhob Kaiser Theodosius das Christentum zur offiziellen Religion des Römischen Reiches. Über die erste Feier des 25. Dezember als Weihnachtstag im Jahr 336 n. Chr. wird im Chronographen von 354 wie folgt berichtet: »natus Christus in Betleem Iudeae« (»Christus in Bethlehem, Judäa, geboren«).

Das Christentum und das Feiern von Weihnachten verbreiteten sich nach Ost und West im Römischen Reich, zunächst per Dekret und nach dem Ende des Weströmischen Reiches Ende des 5. Jahrhunderts durch vom Papst ausgesandte Missionare.

Nach England kam Weihnachten wohl 597 mit der Ankunft von Augustinus von Canterbury, den Papst Gregor der Große zur Bekehrung der heidnischen Angelsachsen nach Kent geschickt hatte, wo er am ersten Weihnachtstag jenes Jahres Tausende Konvertiten taufte. Zur selben Zeit missionierten etwa der Ire Columban von Luxeuil und sein Schüler Eustasius in Teilen des Frankenreichs, also in einem Gebiet, das dem heutigen Frankreich, Süddeutschland, Österreich und der Schweiz entspricht.

Am Ende des ersten Jahrtausends waren die meisten Völker Europas zum Christentum übergetreten. Als die europäischen Nationen dann ab dem Ende des 15. Jahrhunderts mit der Kolonisation neuer Welten begannen, nahmen sie Weihnachten dorthin mit, nach Mittel- und Nordamerika, Indien, Malaysia, China und Afrika sowie auf die Südhalbkugel, nach Südamerika und Australasien.

Die Briten des 19. Jahrhunderts, die mehr als ein Viertel der Welt beherrschten, belebten die Weihnachtsriten neu, was im Wesentlichen Prinz Albert und Charles Dickens zu verdanken war. Und sie trugen das Fest rund um den Globus in jeden Winkel des britischen Weltreichs. Doch die Viktorianer waren gleichermaßen Geschäftsleute wie Missionare, und sie propagierten den Handel ebenso wie Weihnachten. Viele Menschen weltweit, die kein Interesse an den religiösen Aspekten des Weihnachtsfests hatten, erkannten trotzdem dessen kommerzielles Potenzial. So begannen sich die Feierlichkeiten im Verlauf des 20. Jahrhunderts immer weniger um Religion und mehr um Geschenke und Kommerz zu drehen. In mancherlei Hinsicht kehrt Weihnachten damit zu seinem Ausgangspunkt zurück – von einem Fest für Heiden zu einem Fest für Konsumenten.

Warum der 25. Dezember?

An Weihnachten feiern wir die Geburt Christi, nicht seinen Geburtstag. Anders gesagt: Der 25. Dezember ist der offizielle Geburtstag Christi, nicht sein tatsächlicher. Niemand kennt das Datum, an dem er wirklich geboren wurde. Die Bibel sagt nichts dazu, obwohl Gelehrte versucht haben, Hinweise in der Erzählung von Lukas auszumachen. Etwa in der Aussage, dass am Tag, als Jesus geboren wurde, »in der Gegend Hirten auf dem Feld lagerten und Nachtwache über ihre Herden hielten«.

Hirten lassen ihre Schafe nur in den Sommermonaten auf dem Feld und bringen sie im Herbst nach Hause. Somit könnte Jesus früher im Jahr, also etwa im Spätsommer oder Herbst geboren worden sein, im September oder spätestens im Oktober. Doch niemand weiß das sicher.

Die frühen Christen hätten sowieso nicht den tatsächlichen Geburtstag von Jesus gefeiert, selbst wenn sie das Datum gekannt hätten. Geburtstage waren kein Anlass zum Feiern. In der gesamten Bibel finden sich überhaupt nur zwei direkte Erwähnungen von Geburtstagen.

Abb
Abb

Der Tag, an dem ein Heiliger starb, wurde als viel bedeutsamer erachtet, denn es war der Tag, an dem der Heilige eins mit Gott wurde. Folglich sind Karfreitag und Ostern, der Tod am Kreuz und die Auferstehung Christi, noch immer die wichtigsten religiösen Feiertage der christlichen Kirche.

