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Als er in Berlin auf Wohnungssuche ist, erfährt Jan Brandt, dass das Haus seines Urgroßvaters in seinem ostfriesischen Heimatdorf Ihrhove kurz vor dem Abriss steht. Der Eigentümer, ein Bauunternehmer, sieht keinen Grund, das Alte zu erhalten, wo sich durch etwas Neues der Gewinn um ein Vielfaches steigern lässt. Jan Brandt droht der Verlust der Heimat – und er nimmt den Kampf auf, um den Gulfhof zu retten, das Symbol seiner Herkunft.
 
Die eBook-Ausgabe des Bestellers – erweitert um ein Kapitel in »Ein Haus auf dem Land«.

Jan Brandt, geboren 1974 in Leer (Ostfriesland). Sein Roman ›Gegen die Welt‹ (DuMont 2011) stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und wurde mit dem Nicolas-Born-Debütpreis ausgezeichnet. Bei DuMont erschienen außerdem ›Tod in Turin‹ (2015), ›Stadt ohne Engel‹ (2016) und ›Der magische Adventskalender‹ (2018).

Jan Brandt

EIN HAUS
AUF DEM LAND

Von einem, der zurückkam, um seine alte Heimat zu finden

 

 

 

 

 

 

 

 

In memoriam

 

Hanne Haseborg (1928  2018)

Jürgen Thurau (1936  2018)

Manfred Poppen (1974  2019)

Nina Lenger (1981  2019)

 

 

 

 

Der Eingeborene, völlig unsensibel
gegenüber dem Schönen in seiner natürlichen Umgebung,
ist in der Regel damit beschäftigt, es zu zerstören,
zur Verzweiflung des Touristen, einem sensiblen Wesen
auf der Suche nach Glück.

Michel Houellebecq,
Lanzarote

2013

Dies ist die Geschichte von zwei Häusern und zwei Straßen – und von zwei Brüdern, die in die USA auswanderten, um im Land der unbegrenzten Möglichkeiten das Unmögliche zu erreichen: ihrer Herkunft zu entkommen. Sie zogen nach Newport, Rhode Island, in den »neuen Hafen« der Neuen Welt: eine kleine Stadt an der Atlantikküste, 115 Kilometer südlich von Boston, hügeliges Land, fruchtbarer Boden, mildes Klima, umgeben von weißen Stränden und steilen Klippen mit einem weiten Blick aufs Meer.

Der ältere Bruder blieb nur sechs Jahre, dann kehrte er in die Heimat zurück, nach Ostfriesland. Der jüngere blieb bis an sein Lebensende und war zumindest in Familien- und Gärtnerkreisen noch über seinen Tod hinaus berühmt. Und gefürchtet: Es heißt, er sei ein schwieriger Mensch gewesen, ein Perfektionist, dem man nichts habe recht machen können und der sich mit allen überwarf, weil er stets an seinen hohen Ansprüchen festhielt und ausfällig wurde, sobald man ihn enttäuschte. Der eine trägt meinen Namen – oder, um genau zu sein, ich trage seinen, Jan Brandt, denn er ist mein Urgroßvater; der andere war Arend, the Madman.

Es ist die Geschichte meiner Familie.

Und eine Reise an den Anbeginn unserer Zeit.

Es war der 26. April 2013, Freitagnachmittag, 18 Grad und sonnig, als ich auf dem Flughafen Boston Logan International landete, in einen silberfarbenen Chevrolet Cruze stieg und mich auf Spurensuche nach meinen Vorfahren begab. Im Gepäck hatte ich nicht viel mehr als ein paar Fotos und ausgedruckte E-Mails von Lokalhistorikern und ein halbes Dutzend Bücher: Max Frischs gesammelte USA-Texte, Geert Maks kolossalen Reisebericht Amerika, Harry J. Eudenbachs Studie über Hausgärtner in Newport, Thornton Wilders Erzählung Theophilus North und Edith Whartons Roman The Age of Innocence (beide spielen in Newport) sowie den großen US-Roman über Geld, Macht und Liebe: The Great Gatsby von F. Scott Fitzgerald. Insgesamt zweitausend Seiten, die, weil sie alle in mein Smartphone passten, nur 112 Gramm wogen.

Elf Tage nach den Bombenanschlägen war in Boston Normalität eingekehrt. Auf der achtspurigen Interstate 93 stauten sich die Autos, und es dauerte zwei Stunden, bis ich aus der Stadt heraus war. Kaum schwenkte ich aber auf den Fall River Expressway ein, wurde die Fahrt extrem entspannend. Ich glitt mit 110 Stundenkilometern dahin, vorbei an dichten Wäldern, blauen Seen und Buchten voller Boote. Bald überquerte ich die Mount Hope Bridge, die das Festland mit der Insel Rhode Island und die Gegenwart mit der Vergangenheit verband. Und dann war ich da: mitten im Frühling, alles um mich herum blühte in den schönsten Farben. Tulpen- und Kirschbäume, Rosskastanien und Silberahorne.

Meine Vorfahren kamen zur gleichen Jahreszeit an. Als der fast 24-jährige Jan Brandt nach zweiwöchiger Reise am 1. Mai 1869 mit dem Segelschiff Bremen in New York eintraf und von dort aus mit der Eisenbahn, der Stonington Line, nach Newport weiterreiste, dürfte er, was die Pflanzenvielfalt angeht, einen ähnlich starken ersten Eindruck gehabt haben wie ich, womöglich sogar einen noch stärkeren, schließlich stammte er aus einer der ärmsten, kargsten und am dünnsten besiedelten Gegenden Deutschlands, aus Vellage, einem Geestdorf an der Ems, in dem damals in 64 Häusern 249 Menschen lebten: Landarbeiter, Kleinbauern und Handwerker mit ihren Frauen und Kindern. Sein Vater war Schuhmachermeister und der Leiter der Armenverwaltung des Dorfes, der neun Morgen Land als Erbpacht bewirtschaftete und mit seiner Familie zur Miete wohnte. Jan sei, so heißt es in unserer Familie, ein »richtiger Rantanta« gewesen, mit dem man nur schwer habe auskommen können. Eine Schwester brach im Eis ein und ertrank, die andere starb an Keuchhusten. Ein Bruder wurde Müller, einer Malermeister, beide in anderen Orten, der eine in Ihren, der andere in Enschede, keiner hielt es zu Hause aus.

Ich weiß nicht, was ihn forttrieb. Die Sehnsucht nach der großen weiten Welt? Nach Abenteuer, Wohlstand, Freiheit? Wollte er seinem Vater entkommen? Der Armut? Einem möglichen Kriegseinsatz in der preußischen Armee? Es gibt keine persönlichen Aufzeichnungen, keine Briefe, keine Tagebücher – nur Geschichten, mündliche Überlieferungen. In unserer Familie werden außer Fotos keine persönlichen Gegenstände aufbewahrt und an die nachfolgende Generation weitergereicht. Ich weiß nur, dass er Gärtner war und dass Newport zu jener Zeit, während des von Mark Twain so getauften Gilded Age, des »vergoldeten Zeitalters«, ein wahres Paradies für professionelle Pflanzenliebhaber gewesen sein muss.

