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London in den späten Vierzigerjahren: Hier gilt eine ledige Frau über dreißig schon als alte Jungfer. Mildred Lathbury, eine solche etwas farblose Dame ohne feste Bindungen, ist als Pfarrerstochter aufgewachsen, arbeitet für eine Hilfsorganisation und engagiert sich in der Kirchengemeinde. Alles verläuft in ruhigen Bahnen, bis neue Nachbarn einziehen: eine attraktive Anthropologin und ein charmanter Marineoffizier. Dieses Paar stellt Mildreds Leben auf den Kopf. Nicht nur ist man dem Alkohol zugeneigt, es werden Dinge beim Namen genannt, die eine Lady lieber verschweigt; vor allem aber wird Mildred wiederholt in Ehezwiste hineingezogen. Als sich schließlich noch der Pfarrer in ein neues Gemeindemitglied verliebt und Mildred um Hilfe bittet, wird es ihr zu viel. Mit einem Mal entdeckt die stets selbstlose Mildred ihre eigenen Bedürfnisse und hat am Ende tatsächlich die Wahl zwischen zwei Männern. Legt sie als treusorgende Gattin des Wissenschaftlers fortan Sachverzeichnisse an, entscheidet sie sich für den Pfarrer oder verzichtet sie gar auf beide?

 
autor

Mayotte Magnus © The Barbara Pym Society

Barbara Pym

geboren 1913 in Oswestry, gestorben 1980 in Finstock, studierte Literatur in Oxford und arbeitete als Assistant Editor im African Institute in London. Mit sechzehn Jahren schrieb sie den ersten von insgesamt dreizehn Romanen. ›Quartett im Herbst‹ wurde 1977 für den Booker Prize nominiert. Der Sittenroman ›Vortreffliche Frauen‹, erstmals 1952 erschienen, zählt zu ihren bekanntesten Werken.

Sabine Roth

ist seit 1991 als Übersetzerin tätig. Zu den von ihr übersetzten Autoren gehören Jane Austen, Henry James, Agatha Christie, John Le Carré, V.S. Naipaul, Elisabeth Strout und Lily King.

Barbara Pym

Vortreffliche
Frauen

Roman

Aus dem Englischen
von Sabine Roth

 

Für meine Schwester

1. Kapitel

»Ja, ja, die Damen. Immer zur Stelle, wenn es etwas zu sehen gibt!« Die Stimme gehörte Mr Mallett, einem unserer Kirchenvorsteher, und bei seinem schelmischen Ton fühlte ich mich sofort ertappt, als hätte ich nicht jedes Recht, vor meiner eigenen Haustür zu stehen.

»Zieht jemand ein? Der Möbelwagen lässt es beinahe vermuten«, fuhr er hochtrabend fort. »Sie sind ja sicher im Bilde?«

»Ja, doch«, sagte ich, etwas pikiert über die Unterstellung. »Das geht ja kaum anders.«

Eine unverheiratete Frau Anfang dreißig, die allein und ohne offensichtliche Bindungen lebt, muss ständig damit rechnen, in fremde Angelegenheiten gezogen zu werden, und stammt sie dazu noch aus einem Pfarrhaus, ist der Fall wohl endgültig hoffnungslos.

»Alsdann, tempus fugit, wie der Dichter sagt«, rief Mr Mallett, schon im Davoneilen.

Obwohl ich ihm nicht widersprechen konnte, ließ ich mir doch Zeit, bis die Möbelpacker ein erstes Paar Stühle auf dem Gehsteig abstellten, und als ich die Treppe zu meiner Wohnung hinaufstieg, hörte ich Schritte in den leeren Räumen unter mir: jemand, der auf den nackten Dielen herumging und festlegte, was wo stehen sollte.

Mrs Napier, dachte ich, denn ich hatte einen Brief an eine Person dieses Namens bemerkt, der ihre Ankunft erwartete. Doch jetzt, wo sie leibhaftig da war, befiel mich eine störrische Unlust, ihr zu begegnen, und so eilte ich hinauf in meine Wohnung und fing an, die Küche aufzuräumen.

Ich traf sie das erste Mal bei den Mülltonnen, später am selben Nachmittag. Die Mülltonnen standen im Keller und wurden von allen im Haus genutzt. Im Erdgeschoss waren Büros und darüber die zwei Wohnungen, beide nicht vollständig abgeschlossen und nicht mit allem Komfort ausgestattet. »Ich muss mir das Bad teilen«, hatte ich schon so oft gemurmelt, schamhaft, als hätte man mich ganz persönlich eines eigenen Bades für unwert befunden.

Ich beugte mich tief über die Tonne und kratzte ein paar festgeklebte Teeblätter und Kartoffelschalen aus meinem Eimer. Es war mir peinlich, dass wir uns so kennenlernten. Mein Plan war gewesen, Mrs Napier eines Abends auf eine Tasse Kaffee zu mir zu bitten. Ich hatte es mir als einen gepflegten, kultivierten Anlass gedacht, mit meinen besten Kaffeetassen und Keksen in kleinen Silberschälchen. Und jetzt stand ich hier unrühmlich in meinen ältesten Sachen, beladen mit Abfalleimer und Papierkorb.

Mrs Napier sprach als Erste.

»Sie müssen Miss Lathbury sein«, sagte sie abrupt. »Ich habe Ihren Namen auf dem Klingelschild gesehen.«

»Ja, ich wohne über Ihnen. Ich hoffe, Sie haben das Ärgste bald überstanden. Umzüge sind immer so ein Aufwand, nicht wahr? Es dauert endlos, bis alles an seinem Platz ist. Und irgendetwas ganz Entscheidendes wie eine Teekanne oder eine Bratpfanne kommt immer abhanden …« Die Plattitüden gingen mir leicht von den Lippen; dank meiner Gemeindeerfahrung war ich für die meisten der Standardsituationen wie auch der großen Ereignisse im Leben gerüstet. Geburt, Hochzeit, Tod, der erfolgreiche Wohltätigkeitsbasar, das verregnete Gartenfest … »Mildred ist ihrem Vater eine solche Stütze«, pflegten die Leute nach dem Tod meiner Mutter zu sagen.

»Es wird nett sein, wieder Nachbarn zu haben«, wagte ich mich vor, denn im letzten Kriegsjahr hatten nur meine Freundin Dora Caldicote und ich hier gewohnt, und nachdem Dora vor einem Monat eine Lehrerinnenstelle auf dem Land angetreten hatte, war ich ganz allein im Haus gewesen.

»Oh, ich glaube nicht, dass ich viel da sein werde«, sagte Mrs Napier rasch.

»Nein, nein«, ruderte ich zurück, »ich auch nicht.« Tatsächlich war ich sehr oft daheim, aber ich konnte verstehen, dass sie sich auf nichts einlassen mochte, das zu einer Fessel oder lästigen Pflicht werden konnte. Wir schienen, oberflächlich betrachtet zumindest, nicht die aussichtsreichsten Kandidaten für eine Freundschaft. Sie war blond und hübsch, flott gekleidet in Cordhose und einer bunten Strickjacke, während ich, ohnehin schon farblos und unscheinbar, diesem Eindruck durch meine Kittelschürze und den alten braungrauen Rock noch nachhalf. Wobei ich gleich dazusagen sollte: Ich ähnele in keiner Weise Jane Eyre, die so vielen unscheinbaren Ich-Erzählerinnen Hoffnung gegeben haben muss, und würde mich auch niemals so sehen.