Als das Christentum zur offiziellen Religion der Römer wurde, sah die Obrigkeit die Notwendigkeit für ein frommes Fest als Ersatz für die rüden heidnischen Winterfeste, die für Trunkenheit, anzügliches Benehmen und Völlerei standen. Um Unmut zu vermeiden, den Strafe oder das Verbot von traditionellen Gelagen hervorgerufen hätte, beschloss die Kirche, die Menschen stattdessen durch die diskrete Integration dieser Feste in eine christliche Feierlichkeit anzulocken.

Doch was sollte man feiern? Christi Tod und Auferstehung wurden bereits an Ostern zelebriert. Warum also nicht seine Geburt feierlich begehen? Und so machten sie es auch.

Dies und das

Die Tatsache, dass Christus einen im Nachhinein beschlossenen Geburtstag (25. Dezember) hat, ist nicht so ungewöhnlich. Viele Staatsoberhäupter haben einen offiziellen Geburtstag. Britische Königinnen und Könige feiern ihn im Juni, unabhängig von ihrem tatsächlichen Geburtstag. Die aktuelle Königin Elizabeth II. wurde am 21. April geboren, feiert ihren offiziellen Geburtstag aber am zweiten Samstag im Juni mit einer großen Militärparade. Die Tradition begann 1748 mit König George II. Sein Geburtstag lag im November – ebenfalls kein optimaler Termin für eine Geburtstagsparade, denn auf der Insel kann das Wetter im November recht hässlich sein. Also beschloss er, sein Geburtstag solle im Sommer gefeiert werden, wenn die Wahrscheinlichkeit für schönes Wetter größer ist.

Der 25. Dezember als offizieller Tag von Christi Geburt wurde aus verschiedenen Gründen gewählt. In dem damals gebräuchlichen Kalender war der 25. Dezember der kürzeste Tag des Jahres, der Tag, an dem die Sonne mittags ihren niedrigsten Stand erreichte. Es war der Höhepunkt des römischen Winterfests der Saturnalien und eben der Zeitpunkt, an dem das Licht wieder zunahm, und so galt dieser Tag den Römern als dies invicti nati, als Geburtstag des Sol Invictus, des »unbesiegten Sonnengottes«. Die christliche Kirche übertrug das geschickt auf den Geburtstag des Gottessohnes.

Der 25. Dezember passte auch sehr gut zum Datum eines anderen christlichen Festes, der Verkündigung des Herrn. Die Verkündigung war der Moment, in dem der Engel Gabriel der Jungfrau Maria erschien und ihr eröffnete, der Heilige Geist werde über sie kommen und sie werde einen Sohn empfangen, der der Sohn Gottes sei und Jesus heißen solle. Dieses Ereignis wird am 25. März gefeiert, nach dem damaligen Kalender der Tag der Frühlings-Tagundnachtgleiche. Nach einer alten und ziemlich mysteriösen Berechnung entspricht das Frühjahrsäquinoktium dem vierten Tag der Schöpfung, als Gott sprach: »Es werde Licht!« In gleicher Weise kam am 25. März durch die Empfängnis von Jesus, den die Christen als »Licht der Welt« bezeichnen, das Licht zu den Menschen. Wenn Jesus also am 25. März empfangen wurde, war man neun Monate später beim 25. Dezember. Ganz einfach.

Io Saturnalia!

Das römische Fest der Saturnalien wurde zu Ehren von Saturn, dem Gott des Ackerbaus (satus ist lateinisch für »säen«), abgehalten und markierte das Ende der Winteraussaat. Das Fest war im Grunde die römische Fortschreibung all jener heidnischen Winterfeste, die es schon davor gegeben hatte, angefangen bei der Verehrung des persischen Sonnengottes Mithra, aus der sich eventuell der römische Mithraskult entwickelt hat, bis zu keltischen und nordischen Feuerfesten.

