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Was ist sexistisch an unserem Sex?

Katja Lewina hat Bock, und sie schreibt darüber. Wäre sie ein Mann, wäre das kein Ding. So aber ist sie: »Schlampe«, »Nutte«, »Fotze«, »Hoe« … Seit #metoo werden die Rufe nach der potenten Frau laut und lauter. Aber hat eine, die ihr sexuelles Potenzial jenseits von »stets glatt rasiert und gefügig« lebt, in unserer Gesellschaft tatsächlich einen Platz? Lewina führt die Debatte über weibliches Begehren fort und erforscht entlang ihrer eigenen erotischen Biografie, wie viel Sexismus in unserem Sex steckt. Kindliche Masturbation, Gynäkolog*innenbesuche, Porno-Vorlieben oder Fake-Orgasmen: Kein Thema ist ihr zu intim. Und nichts davon so individuell, wie wir gern glauben. Aber die Krusten unserer Sozialisation lassen sich abkratzen! Und so ist Sie hat Bock mehr Empowerment als Anprangern, mehr Anleitung zur Potenz als Opferdenke. Denn nach der Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten und Tabus ist es an der Zeit, den Weg zur Selbstermächtigung einzuschlagen.

»Es liegt in unserer Hand, unsere Spielregeln zu schreiben, im Leben und beim Sex.«

Katja Lewina

autor

© Steffen Roth

Katja Lewina

wurde 1984 in Moskau geboren. Nach ihrem Studium der Slavistik, Literatur- und Religionswissenschaften arbeitete sie als freie Lektorin und im Künstlermanagement. Heute ist sie freie Autorin und schreibt für alles von Herren- bis Familienmagazin, u. a. Brigitte, Eltern Family, jetzt, Playboy und ZEIT Online. Mit Mann und drei Kindern lebt sie in der Nähe von Berlin.

Katja Lewina

Sie hat Bock

 

 

Inhalt

 

Ein Trinkspruch

Ich bin’s, Katinka
Was ich über Sex lernte, noch bevor ich wusste, dass es ihn gibt.

Gib dem Baby einen Namen
Das Unsichtbare sichtbar machen.

Sie hat Bock
Überraschung! Frauen wollen auch ficken.

Fresse halten oder Beine breit
Wie es ist, als Frau über Sex zu schreiben.

Schlampen und Fotzen dieser Welt vereinigt euch!
Wenn Sexismus und Beschimpfungen Hand in Hand spazieren gehen.

Warum nur einen nehmen, wenn man sie alle haben kann?
Casual Sex ist für alle da.

Freie Liebe forever
Beziehungen brauchen keine Zäune.

Fick sie hart
Ist der Porno noch zu retten?

Huren, Böcke und wir alle
Arbeit ist Arbeit.

Wer ist hier der Boss?
Unterwerfung darf auch männlich sein.

Fifty Shades of Rape
Sexualisierte Gewalt hat viele Gesichter.

Ja, ich will
Zustimmung ist sexy.

Lass stecken, Alter
Komplimente kommen aus der Hölle.

Gut gefälscht ist nicht gekommen
Wann »Fake it till you make it« nicht zieht.

Faszination Penetration
Dabei ist Sex viel mehr als nur »Penis in Vagina«.

Mund auf
Damit Lecken genauso selbstverständlich wird wie Blasen.

Wie Kacken, nur rückwärts
Warum sind bloß alle so heiß auf anal?

Alles muss man selber machen
Sogar masturbieren.

Toy-Story
Gadgets sind gut. Hände sind besser.

Mit Tüte, bitte!
Verhütung geht auch gleichberechtigt.

Auf dem Stuhl
Wie Gynäkolog*innen und Rechtsprechung Frauen für ihre Sexualität bestrafen.

Touched for the very first time
Der Kult um die weibliche Jungfräulichkeit ist noch lange nicht Geschichte.

Nicht schlechter als Sperma
Eine Ode an die weiblichen Säfte.

Halb Mensch, halb Tier
Schamhaare sind besser als ihr Ruf.

Mini-Mumus sind was für Mädchen
Alle anderen können ruhig mal erwachsen werden.

Altersweisheiten
Je mehr Falten, desto besser der Sex.

Fummeln erlaubt
Was meine Kinder über Sex lernen, noch bevor sie wissen, dass es ihn gibt.

Afterhour

Dank

Zum Nachlesen

Bildnachweis

Anmerkungen

Ein Trinkspruch

(… den ich mit Blick auf ein volles 100-Milliliter-Glas Wodka schreibe; wer Lust hat, kippt es hinterher mit mir zusammen weg.)

»Ficken ist Frieden«. Die alte Frau hatte es in bunten Farben auf eine Pappe geschrieben, die sie vor ihrer Brust hielt. Dazu krächzte sie: »Das Wichtigste, das Wichtigste!«, wie etwas, das mit letzter Kraft gerade noch so gesagt werden musste. Die ist doch völlig bescheuert, fand ich. Ich war neunzehn, vor Kurzem erst in Berlin gestrandet und auf meinem ersten Streifzug zum Sale bei H&M an der Gedächtniskirche – ich musste es also wissen. Die Stadt war voller Verrückter, das hatte ich schon eine halbe Stunde nach meiner Ankunft verstanden. Aber diese eine schien einen besonders schlimmen Hau wegzuhaben. Warum sonst würde sie in ihrem Alter das Wort »Ficken« benutzen? Überhaupt in der Öffentlichkeit? Und dann noch als Frau? In ihr vereinten sich so viele Widersprüche und Peinlichkeiten, dass meine Beine von allein in Galopp verfielen, nur, um schnell aus dieser Fremdscham-Zone herauszukommen. Und dann endlich bei H&M Spitzen-Push-ups zu shoppen. Ich war ja jung, ich durfte an Ficken denken. Wobei, eigentlich sollte ich mehr nach Ficken aussehen, es so wahnsinnig wild treiben durfte ich es im Gegensatz zu den Jungs nicht. Ich wollte schließlich keine Schlampe sein. Eine Ungerechtigkeit? Vielleicht. Aber was sollte man gegen Naturgesetze schon ausrichten? Die Alte aber hatte völlig ihre Contenance verloren, jede Würde, die ihr hätte noch bleiben können, nachdem sie das Alter der Fickbarkeit schon vor Jahrzehnten verlassen hatte. Sie machte sich lächerlich. Und überhaupt: Ficken war nicht Frieden. Ficken war Ficken. Was sonst.