»Mein Mann wird bald aus der Marine entlassen«, sagte Mrs Napier in einem Ton, der fast etwas Warnendes hatte. »Ich richte nur alles schon einmal her.«

»Ach so, ich verstehe.« Ich fragte mich, wie es einen Marineoffizier und seine Frau in diesen schäbigen Londoner Stadtteil verschlagen haben mochte, so eindeutig auf der »falschen« Seite der Victoria Station, so eindeutig nicht Belgravia; ich für meine Person hegte eine sentimentale Zuneigung zu der Gegend, aber Leute vom Schlage einer Mrs Napier gewannen ihr für gewöhnlich nichts ab. »Es ist sicher nach wie vor schwer, eine Wohnung zu finden«, fuhr ich, neugierig geworden, fort. »Ich bin vor zwei Jahren hergezogen, da ging es noch wesentlich leichter.«

»Ja, ich musste furchtbar lang suchen, und es ist eigentlich gar nicht das, was wir wollten. Dieses Gemeinschaftsbad finde ich eine grässliche Sache«, sagte sie unumwunden, »und was wird Rockingham erst dazu sagen?«

Rockingham! Ich schnappte nach dem Namen wie nach einem kostbaren Schmuckstück, das einem aus der Mülltonne entgegenleuchtet. Mr Napier hieß Rockingham! Wie sehr der Träger eines solchen Namens unter einem Gemeinschaftsbad leiden musste! Eilends machte ich mich klein: »Ich brauche morgens nie lange, und am Sonntag stehe ich meistens früh auf, um in die Kirche zu gehen.«

Das quittierte sie mit einem Lächeln und dem Hinweis, dass sie mit der Kirche ja nun nichts anfangen könne.

Schweigend stiegen wir mit unseren Mülleimern und Papierkörben die Treppe hinauf. Die Gelegenheit, »ein Wörtchen« zu sagen, wie es unser Pfarrer uns immer ans Herz legte, kam und ging. Wir hatten ihre Etage erreicht, und sehr zu meiner Überraschung fragte sie, ob ich auf einen Tee hereinkommen wolle.

Ich weiß nicht, ob unverheiratete Frauen wirklich neugieriger sind als verheiratete (ich glaube, man sagt es ihnen nach, weil ihr Leben so leer ist), aber ich hätte Mrs Napier nur ungern gestanden, dass ich mich früher am Nachmittag eigens mit dem Besen an meinem Stück Treppe zu schaffen gemacht hatte, um durch die Geländerstäbe beobachten zu können, wie ihre Möbel heraufgebracht wurden. Mir waren ein paar wertvolle Stücke aufgefallen – ein Nussbaumsekretär, eine reich geschnitzte Eichentruhe und eine Garnitur Chippendale-Stühle –, und als ich ihr ins Wohnzimmer folgte, sah ich, dass sie auch einige interessante Nippsachen besaß, viktorianische Briefbeschwerer und Schneekugeln ganz ähnlich denen, die ich oben bei mir auf dem Kaminsims stehen hatte.

»Die gehören Rockingham«, sagte sie, als ich sie bewunderte. »Er sammelt viktorianische Antiquitäten.«

»Ich brauche sie gar nicht erst zu sammeln«, sagte ich ihr. »Ich komme aus einem Pfarrhaus, das voll war mit solchen Dingen. Es war ziemlich schwierig, zu entscheiden, was ich behalten sollte und was verkaufen.«

»Das war bestimmt so eine große, unpraktische Landpfarre mit Steinfluren und Petroleumlampen und viel zu vielen Räumen«, äußerte sie impulsiv. »Die machen einen manchmal ganz nostalgisch. Aber darin zu wohnen – grauenvoll.«

»Ja, so ein Haus war das«, sagte ich, »aber es war sehr gemütlich. Ich fühle mich hier manchmal recht beengt.«

»Aber Sie haben doch sicher mehr Zimmer als wir?«

»Ja, ich habe noch eine Mansarde, aber die Zimmer sind alle sehr klein.«

»Und dann das Gemeinschaftsbad«, murmelte sie.

»Bei den ersten Christen wurde alles geteilt«, erinnerte ich sie. »Seien wir froh, dass wir unsere eigenen Küchen haben.«

»Großer Gott, ja! Mit mir wollen Sie bestimmt keine Küche teilen. Ich bin furchtbar schlampig«, sagte sie beinahe stolz.

Während sie Tee kochte, vertrieb ich mir die Zeit damit, ihre Bücher zu besehen, die sich auf dem Boden stapelten. Viele davon schienen mir einer unklaren wissenschaftlichen Natur zu sein, und ein ganzer Stoß grün eingebundener Zeitschriften trug den so lapidaren wie unerwarteten Titel MAN. Ich fragte mich, worum es darin wohl ging.

»Es stört Sie hoffentlich nicht, aus einem Becher zu trinken«, sagte sie, als sie mit einem Tablett zurückkam. »Ich sagte ja, ich bin eine Schlamperin.«

»Nein, gar nicht«, sagte ich, wie man eben so sagt, und dachte dabei, dass es Rockingham wahrscheinlich enorm stören würde.

»Wenn wir zusammen sind, übernimmt meistens Rockingham das Kochen«, sagte sie. »Ich bin zu beschäftigt, um viel zu machen.«

Eine Ehefrau konnte doch wohl nicht zu beschäftigt sein, um für ihren Mann zu kochen?, dachte ich verwundert und nahm eine dick geschnittene Scheibe Marmeladenbrot von dem Teller, den sie mir hinhielt. Aber vielleicht fand Rockingham mit seiner Freude an viktorianischen Briefbeschwerern auch Spaß am Kochen, denn ich hatte beobachtet, dass Männer in der Regel wenig taten, das ihnen keinen Spaß machte. »Das hat er wohl bei der Marine gelernt?«, vermutete ich.

»Nein, nein, kochen konnte er schon immer. Bei der Marine hat er eigentlich gar nichts gelernt.« Sie seufzte. »Er war Flaggleutnant bei einem Admiral in Italien und die letzten anderthalb Jahre in einer Luxusvilla mit Blick aufs Mittelmeer stationiert, während ich durch Afrika gezogen bin.«

»Durch Afrika?«, wiederholte ich verblüfft. War sie am Ende Missionarin? Das schien nicht sehr wahrscheinlich, zumal sie ja sagte, dass sie nie in die Kirche gehe.

»Ja, ich bin Anthropologin«, erklärte sie.

»Ach.« Ich war stumm vor Staunen und auch, weil ich nicht recht wusste, was genau man als Anthropologe machte, und mir keine intelligente Erwiderung einfiel.

»Seine anstrengendste Arbeit, soweit ich das beurteilen kann, bestand darin, Scharen von drögen Marinehelferinnen in schlechtsitzenden weißen Uniformen zu charmieren.«

»Oh, aber bestimmt hat er …«, wollte ich schon anheben, ehe ich mich darauf besann, welch verdienstvoller Einsatz dies im Grunde doch war. Geistliche verstanden sich oft darauf; in der Tat trugen so viele ihrer Schäfchen unvorteilhafte, schlechtsitzende Kleider, dass es eine ihrer Hauptaufgaben darstellte. Ich hatte nicht gewusst, dass von Marineoffizieren ähnliche Fertigkeiten verlangt wurden.

