cover

Ein feudales Landgut an der Küste der Normandie zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Frisch aus der Klosterschule entlassen, kann die junge Jeanne es kaum erwarten, die große weite Welt zu entdecken. Sie ist entzückt, als der gut aussehende Julien de Lamare sie zur Frau erwählt. Doch schon die Hochzeitsnacht ist ein Schock für die zu Naivität und Unmündigkeit erzogene Jeanne. Während der Flitterwochen muss sie darüber hinaus feststellen, dass sie einen unerträglichen Geizhals geheiratet hat. Und dies sind nur die ersten in einer langen Reihe von Enttäuschungen …

»Da wurde ihr klar, dass sie nichts mehr zu tun hatte«, heißt es über Jeanne kurz nach ihrer Hochzeit. In seinem 1883 erschienenen Roman bringt Maupassant die damalige eheliche Situation wohlhabender Frauen und die Nichtsnutzigkeit einer ganzen sozialen Klasse auf den Punkt. Die Darstellung weiblicher Psychologie und Sexualität mutet außergewöhnlich modern an und führte seinerzeit dazu, dass der Roman aus Bahnhofsbuchhandlungen verbannt wurde und sogar im Parlament Aufsehen erregte.

Dieser Gesellschaftsroman, den Tolstoi zu den besten französischen Romanen seiner Zeit zählte, erscheint nun erstmals in einer modernen deutschen Übersetzung im Taschenbuch.

image

© SZ Photo/Blanc Kunstverlag/Bridgeman

Guy de Maupassant wurde am 5. August 1850 in der Normandie geboren. In einem Leben zwischen allen Gesellschaft sschichten seiner Zeit schuf er als weit gereister Journalist, Novellist und Romancier ein wegweisendes Werk der klassischen Moderne. ›Ein Leben‹, im Original erstmals 1883 veröffentlicht, ist sein Romandebüt. Maupassant starb nach langer Krankheit am 6. Juli 1893 in Paris.

Cornelia Hasting, geboren 1950 in Lüneburg, arbeitet seit dem Studium der Germanistik und Kunstgeschichte als freie Übersetzerin. Sie hat vor allem französische Literatur des 19. Jahrhunderts ins Deutsche übertragen, darunter Stendhal, Flaubert, Renard, Alain-Fournier, Huysmans. Für den mareverlag übersetzte sie zuletzt Guy de Maupassants ›Auf See‹ (2012) und Jules Vernes ›Der grüne Blitz‹ (2013).

Julian Barnes, geboren 1946, ist Autor von über 20 Büchern, darunter Flauberts ›Papagei‹ (1984). Er hat viel über die französische Kunst und Literatur des 19. Jahrhunderts publiziert. Sein Roman ›Vom Ende einer Geschichte‹ (2011) wurde mit dem Booker-Preis ausgezeichnet.

Guy de Maupassant

EIN LEBEN

oder

Die schlichte Wahrheit

Roman

Aus dem Französischen von
Cornelia Hasting
Mit einem Nachwort von
Julian Barnes

image

Für
MADAME BRAINNE

In Verehrung von einem ergebenen Freund
und in Erinnerung an einen toten Freund,

GUY DE MAUPASSANT

I

Als Jeanne ihre Koffer gepackt hatte, trat sie ans Fenster, aber der Regen nahm kein Ende.

Die ganze Nacht hatte die Sturzflut auf Scheiben und Dächer geprasselt. Der tief hängende Himmel schien unter seiner Wasserlast geplatzt zu sein und sich auf die Erde zu ergießen, sie aufzuweichen in Brei, sie aufzulösen wie Zucker. In heftigen Böen strich drückende Hitze vorüber. Das Gurgeln der übergelaufenen Rinnsteine erfüllte die verlassenen Straßen, wo die Häuser wie Schwämme die eindringende Feuchtigkeit aufsaugten, was die Wände vom Keller bis zum Dachboden zum Schwitzen brachte.

Jeanne, die am Vorabend das Kloster verlassen hatte, endlich für immer frei und bereit, alles Lebensglück zu ergreifen, von dem sie seit so Langem träumte, befürchtete, ihr Vater werde die Abreise verschieben, wenn sich das Wetter nicht aufhellte; und zum hundertsten Mal seit dem Morgen blickte sie forschend zum Horizont.

Dann fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, ihren Kalender in ihre Reisetasche zu legen. Sie nahm die nach Monaten eingeteilte kleine Pappkarte von der Wand, welche inmitten einer Zeichnung in goldenen Ziffern die laufende Jahreszahl 1819 anzeigte. Dann löschte sie mit dem Bleistift die vier ersten Spalten, indem sie bis zum 2. Mai, dem Tag ihres Austritts aus dem Kloster, jeden Heiligennamen durchstrich. Eine Stimme hinter der Tür rief: »Jeannette!« Jeanne erwiderte: »Komm herein, Papa.« Und ihr Vater trat ein.

