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»Arun Gandhi verfolgt die Mission, das Erbe seines Großvaters weiterzutragen: Frieden, Freiheit, gewaltloser Widerstand gegen das Unrecht dieser Welt.«

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG

 

Der große Pazifist Mahatma Gandhi hat mit Sanftmut die Welt verändert. Arun Gandhi versammelt seine 150 wichtigsten Aphorismen zu Themen wie Frauen, Frieden, Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit, Moral oder Freiheit. Sie haben bis heute nichts an ihrer Brisanz und Aktualität eingebüßt. Begleitet wird der Band von Texten Arun Gandhis, in denen er sich an die Begegnungen mit seinem Großvater erinnert und von den Ereignissen erzählt, durch die Mahatma Gandhi zu seinen zeitlosen Einsichten gelangte. Dabei liegt Arun Gandhi besonders am Herzen, den bedingungslosen Aufruf seines Großvaters zum Frieden in die Welt zu tragen, gerade heute, angesichts der prekären Lage, in der sich unsere Welt befindet.

autor

© Dimitri Koutsomytis

ARUN GANDHI, geboren 1934, ist der fünfte Enkel von Mahatma Gandhi. Dreißig Jahre lang arbeitete er als Journalist für die ›Times of India‹ und schrieb zudem für die ›Washington Post‹. Arun Gandhi ist Präsident des ›Gandhi Worldwide Education Institute‹ und hält regelmäßig Vorträge. Zuletzt erschien bei DuMont ›Wut ist ein Geschenk. Das Vermächtnis meines Großvaters Mahatma Gandhi‹. Er lebt in Rochester, New York.

 

ALISSA WALSER ist Schriftstellerin, bildende Künstlerin und Übersetzerin. Sie übertrug u. a. Texte von Sylvia Plath, Anne Carson, Paula Fox sowie die Theaterstücke von Joyce Carol Oates und Edward Albee ins Deutsche.

ARUN GANDHI

Sanftmut kann die Welt erschüttern

150 inspirierende Weisheiten
von Mahatma Gandhi

Aus dem Englischen
von Alissa Walser

Vorwort des Dalai Lama

 

Es ist mir eine Freude, zu sehen, dass Arun Gandhi, Enkelsohn von Mahatma Gandhi, in seinem Buch Sanftmut kann die Welt erschüttern eine Sammlung von Zitaten seines Großvaters zusammengestellt hat.

Ich hatte zwar keine Gelegenheit, Gandhi ji1 zu begegnen, aber sein Leben und all seine Botschaften haben meine Art zu denken grundlegend beeinflusst. Gandhi ji war ein großartiger Mensch mit einem tiefen Verständnis für die Natur des Menschen. Er scheute keine Mühe, um den positiven Eigenschaften, die im Menschen angelegt sind, zur vollen Entfaltung zu verhelfen; die negativen dagegen versuchte er zu minimieren oder zu bändigen. Meine Anerkennung gilt Arun Gandhi, der sich unermüdlich dafür einsetzt, ein neues Bewusstsein für Gandhi jis Lehren zu schaffen.

Im Mittelpunkt von Mahatma Gandhis Denken stand die Suche nach Wegen aus der Krise, mit der die Welt konfrontiert ist. Er engagierte sich für Ahimsa, die Gewaltlosigkeit, sowie für Frieden. Ahimsa und Karuna (Mitgefühl) sind die Kostbarkeiten Indiens. Ich glaube, dass wir in der heutigen Welt ebenso von den altindischen Weisheiten profitieren können wie die Menschen zu Gandhi jis Zeiten. Die Prinzipien der Gewaltlosigkeit, sowohl in persönlichen Zusammenhängen wie in globalen, sind für uns heute sogar noch unverzichtbarer geworden.

Als Anhänger von Gandhi ji verstehe ich es als meine Aufgabe, mich durch meine Aktivitäten der Verbreitung seiner Botschaften zu widmen. Mein Gefühl sagt mir, dass Arun Gandhis Buch bei vielen Lesern, sowohl in Indien als auch im Ausland, einen langen Nachhall erzeugen wird.

 

Signatur

Seine Heiligkeit der Dalai Lama am 15. Juli 2019

 

1  ›ji‹ ist ein geschlechtsneutraler Ehrentitel, der als Namenszusatz in vielen Sprachen des indischen Subkontinents gebräuchlich ist, zum Beispiel in Hindi. Gewöhnlich wird er verwendet, um einer Person Respekt zu zollen. (A.d.Ü.)