Die Saturnalien waren die Belohnung für ein langes, hartes Jahr der Schufterei auf den Feldern. Die Ernte war eingebracht, die Winteraussaat erledigt, das Vieh war geschlachtet, und so hatte man reichlich Fleisch zum Schlemmen. Arbeit und Geschäfte ruhten, die Läden waren geschlossen. Die Tage waren kurz, man konnte also wenig tun – außer zu feiern.

Weil man sich die Herrschaft Saturns als Goldenes Zeitalter des Friedens und des Überflusses vorstellte, als Zeit, in der alle gleich wären und es keine Herren und Diener gäbe, lockerte man während des Saturn-Fests die Regeln: Soziale und moralische Normen wurden auf den Kopf gestellt, man trug zwanglose Kleidung, und man erlaubte es den Sklaven sogar, aus der Rolle zu fallen und sich respektlos gegenüber ihren Herren zu benehmen. Tatsächlich fand häufig ein Rollentausch statt, und Herren bedienten ihre Sklaven und Bediensteten. Trinkgelage, Völlerei und Krakeelerei waren angesagt. Die Saturnalien, vom Dichter Catull als »die beste aller Zeiten« beschrieben, waren eine Zeit des allgemeinen Wohlwollens. Und so wie wir uns gegenseitig heutzutage »Frohe Weihnachten« wünschen, riefen sich die Römer ein lautes »Io Saturnalia!« zu.

Saturn selbst, in den Worten des im 2. Jahrhundert n. Chr. wirkenden Dichters Lukian von Samosata, beschreibt sein Fest folgendermaßen:

»In diesen sieben Tagen ist mir nicht erlaubt, irgend etwas ernsthaftes und wichtiges zu verrichten: mich betrinken, jauchzen, spielen, würfeln, Festkönige bestellen, die Sclaven gastiren, nackend singen und tanzen, auch wohl gar mir das Gesicht mit Ruß beschmieren und mich in kaltes Wasser werfen lassen, das alles kann und darf ich so viel mirs beliebt.«

Wenn man’s recht überlegt, klingt das doch ganz ähnlich wie die übliche Weihnachtsfeier im Büro. Im Englischen hat sich der Ausdruck saturnalian für »wüst, ausgelassen« eingebürgert.

Weitere römische Feiertage waren die Kalendae, die jeweils ersten Tage der Monate.

Die Kalenden des Januars waren ein Tag der Erholung und des Kraftschöpfens für jedermann. Die Häuser wurden zur Begrüßung des neuen Jahres mit immergrünen Pflanzen und Kerzen geschmückt und die Menschen angehalten, einander Geschenke zu geben. Besonders ermutigte man sie, dem Kaiser Weihegeschenke, die vota, zu überreichen. Wie uns Libanios, ein Schriftsteller aus dem 4. Jahrhundert, berichtet:

»Der Drang zum Ausgeben erfasst jeden. Jedermann ist nicht nur großzügig gegenüber sich selbst, sondern auch gegenüber seinen Mitmenschen. Ein Strom von Geschenken ergießt sich nach allen Seiten. Ein weiterer wichtiger Aspekt des Festes ist, dass es die Menschen lehrt, sich nicht zu sehr an ihr Geld zu klammern, sondern es zu teilen und in andere Hände übergehen zu lassen.«

Unser modernes Weihnachtsfest hat ganz klar einige Elemente wie üppiges Essen, das Verteilen von Geschenken und das Anzünden von Kerzen von den Saturnalien, Kalenden und anderen Mittwinterfesten übernommen. Weihnachten hat also heidnische Wurzeln. Betrachten wir nun einige der Weihnachtsbräuche etwas näher, um ihren Ursprung zu erkunden. Beginnen wir mit dem Advent.

Kapitel 2

Der Weihnachtsbaum

Abb

»Der typische Duft des Weihnachtsbaums – voller angenehmer Erinnerungen …«

Königin Victoria

Advent: Der Baum

Weihnachten, so denken die meisten, beginnt mit dem Advent, doch das stimmt nicht.

Das Wort »Advent« leitet sich vom lateinischen adventus