Nach dem Ende des Bürgerkriegs boomte die Wirtschaft in den USA. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen war bald doppelt so hoch wie in Europa und versprach sozialen Aufstieg für jedermann. Die First Transcontinental Railroad war eben eröffnet worden und erschloss neue Märkte unvorstellbaren Ausmaßes. Europäische Einwanderer strömten ins Land und mit ihnen Hoffnungen und Bedürfnisse. Die, die am meisten am allgemeinen Aufschwung verdienten, die Vanderbilts und Astors und Wideners, errichteten palastartige Sommerhäuser an Newports Küste und ließen ihre Zimmer und Terrassen mit Blumen schmücken, ihre Gärten mit exotischen Bäumen und Büschen.

Kurz nach seiner Ankunft änderte Jan seinen Vornamen in John, wohl weil Jan in den USA ein weiblicher Vorname ist. Er wohnte bei einer sechsköpfigen Farmerfamilie im benachbarten Ort Middletown und arbeitete dort auf der landwirtschaftlich fortschrittlichen Ogden Farm von George E. Waring Jr., einem Entwässerungsingenieur, der den Central Park trockengelegt und Jersey-Rinder in die USA eingeführt hatte, in Rhode Island mehrere Betriebe leitete und später New York mit einem Abwassersystem versorgen sollte. John muss seinen vier Jahre jüngeren Bruder Arend überzeugt haben, auch herüberzukommen, vielleicht hat er ihm sogar die teure Überfahrt bezahlt. Am 30. April 1872 jedenfalls erreichte Arend Brandt New York, und zusammen übernahmen sie von Waring die Gärtnerei Vernon Garden am Livingston Place in Newport.

Mein Urgroßvater zog 1875 jedoch wieder zurück nach Deutschland und heiratete seine Verlobte Thalke. Sein Schwiegervater hatte ihr nicht erlaubt, auszuwandern, und ihm hatte er, falls er wiederkomme, eine großzügige Mitgift, viel Land und einen verkehrstechnisch günstig gelegenen Gemischtwarenladen in Ihrhove in Aussicht gestellt, 18 Kilometer östlich von Vellage, 70 Kilometer von der Nordsee entfernt. Ein ruhiger Ort, umgeben von Wiesen und Feldern, dem von Wallhecken und Schlooten und Tiefs durchzogenen Hammrich. Die dreifache Verlockung war wohl zu groß, um widerstehen zu können. Am 12. Juni 1875 heirateten Jan und Thalke, auf dem Trauschein steht noch seine Adresse in Newport, der Stadt seiner Träume. Er sollte sie nie wiedersehen.

Stattdessen begann er sich mit ganzer Kraft den neuen Projekten zu widmen – dem Aufbau seines Unternehmens und der Gründung einer großen Familie. Thalke und er bekamen zehn Kinder, von denen acht das Erwachsenenalter erreichten. Zwei davon sollten später selbst in die USA auswandern. Sein Laden an der Reichsstraße, der späteren Großwolder Straße, war bald über die Grenzen des Dorfes hinaus bekannt, es gab dort alles: Kolonial-, Eisen-, Porzellan- und Kurzwaren; Salz, Getreide und Viehfutterartikel; Kunstdünger, Kohlen und Baumaterialien; Lebensmittel und Drogeriewaren: Tafelbutter, feinste ostfriesische Teemischungen, Wasmuth’s Fenchel-Honig, Wasmuth’s Victoria-Seife, Erdnusskuchen und Hamburg-Altonaer Malzextrakt. Auf seinen Ländereien, »Brandts Kamp« genannt, baute er Gemüse an und züchtete Blumen, wie er es in Newport gelernt hatte, mit seiner langen Gesteckpfeife durchschritt er die Felder und Beete und begutachtete schmauchend das Wachstum seiner Pflanzen; er hatte ein paar Hühner und Schweine und Kühe im Stall, als Eigenbedarf, und neben dem Haus gab es einen Weg, einen Kleiweg, der später seinen Namen tragen und aus Blaubasaltsteinen bestehen würde – der Brandtsweg.

Jan war zurückgekehrt in seine Heimat. Er baute ein erfolgreiches Unternehmen auf und gründete eine große, aber keine enkelkinderreiche Familie. Er überstand den Ersten Weltkrieg, ohne selbst eingezogen zu werden oder einen seiner beiden Söhne in einer der sinnlosen Schlachten zu verlieren. Und trotz allem dachte er manchmal mit einem Anflug von Sehnsucht und Wehmut darüber nach, wie sein Leben wohl verlaufen wäre, wäre er damals in Amerika geblieben – einfacher oder schwerer, ärmer oder reicher. Er hatte, so schien es ihm jedenfalls im Nachhinein, den leichteren Weg gewählt. In der Gegend, in der er aufgewachsen war, kannte er die Leute und die Gepflogenheiten, er hatte dank seines Schwiegervaters schnell Kontakt zu den einflussreichen Kaufleuten und Landwirten des Dorfes aufnehmen können, seine Kinder und Nichten und Neffen halfen ihm bei der Arbeit im Geschäft und auf dem Hof, und er profitierte davon, dass er in der Fremde gewesen war, drüben, auf der anderen Seite des Atlantiks – er hatte etwas Exotisches, Weltmännisches, und das galt auf dem Land damals als Privileg. Manche Kunden hatten, sobald sie den Laden betraten, das Gefühl, woanders zu sein, nicht nur durch die Produkte in den Regalen, die von überallher stammten. Jan Brandt sprach mit ihnen Plattdeutsch und Hochdeutsch, Niederländisch und Englisch, Letzteres aber nur, wenn sie ihn dazu aufforderten oder er von sich aus von seiner Zeit in Amerika erzählte.

Arend dagegen wollte den Traum von einem anderen, eigenen, von der Familie unabhängigen Leben nicht aufgeben. Er führte die Gärtnerei in Newport noch eine Weile allein weiter, in der Hoffnung, dass sein Bruder zurückkommen würde; noch im Juli des Jahres 1875 wurde John in einer Anzeige als »Manager« genannt. Irgendwann aber erklärte Arend sich selbst zum Geschäftsführer, stellte einige deutsche Auswanderer als Mitarbeiter ein, gründete zusammen mit vier Obergärtnern die örtliche Gartenschaugesellschaft, reiste zur Blumenmesse nach Boston, wurde mit Preisen ausgezeichnet und verdiente ein Vermögen damit, japanische Chrysanthemen für den Geldadel zu züchten und Gemüse für den Export in den aufstrebenden Westen des Landes. Er machte sich einen Namen in Newport. Er verkehrte in den besten Kreisen. Jeder grüßte ihn, wenn er sonntags auf dem Weg zur Kirche mit seiner schwarzen Kutsche durch die Straßen fuhr. Sie hielten ihn für einen ehrenwerten Mann, einen erfolgreichen Unternehmer, einen, der den amerikanischen Traum verwirklicht hatte. Sie schätzten seine Gesellschaft, obwohl man nie so recht wusste, woran man bei ihm war. Seine Verfassung änderte sich wie das Wetter an der Küste: Eben noch war alles hell und klar, er war ausgelassen und lustig, dann fiel ein falsches Wort, und alles verfinsterte sich in ihm. Er war ein guter Erzähler und verfügte über ein außergewöhnlich gutes Gedächtnis – was den Vorteil hatte, dass er sich Namen leicht merken konnte, und den Nachteil, dass er nichts, was jemand einmal zu ihm gesagt hatte, wieder vergaß.