»So, jetzt muss ich meine Forschungsnotizen aufarbeiten«, kündigte Mrs Napier an.

»Ja, richtig. Wie interessant …«

»Also dann …« Sie stand auf und stellte ihren Becher auf das Tablett. Die Botschaft war unmissverständlich.

»Danke für den Tee«, sagte ich. »Sie müssen bald einmal heraufkommen, wenn Sie sich ein wenig sortiert haben. Lassen Sie mich wissen, wenn ich Ihnen bei irgendetwas behilflich sein kann.«

»Im Augenblick nicht, danke«, sagte sie, »aber man weiß ja nie.«

Ich dachte mir nichts dabei. Ich rechnete zu dem Zeitpunkt nicht damit, dass es viele andere Berührungspunkte zwischen uns geben würde als eine gelegentliche Begegnung im Treppenhaus und natürlich das gemeinsame Bad.

Ihre Gedanken gingen offenbar in die gleiche Richtung, denn als ich schon halb die Treppe hinauf war, rief sie mir nach: »Ich glaube, ich habe Ihr Klopapier benutzt. Hoffentlich vergesse ich nicht, neues zu kaufen, wenn es aufgebraucht ist.«

»Oh, das ist schon in Ordnung«, rief ich zurück. Ich war peinlich berührt. In den Kreisen, aus denen ich kam, sprach man nicht mit erhobener Stimme über solche Dinge, aber ich hoffte doch auch, dass sie es nicht vergessen würde. Toilettenpapier für drei Menschen – die Verantwortung erschien mir reichlich schwer, um sie ganz alleine zu schultern.

Als ich in mein Wohnzimmer kam, stellte ich überrascht fest, dass es fast sechs Uhr war. Wir mussten uns über eine Stunde unterhalten haben. Ich entschied, dass ich Mrs Napier nicht sonderlich mochte, und tadelte mich dann für diesen Mangel an christlicher Nächstenliebe. Aber mussten wir immer alle mögen? Nicht zwingend, dachte ich, allerdings sollten wir sie vielleicht etwas länger als eine Stunde gekannt haben, ehe wir über sie richteten. Genau genommen hatten wir natürlich gar nicht zu richten. Ich meinte wieder Father Malory zu hören, wie er in einer Predigt davor warnte, und im selben Moment schlug die Turmuhr von St Mary sechs.

Durch die Bäume auf dem Platz konnte ich den Kirchturm ausmachen. Jetzt, wo die Äste kahl waren, kam er schön zur Geltung über den abblätternden Stuckfassaden der Häuser, spitzig, viktorianische Gotik, innen zweifellos scheußlich, aber mir sehr lieb.

Es gab zwei Kirchen im Viertel, aber ich hatte mich gegen All Souls und für St Mary entschieden, nicht nur, weil sie näher lag, sondern weil sie High und nicht Low Church war. Meine armen Eltern hätten davon gar nichts gehalten, fürchte ich, und fast sah ich meine Mutter vor mir, wie sie mit geschürzten Lippen den Kopf schüttelte und erschaudernd das Wort »Weihrauch« murmelte. Aber vielleicht war es nur natürlich, dass ich gegen meine Erziehung rebellierte, und sei es nur auf diese harmlose Art. Ich hatte All Souls eine Chance gegeben, ich war sogar zwei Sonntage am Stück hingegangen, aber als ich zu St Mary zurückkehrte, hielt mich Father Malory nach der Messe an und sagte, wie froh er sei, mich wiederzusehen. Er und seine Schwester hätten sich schon gesorgt; sie hätten gefürchtet, ich könnte vielleicht krank sein. Seitdem war ich St Mary treu, und Julian Malory und seine Schwester Winifred waren meine Freunde geworden.

Manchmal erstaunte es mich selbst, wie sehr das Leben, das ich mir in London geschaffen hatte, dem in dem ländlichen Pfarrhaus zu Zeiten meiner Eltern glich. Andererseits haben so viele Teile Londons einen ausgemachten Dorfcharakter, dass es vielleicht nur darum geht, seine Gemeinde zu wählen und sich einzufügen. Nachdem innerhalb von zwei Jahren meine beiden Eltern gestorben waren, war mir ein kleines Einkommen und ein Sammelsurium an Möbeln geblieben, aber kein Zuhause. Damals hatte ich mich mit meiner alten Schulfreundin Dora Caldicote zusammengetan, die Lehrerin war, während ich bei der Zensurbehörde unterkam, wo zu meinem Glück keine größeren Qualifikationen vonnöten waren als Geduld, Diskretion und ein gewisser Sinn fürs Absurde. Jetzt, nach Doras Auszug, freute ich mich darauf, wieder allein zu wohnen, ganz zivilisiert mit einem Schlafzimmer, einem Wohnzimmer und einem Gästezimmer. Ich bin nicht Dora, ich habe keinen Spaß daran, auf einem Feldbett zu schlafen und von Plastikgeschirr zu essen. Ich fand, ich sei alt genug, um altjüngferlich und eigen zu werden, wenn ich das wollte. Ich arbeitete halbtags für einen Verein, der verarmte Damen von Stand unterstützte, eine Sache, die mich durchaus betraf, da ich mir nur zu gut vorstellen konnte, selbst einmal eine solche Dame zu werden. Bei Mrs Napier mit ihren flotten Hosen und ihrer Anthropologie stellte sich das Problem naturgemäß nicht.

Ich dachte an sie, während ich mich umzog, um zum Abendessen ins Pfarrhaus hinüberzugehen, und war froh, dass ich anständig gekleidet war, als sie mir mit einem großen, blonden Mann auf der Treppe entgegenkam.

»Wir werden den Gin aus Bechern trinken müssen«, hörte ich sie sagen. »Die Gläser sind noch nicht ausgepackt.«

»Das macht nichts«, erwiderte er steif, so als machte es ihm sogar sehr viel aus. »Ich nehme an, es ist noch nicht alles an seinem Platz.«

Nicht Rockingham, dachte ich; nein, das schien schwer denkbar, wo er doch in Italien war und Marinehelferinnen charmierte. Vielleicht ein Anthropologen-Kollege? Die Glocke von St Mary läutete zur Abendandacht, und ich sagte mir, dass es mich nichts angehe, wer er sei. Fürs Pfarrhaus war es noch zu früh, also eilte ich in die Kirche und setzte mich zu der Handvoll Frauen mittleren und fortgeschrittenen Alters, die unter der Woche zu den Andachten kamen. Winifred Malory, verspätet wie immer, schob sich auf den Platz neben mir und flüsterte, jemand habe eine recht stattliche Summe, eine wirklich großzügige Summe, für die Reparatur des Westfensters gespendet, das durch eine Bombe beschädigt worden war. Eine anonyme Spende – ob das nicht aufregend sei? Julian werde mir die ganze Geschichte beim Essen erzählen.

