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Liebe oder Arbeit? Karriere oder Familie?

Für Rudi Novotny ist klar: Er möchte sich nicht entscheiden. Er will beides. Er will alles. Humorvoll, klug und immer wieder überraschend erzählt er von Herausforderungen und Glücksmomenten, die sein Leben bereithält, seit er probiert, ein guter Kollege, Partner und Vater zu sein. In der Krabbelgruppe zu sitzen und in der Konferenz. Das Kind zu schaukeln und das Projekt. Und dabei immer ein offenes Ohr zu haben. Auch wenn ihm die Augen zufallen. Geht nicht? Rudi Novotny versucht sich trotzdem an der sagenumwobenen Work-Love-Balance.

Die erfolgreiche ZEIT-Kolumne jetzt als Buch – angereichert mit noch unveröffentlichten Texten.

Autor

© Daniel Hofer

Rudi Novotny absolvierte eine Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München, im Anschluss studierte er International Relations and Politics in Großbritannien. Seinen Master machte er an der Hertie School of Governance in Berlin. Er arbeitete als Redakteur für das Magazin der Frankfurter Rundschau und die Seite Drei der Berliner Zeitung, bevor er im Juni 2014 in das Chancen-Ressort der Zeit wechselte. Dort ist er stellvertretender Ressortleiter. Rudi Novotny lebt mit seiner Familie in Berlin.

Rudi Novotny

WORK-LOVE-BALANCE

In der Rush Hour des Lebens wird es ernst

 

 

Für Jenni

WORK

Warum Frauen arbeiten müssen

Väter sind zu wichtig. Sie können sich nicht um ihre Kinder kümmern. Das war das Erste, was ich über Vereinbarkeit lernte. Von einer Kollegin. Wir saßen in einem Büro der Zeitung, für die wir arbeiteten. Es war mein erster Job, ich war jung, und von Kindern verstand ich nichts. Die Kollegin erklärte mir alles. Dass sie ein Jahr Elternzeit genommen habe. Dass unsere Chefs ihr diese Auszeit übel genommen hätten. Dass sie das schon vorher geahnt habe. »Wer ein Jahr weg ist und als Mutti zurückkommt, hat verloren«, sagte die Kollegin. »Was ist mit deinem Mann?«, fragte ich. »Der kann als Banker nicht länger raus aus seinem Job.« – »Wer sagt das?« – »Er.«

Das Gespräch ist einige Jahre her. Es hat mich nie mehr verlassen. Weil ich es seither immer wieder führe. Mit Bekannten, mit Kolleginnen, mit Freundinnen. Frauen, die studiert haben und emanzipiert sind. Sie erzählen, wie sie versagen, als Mutter, als Mitarbeiterin. Sie machen ihrem Arbeitgeber Vorwürfe und dem Staat und sich selbst. Nur einem nie: ihrem Mann.

Der macht, was er kann. Leider ist das nie viel. Der Rest wird von den Frauen übernommen. Die auch erklären können, wieso es ausgerechnet ihrem Mann unmöglich ist, mehr zu tun. Da gibt es den befristeten Wissenschaftler, den selbstständigen Architekten, den unverzichtbaren Erzieher, den beförderten Geschäftsführer. Ihre Jobs sind zu fest, zu wackelig, zu wichtig – und immer unvereinbar mit Teilzeit oder längerer Kinderbetreuung.

Das war das Zweite, was ich über die Vereinbarkeit lernte. Die Jobs der Mütter sind nie zu wichtig. Mütter können sich immer um die Kinder kümmern. Sagen die Mütter.

Die Beobachtung aus dem Bekanntenkreis gilt für die ganze Republik. Lediglich ein Drittel der deutschen Väter geht in Elternzeit. Neunundsiebzig Prozent davon für höchstens zwei Monate. In fast drei Viertel aller Familien arbeitet der Vater Vollzeit, während die Mutter geringfügig beschäftigt ist, als Teilzeitkraft arbeitet oder gar nicht. Dabei wollen sich sechzig Prozent der Paare mit Kindern unter drei Jahren die Pflichten in Haushalt und Beruf fair teilen. So steht es im Väterreport der Bundesregierung. Dort steht aber auch, dass dieses Vorhaben nur von vierzehn Prozent umgesetzt wird.