Swaraj
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Warum uns das Vermächtnis meines Großvaters heute Orientierung geben kann

Als ich Beirut, die Hauptstadt des Libanons, besuchte, wurde ich von drei jungen Palästinensern durch das Labyrinth des ältesten Flüchtlingslagers begleitet.

Alle drei waren in verwahrlosten Flüchtlingslagern zur Welt gekommen. Sie absolvierten ihre Ausbildung im Libanon, erhielten aber keine Erlaubnis, dort zu arbeiten. Alle drei leisten mit großem Einsatz soziale Arbeit im Lager, um den Menschen, die in den Händen von skrupellosen Politikern zu reinen Schachfiguren und von der Weltöffentlichkeit größtenteils vergessen geworden sind, ein wenig Erleichterung zu verschaffen.

Nachdem ich zwei Stunden lang ihre herzzerreißenden Geschichten gehört hatte, erlebt hatte, wie hier die Menschlichkeit mit Füßen getreten wurde, stellte ich ihnen die Frage: »Was hofft und erwartet ihr?«

Da kam es unisono wie aus der Pistole geschossen: »Wir warten auf einen wie Gandhi, der uns in die Freiheit führt.«

Einerseits ist es schmeichelhaft, dass mein Großvater 150 Jahre nach seiner Geburt und 71 Jahre nach seinem Tod von Menschen rund um den Globus immer noch hoch geschätzt wird, andererseits zeugt es, nüchtern betrachtet, von unserer tiefen Hoffnungslosigkeit und Ratlosigkeit, wenn wir darauf warten, dass ein anderer die Probleme der Welt für uns löst.

Wie überrascht waren sie, als ich ihnen erzählte, dass Gandhi nicht als Mahatma (große Seele) geboren wurde, sondern dass er erst durch die unmenschlichen Zustände, die ihn umgaben, zum Mahatma wurde. Dass er sich unermüdlich dafür einsetzte, Gerechtigkeit zu schaffen, mit Liebe, Respekt, Verständnis und Mitgefühl. Ich beteuerte, dass auch sie das Potential besäßen, ein Mahatma zu werden, so ein Mensch wie der, auf den sie warteten. Doch leicht ist das nicht. Dazu müssten sie den Mut haben zu sterben, ohne jedoch zu töten; sie müssten in eine hasserfüllte Welt Liebe bringen; und sie dürften sich nicht dazu hinreißen lassen, Gewalt mit Gewalt zu begegnen.

Diese Eigenschaften haben Mohandas Karamchand Gandhi zu einem Mahatma gemacht. Er wurde der General einer gewaltlosen Armee. Er hatte das Sagen und bestimmte, wo, wann und warum eingegriffen werden sollte. Er überlistete die Kräfte der Gewalt und überwältigte sie mit Liebe.

Nicht nur mittellose, ausgebeutete, leidende Menschen verfallen in ihrer Verzweiflung der Vorstellung, Gandhi sei von Gott gesandt worden, um die Welt vor dem Untergang zu bewahren. Auch Philosophen und hochkarätige Akademiker glauben an einen makellosen Gandhi, der als Heiliger zur Welt kam.

Gandhi hat viel Zeit damit zugebracht, diese These zu widerlegen. Er wiederholte immer und immer wieder, dass er, wie jeder normale Mensch, Fehler mache und Schwächen und Makel besitze. Warum? Weil wir uns durch die Überhöhung seiner Person der eigenen Verantwortung entziehen können. Indem wir ihn zum Übermenschen machen, versäumen wir das Wichtigste: ihn uns zum Vorbild zu nehmen.

Deshalb ist es wichtig, dass wir an Gandhis 150. Geburtstag innehalten, auf sein Leben blicken und nach seiner Motivation fragen. Warum schlug er einen Weg ein, den sonst keiner ging? Und vor allem, wie und warum traf er die Entscheidung, dem Hass mit Liebe zu begegnen?