Mit den Angestellten kam es oft zu Streitigkeiten, und irgendwann verließen sie ihn; einer nahm einen Job bei einer anderen Gärtnerei an, einer baute eine eigene Firma auf. Und einem, Henry Hass, der auch aus Ostfriesland stammte, aus Aurich, überließ Arend das Haus und das Land in der Vernon Avenue, weil er inzwischen ein größeres Grundstück an der Van Zandt Avenue erworben hatte, das sich seiner Ansicht nach besser eignete, um darauf Gewächshäuser und ein Wohnhaus zu errichten. Außerdem lag es näher am Stadtzentrum und am Hafen. Zu seinem Blumenladen am Washington Square hätte er, wenn das nicht unschicklich gewesen wäre, laufen können, und das Gemüse, das er für den Versand fertig machte, war jetzt schneller bei den Großhändlern und Transporteuren.

Irgendwann in dieser Zeit traf er Lina Claver wieder. Sie kannten sich, seit sie denken konnten, hatten schon als Kinder zusammen gespielt und waren in Vellage oder Völlen, auf dieser oder jener Seite der Ems, auf die gleiche Dorfschule gegangen, dabei aber, weil sich das damals so gehörte, in getrennten Räumen unterrichtet worden. Sie war ein Jahr älter als er. Sie hatte ihm immer imponiert, weil sie größer und reifer war als die Mädchen seines Alters, weil sie willensstark und selbstbewusst war – ihm ebenbürtig. Vor seiner Abreise hatten sie sich ein paarmal geküsst und im Heu Händchen gehalten. Seine Finger waren, kaum dass sie sich von ihren gelöst hatten, über ihren Körper gewandert. Mehrmals hatte er versucht, ihr Kleid aufzuknöpfen, doch das ließ sie nicht zu. Da wusste sie schon, was er immer bestritten hatte: dass er zu seinem Bruder nach Amerika gehen würde. Und sie wollte nicht schwanger werden, sie wollte nicht, dass er ihr eines Tages vorwerfen würde, ihretwegen und wegen des Kindes in Ostfriesland geblieben zu sein.

Nachdem er ausgewandert war, hielt sie den Kontakt zu ihm aufrecht. Alle paar Wochen kam ein Brief von ihr aus der Heimat, in dem sie ihm von den Veränderungen berichtete, von den Momenten der Freude und des Glücks, von der Armut, den Krankheiten und der Trauer; wer gestorben war und woran, wie die Ernte ausgefallen war, wie es den Eltern und Brüdern ging, was sie mit ihren Freundinnen erlebt hatte, wenn sie den weiten Weg in die Stadt angetreten hatten, um ein Fest zu besuchen. Irgendwann schrieb er ihr, dass er jetzt genug Geld habe, um sie zu heiraten. Dass er hinüberfahren und mit ihren Eltern sprechen und offiziell um ihre Hand anhalten werde. Und das tat er dann auch.

Im Winter 1878/79, das Weihnachts- und Neujahrsgeschäft lag hinter ihm, bestieg Arend ein Schiff Richtung Deutschland, heiratete Lina in Vellage und verbrachte ein paar Tage in Ihrhove bei seinem Bruder. Jan zeigte ihm, zu was er es inzwischen gebracht hatte. Aber in dem Haus, so groß und prächtig es auch war, mochte Arend nicht übernachten. Alle Betten waren belegt, von Flüchtlingen, wie ihm schien, von vor der Obdachlosigkeit geflohenen Verwandten, und er nahm sich ein Zimmer im Hotel am Bahnhof. Jan hatte ihre Mutter, ihre verwitwete Schwägerin und deren fünf Kinder bei sich aufgenommen, nachdem der ältere Bruder, der Müllermeister, im Sturm von der eigenen Mühle, der Bockwindmühle in Ihren, erschlagen worden war. Und es gefiel Arend nicht, dass sich Jan jetzt als ihr Retter aufspielte, bloß weil er ihnen ein Dach über dem Kopf gegeben hatte. In Amerika hatten sie ganz andere Möglichkeiten. Das Land war groß und weit. Überall wurde gebaut. Händeringend wurde nach zuverlässigen Arbeitskräften gesucht. Und er würde für sie alle einstehen, würde für sie bürgen, sie unterbringen, bei sich oder bei anderen. Tagelang redete er auf sie ein, erzählte ihnen von der Neuen Welt, von der Schönheit des Landes, vom Klima, von den Perspektiven, der Zukunft. Es erschien ihnen wie das Paradies. Jan hatte dem nicht viel entgegenzusetzen. Und so gingen sie mit Arend, nicht sofort, nicht alle auf einmal, nach und nach. Kaum waren sie jedoch da, verließen sie ihn wieder, fanden andere, bessere Jobs, mit anderen, besseren Chefs, bei Männern, die ihnen nicht ständig vorhielten, was sie alles für sie getan hätten, was sie ihnen schuldig seien. Sogar Linas jüngerer Bruder Hermann, der ohne Not, nur der Schwester zuliebe, mit herübergekommen war, verließ ihn, machte sich als Gärtner selbstständig, zog in ein Haus um die Ecke, in die Prescott Hall Road.

Lina aber blieb bei Arend, und er blieb bei ihr. Vier Mal war sie schwanger, zwei Kinder starben vor der Geburt, zwei danach. Irgendwann hörten sie auf, es zu versuchen, und steckten ihre ganze Energie ins Geschäft. Sie schnitt die Blumen, pflegte seine neueste Züchtung, eine Hybridrose, die ihren Namen trug, während er zu Blumenmessen reiste, mit Großhändlern verhandelte, auf Empfängen und Partys Kontakte pflegte und ausbaute und seine neueste Schöpfung, die »Lina«, anpries.

Im Frühjahr 1925 hörte er auf. Er hätte noch weitermachen können, trotz seiner 76 Jahre, aber Lina ging es nicht gut, sie fühlte sich alt und schwach und den Aufgaben nicht mehr gewachsen. Ein Jahr später starb sie. Und Arend fuhr noch einmal zurück nach Deutschland, wollte noch einmal seinen Bruder sehen, mit dem er so lange, ein halbes Jahrhundert lang, nicht gesprochen hatte. Er wollte Geschichten erzählen und Geschenke verteilen, seinen Nachruhm regeln und mehren. Der Kirche seines Heimatortes Vellage spendierte er eine neue Glocke, obwohl sie einen neuen Ofen dringender benötigt hätte. Im Winter war es oft so kalt, dass der Gottesdienst nicht länger als eine halbe Stunde dauerte. Aber auf einem Ofen machte sich ein eingravierter Name eben weit weniger gut als auf einer Glocke. Eine Glocke konnte man vorzeigen, eine Glocke konnte man schlagen, eine Glocke hatte, wenn man davon sprach, einen ganz anderen Klang als ein Ofen. Deshalb bekam die Kirche eine neue Glocke.