2. Kapitel

Julian Malory war um die vierzig, ein paar Jahre jünger als seine Schwester. Beide waren groß, dünn und eckig, aber während dies Julian eine sehr passende asketische Distinguiertheit verlieh, ließ es Winifred mit ihrem erwartungsvollen Gesichtsausdruck und den ungekämmten grauen Haaren nur noch linkischer und ärmlicher wirken. Sie trug wie so oft eine recht seltsame Kombination von Kleidern, fast alle aus zweiter Hand. Jeder wusste, dass Winifred ihre Garderobe weitgehend aus den Kleidungsstücken zusammenkaufte, die für den Gemeindeflohmarkt abgeliefert wurden, denn das wenige Geld, das sie hatte, gab sie nicht für sich aus, sondern für gute – und sehr häufig aussichtslose – Zwecke, denen sie aufopfernd und unermüdlich diente. Die Zeit, die ihr neben diesen guten Taten noch blieb, wurde darauf verwandt, ihrem Bruder, den sie vergötterte, »ein Heim zu bereiten«, wobei sie alles andere als praktisch veranlagt und mit weit mehr Eifer als Können am Werk war.

»Wenn ich nur die Haustür neu streichen könnte!«, sagte sie, als wir drei nach der Andacht ins Pfarrhaus hinübergingen. »Sie sieht so düster und trist aus. Ein Pfarrhaus sollte ein freundlicher Ort mit einem hellen Eingang sein.«

Julian hängte sein Birett an einem Haken in der engen Diele auf. Daneben hing ein Panamahut, der fast ungetragen wirkte. Ich hatte Julian nie damit gesehen, und mir kam der Gedanke, dass er ihn vielleicht einfach aufheben würde, bis das Hutband rostig vor Alter war und das Stroh nicht mehr gelb, sondern grau. Genau diese Art Hut hatte mein Vater getragen, und ich sah darin immer die Weisheit eines alten Landpfarrers versinnbildlicht, eine Weisheit, von der Julian noch zwanzig oder dreißig Jahre trennten.

»Ein freundlicher Ort mit einem hellen Eingang«, wiederholte Julian. »Nun, ich hoffe, die Leute fühlen sich willkommen, auch wenn unsere Tür dunkel ist, und Mrs Jubb hat uns ein schönes Essen auf den Tisch gestellt.«

Was Letzteres betraf, hielten sich meine Hoffnungen in Grenzen, denn wie das so oft bei guten, weltfremden Menschen der Fall ist, bemerkten sowohl Julian als auch Winifred kaum, was sie aßen oder tranken, weshalb eine Mahlzeit bei ihnen ein zweifelhaftes Vergnügen war. Mrs Jubb, die es mit ein wenig Ansporn womöglich zu einer recht passablen Köchin hätte bringen können, hatte vor Langem jeden Ehrgeiz verloren. An diesem Abend setzte sie uns einen bleichen Makkaroniauflauf und eine Schüssel Salzkartoffeln vor, und auf der Anrichte wartete eine Glasschale mit einem Stürzpudding darin, auch er von unbestimmbarer Farbe.

Zu wenig Salz, oder auch gar kein Salz, dachte ich, als ich den Auflauf aß. Und nicht annähernd genug Käse.

»Erzählen Sie mir doch von dieser anonymen Spende«, sagte ich. »Das klingt fantastisch!«

»Ja, es ist wirklich höchst ermutigend. Jemand hat mir zehn Pfund geschickt. Ich frage mich, wer das wohl war!« Wenn Julian lächelte, schwand die Düsterkeit aus seinen Zügen, und er sah beinahe gut aus. Für gewöhnlich umgab ihn etwas leicht Abweisendes, weshalb ihn die Frauen auch nicht so umhätschelten, wie man das sonst vielleicht hätte vermuten können. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob je eine Dame einen Schal oder Pullover für ihn gestrickt hatte. Er war weder attraktiv noch eitel genug, glaube ich, um sich hinter dem Zölibat zu verschanzen, und ich wusste nicht genau, wie er über das Thema dachte. Es bot sich gleichsam an, dass die Geschwister zusammenwohnten – und vielleicht ist es auch stimmiger, wenn Geistliche der High Church ledig bleiben und man im Windfang als Erstes ein Birett sieht, nicht einen Kinderwagen.

»Anonyme Spenden haben etwas so Aufregendes, finde ich immer«, sagte Winifred mit jungmädchenhafter Begeisterung. »Ich kann gar nicht erwarten, zu erfahren, von wem sie kommt. Es waren nicht zufällig Sie, Mildred, oder? Oder jemand, den Sie kennen?«

Ich stritt jede Beteiligung ab.

Julian lächelte milde über den Enthusiasmus seiner Schwester. »Nun, wir werden sicher bald genug wissen, wer der Spender ist. Wahrscheinlich eine unserer guten Damen am Colchester oder am Grantchester Square.« Das waren die beiden vornehmsten Plätze in unserem Stadtteil, an denen noch einige Häuser im alten Stil standen, Häuser, die nur von einer einzigen Familie oder einer einzelnen Person bewohnt wurden und noch nicht in Wohnungen unterteilt waren. Meine Wohnung lag an keinem dieser Plätze, aber in einer Straße in der direkten Nachbarschaft und dort, wie ich gern dachte, am »besseren« Ende.

»Das sähe ihnen aber gar nicht ähnlich«, widersprach ich. »Sie tun ihre guten Taten doch meistens nicht heimlich.«

»Nein«, stimmte Julian zu, »ihre Linke weiß normalerweise genauestens Bescheid, was die Rechte tut.«

»Und natürlich«, fiel Winifred ein, »sind seit Kriegsende viele neue Leute hierhergezogen. Erst neulich sind mir in der Kirche wieder ein, zwei unbekannte Gesichter aufgefallen. Vielleicht stecken sie ja dahinter.«

»Gut möglich«, sagte ich. »Unter mir wohnen jetzt auch wieder neue Leute, und ich habe Mrs Napier gleich am Nachmittag kennengelernt. Bei den Mülltonnen, ausgerechnet.«

Julian lachte. »Das wird doch hoffentlich kein Omen sein – sich bei den Mülltonnen kennenzulernen.«

»Sie wirkte sehr nett«, sagte ich nicht ganz wahrheitsgemäß. »Etwas jünger als ich, hätte ich gedacht. Ihr Mann ist bei der Marine und kommt bald nach Hause. Er war in Italien.«

»Italien, wie schön!«, rief Winifred. »Wir müssen sie einmal einladen. Weißt du nicht mehr«, wandte sie sich an ihren Bruder, »Fanny Ogilvy hat in Neapel Englisch unterrichtet. Ob er ihr wohl begegnet ist?«

»Das würde mich wundern«, sagte Julian. »Englische Marineoffiziere im Ausland pflegen meist keinen Umgang mit verarmten Landsmänninnen.«

»Oh, aber seine Frau hat mir erzählt, er habe seine Zeit damit verbracht, nett zu drögen Marinehelferinnen zu sein«, sagte ich, »das klingt so, als wäre er zumindest kein schlechter Mensch. Sie, also Mrs Napier, ist Anthropologin. Ich weiß gar nicht genau, was das ist.«

»Tatsächlich? Das scheint mir eine ungewöhnliche Verbindung, ein Marineoffizier und eine Anthropologin«, sagte Julian.