Gehen also nur die Männer in diesem Land unverzichtbaren Tätigkeiten nach? Machen Millionen von Frauen Jobs, auf die man – zumindest teilweise – verzichten kann?

Im Jahr 2015 befragte das Allensbach-Institut Paare, die ein junges Kind hatten, nach welchen Kriterien sie Job und Haushalt aufteilen würden. Siebzig Prozent sagten, dass der Wunsch der Mutter, Zeit mit dem Kind zu verbringen, großen Einfluss hatte. Zwei Drittel nannten den Wunsch der Mutter, das Kind in den ersten Jahren zu betreuen. Nur bei sechsunddreißig Prozent spielten die Möglichkeiten der Mutter, ihren Beruf mit der Familie zu vereinbaren, eine große Rolle.

Anders gesagt: Die meisten Mütter verzichten gerne. Und die meisten Männer nehmen diesen Verzicht gerne an.

Natürlich darf jedes Paar selbst entscheiden, wer wann das Kind füttert, wickelt und bespaßt. Alles völlig okay. Wenn es das Paar glücklich macht. Emanzipiert ist das allerdings nicht. Doch die Debatte um Vereinbarkeit in diesem Land beruht auf der Annahme, dass Paare emanzipiert leben wollen. Deshalb wird um Kita-Ausbau und Krippenplätze gestritten, um Kindergeld und Homeoffice. Deshalb werden Streitschriften verfasst, die Geht alles gar nicht heißen oder Die Alles-ist-möglich-Lüge. Deshalb überbieten sich Politiker mit Ideen wie dem Anspruch auf Familienzeit oder gebührenfreien Kitas. Dabei wird gejammert und geklagt. Gerne über die familienfeindliche Wirtschaft. Noch lieber über den Staat, der zu wenig Hilfe bereitstellt. Als ob in den vergangenen Jahren nichts passiert wäre. Als ob es keinen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz gäbe und keine vierzehn Monate Elterngeld und kein Kindergeld und kein Elterngeld Plus und keine Teilzeitregelungen und tausend andere Leistungen, die die Vereinbarkeit erleichtern sollen. Trotzdem heulen die deutschen Eltern, als wären sie ihre eigenen verwöhnten Kinder.

Vielleicht ist es an der Zeit, den Fokus der Vereinbarkeitsdebatte zu verrücken, ein paar Wirklichkeiten anzuerkennen und nach Gründen zu fragen. Warum fügen sich viele Frauen in traditionelle Rollen? Was hält so viele Männer davon ab, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen? Müssen Beziehungen überhaupt emanzipiert sein?

In der Gegend, in der ich aufgewachsen bin, waren Beziehungen emanzipiert. Bis ein Kind geboren wurde. Danach waren sie gefühlt emanzipiert. Der Vater kümmerte sich um das Geld, die Mutter um das Kind, und beide wollten das so. Sagten sie. Auch die Mutter von nebenan, die bis vor Kurzem noch die Juristin von nebenan war: »Es ist ja meine Entscheidung. Niemand zwingt mich.« Ihr Mann, der immer noch der Jurist von nebenan war, stimmte zu: »Wer das Geld verdient, ist letztlich egal. Kommt sowieso alles zusammen.« Meine Eltern nickten und schenkten Kaffee nach. Sie hatten die beiden zum Sonntagsbrunch eingeladen. Samt Baby. Das kurz darauf im Wohnzimmer gewickelt wurde. Von der Mutter.