Jan war auch alt geworden, seine Frau Thalke war ebenfalls vor ihm gestorben, und er hatte keine Kraft mehr, sich mit seinem Bruder zu streiten. Seit einem Schlaganfall war er halbseitig gelähmt, er konnte kaum noch sprechen, und so hörte er Arend die meiste Zeit zu, als der von Waring erzählte, von Vernon Garden, von Henry Hass, von der Van Zandt Avenue, von der Brandt Street und vom Brandtsweg, zwei Straßen, die ihre Namen tragen, 5771 Kilometer Luftlinie voneinander entfernt; davon, dass er, Arend, das Haus verkauft und das Land der Stadt übertragen habe; man müsse den Friedhof erweitern, es werde zu viel gestorben, bald werde er sich dazugesellen, der Grabstein stehe schon, und einen passenden Spruch habe er auch schon ausgesucht.

Einen Teil seines Vermögens vermachte er dem Waisenhaus, der Kirche, der Gartenbaugesellschaft – um einen Blumenschaupreis auszuloben –, dem Miantonomi Memorial Park und dem Krankenhaus. Den Rest, 5950 Dollar, erhielt seine weitverzweigte Verwandtschaft in Amerika und Deutschland, was heute einer Kaufkraft von etwa 300 000 Dollar entsprechen würde. Er war wohlhabend, reich, aber kein Millionär.

Inzwischen ist die Gegend um die Vernon Avenue ein Wohngebiet mit Baseballfeld – und die Straße eine Sackgasse voller Schlaglöcher. Während ich mit meinem Chevrolet Cruze durch Newport cruiste, dachte ich über diesen offensichtlichen Widerspruch nach: Überall standen gigantische Villen mit gestutzten und bewässerten Rasenflächen; in der Thames Street und der Spring Street, den Haupteinkaufsstraßen, flanierten Touristen von einem Antiquitätengeschäft zum nächsten oder deckten sich an Bowen’s Wharf mit Tand ein, Walzahnschnitzereien, »Jewelry with Intention«, »mineral make-up« oder »gourmet chocolates«. Aber die meisten Straßen der Stadt glichen einem Trümmerfeld.

Von meinen Verwandten wusste ich, dass der Zustand der Infrastruktur überall in den USA zu wünschen übrig ließ, dass das ein nationales Problem war. Aber Rhode Island verfügte regelmäßigen Erhebungen zufolge über die schlechtesten Straßen und Brücken, und von allen Bundesstaaten hatte Rhode Island in der Vergangenheit am wenigsten in die Instandhaltung des Verkehrsnetzes investiert – was vor allem am fehlenden Geld lag. In Rhode Island mussten Trucker nämlich jahrzehntelang keine Gebühren für die Nutzung der Brücken zahlen, obwohl längst bekannt war, dass ein Großteil der Straßenschäden durch Lkws verursacht wurde.

Um diese Uhrzeit war in der Innenstadt nicht viel los, nur ein paar Busse kreuzten meinen Weg am Memorial Boulevard. Auf den holprigen Straßen fuhr ich weiter zum Restaurant The Red Parrot, wo ich mit Harry J. Eudenbach zum Mittagessen verabredet war, einem kräftigen, jugendlich wirkenden Fünfzigjährigen in grünem Pullover und grüner Hose. Eudenbach, studierter Botaniker und Landschaftsarchitekt, ist einer von etwa zwanzig Obergärtnern der Stadt. Ich hoffte, von ihm etwas über den beruflichen Hintergrund meiner Vorfahren zu erfahren, weil er gerade ein Buch über das Leben der Hausgärtner hier geschrieben hatte, eine historische Abhandlung, eine auf Dokumenten und Interviews basierende Rekonstruktion der Vergangenheit: Estate Gardeners of Newport – A Horticultural Legacy. »Das ausgehende 19. Jahrhundert«, heißt es darin, »könnte man als die Blütezeit der Gartenpflege in Newport bezeichnen. Zwischen 1870 und 1900 waren mehr als zweihundert Landhäuser im öffentlichen Adressbuch gelistet, die mit Sicherheit alle eigene Gärtner beschäftigten. Aufgrund der um Akquise und Züchtung seltener Pflanzensorten konkurrierenden Anwesen wurde die gärtnerische Kompetenz jedes Einzelnen bis an die Grenze des Machbaren getrieben.« Eudenbachs Ansatz ist dabei durchaus literarisch und meinem nicht unähnlich, geht es ihm doch nicht nur um Genauigkeit, sondern auch darum, bei den Lesern Empathie und Verständnis hervorzurufen. Er hoffe, schreibt Eudenbach im Vorwort, dass sich die Leser durch seine Darstellung der Geschichte in die Lage jener Menschen hineinversetzen könnten, die er in seinem Text porträtiere, und dass sie sich vorstellten, wie es gewesen sei, in einer Zeit zu leben, in der es sehr viel gemächlicher zugegangen sei als heute. Und tatsächlich: Eudenbach hatte mit seinem Buch in meinem Kopf eine untergegangene Welt wieder auferstehen lassen, in der Bäume über die Straßen hinweg zusammenwuchsen, blühende Waldreben ganze Häuser umrankten und zehn Meter hohe Ulmen scheinbar schwerelos von einem Ort zum anderen wanderten; eine Welt, in der Männer an sechs Tagen in der Woche damit beschäftigt waren, die seltensten Samen und Sorten in die Stadt zu holen, Gärten wie Kunstwerke anzulegen, die schönsten Orchideen, Rosen und Geranien zu züchten und ihnen die wundervollsten Namen zu geben: »Fee von Newport«, »Mayflower« oder »Garland«.

Eudenbachs Buch war dafür verantwortlich, dass ich Newport mit anderen Augen sah: Die Pflanzen schmückten nicht nur die herrschaftlichen Häuser, die herrschaftlichen Häuser hatten, dadurch dass sie Rosecliff, The Elms oder Fairlawn hießen, selbst etwas Pflanzliches an sich. Natur und Kultur bildeten hier eine Einheit. Meinen Urgroßonkel zählte Eudenbach zu den Gründervätern dieser Art von Gartenbauphilosophie, und doch nahm Arend innerhalb dieses Zirkels von sonst ausschließlich Obergärtnern eine besondere Stellung ein: als selbstständiger Blumenhändler, der immer dann engagiert wurde, wenn es galt, den großen Partys einen angemessen opulenten floralen Rahmen zu geben.

Als wir uns im Red Parrot über sein Buch unterhielten, das bis in die Gegenwart hineinreicht, und ich ihn wiederholt mit »Mr. Eudenbach« ansprach, sagte er, dass ich ihn »Harry« nennen solle, einfach nur »Harry«, wie alle anderen auch. Harry bestellte ein Steak mit Pommes, ich einen Veggie-Burger, und während des Essens sprachen wir über unsere Familien, unsere Herkunft und über das Recherchieren und Schreiben und fanden erstaunliche Gemeinsamkeiten. Die meisten Leute, die er interviewt habe, seien sehr aufgeschlossen und dankbar gewesen, dass er die Geschichte ihrer Vorfahren und Vorbilder aufgeschrieben und gewürdigt habe, sagte er. Aber manchen habe das Bewusstsein für die eigene Geschichte gefehlt. Als er Material für sein Buch zusammengetragen habe, sei er bei einigen anfangs auf Zurückhaltung gestoßen. Es habe welche gegeben, die sehr vorsichtig gewesen seien, weil sie nicht gewusst hätten, was er von ihnen wollte, warum das, was sie über sich selbst zu sagen hätten, für andere wichtig sei.