»Es klingt sehr spannend«, sagte Winifred. »Hat das etwas mit Affen zu tun?«

Julian begann uns zu erklären, was ein Anthropologe ist, zumindest versuchte er es, aber da vermutlich kein Anthropologe dies lesen wird, kann ich vielleicht sagen, dass es in der Anthropologie darum zu gehen schien, die Menschen und ihr Verhalten untereinander zu erforschen, insbesondere in »primitiven Gesellschaften«, wie Julian sagte.

Winifred kicherte. »Hoffentlich will sie nicht uns erforschen.«

»Ich glaube nicht, dass wir in St Mary viel von ihr sehen werden«, sagte Julian ernst.

»Nein, das fürchte ich auch. Sie geht nie in die Kirche, hat sie mir erzählt.«

»Ich hoffe, Sie konnten ein Wörtchen sagen, Mildred.« Julian fixierte mich mit seinem, wie ich es insgeheim nannte, »lodernden« Blick. »Wir sind da ganz auf Sie angewiesen.«

»Ach, ich glaube nicht, dass ich sie viel zu Gesicht bekommen werde, außer bei den Mülltonnen«, sagte ich leichthin. »Vielleicht geht ihr Mann in die Kirche. Marineoffiziere sollen ja oft religiös sein.«

»Die zu Schiff auf dem Meere fuhren und Handel trieben auf großen Wassern, die haben des HERRN Werke erfahren und seine Wunder auf hoher See«, sagte Julian halb zu sich selbst.

Ich mochte die Schönheit des Bibelworts nicht schmälern, indem ich darauf hinwies, dass Rockingham Napier, soviel ich wusste, seine Dienstzeit hauptsächlich damit zugebracht hatte, das Gesellschaftsleben des Admirals zu organisieren. Vielleicht waren ja auch dabei des HERRN Werke zu erfahren gewesen.

Wir standen vom Tisch auf, und Julian verließ das Zimmer. Um halb acht begann irgendein Treffen, und aus der Diele drangen schon die Stimmen einiger der »Jungs«.

»Gehen wir hinüber ins kleine Zimmer«, sagte Winifred, »und ich mache uns auf dem Gaskocher einen Kaffee.«

Das »kleine Zimmer« war ein nicht sehr aufgeräumter, gemütlicher Raum mit Blick auf das schmale Stück Garten. Julians Arbeitszimmer lag weiter vorn auf derselben Seite, das Wohn- und das Esszimmer gleich über den Gang. In den Obergeschossen gab es mehrere Schlafzimmer und Dachkammern und ein großes, kaltes Bad. Die Küche war im Souterrain. Es war ein recht großes Haus für nur zwei Menschen, aber Father Greatorex, der Hilfspfarrer, ein schon älterer Mann, der spät ordiniert worden war, hatte seine eigene Wohnung am Grantchester Square.

»Wir sollten wirklich zusehen, dass wir den obersten Stock als Wohnung vermieten«, erklärte Winifred, während sie Kaffee von der Farbe schwachen Tees einschenkte. »Es kommt mir so selbstsüchtig vor, so unrecht, dass wir hier nur zu zweit sind, wenn so viele Menschen ein Dach über dem Kopf brauchen. Hoffentlich ist dieser Kaffee trinkbar, Mildred? Bei Ihnen schmeckt er immer so köstlich.«

»Wunderbar, danke«, murmelte ich. »Ich bin sicher, Sie finden ganz leicht einen netten Mieter. Es müsste natürlich jemand mit dem richtigen Hintergrund sein. Sie könnten in der Church Times inserieren.« Dieser Gedanke ließ vor meinem inneren Auge ganze Scharen geeigneter Bewerber vorbeiziehen – Witwen von Domherren, Söhne von Pfarrern, anglokatholische Damen von Stand (Nichtraucher), Kirchgänger (keine Feiertagschristen) … allesamt so ehrenwert, dass es schon fast ans Beklemmende grenzte.

»Ja, das wäre vielleicht eine Idee. Aber für Sie käme es nicht infrage, zu uns zu ziehen, Mildred?« Ihre Augen glänzten, eifrig und flehend wie Hundeaugen. »Sie könnten selbst bestimmen, wie viel Miete Sie zahlen. Julian würde Sie genauso gern bei uns haben wie ich, das weiß ich.«

»Das ist schrecklich nett von Ihnen.« Ich sprach bewusst langsam, um Zeit zu gewinnen, denn sosehr ich Winifred mochte, so kostbar war mir meine Selbstständigkeit. »Aber ich glaube, ich bleibe besser, wo ich bin. Ich wäre ja eine Einzelperson, und eigentlich hätten Sie doch Platz für zwei, oder, Winifred?«

»Ein Ehepaar, meinen Sie?«

»Ja, oder zwei Freundinnen. Wie Dora und ich, oder auch jüngere Leute, Studenten vielleicht.«

Winifreds Miene hellte sich auf. »Ach, wäre das schön.«

»Oder ein verheirateter Hilfspfarrer«, schlug ich vor, voller Ideen. »Das wäre doch sehr passend. Wenn Father Greatorex eine Stelle auf dem Land bekommt – denn das will er ja wohl? –, wird Julian einen neuen Hilfspfarrer brauchen, der dann vielleicht verheiratet ist.«

»Ja, richtig, das sehen ja nicht alle so wie Julian.«

»Sieht er es denn so?«, fragte ich mit Interesse. »Ich wusste gar nicht, dass er da klar Position bezieht.«

»Nun ja, gesagt hat er nie etwas darüber«, räumte Winifred ein. »Aber es ist so viel schöner, dass er nie geheiratet hat – schöner für mich, meine ich, so gern ich natürlich ein paar Neffen und Nichten gehabt hätte. Und jetzt«, mit einer ihrer ungelenken impulsiven Bewegungen sprang sie auf, »muss ich Ihnen zeigen, was Lady Farmer alles für den Flohmarkt gestiftet hat. Solche guten Sachen. Da bin ich gleich für den Frühling versorgt.«

Lady Farmer war eines der wenigen reichen Gemeindemitglieder, aber da sie über siebzig war, hatte ich meine Zweifel, ob ihre Kleider wirklich für Winifred taugten, die viel dünner war und so gar nicht Lady Farmers Anstrich üppig aufgepolsterter Eleganz hatte.

»Schauen Sie« – sie schüttelte ein Nachmittagskleid aus kastanienbraunem Samt mit Chenille-Stickerei glatt und hielt es sich an –, »was meinen Sie?«

Der Stoff war wunderschön, keine Frage, aber das Kleid war so sehr Lady Farmer, dass ich darin das Gefühl gehabt hätte, jede eigene Note komplett dranzugeben.

»Miss Enders muss es mir natürlich enger machen«, sagte Winifred. »Dann habe ich etwas zum Anziehen, wenn wir Essensgäste bekommen, den Bischof, wissen Sie, jemand in der Art.«

Wir schwiegen einen Moment, als fragten wir uns beide, ob ein solcher Anlass je denkbar wäre.

»Oder sonst bei der Adventsfeier der Gemeinde«, schlug ich dann vor.

