Cover

Über die Autorin

Anuschka Rees ist freie Autorin. Sie hat Sozialpsychologie an der London School of Economics studiert und lebt in Berlin. Ihr erstes Buch, Das Kleiderschrank-Projekt, war ein Bestseller und wurde in fünf Sprachen übersetzt.

  www.anuschkarees.com

  anuschkarees

Ebenfalls von Anuschka Rees:

Das Kleiderschrank-Projekt. Systematisch zum eigenen Stil und zu bewusstem Modekonsum (DuMont, 2017)

Das Kleiderschrank-Projekt. Praxisbuch: Mit Fragebögen, Wochenplänen und Checklisten (DuMont, 2018)

ANUSCHKA REES

Beyond
Beautiful

Wie wir trotz Schönheitswahn zufrieden
und selbstbewusst leben können

AUS DEM ENGLISCHEN
VON MIA PFAHL

MIT ILLUSTRATIONEN
VON MARINA ESMERALDO

image

Die englische Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel
Beyond Beautiful. A Practical Guide to Being Happy,
Confident, and You in a Looks-Obsessed World

bei Ten Speed Press, Berkeley.

ebook 2019

Inhalt

Einleitung

Teil I: Das Problem verstehen

1. BODY IMAGE – EIN GRUNDKURS

Selbstwert, Selbstvertrauen, Body Image: Was ist der Unterschied?

Fünf Körperbild-Mythen, an die ihr wahrscheinlich glaubt

Der fiese Teufelskreis der Selbstzweifel

Vermeiden oder hinterherjagen: Wie wir auf Body-Image-Stress reagieren

•  Hallo, innere Stimme!

2. DIE MEDIEN

Die Beauty-Bombe

Warum „Ich mache das nur für mich selbst“ kompletter Quatsch ist

Hübsche kleine Dinger

Was hat das alles mit Sex zu tun?

Body Positivity: bahnbrechend, aber auch problematisch

3. UNSER UMFELD

„Oma sagt, ich sei moppelig geworden“ und andere Geister der Vergangenheit

•  Typologie der Body Shamer (und wie man mit ihnen umgeht)

Wie wir über unsere Körper sprechen und warum sich das dringend ändern muss

•  Fünf lebenswichtige Regeln, um über (den eigenen) Körper zu sprechen

Teil II: Eine neue Haltung finden

4. SELBSTWAHRNEHMUNG

Wie schön bin ich auf einer Skala von 1 bis 10?

Was du im Spiegel siehst, ist nicht real

•  So entzerrst du deine Selbstwahrnehmung

Warum du dich auf Fotos nicht leiden kannst

•  Erste Hilfe bei „schlimmen“ Fotos

5. SCHÖNHEITSIDEALE

Sexy Bodys im Wandel der Zeit

Geschrubbt, gezupft, gepudert – das große Beauty-Geschäft

Wer sagt eigentlich, dass Frauen unbehaart sein müssen?

Eurozentrische Schönheitsstandards und ihre Folgen

Ageism und die „Je jünger, desto besser“-Lüge

6. MEHR ALS NUR SCHÖN

Was ist so falsch daran, Selbstbewusstsein aus seinem Aussehen zu ziehen?

•  Das Beyond-Beautiful-Portfolio

•  Deine neue Mitbewohnerin: die positive innere Stimme

Teil III: Die Kontrolle zurückgewinnen

7. ICH KANN HEUTE NICHT, ICH FÜHLE MICH FETT

Du hast also Angst vor dem Urteil anderer Leute?

•  Was würde Serena tun? (Oder: Warum du ein Body-Image-Vorbild brauchst)

•  Die Selbstbewusstseinsleiter: Stell dich Schritt für Schritt deiner Angst

„Ich will das gar nicht erst sehen!" – Wenn du Spiegel und Kameras meidest

8. SOCIAL MEDIA

Warum dein Feed dich deprimiert

Selfies: Empowerment oder Problem?

•  Weg mit dem Insta-Komplex

•  Die „Unfollow“-Liste

9. ERNÄHRUNG & FITNESS

Gesunde Ernährung als Statussymbol

Raus aus dem Diät-Teufelskreis

Mach Schluss mit deiner Waage

Trainieren, um „nackt besser auszusehen“?