»Das kenne ich«, sagte ich. »Das war bei mir genauso.« Ich erzählte ihm von meiner Heimat, meinen Recherchen, meinem Roman. »Einige meinten, ihr Leben sei für andere uninteressant, nicht der Rede wert. Andere hatten Angst, dass alles, was sie sagten, am nächsten Tag in der Zeitung landen würde. Ich habe immer gedacht, das hat mit meiner Heimat zu tun, mit Ostfriesland, mit der Abgeschiedenheit. Aber offenbar ist das ein universales Problem.«

»Meine Vorfahren stammen auch aus Deutschland«, sagte Harry. »Aus dem Rheinland. Aus einem Ort namens Eudenbach bei Köln. Die Eudenbachs aus Eudenbach. Mein Urgroßvater ist in den 1880er-Jahren in die USA eingewandert, nach Philadelphia, und von dort aus mit seiner Familie nach Newport gezogen. Die Deutschen kannten sich alle hier. Das war eine große Gemeinschaft.« Über Arend und John könne er mir leider nicht mehr berichten als das, was in seinem Buch stehe. Obwohl er die Namen der beiden durch seine Recherchen kenne, wisse er fast nichts über sie, noch weniger als ich, nur so viel, dass seine Familie und meine miteinander in Kontakt gestanden haben müssen. Am 30. Juni 1933 hatte sein Großonkel nämlich meinen Urgroßonkel auf dem Friedhof der Insel bestattet.

Und knapp achtzig Jahre später hatte Harry ihn und zweihundert andere Hausgärtner des Gilded Age mit seinem Buch wieder zum Leben erweckt.

Jetzt saßen wir hier, die Nachkommen, und blickten auf diese Ära zurück.

»Zu jener Zeit war die Stadt voll mit wohlhabenden Leuten, die ausschweifende Partys feierten, und dazu gehörten eben auch Blumen als Dekoration«, erklärte Harry. »Das war ein einträgliches Geschäft. Das, was Arend und womöglich viele andere deutsche Auswanderer ausgezeichnet hat, war ihre Sehnsucht nach Selbstständigkeit, nach Unabhängigkeit.«

Ich erzählte ihm, was ich über Arend Brandt herausgefunden hatte, erzählte ihm von den Angestellten und den Entlassungen, von den eingewanderten Verwandten, von denen die meisten kurz nach ihrer Ankunft in Newport das Weite gesucht hatten, von seiner Kinderlosigkeit und vom Tod seiner Frau Lina. »Meine noch lebenden Verwandten hier sagen, er sei verrückt gewesen.«

»Ich schätze, das passiert, wenn man allein ist und sich den ganzen Tag lang nur mit einer Sache beschäftigt.«

»Dann teile ich sein Schicksal.«

Harry zuckte mit den Achseln. »Das musst du selbst herausfinden.« Zum Abschied gab er mir den Rat, beim Brandt’schen Haus vorbeizufahren, 76 Van Zandt Avenue, und an der Tür zu klingeln. Der Mann, der jetzt dort lebe, Joseph Sullivan, habe zwar selbst nie als Gärtner gearbeitet, aber sein Vater sei früher Gärtner gewesen, ein berühmter sogar, »Gladiola Joe«.

Kurz darauf fuhr ich im Slalom um Schlaglöcher und Baustellen herum, alle paar Minuten schlug ein Asphaltbrocken gegen den Unterboden meines Wagens, bis ich, vom Broadway kommend, zum Washington Square gelangte, einem dreieckigen Park, umgeben von Gebäuden, von denen man nicht auf Anhieb sagen konnte, zu welcher Zeit sie errichtet worden waren. Das Haus mit der Nummer 10, in dem Arend ein Blumengeschäft betrieb, gibt es nicht mehr. Heute steht dort die Bank of Newport, ein Kasten aus Backstein und Säulen, der mich sofort an das Diktum des schweizerischen Architekten und Schriftstellers Max Frisch denken ließ: »Wie manchen Amerikaner bedrückt es, daß sein Land keine echten Schlösser hat, keine echte Gotik, keine echte Antike und wie amerikanisch (im bedenklichen Sinn) ist das Heimweh nach Historie, dem wir verdanken, daß amerikanische Bankiers heute noch klassizistische Säulen bauen, daß amerikanische Universitäten (nach dem Zweiten Weltkrieg erbaut) sich in Gotik oder italienische Romantik kostümieren; es ist schauerlich.«

Ich parkte den Wagen an der Bellevue Avenue und beschloss, an den Klippen entlangzugehen und eine dieser schauerlichen, aber imposanten Villen zu besuchen, für die Newport weltberühmt ist. Ich ging am Marble House und am Rosecliff vorbei, beide wurden im Beaux-Arts-Stil erbaut und dienten als Kulissen für die Gatsby-Verfilmung aus dem Jahr 1974. Die Grundstücke waren von Hecken und Zäunen umgeben. Um die Terrasse von der Küste aus sehen zu können, auf der Robert Redford die entscheidenden Sätze sagt: »Die Vergangenheit nicht wiederholen? Aber natürlich kann man das«, musste ich auf eine Parkbank steigen. Und was ich von dort aus sah, war nicht etwa eine Wiederholung, sondern die Konservierung der Vergangenheit. Ähnlich erging es mir in The Breakers, dem größten und fürstlichsten Gebäude an der Küste. Die Neo-Renaissance-Räume, ausgekleidet mit Marmor, Gold und Alabaster, waren menschenleer; vor den meisten Möbelstücken hingen Kordeln als Abgrenzung, und die Billardtische und Kommoden waren mit Plexiglasplatten abgedeckt. An den Wänden hingen in Öl und Staub die einstigen Bewohner.

Während ich die Treppen hinauf- und hinabstieg, begann ich, mich wieder nach lebenden Menschen zu sehnen. Von den Geistern der Geschichte hatte ich genug. Ich ging zum Wagen zurück und fuhr zu Arends Haus in der Van Zandt Avenue, in der Nähe der Brandt Street. Ein weißes Cottage aus dem Jahr 1885, ein Holzhaus mit vielen An- und Umbauten: Das, was einmal eine Veranda gewesen sein mochte, war jetzt ein Vorraum. An der Seite, unterhalb des Erkers, gingen neue Räume ab, ein Keller und eine Garage. Es war ein Gebilde, das sich zur Straße hin einseitig ausgedehnt hatte und dem man, dank der frischen Farbe, das Alter nicht ansah: Alle Bretter waren neu gestrichen, selbst die Tür- und Fensterrahmen, die Dachleisten, die Regenrinnen, die Abflussrohre, alles glänzte gleißend hell im Sonnenlicht, als hätte sich das Gebäude extra für meinen Besuch herausgeputzt.