»Ja, natürlich. Dafür passt es auch.« Winifred klang erleichtert und faltete das Kleid wieder zusammen. »Und ein gutes Wollkostüm ist auch dabei, genau das Richtige für den Vormittag. Wie viel sollte ich dafür wohl bezahlen?«, erkundigte sie sich besorgt. »Lady Farmer meinte, ich soll mir ruhig alles nehmen, was ich haben möchte, aber ich muss natürlich einen anständigen Preis dafür zahlen, sonst kommt beim Flohmarkt nichts zusammen.«

Wir besprachen die Frage einige Zeit lang mit dem gebührenden Ernst, und dann verabschiedete ich mich.

In Mrs Napiers Fenstern brannte Licht, als ich mich dem Haus näherte, und aus ihrem Zimmer drangen Stimmen, erhobene Stimmen, als würde heftig debattiert.

Ich ging in meine kleine Küche und bereitete den Frühstückstisch vor. Ich verließ das Haus für gewöhnlich um Viertel vor neun und arbeitete bis um die Mittagszeit für meine verarmten Damen. Danach hatte ich frei, aber ich fand immer genug zu tun. Während ich mein Porzellangeschirr und das Besteck aus dem Schrank holte, dachte ich, nicht zum ersten Mal, wie angenehm es doch sei, allein zu leben. Das Klirren des Perlendeckchens auf dem kleinen Milchkrug erinnerte mich an Dora und ihr Gekicher, an ihre dogmatischen Ansichten und ihren Hang zum Beleidigtsein. Das Deckchen war ihre Idee gewesen, und es stand für mich für all die kleinen Irritationen des Zusammenlebens mit ihr, liebe gute Freundin, die sie war. »Es hält Fliegen und Staub fern«, pflegte sie zu sagen, völlig zu Recht natürlich, es war nur meine verquere Art, die mich manchmal wünschen ließ, ich könnte das Ding nehmen und an die Wand klatschen.

Später, als ich im Bett lag, wanderten meine Gedanken zu Mrs Napier und dem Mann, mit dem ich sie getroffen hatte. War er vielleicht ein Kollege von ihr? Ich hörte noch immer Stimmen aus dem Zimmer unter mir, fast so hitzig, als würden sie streiten. Und ich dachte an Rockingham Napier – wann er wohl eintreffen und wie er sein würde. Kochen, viktorianische Glasbriefbeschwerer, Charme … und dazu sein Seefahrertum. Ob er einen Papagei in einem Käfig mit heimbringen würde? Abgesehen von einer gelegentlichen Begegnung im Treppenhaus, so nahm ich an, würden wir nicht viel miteinander zu tun haben. Natürlich würde es etwas delikat sein, das Bad mit ihnen zu teilen, aber ich musste meine Scham nach Möglichkeit überwinden. Ich würde auf jeden Fall früh baden, um eine Kollision zu vermeiden. Vielleicht konnte ich mir einen neuen, etwas kleidsameren Morgenmantel kaufen, in dem ich mich zur Not sehen lassen konnte, irgendein langes, warmes Gewand in einem satten Farbton … An diesem Punkt schlief ich offenbar ein, denn das Nächste, was ich mitbekam, war das Zuschlagen der Haustür, das mich weckte. Ich knipste das Licht an und sah, dass es zehn vor eins war. Hoffentlich waren die Napiers nicht die Sorte Nachbarn, die die halbe Nacht aufblieben und laute Feste feierten. Vielleicht wurde ich langsam verschroben und »festgefahren«, aber dass ich geweckt worden war, ärgerte mich. Ich langte hinüber zu dem kleinen Bücherbord, auf dem ich meine Kochbücher und religiösen Traktate aufbewahrte, für mich die beruhigendste Bettlektüre. Meine Hand hätte Sir Thomas Brownes Religio Medici herausgreifen können, aber ich war nicht böse, dass sie stattdessen Die chinesische Küche erwischte, und bald überkam mich eine angenehme Schläfrigkeit.

3. Kapitel

Mehrere Tage vergingen, bevor ich Mrs Napier wiedersah, auch wenn ich sie ein und aus gehen hörte und aus ihrem Zimmer jeden Abend Stimmen kamen. Ich hatte mir überlegt, sie irgendwann zum Kaffee einzuladen, aber ich zögerte, weil ich nicht recht wusste, wie ich den Eindruck vermitteln konnte, dass ich keineswegs eine feste Einrichtung im Sinn hatte. Es sollte eine höfliche Geste sein, mehr nicht. Eines Tages tauchte im Klosett eine neue Rolle Toilettenpapier von deutlich minderer Qualität auf, und ich bemerkte auch, dass ein Versuch unternommen worden war, das Bad zu putzen. Es war nicht so sauber, wie ich es mir gewünscht hätte; ein Bad anständig zu putzen macht mehr Arbeit, als viele glauben.

»Das wird sie gewesen sein«, urteilte Mrs Morris, meine »Hilfe«, die zweimal die Woche kam. »Sie schaut mir nicht aus, als ob sie irgendwas sauber kriegen könnte.«

Mrs Morris war schon als junges Mädchen nach London gekommen, aber die Waliserin hörte man ihr nach wie vor an. Ich staunte wie so oft über den Quell ihrer Weisheit, da sie Mrs Napier, soviel ich wusste, noch nie begegnet war.

»Das Wasser kocht, Miss«, sagte sie, was bedeutete, dass es elf Uhr sein musste, denn diese Bemerkung kam von ihr so zuverlässig, dass ich mir Sorgen gemacht hätte, wenn sie ausgeblieben wäre.

»Ah, gut, dann trinken wir unseren Tee«, antwortete ich, wie mein Part es von mir verlangte. Ich wartete, bis Mrs Morris gesagt hatte: »In dem Kännchen ist noch ein Schuss Milch«, wie sie es immer tat, wenn sie die Reste der Milch vom Vortag entdeckte, und dann stand unserer Teepause nichts mehr im Weg.

»Ich hab gestern im Pfarrhaus geputzt, diese Zimmer, die sie vermieten wollen«, sagte Mrs Morris. »Miss Malory möchte ja wohl, dass Sie da einziehen?«

»Ja, ich weiß, aber ich halte es für besser, ich bleibe, wo ich bin«, sagte ich.

»Allerdings, Miss Lathbury. Im Pfarrhaus wohnen, das täte sich für Sie gar nicht schicken.«

»Nun gut, die Malorys und ich sind ja doch befreundet.«

»Schon, aber es wär trotzdem nicht recht. Wenn Miss Malory plötzlich weggehen würde …«

»Sie meinen, dass es anrüchig wäre«, sagte ich.

»Anrüchig!« Mrs Morris streckte den Rücken durch und rückte den schwarzen Filzhut gerade, den sie immer trug. »Darüber hab nicht ich zu entscheiden, Miss Lathbury. Aber es ist gegen die Natur, wenn ein Mann nicht heiratet.«

»Geistliche möchten nicht immer heiraten«, erklärte ich, »oder sie denken, sie sollten es lieber nicht.«

»Das ist das mit der Begierde«, murmelte sie dunkel. »Wie mit dem Fleischessen, wissen Sie, so steht’s in der Bibel. Nicht, dass wir dieser Tage viel Fleisch kriegen würden. Wenn er ein echter Priester wäre, wie Father Bogart« – Father Bogart war der römisch-katholische Pfarrer in unserem Viertel –, »dann wär’s ja noch zu verstehen.«

»Aber Mrs Morris, Sie gehen doch regelmäßig in die Kirche. Ich dachte, Sie mögen Father Malory?«

»Ja, schon, ich hab nichts gegen ihn, aber recht ist es trotzdem nicht.« Sie trank ihren Tee aus und ging zum Spülbecken. »Ich wasch bloß kurz diese Sachen ab.«

Ich betrachtete ihren steifen, kompromisslosen Rücken, der sich kaum zu beugen schien, obwohl die Spüle niedrig war.