Es gibt nicht vieles, das ich aus meinem Leben erinnere, denn Gott oder ein übereifriger Zufall hat schon bei meiner Entstehung geahnt: Besser ein Sieb als ein Gedächtnis, mit möglichst großen Löchern – sie wird es bitter nötig haben. Aber an Helga Goetze (so hieß die alte Frau, das habe ich grade im Internet nachgeguckt) erinnerte ich mich selbst dann noch, als ich schon längst in einer Kleinstadt in Brandenburg lebte und Push-ups von H&M gleich nach ungebetenen Männerhänden das Letzte waren, das ich an meine Brüste lassen wollte. Es waren fast fünfzehn Jahre vergangen, seit ich sie das erste Mal gesehen hatte. Ich hatte studiert, ein paar Beziehungen gegen die Wand gefahren, Kinder bekommen. Vor allem aber hatte ich jegliche Bestrebungen aufgegeben, im Namen der Ehre meine Beine zusammenzuhalten. Gefällig zu sein. Und verführerisch. Wenn Männer in öffentlichen Verkehrsmitteln die Schenkel spreizen durften im Namen ihrer dicken Eier, dann wollte ich das genau so. Meine Schamlippen (verdammt sein soll er, dieser Name, aber dazu später) brauchten schließlich auch gebührenden Platz. Ich hatte aufgehört, allen 47 Stellen meines Körpers, die eine anständige Frau gefälligst zu enthaaren hat, zu Leibe zu rücken (es sei denn, um es mir selbst zu besorgen, aber auch dazu später mehr). Nun war ich haarig wie ein Kerl, und vermutlich fickte ich genauso wie einer. Nicht, weil mir plötzlich ein Schwanz gewachsen wäre oder ich es nur noch mit Strap-On machen würde (obwohl er mir zugegebenermaßen wirklich gut stünde). Sondern weil ich keine Lust mehr hatte, mich immer und immer wieder nehmen zu lassen. Stattdessen nahm ich selbst. Ich sagte, was ich wollte und mit wem. Und weil es mich selbst überraschte, dass das so einfach ging (dass ich das offensichtlich schon immer gekonnt hatte!), fing ich an, darüber zu schreiben. Warum ich keinen Bock habe, mich auf einen einzigen Mann zu beschränken zum Beispiel, oder über Tage, an denen ich nichts anderes mache, als zwischen meinen Beinen rumzuspielen. »Welt!«, schrieb ich also voller Euphorie. »Es ist der Wahnsinn, was da alles geht!« Die Welt schrieb sogar zurück. Ungefähr so: »Iiiiiiiihhh, ist das eklig! Kann die mal bitte die Fresse halten?« Klar, erst hab ich ein bisschen geweint, dann aber zum Glück kapiert: Je mehr sich die Leute von einem Thema angekotzt fühlen, desto mehr sollte man ihnen davon zu riechen geben. Damit sie sich daran gewöhnen. Damit sie sich damit entspannen können. Helga Goetze hatte es genauso gemacht. Hielt Slipper shoppenden Perlenketten-Mütterchen, wichtigen Typen im Trenchcoat und eben ahnungslosen Mädchen ihr »Ficken« vor die Nase. Es war pure Nächstenliebe. Danke, Helga.

Nächstenliebe war es auch, die mich für den Playboy einen Essay über mein Geschlechtsorgan schreiben ließ. Immer wieder war ich mit Typen in der Kiste gelandet, die keine Ahnung zu haben schienen, wie eine Frau untenrum so funktionierte. Das lag sicher nicht an mangelndem Willen. Sondern daran, dass weibliche Sexualität etwas ist, über das man im Laufe der Jahrtausende verdammt viel Bullshit verbreitet hat. Und dieser Bullshit ist hartnäckiger als Nagelpilz. Er hält sich auf dem Schulhof, im Aufklärungsunterricht, in den Gesichtern unserer Eltern, in der Bravo. In den Serien und Pornos, die wir gucken. In unseren Betten. Er bestimmt unser Begehren, was wir schön finden und was richtig. Wer was darf und wer was nicht. Davon nehme ich mich selbst nicht aus. Auch ich war lange Zeit der Meinung, dass ich als Frau nicht so viel Bock haben sollte wie ein Mann. Dass meine Vulva besser klein und unauffällig ist wie die von einem vorpubertären Mädchen. Dass es völlig natürlich ist, wenn ich öfter blase, als ich geleckt werde. Dass irgendwas in mir kaputt sein muss, wenn ich nicht komme, nur weil ein Schwanz in mir drinsteckt. Und irgendwo hakt es ganz sicher immer noch bei mir.