Ich saß dabei und sagte nichts. Ich dachte daran, was passiert, wenn nicht alles zusammenkommt, wie bei der einzigen Alleinerziehenden, die ich kannte. Wobei ich nur ihren Ruf und ihre Tochter kannte. Der Ruf war schlecht. Die Tochter schön. Vielleicht dachte ich auch nur an die Tochter.

Lydia ging auf unsere Schule, obwohl sie nicht dorthin passte. »Zu viel Schminke«, sagten unsere Eltern. »Zu viele Zigaretten«, sagten unsere Lehrer. »Zu viele Nebenjobs«, sagte Lydia und blickte auf den See, der ruhig vor uns lag, sich vor meinen Augen aber drehte. »Zu viel Bier«, sagte ich. Hinter uns wummerten die Bässe einer Party. Dann verließ mich das Bewusstsein. Lydia blieb. Die ganze Nacht und den ganzen Sommer. Immer, wenn sie nicht kellnern musste. Sie musste oft kellnern. Und wollte selten darüber reden.

Auf der Suche nach Worten fand ich Gemeinsamkeiten, die belanglos waren, und Lösungen, die nichts lösten, und als ich keine Worte mehr hatte, schrieb ich ihr ein Gedicht. »Dein Mund schweigt, Dein Körper erklärt.« – »Süß«, sagte sie. Dann redete ihr Körper. Und das genügt dir?, fragten meine Freunde. Ihr kennt sie nicht, antwortete ich und redete über Ungerechtigkeit, Willensstärke und Potenzial.

Als der Sommer vorbei war, verließ Lydia erst unsere Schule, dann mich. Die Schule für einen Ausbildungsplatz. Mich für Rolf. Der hatte eine Fahrschule und fuhr sie zum Kellnern. »Und das genügt dir?«, fragte ich.

Es genügte ihr nicht. Aber das erfuhr ich erst Jahre später. Auf einer Konferenz, über die ich als Reporter berichtete. Die Konferenz versammelte kluge Wissenschaftler, die über noch klügere Fragen diskutierten. »Das ist zu klug, dafür wird sich keiner unserer Leser interessieren«, sagte der Chefredakteur. »Schreib am besten ein Porträt von so ’nem Nerd. Was schön Menschliches.«

Ich entschied mich für einen Nerd, der als Professor Krankheiten erforschte, vor denen jeder Angst hat. Das erschien mir sehr menschlich. Wir trafen uns zum Gespräch am Rande der Konferenz in einem Café. Der Professor hatte schütteres weißes Haar, unerschütterliches Selbstbewusstsein und seine Frau dabei. Ich erkannte Lydia sofort. Obwohl sie nur dezent geschminkt und ebenso dezent gealtert war. Sie blickte mich an, wurde rot, blickte weg. Wir klammerten uns an unsere Kaffeetassen.

Der Professor erzählte von seinen Erfolgen, den Krankheiten und wie alles zusammenhing. »Solche Forschung ist nur möglich, wenn Ihnen jemand den Rücken freihält«, sagte der Professor. Er lächelte Lydia an. »Ohne meine Frau, die Kind und Haushalt jongliert, wäre ich verloren.« Seine Hand tätschelte ihre. »Aber erzähl am besten selbst. Ich verschwinde kurz.« Er lachte. Und ging in Richtung Toilette.

Wir schauten ihm nach, schauten auf den Tisch, schauten uns an. Dann atmete ich durch und sagte: »Das soll ein menschliches Porträt werden. Du kannst also offen sprechen.« Lydia nickte, überlegte und begann zu reden. Erst stockend, dann schnell. Lydia erzählte alles. Wie sie das Abitur nachholte, weil sie nach dem Einzug bei Rolf weniger arbeiten musste. Wie sie an einer sehr guten Universität in unserer Gegend studierte und an einer noch besseren Uni in Übersee promovierte. Wie Rolf ihrem Leben verloren ging und der Professor darin auftauchte. Wie das ihre Forschung erst inspirierte und dann beendete. Weil sie sich jetzt allein um Kind und Haushalt kümmerte und nicht mehr arbeitete, trotz mehrerer Jobangebote. »Er ist eben unfähig als Vater und Hausmann.« Lydia versuchte zu lächeln. Ich blickte sie an. »Wieso gehst du nicht? Du hast so lange dafür gekämpft, dein altes Leben hinter dir zu lassen, unabhängig zu sein.« Lydia starrte auf den Tisch und sagte leise: »Weil mein Kind dann mein altes Leben hätte. Ohne Vater.«

Der Chefredakteur mochte das Porträt. Es sei wirklich sehr menschlich.