Baron Simon-Jacques Le Perthuis des Vauds war ein Edelmann aus dem vergangenen Jahrhundert, kauzig und gutmütig. Als begeisterter Schüler von J.-J. Rousseau war er voll zärtlicher Liebe für Natur, Felder, Wälder und Tiere.

Adelig von Geburt, hasste er Dreiundneunzig instinktiv; doch seinem Wesen nach Philosoph und liberal erzogen, verabscheute er die Tyrannei mit einem sich harmlos ereifernden Hass.

Seine große Stärke und seine große Schwäche war die Güte, eine Güte, die nicht genügend Arme hatte zum Liebkosen, Schenken, An-sich-Drücken, die Güte eines schöpferischen Menschen, haltlos, widerstandslos, als sei der Willensnerv betäubt, als habe die Energie eine Lücke, nahezu lasterhaft.

Als Theoretiker ersann er für seine Tochter eine Erziehung ganz nach Plan, er wollte sie glücklich, gut, aufrecht und liebevoll machen.

Sie war bis zu ihrem zwölften Jahr im Hause geblieben, dann wurde sie, trotz der Tränen ihrer Mutter, ins Sacré-Cœur gebracht. Er hatte sie dort streng hinter Klostermauern abgesondert, unbeachtet und ohne jede Ahnung von menschlichen Belangen. Er wollte sie mit siebzehn Jahren in ihrer ganzen Unschuld zurückerhalten, um sie dann selbst in die rechte Poesie zu tauchen; ja, auf dem Weg über die Felder, auf befruchtetem Boden sollte ihre Seele geöffnet und ihr die Ahnungslosigkeit genommen werden beim Anblick der unverdorbenen Liebe, der schlichten Zärtlichkeiten der Tiere, der heiteren Gesetze des Lebens.

Nun kam sie aus dem Kloster, strahlend, voller Lebenskraft und Verlangen nach Glück, bereit zu allen Freuden, allen reizenden Zufällen, die sie sich in der Untätigkeit der Tage, der Länge der Nächte, der Einsamkeit der Hoffnungen bereits ausgemalt hatte.

Sie glich einem Porträt von Veronese mit ihrem leuchtend blonden Haar, das auf ihre Haut abgefärbt zu haben schien, eine vornehme Haut, unmerklich rosig getönt, überschattet von einem zarten Flaum, einer Art mattem Samt, den man ein wenig sah, wenn die Sonne sie streichelte. Ihre Augen waren blau, von jenem undurchsichtigen Blau, wie die Augen holländischer Fayencefiguren es haben.

Auf dem linken Nasenflügel hatte sie ein kleines Schönheitsmal und ein anderes rechts auf dem Kinn, wo sich ein paar Härchen lockten, die so sehr dem Teint entsprachen, dass man sie kaum wahrnahm. Sie war groß, mit voll entwickelter Brust und biegsamer Taille. Ihre klare Stimme klang bisweilen zu hell; doch ihr offenes Lachen verbreitete rund um sie her Freude. In einer gewohnten Bewegung legte sie oft beide Hände an die Schläfen, wie um ihr Haar zu glätten.

Sie lief zu ihrem Vater, küsste ihn und drückte ihn an sich: »Fahren wir nun?«, fragte sie.

Er lächelte, schüttelte sein schon weißes Haar, das er ziemlich lang trug, und sagte zum Fenster weisend: »Wie willst du bei solchem Wetter verreisen?«

Doch schmeichelnd und zärtlich flehte sie ihn an: »Oh, Papa, fahren wir, ich bitte dich. Nachmittags wird es schön sein.«

»Aber deine Mutter wird niemals einwilligen.«

»Doch, ich verspreche es dir, das übernehme ich.«

»Wenn es dir gelingt, deine Mutter zu überzeugen, von mir aus gern.«

Und sie stürzte zum Zimmer der Baronin. Denn auf diesen Tag der Abreise hatte sie mit wachsender Ungeduld gewartet.

Seit ihrem Eintritt ins Sacré-Cœur hatte sie Rouen nicht verlassen, da ihr Vater vor dem Alter, das er festgesetzt hatte, keinerlei Zerstreuung erlaubte. Zweimal hatte man sie für vierzehn Tage mit nach Paris genommen, doch das war wiederum eine Stadt, und sie träumte nur vom Land.

Jetzt würde sie den Sommer auf dem Landgut namens Les Peuples verbringen, einem auf den Klippen bei Yport stehenden alten Schloss der Familie; und sie versprach sich eine unendliche Freude von diesem freien Leben am Rande der Meeresfluten. Und dann war auch vorgesehen, dass sie es zum Geschenk erhielte, dieses Herrenhaus, wo sie für immer wohnen würde, wenn sie verheiratet wäre.