10. STIL & KLEIDUNG

Warum ihr anziehen solltet, was euch gefällt, egal, was ihr gerade von eurem Körper haltet

Bitte ignorieren: Mode-Tipps für euren „Körpertyp“

„Altersentsprechend“ – wie bitte?

Das Leben ist zu kurz für unbequeme Klamotten

•  Das Kleiderschrank-Projekt für ein besseres Body Image

11. DIE BEAUTY-ROUTINE

Boykottiert eure Beauty-Routine euer Body Image?

So sieht eine gesunde Einstellung zu Kosmetik und Co. aus

•  Die Beauty-Reset-Challenge

12. KOSMETISCHE EINGRIFFE

Die Normalisierung von Botox, Brust-OPs und Co.: schädlich, hilfreich oder kein Problem?

Mal ehrlich: Würde ein Eingriff dein Selbstbewusstsein verbessern?

Fazit: Weltschmerz und der holprige Weg zu Veränderungen

Über die Autorin

Dank

Literaturverzeichnis

Register

Einleitung

Makellose Promis, durchtrainierte Fitness-Gurus und top gestylte Social-Media-Influencer machen es uns Tag für Tag schwerer, uns wohl in unserer Haut zu fühlen. Nur eine von drei Frauen in Deutschland ist mit ihrem Aussehen zufrieden, jede zweite will abnehmen. Pro Jahr werden hierzulande rund 300.000 kosmetische Eingriffe vorgenommen, damit liegen wir international auf Platz 6 der Länder mit den meisten Schönheits-OPs.

Wie es zu diesen katastrophalen Zahlen kommt, ist kein großes Geheimnis. Von morgens bis abends werden wir mit Bildern und Botschaften bombardiert, die uns vermitteln, wie wir aussehen sollten – mit Fitspiration, Thinspiration, stylischen Fashion-Bloggern, Dessous-Models in Werbekampagnen. Gestählte Körper, hübsche Gesichter und perfekte Outfits werden mit jeder Menge Aufmerksamkeit und Social-Media-Likes belohnt. Angebliche „Makel“ wie Pickel, Fashion Fails oder Hüftspeck werden in den Kommentarspalten und Gossip-Kolumnen runtergemacht.

Zum Glück scheint sich die allgemeine Herangehensweise an das Thema Schönheit langsam zu ändern. Body Positivity steht hoch im Kurs, viele Firmen buchen inzwischen Plus-Size-Models für ihre Kampagnen oder versprechen hoch und heilig, in Zukunft auf Photoshop und Retusche zu verzichten. Das amerikanische Magazin Allure hat das Wort „Anti-Aging“ aus dem Heft verbannt. Barbies gibt es jetzt auch in verschiedenen Körperformen und ohne Oberschenkel-Lücke. Fortschritt!

Beyond Beautiful enthält Gedanken und persönliche Geschichten von über 600 Frauen. Ihr findet sie über das Buch verteilt in Rot abgedruckt.

Trotzdem sind wir natürlich noch weit entfernt von einer Medienlandschaft, die Mädchen und Frauen nicht permanent eintrichtert, dass ihr Wert von ihrem Aussehen abhänge. Bis wir da hinkommen, brauchen wir dringend einen Weg, um mit der Bilderflut von scheinbar perfekten Körpern umzugehen.

Eine Option: Smartphone, Fernseher und Computer wegschmeißen. Oder: Ihr lest dieses Buch.

Ich selbst bin auf das Thema Body Image durch mein erstes Buch, Das Kleiderschrank-Projekt, gestoßen, in dem es um meine Entwicklung vom totalen Shopaholic zur stolzen Besitzerin einer kleinen, aber feinen Garderobe geht. Ich bekam plötzlich viele wunderbare Nachrichten von Leserinnen, die mir schrieben, wie sie mit den Tipps aus dem Buch zurechtgekommen sind. Und weil wir Mode nun mal am Körper tragen und die ganze Materie deswegen eng mit unserem Körperbild verbunden ist, erzählten mir viele Leserinnen auch von ihren Unsicherheiten hinsichtlich ihres Aussehens: dass sie sich nicht schlank, nicht kurvig, nicht hübsch oder jung genug fühlten und wie Instagram, Facebook und Co. alles nur noch schlimmer gemacht hätten.