Die erste häufig ignorierte Wirklichkeit der Vereinbarkeitsdebatte ist, dass es schlecht zu den Klagen über Benachteiligung passt, wenn man sagen muss: Das größte Problem für die Vereinbarkeit sind die Frauen selbst.

Das zweitgrößte Problem sind die Männer. Die meisten von ihnen hören »Vereinbarkeit« und denken »Karriereknick«. Laut Väterreport hat fast jeder fünfte Vater aus Angst auf Elternzeit verzichtet. Das fehlende Geld, die beruflichen Nachteile, die dummen Sprüche. Alles Gründe – die sich nicht belegen lassen. Das Wissenschaftszentrum Berlin untersuchte die Karrieren von Männern, die Elternzeit genommen hatten, und fand keinerlei berufliche Nachteile. Egal wie lange die Elternzeit dauerte, egal wie qualifiziert die Männer waren, egal ob sie in der Privatwirtschaft arbeiteten oder im öffentlichen Sektor.

Klar muss man auch verzichten während der Elternzeit. Es tut weh, zu sehen, wie der Kollege die eigenen Lieblingsprojekte umsetzt. Je lauter das Kind, je voller die Windel, desto schmerzhafter fehlen das Lob des Chefs, der Applaus der Kollegen, die Bewunderung der Praktikantin. Aber wie groß sind solche Opfer wirklich? Sie werden erbracht in einer der wohlhabendsten und abgesichertsten Gesellschaften aller Zeiten. Einer Gesellschaft, die diese Opfer finanziell abfedert und anerkennt.

Laut Allensbach-Umfrage sagen achtzig Prozent der Bevölkerung, dass ein guter Vater so viel Zeit wie möglich mit seinem Kind verbringt. Siebzig Prozent finden, dass er seine Partnerin bei ihren beruflichen Plänen unterstützen soll. »Ein solcher Vater folgt dem Leitbild gleichgestellter Partnerschaft und Elternschaft«, stellt das Familienministerium in seinem Väterreport fest.

Genau wie Mütter werden auch Väter heute mit Erwartungen konfrontiert. Niemand will ein schlechter, abwesender Vater sein. Selbst jene, die nie zu Hause sind. Sie erzählen von den Mühen, die sie für ihre Kinder auf sich nehmen. Der Geschäftsführer, der die Gutenachtgeschichte vorliest. Der Unternehmer, der am Wochenende nur den Kindern gehört. Der Manager, der zum Laternenumzug geht. Es ist wie bei den Deutschen und dem Umweltschutz: Wir alle wissen, dass unser Lebensstil niemals nachhaltig sein kann. Trotzdem versichern wir uns gegenseitig dauernd, dass dieses Land Vorreiter in Umweltfragen ist.

Nun sind wir auch Vorreiter bei der Emanzipation. Gefühlt. Und weil die Zahlen nicht stimmen, erfinden wir die »quality time«. Diese besonders intensive Viertelstunde, die die Führungskraft mit den Kindern verbringt. Sie gleicht alles aus. Auch, dass sich bei diesen Männern meist die Partnerin um die Familie kümmert. Zu neunundsiebzig Prozent, um genau zu sein. Egal, ob sie selbst Spitzenmanagerin ist oder Erzieherin. Das ergab eine Befragung der Frankfurt University of Applied Science. Trotzdem finden neunundfünfzig Prozent der Männer, dass die Erziehung der Kinder gleichberechtigt aufgeteilt ist. Dieses Denken betrifft nicht nur Führungskräfte. Als Wissenschaftler der University of California den Alltag von dreißig Familien in deren Wohnungen per Kamera beobachteten, fiel ihnen auf, dass nichts öfter auf den Filmen zu sehen war als Väter, die allein in einem Zimmer herumstanden. Sozialpsychologen sagen, dass Männer sich generell eher berechtigt fühlen, auch mal nichts zu tun.