Ich parkte in der Brandt Street, ging die Van Zandt Avenue entlang, öffnete das Gartentor, stieg die drei Stufen hoch und drückte den Klingelknopf. Ein junger Mann mit Bandana, Muskelshirt und Pumphose öffnete die rote Tür einen Spaltbreit. Ohne mich zu begrüßen, fragte er, was ich wolle. Er hatte kaum Zähne im Mund, und seine Arme waren verschorft. Ich stellte mich vor und erklärte, wer ich sei. Er sagte: »Einen Moment«, schloss die Tür wieder, und ich dachte schon, das war’s. Aber kurz darauf stand ein großer, weißhaariger Mann in einem grünen Pullover vor mir, auf den ein dreiblättriges Kleeblatt gestickt war. »Brandt?«, sagte er. »The Madman?«

»Ja«, sagte ich. »Und Sie müssen Mr. Sullivan sein, der Sohn von Joe Sullivan, dem Gärtner, Gladiola Joe

»Woher wissen Sie das?«

»Von Harry Eudenbach.«

»Den kenne ich.«

»Ich möchte mehr über meinen Urgroßonkel erfahren. Soweit ich weiß, hat er hier gelebt, in diesem Haus, und es später Ihrem Vater verkauft.«

»Dieses Haus war damals ein Schrotthaufen. Wollen Sie es kaufen?«

»Wollen würde ich schon«, sagte ich. »Aber ich habe nicht genug Geld.«

»Meine Frau ist vor Kurzem gestorben.«

»Das tut mir leid.«

»Und jetzt wollen wir verkaufen.«

»Zu welchem Preis?«

»Ich dachte, Sie wollen nicht kaufen.«

»Will ich auch nicht.«

»Warum fragen Sie dann?«

»Aus Interesse.«

»Wie viel würden Sie denn geben?«

»50 000.«

»Zu wenig.«

»100 000.«

»Zu wenig.«

Höher ging ich nicht. Anstatt selbst eine Zahl zu nennen, sagte er: »Damals war das hier nichts wert«, und er bat mich herein, um mir vergilbte Fotos zu zeigen, die das beweisen sollten, Fotos aus den Dreißigerjahren, der Großen Depression, auf denen die Scheiben in den Fenstern fehlen und die Latten im Zaun. Er führte mich ins Wohnzimmer, das Zimmer mit dem Erker. In den Ecken stapelten sich Zeitschriften, Bücher, Schallplatten, CDs. Der Fernseher lief, eine Antiquitäten-Show, und an den Wänden hingen lauter gerahmte Fotos. Er nahm zwei davon ab und reichte sie mir. Sie waren ausgeblichen und voller Flecken an den Rändern. Gelb mit braunen Punkten. Sie sahen aus, als hätte jemand versucht, einen Sandsturm zu fotografieren. Auf dem ersten Bild war die Veranda noch offen, auf dem zweiten schon verglast, aber die meisten Scheiben fehlten. Die Eingangstür war anfangs ganz rechts gewesen, nicht mittig, dort, wo jetzt die Stiege in den ersten Stock hinaufführte. Während auf dem einen die Holzlatten noch vollzählig waren, glich der Zaun auf dem anderen einem kaputten Gebiss. Auf dem einen posierten drei Männer mit Hund, die Gesichter grobkörnig oder verwischt, auf dem anderen posierte niemand. Was die Fotos einte, war ihre Schlichtheit: Die Anbauten fehlten. Die großen Bäume im Hintergrund. Die Anwesen rechts und links, die jetzt das Straßenbild bestimmten. Die Strommasten und Stromleitungen. Das Haus war kaum wiederzuerkennen. Mr. Sullivan sagte etwas, das ich, weil er sich abwandte, nicht verstehen konnte, und als ich ihn bat, es zu wiederholen, fing er an zu husten. Dann sagte er: »Drehen Sie’s um.«

Auf der Rückseite stand eine Notiz: »76 Van Zandt Ave 1930.«

»Wie gesagt: ein Schrotthaufen.«

»Und Sie?«, fragte ich. »Wo kommen Sie her?«

»Aus Newport.«

»Nein, ich meine: Ihre Familie.«

Mit Blick auf die Fotos an den Wänden erzählte Mr. Sullivan von seinen irischen Vorfahren, von seinen Urgroßeltern, den Einwanderern, von seinem Vater Joseph »Joe« Sullivan Sr., genannt Gladiola Joe, der erst Gärtner, dann Polizist gewesen sei, von seiner Frau Elisa, deren Eltern aus Italien stammten, und von seiner Zeit bei der Feuerwehr, seinen Einsätzen in der Stadt, und dabei strich er sich immer wieder über den Bauch, als würde ihm das Kleeblatt die Kraft geben, das Leid, das ihm widerfahren war, zu bewältigen. »Ich habe viel erlebt. Einigen Menschen habe ich das Leben gerettet, und einige habe ich sterben sehen. Vor meinen Augen. Aber jetzt … Seit meine Frau tot ist, komme ich nicht mehr klar.« Wie sich herausstellte, war er 81 Jahre alt. Sein Sohn oder sein Enkel – Mike – stand in der Tür und knetete einen Basketball in den Händen. Erst jetzt sah ich, dass er keine Schuhe anhatte, dass er auf weißen Socken herumlief, auf »Hosocken«, wie wir in Ostfriesland sagen.

»Gibt es sonst noch etwas hier im Haus, irgendwelche Sachen von meiner Familie, Unterlagen, Briefe vielleicht?« Ich hoffte, dass Mr. Sullivan mir das Anwesen zeigen würde, den Garten, die anderen Zimmer, den Keller, den Dachboden, die Nischen mit dem Schmuck oder Schmutz meiner Vorfahren. Stattdessen ließ er sich, erschöpft vom Sprechen, in den Sessel fallen, nahm die Fernbedienung vom Tisch und sagte: »Das ist alles lange weg. Aber die Bäume, die Mr. Brandt gepflanzt hat, die Taschentuchbäume und Zimtahorne, die sind immer noch da. – Und er selbst natürlich auch.« Er wies in den Garten, und von dort fiel mein Blick auf die andere Straßenseite, auf den Friedhof. Und da fiel mir das Foto wieder ein, das Onkel Wolfi gemacht hatte, als er vor Jahren in Newport gewesen war. Ich verabschiedete mich von Mr. Sullivan und Mike und ging hinüber zum Grabstein meines Urgroßonkels. Im Schatten eines riesigen Rhododendrons stand ich da und las die Botschaft, die er mir und allen anderen Nachkommen hinterlassen hatte:

Behold and see as you pass by

As you are now so once was I

As I am now so you shall be

Prepare for death and follow me

At rest.