Je mehr ich mich mit dem Thema Body Image beschäftigte, desto klarer wurde mir, wie massiv unser angeschlagenes Körperbild uns alle beeinträchtigt. Und damit meine ich noch nicht einmal wirklich ernsthafte Probleme wie Essstörungen, Depressionen oder körperdysmorphe Störungen, also krankhaft verschobene Wahrnehmungen des eigenen Körpers. Ich meine all die Dinge, die wir täglich denken oder tun, weil uns beigebracht wurde, dass unser Wert als Frau nun mal von unserem Aussehen abhängt. Zum Beispiel, dass wir

• uns Abende mit Freund*innen von einem Pickel, einem Blähbauch oder ein paar Stoppeln unter den Achseln ruinieren lassen.

• Panik bekommen, sobald jemand eine Kamera rausholt, oder wegen eines schlechten Fotos total verzweifeln.

• uns zu einer täglichen Fitness- und Beauty-Routine zwingen, auch wenn wir viel lieber noch eine Runde powernappen würden.

• unzählige Diäten, Kosmetikprodukte und Workouts ausprobieren, in der Hoffnung, irgendwann doch noch die magische Glücksformel zu finden, die uns endlich rundum zufrieden mit unserem Aussehen werden lässt.

• auf Tage am Strand, Nächte auf der Tanzfläche und den sich eigentlich ganz spaßig anhörenden Cardio-Tanzkurs im Fitnessstudio verzichten, weil wir uns nicht wohl in unserer Haut fühlen.

• überzeugt davon sind, dass unser Erfolg in der Liebe von unserem Erfolg beim Abnehmen abhängt.

• uns beim Sex nicht entspannen können.

• Spiegel vermeiden, um nicht mit dem eigenen Körper konfrontiert zu werden.

• mit Schrecken an den nächsten Geburtstag denken, weil wir davon überzeugt sind: Von da an geht es nur noch bergab.

• ernsthaft glauben, dass unsere Körbchengröße, der Höcker auf unserer Nase oder die Form unseres Pos der Hauptgrund dafür ist, dass wir nicht glücklich sind.

Stellt euch vor, wie viel Zeit, Energie und auch Geld wir sparen würden, wenn wir mit unserem Aussehen zufrieden wären. Und was wir stattdessen alles damit tun könnten!

Dass Body Image ein Problem ist, ist mittlerweile bei den meisten angekommen. Bloggerinnen, Hollywood-Schauspielerinnen, selbst Modemagazine reden und schreiben routiniert über die Absurdität unserer Schönheitsideale. Doch in all diesen Diskussionen fehlt leider etwas – konkrete Lösungsansätze. Klar, es gibt tausend Vorschläge, wie Medien, Modemarken und Filmproduzent*innen die Situation für Frauen verbessern könnten. Und natürlich ist es wichtig, dass die wirklich grundlegenden Probleme an der Wurzel gepackt und behoben werden. Aber heißt das, dass wir bis dahin – bis Marken und Medien sich dazu entschieden haben, keine unrealistischen Schönheitsideale mehr zu verbreiten – nur Däumchen drehen können? Können wir selbst gar nichts an dieser Misere ändern?

„Ich bin intelligent, ich bin Feministin und mir ist völlig klar, dass das gesellschaftliche Schönheitsideal total bescheuert ist. Also warum mache ich mir trotzdem so viele Gedanken um mein Aussehen?“

Mir war klar, dass das nicht stimmen konnte. So viele Frauen haben keine Probleme mit ihrem Körper – trotz sogenannter „Schönheitsfehler“ sind sie glücklich und zufrieden. Und wenn ich eine Sache während meines Psychologiestudiums gelernt habe, dann, dass unsere Gedanken, Gefühle und Meinungen nicht in Stein gemeißelt sind.