»Ist irgendetwas vorgefallen?«, fragte ich. »Etwas, das mit Father Malory zusammenhängt?«

»Ach, Miss.« Sie wandte sich zu mir um, ihre Hände rot und tropfend von dem heißen Wasser. »Es ist dieses schwarze Ding, das er in der Kirche aufhat.«

»Sein Birett, meinen Sie?«, fragte ich verwirrt.

»Was weiß ich, wie er es nennt. Wie eine kleine Mütze sieht es aus.«

»Aber Sie sind doch seit Jahren in St Mary«, sagte ich. »Da müssten Sie sich doch inzwischen dran gewöhnt haben.«

»Ach, es ist wegen meiner Schwester Gladys und ihrem Mann, die waren bei uns zu Besuch. Ich hab sie Sonntagabend mit in die Andacht genommen, und ihnen hat’s gar nicht gefallen, auch noch mit dem Weihrauch dazu, das ist katholisch, haben sie gesagt, und eh wir uns umschauen, würden wir alle miteinander dem Papst die Füße küssen.«

Mit dem Geschirrtuch in der Hand setzte sie sich hin. Sie sah so unglücklich drein, dass ich mir ein Lächeln verkneifen musste.

»Sicher«, fuhr sie fort, »Evan und ich waren immer in St Mary, weil’s so nah ist, aber es ist nicht dasselbe wie die Kirche, in die ich als Mädchen gegangen bin, wo Mr Lewis der Pastor war. Bei dem gab’s keinen Weihrauch und nicht diese komische schwarze Kappe.«

»Nein, das hätte mich auch gewundert«, bestätigte ich, denn ich kannte das Küstenstädtchen, aus dem sie kam, und erinnerte mich an die »englische« Kirche, die auffiel unter den vielen Freikirchen, mit den zehn Geboten auf Walisisch und Englisch rechts und links vom Altar und einem eigenen Sonntagsgottesdienst für die Sommerfrischler. Soweit ich wusste, hatte sie einen »Dispens« zum Abhalten der katholischen Messe weder empfangen noch angestrebt.

»Ich bin immer in die Kirche«, sagte Mrs Morris stolz. »Nie in den Betsaal, nur als die Baptisten ihren Bunten Abend gemacht haben, bin ich einmal hin, aber mit dem Papst braucht mir keiner kommen. Die Füße küssen, sonst noch Wünsche!« Sie sah zu mir auf, halb lachend für den Fall, dass Gladys und ihr Mann sie doch auf den Arm genommen hatten.

»Es gibt eine Statue im Petersdom in Rom«, erklärte ich ihr, »der die Leute tatsächlich den Zeh küssen. Aber das ist nur die römisch-katholische Kirche«, sagte ich mit lauter, klarer Stimme. »Wissen Sie nicht mehr die Sonntagspredigt letztes Jahr, als Father Malory das mit dem Papst erklärt hat?«

»Ach, die Sonntagspredigt«, lachte sie verächtlich. »Das ist ja alles schön und gut, sich hinstellen und über den Papst predigen. Das könnten viele von uns. Aber wer kocht derweil das Sonntagsessen?«

Auf diese Frage schien eine Antwort weder erforderlich noch erwartet, und wir lachten zusammen, zwei Frauen gegen das ganze Männergeschlecht. Mrs Morris trocknete sich die Hände ab, suchte in ihrer Schürzentasche und brachte ein zerdrücktes Päckchen Zigaretten zum Vorschein. »Egal, rauchen wir eine«, sagte sie aufgeräumt. »Das erzähl ich Gladys, was Sie gesagt haben, Miss Lathbury, dass es bloß so eine alte Statue ist.«

Ein durchschlagender Erfolg schien mir mein Versuch, Mrs Morris über die Unterschiede zwischen Rom und uns zu erleuchten, nicht, aber ich bezweifelte, dass Julian Malory sehr viel mehr ausgerichtet hätte.

Nachdem sie gegangen war, kochte ich mir ein Ei zum Mittagessen und hatte gerade den Kaffee aufgesetzt, als es an der Küchentür klopfte.

Es war Mrs Napier.

»Ich wollte Sie etwas ein bisschen Heikles fragen«, sagte sie lächelnd.

»Kommen Sie doch herein und trinken Sie einen Kaffee mit mir. Ich mache gerade welchen.«

»Danke, das wäre nett.«

Wir gingen ins Wohnzimmer, und ich schaltete den Elektroofen ein. Sie blickte sich um, interessiert und mit unverblümter Neugier.

»Hübsch«, sagte sie. »Das sind dann wahrscheinlich die besten Stücke aus der Landpfarre?«

»Das meiste«, sagte ich, »und ab und zu habe ich auch etwas gekauft.«

»Sagen Sie«, begann sie übergangslos, »ich wollte fragen, ob Ihre Hilfe, die Frau, die heute Morgen hier war, eventuell auch bei mir putzen könnte. Vielleicht an den Vormittagen, an denen sie nicht bei Ihnen ist?«

»Ich kann mir vorstellen, dass sie ganz froh um ein paar Stunden mehr wäre«, sagte ich, »und sie ist sehr gut. Sie putzt auch manchmal in der Pfarrei.«

»Ach, die Pfarrei.« Mrs Napier zog eine Grimasse. »Wird der Pfarrer vorbeischauen?«

»Ich kann ihn bitten, wenn Sie das möchten«, sagte ich ernsthaft. »Er und seine Schwester sind Freunde von mir.«

»Dann ist er nicht verheiratet? So einer ist das also … Ich meine«, fügte sie entschuldigend hinzu, als könnte ich mich durch die Frage angegriffen fühlen, »einer von denen, die nicht heiraten?«

»Nun ja, er ist nicht verheiratet, und da er um die vierzig ist, hat er es vermutlich auch nicht vor.« Mittlerweile hatte ich so viel Zeit damit zugebracht, über die Ehelosigkeit der Geistlichkeit im Allgemeinen und Julian Malorys im Besonderen zu sprechen, dass ich das Thema ein klein wenig überhatte.

»Das ist genau das Alter, in dem sie ausbrechen«, lachte Mrs Napier. »Ich hätte ja gedacht, ein Pfarrer braucht eine Ehefrau, damit sie ihm in der Gemeinde hilft, aber da seine Gemeinde wahrscheinlich sowieso nur aus älteren Damen mit zu viel freier Zeit besteht … Kanzelschwalben, wissen Sie.«

Ich kam zu dem Schluss, dass mir Mrs Napier kein bisschen sympathischer war als bei unserem ersten Treffen. Außerdem klopfte sie Asche auf meinen frisch gebürsteten Teppich.

»Kommt Ihr Mann bald zurück?«, fragte ich, um das Schweigen zu brechen, das sich zwischen uns breitmachte.