Der Text wurde recht gut, aber leider konnte ich ihn nicht so ausführlich werden lassen, wie ich wollte – sonst hätten ja die ganzen barbusigen Mädchen keinen Platz mehr im Heft gefunden. Also fragte ich jetzt, das junge Magazin der Süddeutschen Zeitung, ob die nicht eine Kolumne über all die komischen Dinge haben wollten, die viele von uns über weibliche Sexualität so glauben. Schließlich gibt es viel dazu zu sagen. Und noch mehr, weil Sex nach wie vor Grauzone ist. Nebel. Wir können mit absurd vielen Menschen schlafen, zu jedem einzelnen Porno des Internets wichsen und ganze Bibliotheken über Sex-Techniken leerlesen – und trotzdem sind Gedanken wie »Sie wollte meine Zunge in ihrem Mund, also will sie auch meinen Penis in ihrer Vagina« oder »Er hat eklige Dinge mit mir getan, aber ich bin bestimmt selbst daran schuld« für viele von uns so normal wie der morgendliche Gang zur Toilette. Für den einen deutlich angenehmer als für die andere, das sicher. Aber was sein muss, muss sein. Und vor allem: Bloß nicht drüber sprechen. Genauso wenig wie darüber, dass man keinen hochbekommt oder sich beim Sex so verkrampft, dass nichts und niemand in einen reinpasst. Dass man sich mit etwas angesteckt oder Schiss hat, die eigene Vulva sei zu groß oder der Penis zu klein. Dass Geschlechtsteile Flüssigkeiten absondern oder man Lust auf komische Sachen hat. Dass man überhaupt Lust auf Sex hat. Oder gar keine. Dass man sich fragt, ob man es im Bett bringt oder was das Gegenüber von einem will. Viele von uns schämen sich für so ziemlich alles, was mit ihrem Unterleib zusammenhängt. Das gilt natürlich für Männer wie für Frauen. Die Frauen hat das Patriarchat aber ganz besonders gefickt. Und genau dagegen wollte ich schreiben.

Wir tauften die Kolumne Untenrum. Nicht als Reminiszenz an Margarete Stokowski (obwohl die schon sehr vieles sehr treffend gesagt hatte), sondern weil uns verdammt noch mal kein anderes Wort einfallen wollte, das die Gesamtheit von weiblichen Geschlechtsorganen, ihrer Sexualität und den gesellschaftlichen Umgang damit so treffend beschrieb wie eben dieses. Woche für Woche nahm ich mir ein neues Thema vor, ich inhalierte Bücher, recherchierte Studien und Umfragen und soff unzählige Weinflaschen leer. Nicht nur, weil mit einem Glas Wein die abendliche Arbeit besser flutscht. Sondern auch, weil meine russischen Gene nach irgendetwas verlangten, mit dem ich meine Wut runterspülen konnte. Denn so vieles von dem, was ich las, war fucking ungerecht. Anderes wiederum hatte ich schlicht nicht gewusst (und warum zum Teufel hatte man mir das vorenthalten?). Hatte ich mich schon vorher klar als Feministin positioniert, war mein Bekenntnis mit fortschreitender Arbeit auf 120 Pro gestiegen. Frauen hatten nämlich nicht nur seit Einführung des Vaterrechts vor Tausenden von Jahren so wenig Zugang zu Geld, Macht und anderen wichtigen Ressourcen, dass man sich schon fragen könnte, wie sie bis hierher überhaupt überleben konnten – sie hatten offensichtlich noch nicht mal Kontrolle über ihren eigenen Unterleib und noch viel weniger darüber, was Kerle sich alles über ihn ausdachten.

Und schließlich entstand aus der Kolumne dieses Buch1. »Sie hat Bock« enthält nicht nur viele der Untenrum-Texte in einer überarbeiteten und erweiterten Version, sondern auch einen Haufen anderer Geschichten, die all die Zeit darauf warteten, erzählt zu werden. Alles, worüber ich schreibe, habe ich selbst erlebt. Wenn wir wirklich über Sex reden wollen, müssen wir zuallererst unsere eigenen Hosen runterlassen, denn nur durch das Persönliche wird das Politische überhaupt erst greifbar. Weil aber die Personen, die in meinen Geschichten vorkommen, lieber selbst entscheiden sollen, ob sie von ihren Eskapaden berichten oder nicht, habe ich Namen und Umstände so weit verändert, dass niemand erkannt werden kann.

Jeder dieser Texte kann gut für sich allein stehen, alle zusammen aber ergeben sie Über- und Ausblick in einem: Welchen kollektiven Vorstellungen über weibliche Sexualität gehen wir auf den Leim? Vor allem: welche Alternativen gibt es zu ihnen? Und so ist das Ganze viel mehr eine Anleitung zur Potenz als Rumgeheule. Denn von der Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten und Tabus muss es nicht mehr weit bis zur Selbstermächtigung sein – beim Sex und überall sonst.

Und um gleich Missverständnissen vorzubeugen: Ich fordere weder, dass Männer nur noch Füße lecken und Frauen den ganzen Tag masturbieren sollen (und Gott weiß, dieser Vorwurf wurde mir oft gemacht). Ich bin für die Freiheit – im Einvernehmen mit unseren Partner*innen –, genau das zu tun, was wir tun wollen. Deshalb geht es hier weder um Richtig und Falsch noch um Handlungsanweisungen, und Vollständigkeit reklamiere ich erst recht nicht für mich. Weder stehe ich am Anfang des aktuellen feministischen Diskurses noch an seinem Ende, manches wurde schon gesagt, manches lohnt sich zu wiederholen, manches wird noch gesagt werden müssen. Was ich offeriere, sind Handlungsoptionen, die es sich lohnt zu kennen. That’s it.