Psychotherapie und andere Methoden zur persönlichen Entwicklung basieren schließlich genau darauf: Es ist möglich, unsere Gedanken und auch unsere Gefühle zu ändern. Also ist es auch möglich, selbstbewusster zu werden und den eigenen Körper nicht länger als eine Baustelle anzusehen, an der ständig gearbeitet werden muss.

Wie das funktionieren soll? Tja, das musste ich selbst noch herausfinden. Also habe ich meinem Verlag gesagt, dass ich gern ein praktisches Buch zum Thema Body Image schreiben würde, allerdings noch nicht wisse, was genau drinstehen werde. Ich wusste nur, welche Fragen das Buch beantworten sollte. Zum Beispiel:

• Wie soll ich mich gut mit mir selbst fühlen, wenn unsere Gesellschaft mir das quasi unmöglich macht?

• Wie schaffe ich es, mich nicht mehr total unzureichend, ungesund und uncool zu fühlen, wenn ich durch meinen Instagram-Feed scrolle?

• Kann ich irgendetwas gegen meine Panik vor dem Älterwerden und vor allem dem Älteraussehen machen?

• Wie werde ich selbstbewusst genug, um weniger (oder mehr) Make-up zu tragen, anzuziehen, was ich will, oder mir einfach mal nicht die Beine zu rasieren?

Ich war ziemlich motiviert, all das herauszufinden, denn mit fast dreißig fühlte ich mich noch viel zu oft wie eine unsichere Dreizehnjährige und lehnte sogar berufliche Angebote ab, weil ich mich nicht kameratauglich fühlte. Zum Glück gab mir mein Verlag sein Okay, und so durfte ich ein Jahr lang mit vielen klugen Menschen sprechen – Psycholog*innen, Soziolog*innen, Medienfachleuten, Feminismus-Expert*innen und Life-Coaches. Ich las alles, was mir zum Thema Body Image in die Finger kam, immer auf der Suche nach konkreten Strategien für Leute wie mich (und so ziemlich jede andere Frau, die ich kenne), die das Gefühl haben, ihre Unsicherheiten halten sie davon ab, ihr Leben voll und ganz auszukosten. Spoiler-Alarm: Ich habe tatsächlich viele hilfreiche Techniken gefunden, und zwar solche, die über typische Floskeln wie „Love your body!“ (ja, schön, aber wie …?) hinausgehen.

Das eigene Körperbild zu verbessern hat nichts mit Hexerei, Gehirnwäsche oder Selbstbetrug zu tun. Im Gegenteil – es geht darum, einen klareren, rationaleren Blick auf sich selbst und die Welt zu bekommen.

Es ist auch weder eitel noch oberflächlich, wenn man sich besser im eigenen Körper fühlen möchte. Body Image ist ein wesentlicher Bestandteil der feministischen Diskussion. So sagt zum Beispiel Lexie Kite von der NGO Beauty Redefined: „Wenn wir uns wegen unseres Körpers befangen und minderwertig fühlen, schneiden wir in vielen Bereichen schlechter ab, bei Mathe- und Logiktests oder auch beim Sport. Auch unsere sexuelle Selbstbehauptung leidet darunter, beispielsweise dann, wenn es darum geht, ‚Nein‘ zu sagen oder über Verhütung zu sprechen.“

Studien haben gezeigt, dass Sorgen um ihr Aussehen Mädchen davon abhalten, sich im Unterricht zu melden, und Frauen davon, sich auf Führungspositionen zu bewerben. Negative Gedanken über den eigenen Körper fressen Zeit und Energie und blockieren uns mental. Unser Selbstwertgefühl hat Auswirkungen auf alle Bereiche unseres Lebens. Es geht bei der ganzen Sache also um viel mehr als nur darum, das eigene Spiegelbild so richtig super zu finden.

Unser Body Image beinhaltet nicht nur unsere Gedanken zu unserem „body“, sondern auch die zu allen anderen Aspekten unseres Aussehens. Vor allem aber gehört alles, was wir wegen unseres Aussehens tun oder nicht tun, dazu – zum Beispiel sich hinter Freund*innen zu verstecken, sobald eine Kamera auf uns gerichtet ist, sich in Meetings nicht zu Wort zu melden, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, oder sich wochenlang im Fitnessstudio für die „Strandfigur“ abzurackern.