2016

2017

1Im Jahr 2016 suchte ich in Berlin elf Monate lang nach einer bezahlbaren Mietwohnung. Zwischendurch war ich so verzweifelt, dass ich in Erwägung zog, wieder nach Ostfriesland zurückzuziehen. Vor mehr als zwanzig Jahren war ich von dort in die Welt aufgebrochen – voller jugendlichem Hass auf das Thujaheckeneigenheimkleinbürgerspießertum. Jetzt überlegte ich, mir von meinen Ersparnissen in meinem Heimatdorf Ihrhove ein Haus zu kaufen, um endlich der großstädtischen Immobilienhölle zu entkommen. Da entdeckte ich im Internet, dass das Haus meines Urgroßvaters Jan Brandt an der Großwolder Straße, Ecke Brandtsweg, zum Verkauf stand. Ein Gulfhof, erbaut im Jahr 1863, in dem er bis zu seinem Tod am 14. Juni 1931, zwei Wochen vor seinem 86. Geburtstag, einen Kolonialwarenladen betrieben hatte. Obwohl es umgebaut worden war, sah es immer noch fast genauso aus wie auf den historischen Fotos: zwei Giebel, ein Wohn- und ein Geschäftstrakt in gleicher Firsthöhe und der ehemalige, jetzt um die seitlichen äußeren Koben – die »Utkübben« – verkürzte Stall. Vorder- und Seitengiebelwände zierten horizontal verlaufende Bänder aus versetzt gemauerten Backsteinen. Die Fensterstürze waren bogenförmig eingefasst, und als besondere Schmuckstücke galten die runden, leicht nach vorn gewölbten Sonnenfenster mittig über den Eingängen. Noch immer war zu erkennen, für was das Gebäude einmal gedacht gewesen war: das Dorf und dessen Bewohner mit dem Nötigsten zu versorgen und gleichzeitig die Familie zu ernähren – ein autarkes Gebilde. Bis zur Einweihung der Bundesstraße im Jahr 1960 lag es an der Hauptverkehrsverbindung zwischen dem Emsland und Ostfriesland; jeder, der nach Leer oder Papenburg wollte, die beiden nächstgelegenen Städte, musste an ihm vorbei. Auch wenn es diese zentrale Bedeutung mit der Zeit eingebüßt hatte, spielte es in den Erzählungen unserer Familie stets eine wichtige Rolle. Jedes Mal, wenn wir selbst daran vorbeikamen, erzählte uns unser Vater die ganze Geschichte, ob wir wollten oder nicht. Von der Auswanderung und der Rückkehr, von den Kolonialwaren und Brandts Kamp, vom Verkauf des Hauses durch die Erbengemeinschaft – und jedes Mal mündete alles darin, dass man einen viel zu geringen Preis für die Ländereien erhalten habe, dass man das Familienerbe hergeschenkt habe. »Der Besitz meines Großvaters, das sind dreizehn Bauplätze, da haben wir für den Quadratmeter sieben Mark bekommen. ›Hör even, Keesbrandt‹, see oll Heibült. ›Ik muttn Grundstück van Brandts Kamp hebben.‹ Und wir haben es ihm gegeben.«

Ursprünglich hatte das Haus Johann Heinrich Broermann gehört, einem Händler aus Osnabrück, der in Ihrhove das große Geschäft gewittert und gemacht hatte. Die Rechnung eines Bremer Großhändlers aus dem Jahr 1867 gibt einen Einblick, welche Waren Broermann anbot: Rangoonreis, Tafelreis, Talemo-Lakritzen, bittere Mandeln, Sahne, Pfeffer, Nelken, Maisblüten, Tee und Safran. Broermann hatte eine Witwe namens Tetje Bunger geheiratet, die drei Kinder mit in die neue Ehe brachte, zwei Jungs und ein Mädchen, Poppe Mennen, Hinrich Gerhard und Thalke Rikea. Der ältere Sohn machte sich als Malermeister im Nachbarort Backemoor selbstständig, der jüngere wanderte nach Baltimore, Maryland, aus, und die 24-jährige Tochter half mit im Geschäft, half ihrer Mutter und dem Stiefvater, mit dessen Gesundheit es nicht mehr zum Besten bestellt war. Er suchte nach einem männlichen Erben, nachdem seine Söhne als Nachfolger ausgefallen waren – der eine wollte seinen Beruf nicht aufgeben, der andere nicht aus der Fremde zurückkehren.

Wie der Kontakt zu Jan Brandt zustande kam, ist nicht bekannt. In unserer Familie heißt es, Thalke Rikea und Jan seien schon vor dessen Abreise nach Newport verlobt gewesen. Zwischen den Dörfern Vellage und Ihrhove gab es enge Handelsbeziehungen, gut möglich, dass Jan einmal im Geschäft an der Großwolder Straße aufgetaucht war, dass die Tochter ihm Lakritzen oder Safran verkauft hatte, dass er sich in sie verliebte und sie nicht aus dem Kopf bekam. Über all die Jahre, so heißt es, hätten sie sich Briefe geschrieben. Er habe ihr von dem Paradies an der Ostküste erzählt, von den Blumen, vom Reichtum, vom Meer, und sie bekniet, ebenfalls herüberzukommen. Aber der Stiefvater habe sie nicht ziehen lassen, und so habe er eben zurückkehren müssen, der Liebe wegen. Selbst wenn diese romantische Legende stimmen sollte, dürfte die Mitgift wohl eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben, die Aussicht, in der Heimat ein erfolgreiches Unternehmen fortzuführen – obwohl auf dem Haus und den Ländereien eine Hypothek von 400 Kuranttalern lastete und Thalkes Brüder ausgezahlt werden mussten.

Als Jan und Thalke am 12. Juni 1875 in Ihrhove heirateten, war auf der Urkunde als Wohnort noch »Newport Staat Rode Island« angegeben; Jan war halb hier, halb dort, zwischen den Welten, ein Ostfriese in Amerika, ein Amerikaner in Ostfriesland, einer, der ebenso fließend Englisch wie Plattdeutsch sprach und all denen, die daheimgeblieben waren, wahre Abenteuergeschichten erzählte.

Aber Amerika geriet mehr und mehr in Vergessenheit. Die Gegenwart forderte seine ganze Aufmerksamkeit. Ein Jahr nach seiner Rückkehr wurde die erste Tochter geboren – Aline Annette – und die Eisenbahnstrecke Ihrhove–Neuschanz eröffnet. Damit war das Dorf zu einem Verkehrsknotenpunkt geworden, der Ursache für den weiteren wirtschaftlichen Aufschwung sein sollte. Das Geschäft boomte. Vom Fehn her kamen jetzt die Arbeiter nach Ihrhove, um einen der Züge nach Norden, Süden oder Westen zu besteigen, um morgens in die Betriebe zu fahren und abends wieder nach Hause, und auf dem Weg zurück nahmen sie immer etwas von Brandt mit. Gleichzeitig arbeiteten immer mehr Menschen auf den Feldern ringsum und in Ihrhove selbst, halfen den Landwirten beim Melken und Torfstechen, beim Säen und Ernten. Im Dorf wurden neue Läden eröffnet, neue Siedlungen erschlossen, überall war der durch die Reichsgründung bedingte gesellschaftliche Aufbruch spürbar.

Das Jahr 1877 markierte einen Wendepunkt. Im März kam Jans und Arends älterer Bruder Johann Justus bei einem Unfall ums Leben. Er war Müller gewesen, erst in Papenburg, dann in Ihren, in einer Mühle an der Ihrener Straße, einer Bockwindmühle aus Holz, die sich, da sie auf einem Ständer stand, komplett mit dem Wind drehen konnte, eine doppelte Rotation, nicht nur die Flügel drehten sich, sondern die Mühle selbst auch. Beim ersten schweren Sturm des Jahres traf ihn ein abgebrochener Flügel am Kopf und streckte ihn mit einem Schlag nieder. Jan und Thalke nahmen die Hinterbliebenen bei sich auf, die Schwägerin mit ihren fünf Kindern. Kaum waren sie eingezogen, starb Johann Heinrich Broermann, und genau vier Wochen später gebar Thalke ihren ersten Sohn, meinen Großvater, der, als wäre er die Inkarnation seines Ahnen, nach seinem Großvater mütterlicherseits benannt wurde: Johann Heinrich. Johann Heinrich Brandt. Im Haus wohnten jetzt elf Leute, drei Generationen unter einem Dach. Alle halfen mit, aber alle wussten auch, dass es nicht für alle reichen würde, dass das Haus und das Land nur eine Familie ernähren konnten und nicht zwei.