In meinem neunzehnjährigen Hirn jedenfalls war die Option, dass Helga Goetzes »Ficken ist Frieden« mehr sein könnte als eine fremdschämwürdige Totalentgleisung einer alten Frau, schlicht nicht existent. Vermutlich würde ich »Ficken ist Frieden« nicht mal heute unterschreiben, auch wenn die Verschmelzung von zwei (oder mehr) Menschen ganz sicher zu den göttlichsten Erfahrungen gehört, die wir machen können. Sex wurde über viele Jahrtausende dafür benutzt, um zu unterdrücken, zu beschämen und zu verletzen – und das ist noch immer so. Aber Ficken kann Frieden werden. Was wir dafür tun müssen? Nicht die Knie geschlossen halten jedenfalls. Sondern laut sein. Sagen, was wir wollen. Und nicht verheimlichen, was wir tun. Denn Sex ist die normalste Sache der Welt. Wir alle kommen aus einer Möse, und viele von uns wollen wieder und wieder dahin zurück. Warum auch nicht? Das ist unsere natürliche Heimat, und es gibt nichts, was uns daran peinlich sein müsste.

Darum hebe ich jetzt mein Glas auf eine nicht allzu ferne Zukunft, in der sich niemand mehr an all den Helga Goetzes (Gott hab sie selig) dieser Welt stört und Sex etwas ist, das nur dann passiert, wenn alle Beteiligten ein fröhliches »Ja« dazu sagen. Weil nur dann Ficken wirklich Frieden bedeutet.

Auf uns alle!

Ich bin’s, Katinka

Was ich über Sex lernte, noch bevor ich wusste, dass es ihn gibt.

Bevor es richtig losgeht mit dem Eingemachten, finde ich, sollten wir uns besser kennenlernen. Oder eher gesagt, ihr mich, anders herum wird es zugegebenermaßen schwer. Ich könnte jetzt also einen kleinen Smalltalk hinlegen mit all diesem Zeug, ihr wisst schon: »Ich heiße Katja«, würde ich sagen, »bin 35 Jahre alt, wohne in der Nähe von Berlin, habe Mann, drei Kinder und schreibe für dieses und jenes Magazin …« Bla. Bla. Bla. Von mir reden, als sei ich nichts weiter als Zahlen, Daten, Fakten, und zwar bitte nicht allzu intime. Vorzeigbar. Und unverfänglich. Ich könnte es aber auch sein lassen – was ich hiermit zu tun beabsichtige – und stattdessen mein kleines schmutziges Nähkästchen hervorholen. Ich weiß, das ist so nicht üblich. Wer mir also nicht zwischen die Beine gucken will, der*die möge bitte wegsehen. Für alle anderen beginne ich damit, wie alles begann. Was ich über Sex gelernt habe, noch bevor ich überhaupt wusste, dass er existiert. Und warum es sich später so falsch anfühlen sollte, ihn haben zu wollen.

Wir starten die Geschichte in Moskau, einer Stadt, die für das Geschehen keinerlei Relevanz hat und hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt wird. Die Erlebnisse meiner deutschen Freund*innen, das erfuhr ich viel später, standen meinen russischen in nichts nach. Wir alle waren kleine Meister*innen der Heimlichtuerei. Aber jetzt mal ganz von vorn.

Ich erinnere nicht vieles aus meiner frühen Kindheit. Aber der Moment, ich muss ungefähr vier Jahre alt gewesen sein, in dem ich mich rittlings auf einer dieser Puppen mit Stoffkörper wiederfand, ist immer noch safe. Ein bisschen Oberschenkelspannung, ein bisschen hin und her rutschen … Was war denn das bitte? Das fühlte sich ja krass gut an! Leider, leider genau an der Stelle, die man nie, unter keinen Umständen anfassen sollte. Nicht mal beim Waschen. Das erledigten immer die Erwachsenen mit schnellen, routinierten Handbewegungen für mich.

Einmal hatte meine Uroma mich, während ich in der Wanne stand, gefragt, wie wir das denn machen, wenn ich mit Papa allein bin. »Na dann wäscht er mich natürlich«, hatte ich gesagt. Die Uroma war sehr unzufrieden mit meiner Antwort gewesen. »Ein Mann darf ein Mädchen da nicht anfassen«, hatte sie gebrummt und mich angeschaut, als hätte ich etwas Verbotenes getan. Ich hatte mich noch Tage später dafür geschämt, dass mein Vater auf die Idee gekommen war, mich zwischen den Beinen zu waschen. Und auf eine nicht näher benennbare Weise auch dafür, dass ich ihm nicht Einhalt geboten, ja, in meiner grenzenlosen Einfalt nicht einmal gewusst hatte, dass ein Mann das nicht darf. Nicht mal zu Reinigungszwecken.

Das war also diese merkwürdige Stelle, aber: Mega! So konnte die sich also anfühlen! Da kribbelte es in mir und wollte, und das Ganze zog sich bis in die Oberschenkel und den Bauch, der absolute Wahnsinn! Scheiß auf alles, einfach weitermachen! Bis meine Mutter plötzlich in der offenen Tür stand. Ich schreckte aus meiner Verzückung, und meine Mutter erschrak wohl auch. Jedenfalls drehte sie sich wortlos um und verließ den Raum so schnell, als wäre sie nie da gewesen. Augenblicklich entließen meine Schenkel die Puppe aus ihrer Umklammerung. Ich hatte etwas unglaublich Schlimmes gemacht, das wusste ich sofort. Etwas so Schlimmes, dass man nicht mal mit mir schimpfte. Man musste so tun, als hätte es gar nicht erst stattgefunden. So ungeheuerlich war das.