„Ich denke oft, dass mein Leben besser wäre, wenn ich attraktiver wäre. Besonders im Sommer, wenn ich all die Frauen sehe, die ganz selbstverständlich in Bikinis und kurzen Shorts rumlaufen. Sie scheinen einfach viel mehr Spaß zu haben.“

Um von den Tipps und Techniken in diesem Buch zu profitieren, ist es egal, was genau euch an eurem Aussehen nicht gefällt. Für manche Frauen ist ihr Gewicht oder ihre Figur der Knackpunkt. Andere hätten gerne eine kleinere Nase, weniger Besenreiser, einen schmaleren Brustkorb, einen anderen Hautton, hübschere Füße, geradere Zähne, kleinere Poren, weniger Sommersprossen, mehr Sommersprossen, einen kleineren Hintern, einen größeren Hintern. Aber ganz egal, wie klein oder groß unsere jeweiligen Unsicherheiten sind und wie banal sie auf andere wirken mögen – sie sind nichts, womit wir uns einfach abfinden müssen!

#beyondbeautiful

Für weitere praktische Tipps und persönliche Geschichten rund um das Thema Body Image schaut bei der BB Community auf Instagram vorbei.
@beyondbeautifulbook oder beyondbeautifulbook.com

So arbeitet ihr mit diesem Buch

Dinge logisch zu verstehen bedeutet noch nicht, dass man sie auch verinnerlicht hat. Deswegen ist es wichtig, dass du dieses Buch nicht nur liest, sondern wirklich damit arbeitest. Bei zwei Arten von Übungen in diesem Buch ist deine Mitarbeit gefordert:

Reflexionsfragen

Überspringen verboten! Schreib dir deine Antworten am besten auf. Kauf dir ein hübsches Notizbuch, leg los und sei ehrlich zu dir selbst.

Die Beyond-Beautiful-Toolbox

Eine Sammlung verschiedener Übungen und Techniken, auf die du wann immer nötig zurückgreifen kannst. Deine Freundin postet ein schlimmes Foto von dir? Jemand macht einen dämlichen Kommentar über deine Figur? Du wirst auf eine Party mit tausend Handykameras eingeladen? Kein Problem, du bist vorbereitet.

Ein angeschlagenes Body Image kann man nicht an einem Wochenende aufpolieren, deswegen lass dir ruhig Zeit beim Lesen. Arbeite dich langsam durch die Kapitel, lass all die neuen Perspektiven erst mal sacken und sprich vielleicht auch mit Freundinnen darüber.

Professionelle Hilfe suchen

In manchen Fällen reicht es nicht, sich selbst zu helfen. Ein geringes Selbstwertgefühl kann nämlich auch ein Symptom für schwerwiegendere Probleme sein – eine Essstörung zum Beispiel, Depressionen oder eine körperdysmorphe Störung, welche zu einer verschobenen Selbstwahrnehmung und einer obsessiven Beschäftigung mit vermeintlichen Schönheitsfehlern führt.

Der wichtigste Hinweis darauf, dass jemand unter einer ernsthaften Körperbildstörung leidet, ist laut Roberto Olivardia, Psychologe und Lehrbeauftragter an der Harvard Medical School, dass diese Person zu extremen Mitteln greift: „Zwanghaft Sport treiben, sein Essverhalten sehr einschränken, Abführmittel schlucken, Anabolika oder Diätpillen einnehmen, bulimische Anfälle – all das sind Anzeichen dafür, dass jemand ernst zu nehmende Probleme mit seinem Körper hat und sich auf gefährliches Terrain begibt.“ Auch wenn keines dieser Symptome auf dich zutrifft: Bitte suche dir Hilfe, wenn du dich von deinen negativen Gedanken erdrückt fühlst oder dich wegen deines Aussehens wertlos oder nicht liebenswert findest!

Ein guter erster Schritt ist es, dich deiner Hausärztin oder deinem Hausarzt anzuvertrauen und dich wenn nötig an eine*n Spezialist*in überweisen zu lassen. Du kannst dich natürlich auch direkt an eine*n Psychotherapeut*in wenden und um ein kostenloses Erstgespräch bitten.