Es gibt nur eine einzige familienpolitische Maßnahme, die Männern nahebringt, dass all dies nicht sein kann: Frauen, die ihnen erklären, dass auch Männer im Job verzichtbar sind.

Mein Freund Claude glaubte nicht nur daran, dass er auf der Arbeit unverzichtbar war. Er glaubte auch an die Unverzichtbarkeit von Arbeit. »Work ist für mich Life«, sagte er, als wir als Erstsemester nebeneinander in einem Wirtschaftsseminar saßen. Ich im Nebenfach und in der vergeblichen Hoffnung auf Erleuchtung. Claude als BWL-Student und in der berechtigten Hoffnung auf Karriere.

Nach der Universität trennten sich unsere Leben. Unsere Freundschaft blieb. Ich begann für ein Magazin zu schreiben, Claude begann Unternehmen zu beraten. Wenn wir uns trafen, musste ich ihm erklären, was mich an einem schlechtbezahlten Job glücklich machte, und er mir, was ihn an einem langweiligen Job glücklich machte. »Meine Arbeit ist nicht langweilig«, sagte Claude. »Sie hat einen Impact, einen sinnstiftenden Nutzen.« Zuletzt habe er bei einem Kunden die Produktivität verdoppelt, indem er dessen Sitzordnung bei Meetings verändert habe. »Ist das nicht geil?«, rief Claude. »Ich verändere mit ein paar Handgriffen die Sitzordnung und damit das Leben von Menschen.«

Dann veränderte sich sein eigenes Leben.

Claude wurde Vater. Und nahm Elternzeit. Auf Druck seiner Freundin. Die auch Unternehmen beriet. »Work ist für sie Life«, sagte Claude. Er seufzte. »Deshalb sitze ich jetzt drei Monate hier.« Claude deutete auf den Spielplatz vor sich, auf den Sandkasten, in dem sein kleiner Sohn hockte und ein paar andere Kinder. Die Kinder bauten Burgen, die wie Sandhaufen aussahen, buken Kuchen, die wie Sandhaufen aussahen, und schrien, wenn jemand ihre Sandhaufen berührte. Claude schüttelte den Kopf. »Sogar wenn du die Sandhaufen zu Märchenschlössern formst, plärren sie. Weil du sie kaputt gemacht …« – »Wasa!«, rief sein Sohn. Er ließ seine Schaufel fallen, griff nach einem Eimer und wackelte los, quer über den Spielplatz. »Was Wasa?«, sagte ich. Claude erhob sich. »Wasser. Zweitwichtigste Währung hier. Nach Sand.«

Wir liefen dem Sohn hinterher, bis zu einer Pumpe, um die sich ein Dutzend Kinder drängten. Alle waren halb nackt und schmutzig, und alle wollten Wasa. Unbedingt. Die Großen schubsten die Kleinen, die Kleinen schubsten die Kleinsten, die lagen heulend im Dreck. Eltern versuchten die Verteilung betont neutral zu regeln. »Finn, Finger weg.« – »Paula, abwarten.« – »Jonathan, lass doch erst mal das kleine Mädchen.« Claude bahnte seinem Sohn den Weg. Er hielt den Eimer fest, als ein Mädchen daran riss, stoppte eine Gießkanne, die auf die Nase seines Kindes zusteuerte, und füllte Wasser in das Gefäß. Als der Sohn aus dem Kinderpulk herauswackelte, strahlte er uns an. Dann quietschte er. Und kippte das Wasser auf den Weg. Und quietschte wieder. »Aber hier ist doch gar kein Sand!?«, rief ich. Claude zuckte mit den Schultern. »Versuch gar nicht erst, irgendwas zu verstehen. Es gibt keinen Grund.« Er sah mich an. »Das ist der Unterschied zwischen Arbeitswelt und Elternzeit. Mit Kollegen arbeitest du den ganzen Tag an sinnvollen Lösungen. Kindern schaust du den ganzen Tag bei sinnlosen Tätigkeiten zu.«