Ich war also vier, als ich zum ersten und letzten Mal in meinem Leben beim Masturbieren erwischt wurde. Es sollte noch sehr lange dauern, bis ich mich so etwas wieder trauen würde. Dafür aber traute sich jemand anderes was. Und das hatte es echt in sich.

Da gab es eine Datscha, weit außerhalb von Moskau. Meine Großeltern hatten ein kleines Grundstück frisch gerodeten Waldes für ihre persönliche Erholung zugewiesen bekommen und arbeiteten über die Sommermonate gemeinsam mit einer Handvoll anderer Glücklicher daran, Baumstümpfe aus der Erde zu zerren, Brunnen zu graben und kleine Holzhäuschen zu bauen. Noch gab es hier kaum Kinder. Genau genommen gab es nur zwei. Mich, eine schmächtige, lungenkranke Fünfjährige. Und den dicken, aber bereits pubertierenden Schenja. »Geh, spiel mit Schenja«, sagte meine Oma, wann immer ich mich auf der Baustelle blicken ließ. Und Schenja ließ es sich gefallen. Es gab ja niemanden sonst. Also streiften wir auf der Suche nach Käfern und Schmetterlingen durch die staubige Siedlung. Oder wir vertrieben uns die Zeit mit einer alten Ausgabe von Robinson Crusoe, aus der Schenja mir vorlas. Die Mittagshitze überstanden wir im Häuschen seiner Großeltern, wo wir uns schrecklich langweilten. Es gab keine Spielsachen, nicht mal Papier und Stifte zum Malen. Schließlich hatte Schenja eine bahnbrechende Idee.

»Weißt du, wo die Babys herkommen?«, fragte er. Was für eine bescheuerte Frage. Klar, wusste ich das. Hatte Mama mir doch letztens noch erzählt: »Aus dem Bauch natürlich!« – »Na ja«, sagte Schenja, »sie müssen ja auch erst mal in den Bauch hineinkommen. Und wie das geht, hat dir deine Mama bestimmt nicht gesagt!« Hatte sie wirklich nicht. Gab es da etwa ein Geheimnis? Wenn ja, wollte ich es unbedingt wissen. Schenja erklärte: »Es gibt da etwas, das nur Erwachsene machen. Man steckt das eine in das andere, also … mein Dings in dein Dings, zum Beispiel.« Auch mir fehlten die Worte für Dingse, und dennoch wusste ich sofort, was er meinte. Diese Dingse! Mein Herzschlag beschleunigte sich. Die waren wirklich ein Geheimnis. Eins, über das niemand, absolut niemand sprach. Bis auf Schenja. Er war der einzige Aufrichtige. »Wenn du willst, zeige ich dir, wie das geht«, sagte er. Klar, wollte ich. Hallo?! Wenn du schon einmal in deinem Leben die Chance auf Erwachsenendinge hast, musst du sie auch nutzen. So wie letztens, als ich in einem unbemerkten Augenblick einen Schluck aus Mamas Weinglas genommen hatte. Es war todeseklig, aber den Triumph wert gewesen. Augenblickliches Altern um zehn Jahre mindestens, das sollte mir mal einer nachmachen. Trotzdem, das hier war anders. Schlimmer. Weil unsagbarer. Ich wand mich. Schenja aber redete weiter. »Nur, wenn wir das machen, dann muss das unbedingt unser Geheimnis bleiben, ja? Unser gemeinsames Geheimnis. Keiner darf das wissen. Nur du und ich.« Ein Geheimnis mit Schenja zu haben, jemandem, der sich mit mir abgab, obwohl er an der Erwachsenenwelt viel näher war als an meiner, jemandem, der zu ihnen gehörte und mich trotzdem einweihte, überhaupt, ein echtes Geheimnis zu haben! Bei diesem Gedanken musste ich lächeln. Und natürlich, ich sagte Ja.

Schenja wies mich an, mein Kleidchen hoch- und den Schlüpfer runterzuziehen, dann sollte ich mich auf das Bett legen. Meine Beine hingen von der Bettkante hinab, sie zitterten von der Erwartung dieses Unerhörten, das gleich passieren sollte. Es war nicht zum Aushalten – ich darf das nicht, ich darf das nicht, ich darf das nicht, hämmerte es in mir, und genau das war ja das Aufregende –, also schloss ich die Augen. Das musste jemand anderes sein, ich nicht, auf keinen Fall, ich war ja gar nicht da. Ich hörte seine Shorts auf den Boden fallen, dann, wie er einen Schritt auf mich zu machte. Plötzlich schnitt mich etwas zwischen den Beinen, ein höllischer Schmerz an meinem Dings, ich schrie, riss die Augen auf, und Schenja, der schien genauso erschrocken zu sein wie ich, aber immerhin geistesgegenwärtig. Augenblicklich zog er sich von mir zurück und hielt mir den Mund zu. Hier musste schließlich ein Geheimnis bewahrt werden.

Das war der letzte Tag, an dem ich mit Schenja gespielt habe. Ich hätte ja, echt, er war ein netter Junge, und überhaupt, immerhin hatten wir ein Geheimnis. Ich nahm ihm nicht übel, dass es so schrecklich wehgetan hatte. Vielleicht gehörte das sogar dazu, ich hatte ja keine Ahnung. Die meisten Erwachsenendinge schienen irgendwie schlimm zu sein.

Aber meine Oma, die ließ mich nicht mehr. Warum, sagte sie nicht.

Ich vergaß die Story genau so schnell, wie das Häuschen meiner Großeltern aufgebaut war. Und ich hatte auch wirklich anderes zu tun, als darüber nachzudenken, schließlich stand bald ein Umzug nach Deutschland auf dem Plan. Dahin, wo es angeblich Ananas zu kaufen gab und im Winter die Rosen blühten. Crazy fucking different world sozusagen.