Wenn du akut emotionale Unterstützung benötigst, erhältst du diese rund um die Uhr und kostenfrei unter der Telefonnummer: 0800/111 0 111.

TEIL I

DAS PROBLEM
VERSTEHEN

KAPITEL 1

BODY IMAGE – EIN GRUNDKURS

Mit einem gesunden Körperbild ist es ähnlich wie mit einer guten Work-Life-Balance: Wir wollen es definitiv haben, wissen aber gleichzeitig gar nicht wirklich, was genau damit gemeint ist. Die Tatsache, dass das Thema Body Image zurzeit überall heiß diskutiert wird, macht es nicht einfacher. Denn neben vielen guten Ratschlägen und Tipps machen auch jede Menge widersprüchliche Informationen und falsche Ansätze die Runde.

Ist es besser für mein Selbstwertgefühl, mich für meinen Traumkörper im Fitnessstudio abzukämpfen, oder sollte ich meine Figur genau so akzeptieren, wie sie ist? Sollte ich mir Fett absaugen, Botox spritzen oder die Lippen auffüllen lassen, um mich wohler in meiner Haut zu fühlen, oder macht mich das zum Opfer unseres sexistischen Schönheitswahns? Bin ich eine schlechte Feministin, weil ich gerne größere Brüste hätte? Sollte ich überhaupt so intensiv über meinen Körper nachdenken oder macht das alles nur noch schlimmer?

Fragen über Fragen.

Bevor wir zum praktischen Teil kommen, lasst uns ein für alle Mal klären, was es mit diesem Body Image genau auf sich hat.

Selbstwert, Selbstvertrauen, Body Image: Was ist der Unterschied?

Wenn es um Body Image geht, werden verschiedene Begriffe gerne mal durcheinandergeworfen und vermischt. Deswegen starten wir mit einer kleinen Definitionsrunde.

Selbstwert

Als „Selbstwert“ bezeichnen wir die generelle Meinung, die wir von uns als Person haben. Diese Meinung ist das Ergebnis aller Botschaften, die wir über uns selbst und die sozialen Gruppen, denen wir angehören (Deutsche, Kunststudentin, extrovertierter Charakter usw.), verinnerlicht haben. Menschen mit einem gesunden Selbstwertgefühl wissen, dass sie wie jeder andere auch Fehler haben, sind aber trotzdem davon überzeugt, dass sie es wert sind, geliebt und respektiert zu werden. Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl glauben, dass sie im Vergleich zu anderen prinzipiell schlechter abschneiden. Sie sind sehr kritisch mit sich selbst und konzentrieren sich fast ausschließlich auf ihre Fehler und Schwächen. Gleichzeitig spielen sie positive Erfahrungen, wie zum Beispiel Komplimente oder gute Leistungen, herunter. Bei einigen Menschen ist das geringe Selbstwertgefühl so tief verwurzelt, dass es alle Bereiche ihres Lebens beeinflusst. Bei anderen Menschen gerät das Selbstwertgefühl nur manchmal ins Wanken – zum Beispiel in Stresssituationen.

Selbstvertrauen

Im Gegensatz zum Selbstwert geht es beim Selbstvertrauen nicht darum, wer wir sind, sondern was wir können: unsere Ziele im Job erreichen zum Beispiel, uns in einem Gespräch behaupten oder auch einfach nur eine Zimmerpflanze am Leben halten. Selbstvertrauen – also unser Vertrauen in unsere Fähigkeiten – basiert immer auf Erfahrung: Wir haben Vertrauen in unsere Rechtschreibung, weil wir jahrzehntelange Übung haben. Wir sind uns sicher, dass wir in einer fremden Stadt nicht verloren gehen, weil wir ähnliche Situationen schon öfter gemeistert haben. Sollen wir aber in einer Fremdsprache schreiben, wackelt unser Selbstvertrauen. Und wer noch nie im Ausland war, speichert sich in einer fremden Stadt vielleicht ein paar extra Notfallnummern im Handy, einfach weil er noch keine Selbstvertrauens-Punkte für diese Situation gesammelt hat. Idealerweise entsteht aus all dem Selbstvertrauen in Bezug auf spezifische Situationen ein starkes Grundvertrauen in sich selbst, bei dem man das Gefühl hat, praktisch alles lernen zu können, wenn man sich genug anstrengt. Carol Dweck, Psychologin an der Stanford University, nennt dieses Grundvertrauen „Wachstumsmentalität“.