Gandhi war ein bescheidener Anwalt. Das Sprechen vor Gericht fiel ihm nicht leicht. Zuhause und im Freundeskreis wurde darüber gewitzelt, weil von ihm erwartet wurde, im Beruf erfolgreich zu sein. Schließlich hatte er die ganze Familie zu unterhalten und darüber hinaus die enorme Summe zurückzuzahlen, die er für das Studium in England ausgegeben hatte. Er meinte, er könne nicht genügen, und hatte starke Schuldgefühle; andererseits besaß er ein stark ausgeprägtes Ego. Er verstand sich als »brauner Engländer«.

Zu dieser Zeit wurde er nach Südafrika eingeladen. Er nahm aus schierer Verzweiflung an. Man hatte ihn nicht einmal als Anwalt angefragt. Er sollte einfach nur zwischen einem weißen, Englisch sprechenden Anwalt und einem indischen Klienten vermitteln. Wie schlimm seine finanzielle Lage war, lässt sich daran ablesen, dass Gandhi eine Stelle als Übersetzer in einem fremden Land annahm, obwohl er ein in England ausgebildeter, beim obersten Gericht zugelassener Anwalt war. Sein Ansehen war ihm damals noch wichtig. Stets war er makellos gekleidet, und die englische Etikette gehörte zu seinem Leben. Unterbewusst glaubte Gandhi fest daran, dass die Weißen die Nicht-Weißen hassten, weil sie ihre Gewohnheiten als unangenehm empfanden. Als er aus England zurückkam, versuchte er, seine indische Heimat zu revolutionieren. Er wollte zum Beispiel nicht, dass die Frauen beim Kochen auf dem Boden hockten. Er ließ auch eine Vorrichtung bauen, eine Art Tisch mit Stühlen, auf denen die Familie, wie eine weiße Familie, beim Essen sitzen sollte. Er versuchte den Kindern beizubringen, Gabel und Messer zu benutzen, sie sollten nicht mehr mit den Händen essen. Die Kinder mussten fortan selbst in der Gluthitze des Sommers Schuhe und Strümpfe tragen, anstatt barfuß zu gehen. Eines Tages mussten seine beiden älteren Brüder Gandhi mitteilen, dass diese vielen Veränderungen die Familie eine Menge Geld kosteten und dass er doch erwägen möge, in die Welt hinauszuziehen und es zu verdienen.

Seine Vorliebe für die Kultur des Westens brachte ihn auch mit den unangenehmen Aspekten westlicher Gesinnungen in Berührung, wie zum Beispiel der Rassendiskriminierung. Als er in Südafrika angekommen war, hörte er, wie die Weißen und viele der indischen Kaufleute die eingeborenen Afrikaner abfällig als Kafirs bezeichneten. Und es schlich sich auch in Gandhis Vokabular. Man könnte sagen, er war von dem Wunsch, von den Weißen als gleichgestellt akzeptiert zu werden, so sehr geblendet, dass er zeitweise nicht mehr in der Lage war, zu entscheiden, was richtig war und was falsch. Er war eben ein Mensch mit allen menschlichen Schwächen und Fehlern.

Ich habe immer bewundert, dass er nie versucht hat, seine Unzulänglichkeiten zu verbergen. Wenn er sagte, »mein Leben ist ein offenes Buch«, dann meinte er es auch so. In seiner Autobiographie mit dem treffenden Titel Die Geschichte meiner Experimente mit der Wahrheit offenbart er all seine Fehler und Irrungen freimütig – man findet darin das Gute ebenso wie das Schlechte und Hässliche.

Im Jahre 1906 bekam seine westliche Rüstung erste Risse. Damals wehrten sich die Zulus gegen ungerechte Besteuerungen durch die Engländer, und es begann der Zulu-Aufstand. Gandhi führte ein Sanitätskorps aufseiten der Briten an, das aus indischstämmigen Männern bestand. Etwas früher, im Burenkrieg, galt seine Loyalität noch eindeutig den Briten, auch wenn er mit den Buren sympathisiert hatte. Er empfand sich als Teil des britischen Imperiums und glaubte, dass ein Bürger, der bestimmte Rechte genießt, auch Verantwortung in der Verteidigung des Reiches übernehmen müsse. Kämpfen war ihm ein Greuel, und er entschied sich dafür, ein Sanitätskorps auf die Beine zu stellen. Die herausragenden Leistungen der indischen Freiwilligen wurden von den britischen Beamten vielfach ausgezeichnet, und die Zeitungen überzeugten Gandhi davon, dass die Inder nun ihrem Ziel, den Weißen gleichgestellt zu werden, einen Schritt nähergekommen waren.