Das erste Jahr in der deutschen Sozialbaukaserne war zäh: Sprache, Regeln, Leben, alles schien mir fremd und undurchdringlich. Und dann waren da noch die dunkelhäutigen Jungs aus den Balkangebieten, die eine*n beim Spielen auf dem Hof als Geisel nehmen und unter einem der Balkone schleppen konnten, so schnell kannste gar nicht gucken. Wo man dann gefesselt und bewacht wurde und auf eine perfide Weise neugierig darauf war, Teil eines brutalen Spiels zu sein, das seine erfahrenen Spieler nicht nur spielten, sondern allem Anschein nach am eigenen Leib erlebt haben mussten. So geht Krieg, das lernte ich mit sechs: Du liegst in einer dunklen Ecke und bekommst kaum Luft, weil dir jemand mit schmutzigen Händen Mund und Nase zudrückt. Und du bist froh, auf der einen Seite zumindest, dass das alles ist, was er macht, und gleichzeitig gespannt, was da noch kommen könnte. Und weil ich diese beiden Gefühle nicht in Einklang miteinander bringen konnte, schämte ich mich und erzählte niemandem davon, wie gemein die Jungs waren und wie sehr ich meine Ohnmacht genoss.

In genau diesem Hof jedenfalls passten mich eines Tages drei Jungs ab, zwei, drei Jahre älter als ich, die nicht vom Balkan, sondern genau wie ich aus Russland kamen. Ob ich nicht ihre Dingse sehen wolle, fragten sie, weiter hinten in der Böschung wäre der ideale Platz dafür. Natürlich wollte ich, schließlich hatte ich noch nie einen gesehen. Ich hatte überhaupt noch nie wirklich ein anderes Geschlecht als mein eigenes gesehen. Natürlich war meine Mutter mal nackt im Bad an mir vorbeigehuscht, ihr aber zwischen die Beine zu stieren war nie infrage gekommen.2 Dafür quetschten meine Freundin Maria und ich uns Tag für Tag in eine von diesen winzigen Klokabinen im Kindergarten, damit wir uns gegenseitig unsere Schlüpfer zeigen konnten. Aus Russland waren wir schnöde weiße Unterwäsche gewohnt, der goldene Westen bescherte uns nun aber eine unerwartete Vielfalt an Farben, Stickereien und Zeichentrickfiguren – die konnte man doch nicht den ganzen Tag verstecken! Dass das Heimlichkeit erforderte, war stiller Konsens. Schlüpfer waren einfach zu nah dran an diesem einen, nicht mal unter Todesandrohung zu erwähnenden Organ. Und vermutlich war auch genau dieser Umstand der Grund für unser ausgeprägtes, aber im Grunde lahmes Schlüpfer-Interesse. Nun aber sollte es richtig zur Sache gehen. Ich war bereit.

»Du musst deine Hose aber zuerst runterlassen, das ist die Bedingung!«, forderte der Wortführer. Ich nestelte nervös an meinem Hosenbund rum. Ganz geheuer war mir das nicht. Andererseits: Das war vielleicht meine einzige Chance, die konnte ich nicht einfach so vorbeiziehen lassen. Also schob ich tatsächlich die Hose an meiner Hüfte runter, bis sie mir zusammen mit einem rosa Arielle-Schlüpfer in den Kniekehlen hing. Es war einer der ersten grauen Frühlingstage, und meine nackten Beine froren erbärmlich. Einige Sekunden standen wir still da: ein gänsehäutiges Mädchen ohne Hose umkreist von drei Jungs, die perplex davon zu sein schienen, dass das grade wirklich passierte. Dass ich mitgemacht hatte. Sie alles sehen konnten, was sie sehen wollten. Und dass nun sie an der Reihe waren. »Jetzt ihr«, sagte ich also. Im Gesicht des Wortführers zuckte es. Aber er fing sich schnell. »Wir sind doch nicht bescheuert«, sagte er, lachte das fieseste Lachen, das jemals jemand in dieser Böschung gelacht haben konnte, und rannte mit seinen Jungs davon. Und ich, ich stand noch ein bisschen da rum und schämte mich.

Und irgendwann, dritte Klasse oder so, war es so weit. Ganz offiziell sollten wir Kinder nun alles wissen. Unser Lachen brach aus uns heraus, auch wenn wir unsere Münder mit Händen verdeckten, es runterschlucken wollten – es gluckste weiter und weiter. S-E-X-ualkunde – Muahahahah! Da kam doch tatsächlich dieses Wort drin vor. Nirgendwohin konnte man gucken in dieser U-Formation von Schultischen, überall Augen, die zu Boden wollten, aber die Körper, die zuckten unkontrolliert vor Anspannung. »Ruhe jetzt!«, brüllte die graugesichtige Frau Röder, als ob sie nicht wüsste, wie aufregend S-E-X war, wie verboten und peinlich. Dass man darüber kein Wort verlieren durfte, dass höchstens der große Bruder von irgendjemand mal was von »Ficken« erzählt hatte, ohne selbst zu wissen, was das überhaupt war, wie das ging und warum man das machen sollte. Was mit Scheide und Penis, so viel war klar. Körperteile, die es eigentlich gar nicht geben sollte, fand ich. Dann bräuchte man sich auch nicht so sehr für sie zu schämen.