Body Image

Unser Body Image – oder Körperbild – ist der Teil unseres Selbstwertgefühls, der mit unserem Aussehen zusammenhängt. Genau wie der Rest unseres Selbstwertes basiert unser Body Image auf all den Botschaften, die wir seit unserer Kindheit über unser Aussehen und unseren „Typ“ gesammelt haben. Psychologen glauben, dass unser Body Image durchschnittlich ein Drittel unseres gesamten Selbstwertgefühls ausmacht. Natürlich kann dieser Wert stark schwanken – für einige Menschen spielt ihr Aussehen fast gar keine Rolle, bei anderen ist es die wichtigste Säule ihres Selbstwertgefühls.

„Das heißt … wie ich mich mit meinem Aussehen fühle, hat nichts mit Selbstvertrauen zu tun?“

Ganz genau! Denn obwohl „Selbstvertrauen“ oft in Diskussionen zum Thema Body Image auftaucht, hat unser Verhältnis zu unserem Aussehen mit dem Selbstwert zu tun und nicht mit Selbstvertrauen.

In Deutschland benutzen wir außerdem oft den Begriff „selbstbewusst“, wenn wir ein gesundes Verhältnis zum eigenen Aussehen und ein positives Body Image meinen. Diesen sehr verbreiteten Begriff werde ich im weiteren Verlauf des Buches neben „Selbstwert“ auch verwenden.

Fünf Körperbild-Mythen, an die ihr wahrscheinlich glaubt

Nachdem wir jetzt die Begriffe geklärt haben, lasst uns mit ein paar Mythen und Märchen aufräumen, die sich um das Thema Body Image ranken.

MYTHOS 1  Ein gesundes Body Image zu haben bedeutet, sich schön zu finden

Dieser Irrglaube spiegelt den Schönheitswahn unserer Gesellschaft wider. Wie könnte irgendjemand eine gute Beziehung zu seinem Körper haben, ohne ihn schön zu finden (Achtung: Sarkasmus!)? Wenn ihr ein gesundes Verhältnis zu eurem Körper hättet, würdet ihr doch auch den ganzen Tag lang Nackt-Selfies posten, in winzigen Bikinis rumlaufen und euch rundherum fantastisch fühlen wie all diese super selbstbewussten, sich selbst liebenden Influencer und Popstars, oder nicht?

Nein. Sich für extrem sexy zu halten ist nicht das Nonplusultra eines positiven Body Images. Und um eure Beziehung zu eurem Körper zu verbessern, müsst ihr euch nicht selbst davon überzeugen, dass ihr schön und ästhetisch ansprechend ausseht. Im Gegenteil: Ihr müsst euer wackeliges Selbstwert-Barometer neu eichen und verstehen, dass euer äußeres Erscheinungsbild – egal, ob es gerade den gängigen Schönheitsidealen entspricht oder nicht – nur ein einziger, vergänglicher und auch nicht besonders interessanter Aspekt von euch ist. Euer Wert basiert auf so vielen anderen Dingen.

„ABER ICH WILL MICH DOCH EINFACH NUR SCHÖÖÖÖÖN FÜHLEN!“

Wenn euch jetzt solche Gedanken kommen, fragt euch mal, warum ihr euch eigentlich schön fühlen wollt. Ohne euch persönlich zu kennen, bin ich mir ziemlich sicher, dass euer Ziel nicht die ästhetische Perfektion an sich ist. Ihr wollt euch wertgeschätzt, glücklich und geliebt fühlen – wie jeder andere auch. Und genau wie allen anderen Frauen, die ich kenne, wurde euch einfach euer Leben lang beigebracht, dass äußere Schönheit eure Chancen darauf deutlich erhöht. Natürlich ist es genau diese Überzeugung, die überhaupt erst für unsere Probleme mit unserem Körperbild verantwortlich ist und dazu führt, dass wir uns wertlos, unglücklich und ungeliebt vorkommen.