»Ach, bald genug«, sagte sie gleichgültig. Sie drückte ihre Zigarette in einem Schälchen aus, das nicht als Aschenbecher gedacht war, und fing an, im Zimmer auf und ab zu gehen. »Ich weiß, das klingt furchtbar« – sie blieb am Fenster stehen –, »aber ich freue mich gar nicht richtig auf ihn.«

»Das liegt sicher nur daran, dass Sie ihn so lange nicht gesehen haben«, sagte ich mit einer munteren, vernünftigen Stimme.

»Das macht eigentlich gar keinen Unterschied. Es geht tiefer.«

»Aber das ändert sich doch vielleicht, wenn er erst hier ist und Sie etwas Zeit zusammen verbracht haben?« Ein Gefühl der Überforderung beschlich mich, wie es bei einem Gespräch dieser Art bei einer unverheirateten und unerfahrenen Frau kaum ausbleiben kann.

»Möglich. Aber wir sind so verschieden. Wir haben uns während des Kriegs bei einem Fest kennengelernt und ineinander verliebt, auf diese dumme, romantische Art, auf die sich damals so viele Leute verliebt haben, Sie wissen ja …«

»Ja, das stimmt wohl.« In meiner Zeit bei der Zensurbehörde hatte ich davon gelesen, wie sie sich verliebten, und mir bisweilen gewünscht, einschreiten zu können, damit sie warteten, bis sie sich ganz sicher wären.

»Rockingham sieht natürlich recht gut aus, und alle finden ihn charmant und amüsant. Er hat etwas Geld, und er malt ein bisschen. Aber, schauen Sie«, appellierte sie mit großem Ernst an mich, »er versteht gar nichts von Anthropologie, und das stört ihn auch gar nicht.«

Ich lauschte in befremdetem Schweigen. »Ja, sollte es das denn?«, fragte ich begriffsstutzig.

»Nun ja, während er weg war, habe ich in Afrika geforscht und dabei Everard Bone kennengelernt, der dort bei der Armee war. Er ist auch Anthropologe. Sie müssten ihm auf der Treppe begegnet sein.«

»Ja, ich erinnere mich. So ein großer Mann mit hellen Haaren.«

»Wir haben sehr eng zusammengearbeitet, und das schafft ein ganz besonderes Band zwischen zwei Menschen, so ein gemeinsames wissenschaftliches Projekt. Rockingham und ich haben einfach keine solche Basis.«

Nannte sie ihn immer »Rockingham«?, überlegte ich etwas abwegig. Es klang so förmlich, wobei sich auch keine Abkürzung anbot, außer »Rocky« natürlich – oder gleich ein ganz anderer Name.

»Aber bestimmt haben Sie und Ihr Mann andere Gemeinsamkeiten, möglicherweise tiefere und dauerhaftere als die Arbeit?«, fragte ich in einem Versuch, meinen Beitrag zu dieser schwierigen Unterhaltung zu leisten. Ich mochte mir nur ungern vorstellen, dass sie diese anderen Gemeinsamkeiten auch mit Everard Bone hatte. Überhaupt, merkte ich, hielt ich wenig von Everard Bone, wenn er der Mann aus dem Treppenhaus war. Sein Name, seine spitze Nase und dieses leicht Bornierte, das blonde Männer manchmal ausstrahlen, hatten mich gleich gegen ihn eingenommen. Außerdem, und hier musste ich zugeben, dass ich altmodisch war und mich mit den Sitten der Anthropologen nicht auskannte, schien es mir ungehörig, dass sie zusammen forschten, während Rockingham Napier seinem Land diente. Kurzzeitig drängte sich mir das Bild der Marinehelferinnen mit ihren schlechtsitzenden weißen Uniformen auf, aber ich schob es beiseite. Was immer sein Dienst von ihm gefordert hatte, er hatte es zum Besten der Nation getan.

»Sicher«, fuhr Mrs Napier fort, »solange man frisch verliebt ist, erscheint einem alles am anderen wunderbar, gerade die Gegensätzlichkeiten. Rocky ist sehr ordnungsliebend und ich gar nicht.«

Dann konnte er also doch Rocky heißen. Irgendwie machte ihn das menschlicher.

»Sie sollten meinen Nachttisch sehen, so ein Durcheinander von Sachen – Zigaretten, irgendwelche Kosmetikartikel, Aspirin, Gläser mit Wasser, Der goldene Zweig, ein Krimi, alle möglichen Gegenstände, die mir gerade gefallen. Rocky fand das anfangs ganz hinreißend, aber nach einer Weile war es für ihn nur noch ein Wirrwarr, der ihn wahnsinnig machte.«

»Ja, so geht das wohl«, sagte ich. »Man kann gar nicht genug aufpassen mit seinen kleinen Unarten.« Doras Perlendeckchen auf dem Milchkrug, ihre Vorliebe für Bakelitteller, und all meine Angewohnheiten, die andere reizen mochten, ohne dass ich es ahnte – wer weiß, vielleicht konnten selbst die Kochbücher an meinem Bett jemanden wahnsinnig machen. »Aber das ist doch sicher nur eine Bagatelle«, sagte ich, »die die tiefere Beziehung nicht beeinträchtigen sollte.«

»Gut, Sie waren ja nie verheiratet«, sagte sie und verwies mich damit auf meinen Platz unter den Heerscharen vortrefflicher Frauen. »Egal …« Sie machte einen Schritt Richtung Tür. »Es wird wahrscheinlich darauf hinauslaufen, dass jeder seine eigenen Wege geht. Das ist in den meisten Ehen so, und es gibt Schlimmeres.«

»Nein, so etwas dürfen Sie nicht sagen«, brach es aus mir heraus, denn ich hing all den romantischen Idealen der Ledigen an. »Ich bin sicher, es wird sich letzten Endes alles einrenken.«

Sie zuckte die Achseln. »Danke jedenfalls für den Kaffee – und für Ihr Verständnis. Ich weiß schon, ich hätte nicht so freiheraus reden dürfen, aber Beichten soll ja gut für die Seele sein.«

Ich murmelte etwas, hatte allerdings nicht das Gefühl, besonders verständnisvoll gewesen zu sein; empfunden hatte ich ganz gewiss nichts dergleichen, denn mit Leuten wie den Napiers fehlte mir jede Erfahrung. Ich fühlte mich auf viel festerem Boden mit Winifred und Julian Malory, Dora Caldicote und den wertvollen, aber unaufregenden Menschen, mit denen ich es bei meiner Arbeit oder in der Kirche zu tun bekam. Die Ehepaare, die ich kannte, wirkten zufrieden genug auf mich, und falls sie es nicht waren, verschonten sie zumindest vergleichsweise Fremde mit ihren Problemen. Bei ihnen war keine Rede davon, dass »jeder seine eigenen Wege ging« – aber woher wollte ich wissen, dass sie es nicht doch taten? Die Vorstellung weckte beunruhigende Gedanken und Zweifel aller Art, darum schaltete ich das Radio ein, um mich abzulenken. Aber dort lief eine Haushaltssendung, und die Frauen klangen alle so verheiratet und großartig, ihr Leben so prallvoll und dabei so perfekt organisiert, dass ich mir vollends wie eine nutzlose alte Jungfer vorkam. Mrs