Meine eigene Scheide wusch ich inzwischen jeden Abend eigenhändig mit Seife. Das hatte mir meine Mutter so beigebracht, aus gutem Grund, wie ich vermutete. Es musste ein schrecklich schmutziges Organ sein. Jetzt würde uns endlich jemand erklären, was es mit diesem ominösen S-E-X auf sich hatte! Kleine Schauer überrannten meinen Körper, in der Bauchgegend zog es sich zusammen wie auf einer Achterbahnfahrt, und im Kopf machte es »Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott!«. Obwohl man sich um mich herum endlich beruhigt hatte, hörte ich kaum etwas von dem, was Frau Röder sagte. »Scheide«, ja, »Penis«, okay, »Kinderkriegen«, hab ich mitbekommen, dann noch was und noch was und schließlich »steckt der Mann seinen Penis in die Scheide der Frau«. Etwas Brennendes zerplatzte in meinem Magen.

Still lief ich auf dem Nachhauseweg neben meiner Freundin Alex her. »Was ist denn?«, fragte sie, als es ihr zu blöd mit mir wurde. Ich sah auf meine billigen Turnschuhe hinab. Rechts, links, rechts, links, rechts, links. Egal. Zum allerersten Mal erinnerte ich mich wieder an Schenja. Das war es also gewesen. »Ich glaube«, flüsterte ich, »ich habe das schon mal gemacht.«

Und immer so weiter. Und immer so fort. Das alles ist zwar nicht universell, aber immer noch sehr symptomatisch. Solche Dinge passierten und passieren so oder ähnlich noch heute überall auf der Welt, und seien wir ehrlich, die meisten von euch haben auch ein paar solche Stories zu erzählen.

Darüber, wie beiläufig Kinder lernen, dass die Erforschung bestimmter Teile unseres Körpers tabu ist, und damit auch, diese Teile abzulehnen. Wie schnell sie kapieren, dass sie über ihre Empfindungen lieber die Klappe halten. Wie körperliche Grenzüberschreitungen normal werden. Wie Jungs sich Dinge rausnehmen und Mädchen stillhalten. Wie Handlungen, die jeglicher sexuellen Absicht entbehren, von Erwachsenen sexualisiert und auf diese Weise künstlich mit Bedeutung aufgeladen werden – eine Bedeutung, hinter deren Geheimnis man dann doch unbedingt kommen muss, wenn das eigene Hirn nicht gerade entscheidet, diese Dinge komplett ins Unbewusste zu verdrängen.

S-E-X. Gibt es ein Wort, egal in welcher Sprache, das uns heftiger zusammenzucken lässt? Das es schafft, sich in einem unlösbaren Widerspruch zwischen heiß, so wahnsinnig heiß und absolut ekelerregend zu bewegen, egal wie alt wir werden?

Das alles sind Zuschreibungen von Erwachsenen, die Angst vor ihrer eigenen Sexualität haben. Und sie machen aus Kindern genau solche Erwachsenen, wie sie es selbst sind. Menschen, die sich vor ihrem Geschlecht ekeln. Die andere fürs Vögeln verurteilen. Die sich für ihre eigene Geilheit schämen. Die Gewalt mit Sex verwechseln.

»Alles im Leben dreht sich um Sex. Nur beim Sex, da geht es um Macht.« Kennt ihr, oder? Damit wird der arme Irre Oscar Wilde von all denen zitiert, die auch mal etwas Geistreiches über die menschliche Sexualität sagen wollen. Also quasi von jeder*m.

Dabei wäre vor allem der zweite, eigentliche Teil seiner Botschaft der allergrößte Bullshit, wäre er nicht, genau wie die meisten von uns, Produkt oben genannter Erziehung. Denn beim Sex – zumindest wenn er halbwegs frei ist von all dem Schmutz und den Verboten –, da geht es nicht um Macht. Sondern um das genaue Gegenteil.

Was, könnt ihr nicht glauben? Keine Bange, konnte ich früher auch nicht. Kommt noch. Also hoffentlich.

Gib dem Baby einen Namen

Das Unsichtbare sichtbar machen.

Am Anfang war das Wort. Und das Wort war … Es gab keins!

Wenn ich mich bei meinen Freundinnen so umhöre, dann gibt es in unserer Alltagssprache keinen einzigen Begriff, den auch nur eine von ihnen gern für ihr Genital verwenden würde. »Ähm, öh, hm, warte …«, machen die, bevor sie mir erzählen, was sie schon alles durchgenommen haben. Genau wie sie habe ich Begrifflichkeiten wie Latex-Fummel, Dirndl, Pluderhosen anprobiert, um zu sehen, was zu mir passt. Mit immer den gleichen Ergebnissen: zu abwertend, zu pornös, zu kindlich, zu abwegig. Dabei ist es nicht so, dass wir keine Auswahl hätten. Was können wir nicht alles sagen zu dem, was wir zwischen den Beinen haben. Zum Beispiel …

… Muschi

Kommt ursprünglich vom Kosewort für »Katze«, denn, wer will es leugnen, unser Genital ist mindestens genau so niedlich, zart und weich wie ein kleines Mini-Mini-Kätzchen (Miau!). Einen Extra-Niedlichkeitspunkt gibt es wegen des »i«s am Ende. Okay, und jetzt alle: Wer will da schon an kleine Mädchen denken?

… Pussy

Die englische Muschi ist phonetisch eigentlich auch recht niedlich. Aber dann auch wieder nicht, schließlich war’s der Porno, der sie in unsere Alltagssprache gespri… äh, gebracht hat – sexuelle Schizophrenie in a nutshell.

… Mumu

Kinderausdruck, der an blökende Kühe auf der Weide denken lässt.

… Möse

Schon wieder Katze! Vermutlich jedenfalls. Möse könnte nämlich gut von Mutz kommen, so genau weiß das allerdings keiner. Was man hingegen weiß, ist, dass Möse nicht ganz so sehr nach Kindergarten klingt. Eigentlich überhaupt nicht, wenn man bedenkt, dass sie sich auf »böse« reimt.