Ein gesundes Körperbild zu haben bedeutet nicht, nie wieder in den Spiegel zu schauen und ab jetzt nur noch in Kartoffelsäcken herumzulaufen. Es geht nicht darum, für den Rest eures Lebens auf Haarbürste, Make-up, Rasierer oder Sport zu verzichten. Das Ziel ist ganz einfach, den allgemeinen Schönheitsidealen etwas von ihrer Macht über euer Leben und euer Selbstbild zu nehmen. Sobald ihr das geschafft habt, werdet ihr höchstwahrscheinlich auch euer Spiegelbild lieber mögen. Aber das ist dann nur ein netter Nebeneffekt.

MYTHOS 2  Wenn ich selbstbewusster werden will, muss ich mein Aussehen optimieren

Seit Themen wie Body Positivity und Female Empowerment im Mainstream angekommen sind, lehnen wir auch in Deutschland sexistische Werbung, diskriminierende Casting-Entscheidungen und alles andere, was Frauen suggeriert, sie müssten bestimmten Schönheitsidealen entsprechen, kategorisch ab. Die Ironie dabei ist, dass wir gleichzeitig überhaupt kein Problem mit Marken, Magazinen und Influencern haben, die uns ganz offen dazu auffordern, an unserem Aussehen zu arbeiten – solange es dabei um die vermeintliche Stärkung des Selbstbewusstseins geht.

Du fühlst dich unsicher in einem Bikini? Dieses zwölfwöchige Fitnessprogamm wird dir dabei helfen, dich selbst zu akzeptieren! Die Falten auf deiner Stirn ziehen dich runter? Investiere ein Monatsgehalt in diese exklusiven Hautpflegeprodukte und eine Prise Botox! Du magst dein Gesicht nicht? Hier, ich gebe dir ein paar Make-up-Tipps, mit denen es gleich viel besser aussieht! Dir gefällt dein Körper nach der Schwangerschaft nicht? Wenn ein chirurgischer Eingriff dir hilft, dich wieder wohlzufühlen, dann gönn ihn dir!

Theoretisch ergibt das alles sogar Sinn: Wenn wir uns wegen einer Sache unwohl fühlen, dann müssten wir uns wohler fühlen, wenn wir diese Sache ändern, oder? Klar, aber diese „Sache“ ist nicht unser Körper. Wir fühlen uns nicht unsicher oder unglücklich wegen unserer Beine, unseres Gesichts oder unserer Brüste. Wir sind unglücklich wegen der Millionen von Botschaften, die uns eingetrichtert haben, dass unsere Beine, unser Gesicht, unsere Brüste überhaupt irgendeinen Effekt auf unser Glück haben könnten.

Anstatt also „Schönheit“ weiterhin als magische Formel für ein besseres Leben und mehr Selbstbewusstsein zu begreifen, müssen wir verstehen, dass wir bereits alles besitzen, um selbstbewusst zu sein. Anstatt Frauen dazu zu bringen, noch mehr Zeit, Energie und Geld in ihr Aussehen zu stecken, müssen wir ihnen dabei helfen, sich auch in einem Bikini, ungeschminkt oder nach der Schwangerschaft glücklich und wertgeschätzt zu fühlen – egal, wie sehr oder wie wenig sie gerade den gängigen Schönheitsidealen entsprechen. Denn ihr Aussehen ist nicht das Problem – sondern ihre Einstellung!

MYTHOS 3  Mein Body Image zu verbessern heißt zu lernen, meinen Körper zu LIEBEN

„Selbstliebe“ ist eine dieser Floskeln, über die man zwangsläufig stolpert, wenn es um das Thema Body Image geht. Nicht selten enden Diskussionen oder Ratschläge mit einem Satz wie: „Liebe deinen Körper, wie er ist, das ist das Wichtigste.“

Und wenn ihr von euch behaupten könnt, euren Körper zu lieben: Herzlichen Glückwunsch, ihr seid den meisten anderen weit voraus. Für alle anderen ist „Liebe deinen Körper" aber leider ziemlich nutzlos. Wie genau soll das denn funktionieren? Wie schafft man es, vom einen auf