Nachdem seine Elternzeit vorbei war, kehrte Claude zurück in die Beratungsfirma. Die gerade umstrukturiert wurde. Ich traf Claude einige Monate nicht.

Als ich ihn endlich wiedertraf, sah er aus, als hätten wir uns Jahre nicht gesehen. »Wie läuft’s?«, fragte ich. Es lief nicht gut. In der Chefetage herrschte absolutes Chaos und darunter noch mehr. Claudes Team waren die meisten Projekte entzogen worden. Sie sollten jetzt von einem anderen Team bearbeitet werden, dessen Leiter sich besser mit den neuen Chefs verstand. Allerdings war dieses Team auf Claude und seine Leute angewiesen. »Und wir blockieren jetzt alles.« Claude lachte. »Ich habe meinem Team sogar ein paar Pseudo-Tasks gegeben, damit das Controlling happy ist.« – »Aber das ist doch alles völlig sinnlos!«, rief ich. – Er zuckte mit den Schultern. »So ist die Arbeitswelt.«

Nach der Geburt seines zweiten Kindes ging Claude noch mal in Elternzeit. Drei Monate hatte seine Frau wieder von ihm verlangt. Claude nahm zwölf. Ich besuchte ihn hin und wieder. Meist saß er auf dem Spielplatz. Und schaufelte Sand auf einen Haufen. Ganz ruhig.

Neben dem Glauben an die eigene Unverzichtbarkeit haben Männer noch ein anderes Problem mit der Vereinbarkeit. Das Baby. Und wie man es umsorgt. Väter sagen dann gerne mal: »Ich kann mit so kleinen Kindern einfach nichts anfangen.« Oder: »Seit sie Fußball spielen können, kann ich ihnen was bieten.« Oder: »Bevor die ein Jahr alt sind, ist die Mutterbindung das Wichtigste.« Typisch Mann? Man muss nicht lange suchen, um Frauen zu finden, die diese Meinungen bestärken. Etwa Alina Bronsky, Verfasserin der Streitschrift Die Abschaffung der Mutter. Die Autorin erklärte in einem Interview: »Schwangerschaft, Geburt und Stillen sorgen für eine kontinuierliche Innigkeit, die ein fürsorglicher Vater ergänzen, aber nicht ersetzen kann.« Eine gute These. Nur leider falsch. Das haben Studien von Michael Lamb ergeben, einem der renommiertesten Väterforscher der Welt. Danach können beide Eltern Innigkeit geben und sind auch gleich wichtig.

Nur stillen können Männer nicht. Doch nicht einmal die WHO insistiert auf mehr als ein halbes Jahr Muttermilch. Blieben noch acht Monate Elternzeit für den Vater. Theoretisch. Praktisch läuft die beliebteste Elternzeitvariante so ab: Nach Geburt des Kindes nimmt der Vater einen Monat Vaterzeit, um die Mutter zu unterstützen. Er wickelt das Kind, schaut es verliebt an, und wenn es schreit, stillt die Mutter. Ein Jahr später nimmt er den zweiten Monat, um mit Mutter und Kind Urlaub zu machen. Er spielt mit dem Kind, schaut es verliebt an, und wenn es schreit, tröstet die Mutter. Der Vater bleibt auf der Ersatzbank. Oder wie es ein Freund sagte: »Ich hätte mich sicher gelangweilt, allein zu Hause mit dem Kind.«