… Fotze

Schlimmer kann’s eigentlich nicht kommen. Nee, nicht nur, weil sie sich auf »Kotze« reimt. Über ihre Etymologie (Achtung, Wortspiel!) scheiden sich zwar die Geister, ihr Obszönitäts- und Beleidigungs-Potenzial würde aber niemand ernstlich infrage stellen. Im Bayerischen heißt Fotze übrigens auch Mund, passenderweise, denn Lippen, die haben wir ja auch unten.

… Yoni

Kommt aus dem Sanskrit und wird von vielen Frauen aus dem alternativen Milieu verwendet, nachdem sie es vermutlich auf einem Tantra-Seminar oder dergleichen aufgeschnappt haben. Immer noch zu brav, zu esoterisch, zu Kamasutra.

Und dann gibt es immer noch die gute alte »Vagina«. Zwar klingt sie trotz ihrer schönen Wortmelodie mehr nach medizinischem Untersuchungsbesteck als nach wahrem Leben, ist aber immerhin ein Wort, das man ohne zu erröten in den Mund nehmen kann. In unseren Sprachraum hat es der italienische Anatom und Chirurg Matteo Realdo Colombo im Jahr 1559 gebracht, als er es in seinem anatomischen Werk De Re Anatomica veröffentlichte. Er fand das lateinische Wort für »Scheide« überaus passend, schließlich sei das derjenige Ort, »in den der Spieß eingeführt wird wie in eine Scheide«.

Doch wer nun denkt, damit sei das Problem gelöst, liegt leider falsch. »Vagina« ist mitnichten die richtige Bezeichnung für das weibliche Geschlechtsteil – auch wenn sie nur allzu oft dafür verwendet wird. »Vagina« bezeichnet streng genommen nur einen Schlauch, nämlich die Verbindung zwischen unserem äußeren Geschlechtsteil und der Gebärmutter, ergo den unsichtbaren Teil unseres Geschlechtsorgans. Das Problem dabei: Was wir meist meinen, wenn wir drüber sprechen, ist der sichtbare Teil, also die äußeren und inneren Lippen, die Klitorisperle und der Vaginaleingang. Das alles ist die Vulva. Aber benutzt dieses Wort jemand? Kaum.

Stattdessen verwenden wir kollektiv mit erschreckender Regelmäßigkeit ein Wort, das etwas Unsichtbares meint, um etwas Sichtbares zu verbalisieren. »Damit wird nicht nur der gesamte sichtbare Teil des weiblichen Genitals sprachlich unsichtbar, es hat so auch keine eigenständige Bedeutung mehr, ist nur ein Loch, in das der Mann sein Genital stecken kann, oder, um im Bild zu bleiben: eine Scheide für sein Schwert«, schreibt die Kulturwissenschaftlerin Mithu M. Sanyal in ihrem Buch Vulva. Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts. Das weibliche Geschlecht bleibt also eine Leerstelle, die nur in Beziehung zum Penis existiert.

Sprache ist ein Instrument der Macht und gleichzeitig Spiegel der Machtverhältnisse. Durch Benennung bewerten wir und verleihen Bedeutung. Mit anderen Worten: Etwas, für das es keine präzise Bezeichnung gibt, wird gesellschaftlich kaum Anerkennung erfahren. Und der Mangel an Worten macht es uns schwer, darüber zu reden: Eins von vier fünfzehnjährigen Mädchen hat keinen Begriff auf Lager, mit dem es das weibliche Genital benennen könnte – so machen uns Sprachlosigkeit und die Scham, die sie im Gepäck hat, noch heute die Beziehung zu unserem eigenen Körper schwer.

Auch in unserer Bildsprache ist die Vulva im Gegensatz zum Penis bislang kaum existent. Das fängt schon bei den antiken Statuen an, die uns bei jeder Gelegenheit ihre Nacktheit präsentieren: Die Männer haben einen Penis (zugegeben, er ist winzig, aber immerhin haben sie einen), die Frauen hingegen haben … ein Tuch davor! Als ob die sich alle damals gesagt hätten: Nee, kann man nicht zeigen, ist zu krass.3 Same Story, als die NASA 1972 die Raumsonde Pioneer ins All entsandte. Für den Fall einer Begegnung mit außerirdischen Lebensformen wurde auf eine Metallplakette die Abbildung zweier nackter Menschen eingraviert. Der Mann hatte selbstverständlich einen Penis zwischen den Beinen, die Frau hingegen nichts – nicht mal den Ansatz eines Schlitzes. Und auch wenn wir den heute nicht mehr verleugnen, geht es selbst in den meisten Aufklärungsbüchern nur um die Aushöhlung, in die der Mann sein Ding reinsteckt. Als ob es bei Sex nur um Fortpflanzung ginge und uns der ganze Rest gestohlen bleiben könnte.

Doch langsam, sehr, sehr langsam ändert sich das. Letztes Jahr zum Beispiel war meine Straße plötzlich voller Vulven. Unter der Futterluke des Pizzaladens, neben dem Eingang zum Getränkemarkt, auf Mauern, Litfaßsäulen, Stromkästen – jede Ecke hatte ihr eigenes, lebensgroßes Exemplar bekommen. Irgendwer hatte sie über Nacht mithilfe einer Schablone aufgesprüht. Klar, die wütenden Hausbesitzer*innen machten sich sofort daran, ihre Fassaden mit grimmigem Blick zu übermalen. Doch die kleinen bunten Graffiti hatten es da bereits ins Internet und damit in die Ewigkeit geschafft.