Im Winter 1878/79 reiste Arend von Newport aus an und versprach den Nachkommen von Johann Justus das gelobte Land: Er bot ihnen Jobs in Amerika an, einen Ausweg aus der Enge Ostfrieslands, aus der Armut, in die sie unverschuldet geraten waren; neue, ungeahnte Möglichkeiten. Und sie nahmen das Angebot an, wanderten nach und nach aus, arbeiteten für Arend als Gärtner, als Näherin, Haushaltshilfe, Zimmermädchen, zerstritten sich mit ihm und zogen weiter, von Rhode Island nach South Carolina und Georgia, und gründeten eigene Familien. Der Nachname Brandt starb aus und lebte doch als Vor- oder Zwischenname fort, als Elinor Brandt Winn, Judy Brandt Watson, Tascharner Brandt Dickerson, Laney Brandt Smith, Brandt Genga, Nana Brandt Culpepper und Brandt Graham Crowe.

In Ihrhove bekamen Thalke und Jan acht weitere Kinder, von denen alle bis auf eines das Erwachsenenalter erreichten; alle wurden zu Hause geboren, alle im gleichen Bett. Mit ihren Angestellten wohnten sie in dem Haus an der Reichsstraße, in dem großen Gulfhof, in dem es kein Badezimmer gab, sondern nur ein Plumpsklo am Ende der Scheune, das durch einen »Kaugang«, einen Kuhgang, zu erreichen war. Jan war jetzt Teil der Gesellschaft, ein bedeutender Mann im Dorf. Manche sahen ihn zwar immer noch etwas schräg an, da sie ihm unterstellten, er denke von sich, etwas Besseres zu sein, weil er es in beiden Welten zu etwas gebracht habe, aber durch seine Frau und seine Kinder, durch sein Engagement in den Vereinen, sein Rednertalent bei Versammlungen, seine Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, erwarb er sich selbst bei seinen Kritikern Anerkennung und Respekt. Ihrhove war immer noch ein Bauerndorf, überall zwischen den grünen Feldern standen die im Sonnenlicht rot leuchtenden Backsteinhöfe oder Landarbeiterhäuser, die Straßen waren Kleiwege, jedes Mal, wenn eine Kutsche über sie hinwegfuhr, wirbelte Sand auf und wehte in die Häuser hinein, und die Frauen fegten ihn mit Strohbesen wieder hinaus. Alle halbe Stunde dampfte eine Lokomotive vorbei, der Qualm war über den Dächern und Baumwipfeln weithin zu sehen, und kaum war er verflogen, zog ein neuer Schweif von Süden oder Norden oder Westen heran.

Jan nutzte seine in Newport erworbenen Fähigkeiten, bestellte die vor und hinter seinem Haus gelegenen Felder auf ganz andere Weise als die anderen Bauern des Dorfes: Er errichtete Gewächshäuser und pflanzte exotische Gemüse an, Zucchini und Kürbis, Mais und Auberginen, und in seinem Kolonialwarenladen verkaufte er Kaffee, Kakao und Sämereien und, wie es in Anzeigen hieß, »Drogen, Weine, Tabake und Zigaretten«, »1a Centrifugen-Tafelbutter« und »feinste ostfriesische Teemischungen« oder »Wasmuth’s Fenchel-Honig – Bestes Mittel gegen Husten, Verschleimung und Keuchhusten bei Kindern und Erwachsenen«, in »Düten« oder Dosen, sowie »Wasmuth’s Victoria-Seife – Beste Toilettenseife verschafft einen schönen weißen Teint« und »prima weiße Erdnusskuchen mit 50,15 % Protein, 9,06 % Fett lt. Analyse zu Mark 8,50 pro 100 Pfund inkl. Sack«. Das Geschäft lief so gut, dass er das Postgebäude am Bahnhof erwarb und nebenan ein Lagerhaus errichten ließ, von dem aus er Salz, Getreide und Futterartikel, Kunstdünger, Kohlen und Baumaterialien vertrieb. Laut einer Rechnung aus dem Jahr 1907 verkaufte er an einen Bauern in der Gegend »2 Sack Guano, 3 Sack Mehl, 2 Sack Kainit«.

Ihm gehörte jetzt ein großer Teil des Dorfes, er war zu einer der einflussreichsten Persönlichkeiten geworden und selbstbewusst genug, sich mit dem Staat anzulegen. Für den Bau der Kleinbahn Ihrhove–Rhauderfehn sollte er 1911 einen Teil seines Grundbesitzes an die Staatsbahn abtreten. Dagegen legte er Protest ein und forderte, dass der Kreisausschuss des Kreises Leer »dem jeweiligen Besitzer bzw. Inhaber/Geschäftsinhaber« gestatte, »bis dahin das Grabenfeld vor dem bestehenden – früheren Posthause – und dem vorgesehenen daran anschließenden Geschäftshause zu bepflastern, einzufrieden und zu bedachen, natürlich mit Wasserabgang und ohne Behinderung des Verkehrs oder Belästigung des Publikums geschäftlich zu benutzen«. Außerdem verlangte er als Entschädigung für die Abtretung zwölftausend Mark sowie die Einfriedung des in seinem Besitz verbleibenden Grundstückes »durch Draht«, die »Wasserabführung durch verdeckte Rohrleitung« und das Wegerecht. »Sämtliche Kosten, die aus diesem Vertrage entstehen, trägt die Bahnbaugesellschaft.« Der Kreisausschuss antwortete, dass er »auf das gefällige Schreiben« zu seinem »Bedauern nicht eingehen« könne, und machte folgenden Vorschlag: »Um Ihren wiederholt geäußerten Wünschen entgegenzukommen, wollen wir von einer Inanspruchnahme Ihres an dem Verbindungsweg vom Bahnhof bis zur Großwolder Landstraße gelegenen Grundstücks absehen. Wir hoffen, dass Sie diesem Entgegenkommen Rechnung tragen hinsichtlich der Abtretung des Dreiecks an Ihrem Geschäftshause. Wir sind bereit, hier pro Quadratmeter 8 Mark zu zahlen, und gestehen Ihnen zu, dass von der Ecke Ihres Geschäftshauses an gerechnet 15 Meter Front an der Landstraße Ihnen verbleibt.« Darin willigte Jan – nach einem weiteren, sich bis ins Jahr 1913 erstreckenden Briefwechsel über die Nutzungsregelung eines Abwassergrabens – schließlich ein.

Das war zu der Zeit, als zwei seiner eigenen Kinder dem Ruf Arend Brandts folgten, nach Amerika auswanderten und eine Karte nach Hause schickten: »Atlantic, 21. 10. 13. New York bald in Sicht. Vielleicht schon heute wieder Land unter den Füßen. Bei Einfahrt in den Ozean Dienstag und Mittwoch etwas Seegang, 6 bis 8 Meter Wellenhöhe. Natürlich war ich seekrank. Von 12