Und der Regen, der seit dem gestrigen Abend unaufhörlich niederrauschte, war der erste große Kummer ihres Lebens.

Doch nach drei Minuten kam sie aus dem Zimmer ihrer Mutter gerannt und rief durchs ganze Haus: »Papa, Papa! Mama ist einverstanden; lass anspannen.«

Die Sintflut ließ nicht nach; man hätte meinen können, sie verstärke sich noch, als die Kalesche vorfuhr.

Jeanne war bereit zum Einsteigen, als ihre Mutter die Treppe herunterkam, auf der einen Seite gestützt von ihrem Mann, auf der anderen von einem Zimmermädchen, das groß und kräftig gebaut war wie ein Junge. Es war eine Normannin aus der Gegend von Caux, die wie mindestens zwanzig wirkte, obwohl sie höchstens achtzehn war. Man behandelte sie in der Familie ein wenig wie eine zweite Tochter, da sie die gleiche Amme gehabt hatte wie Jeanne. Sie hieß Rosalie.

Ihre wichtigste Aufgabe bestand im Übrigen darin, ihre Herrin zu führen, welche seit ein paar Jahren infolge einer Hypertrophie des Herzens, über die sie pausenlos klagte, furchtbar dick geworden war.

Die Baronin erreichte schwer atmend die Freitreppe der alten Stadtvilla, warf einen Blick in den Hof, wo in Strömen das Wasser rann, und murmelte: »Das ist wirklich unvernünftig.«

Ihr Mann erwiderte, immer noch lächelnd: »Der Wunsch kam doch von Ihnen, Madame Adelaide.«

Da sie den pompösen Namen Adelaide trug, setzte er mit einer gewissen, leicht spöttischen Hochachtung stets »Madame« davor.

Dann kam sie wieder in Bewegung und stieg mühevoll in den Wagen, der in sämtlichen Federn nachgab. Der Baron setzte sich neben sie, Jeanne und Rosalie nahmen auf dem Rücksitz Platz.

Die Köchin Ludivine brachte Berge von Mänteln, die man über die Knie legte, danach zwei Körbe, die unter den Beinen versteckt wurden; schließlich kletterte sie auf den Bock neben den alten Simon und wickelte sich in eine große Decke, die sie bis über den Kopf verhüllte. Der Pförtner und seine Frau winkten und schlossen das Tor; sie erhielten letzte Anordnungen für das Gepäck, das in einem Karren folgen sollte; und es ging los.

Der alte Simon, der Kutscher, zog unter dem Regen den Kopf ein und kauerte sich zusammen, sodass er in seinem Reitrock mit dreifachem Kragen völlig verschwand. Der Sturm fuhr heulend gegen die Scheiben und setzte die Landstraße unter Wasser.

Beim schnellen Trab der beiden Pferde rollte die Berline rasch hinunter auf die Uferstraße, zog vorbei an der Reihe der großen Schiffe, deren Masten, Rahen und Taue traurig wie kahle Bäume in den triefenden Himmel ragten; dann bog sie in den langen Boulevard du Mont Riboudet ein.

Bald fuhr man durch die Wiesen; und ab und an tauchte ein regenüberströmter Weidenbaum, dessen Zweige mit der Leblosigkeit eines Leichnams herabhingen, ernst aus einem Wassernebel auf. Die Hufeisen der Pferde klapperten, und die vier Räder verspritzten einen Strahlenkranz von Schlamm.

Sie schwiegen; selbst die Gemüter schienen durchnässt, wie der Erdboden. Mamachen lehnte sich zurück, stützte ihren Kopf in die Hand und schloss die Lider. Der Baron blickte müde auf die immer gleichen, durchweichten Felder. Ein Paket auf den Knien, träumte Rosalie mit dem animalischen Dösen der Leute aus dem Volk vor sich hin. Jeanne jedoch spürte, daß sie unter diesem lauen Rauschen auf lebte wie eine Zimmerpflanze, die man gerade an die Luft gesetzt hat; und wie ein Laubdach schützte die Stärke ihrer Freude ihr Herz vor Traurigkeit. Sie sagte nichts, aber am liebsten hätte sie gesungen, ihre Hand hinausgestreckt, um sie voll Wasser laufen zu lassen, das sie trinken würde; und sie genoss es, im schnellen Trab der Pferde davongetragen zu werden, die Öde der Landschaften zu sehen und sich mitten in dieser Überschwemmung geschützt zu fühlen.

Und aus den glänzenden Kruppen der beiden Tiere stieg unter dem anhaltend strömenden Regen in heißen Schwaden der Dampf.

Die Baronin schlief allmählich ein. Ihr von sechs gleichmäßig herabbaumelnden Lockenspiralen umrahmtes Gesicht erschlaffte nach und nach, weich gehalten von den drei großen Wellen ihres Halses, deren letztes Wogen sich in der Hochsee ihrer Brust verlor. Ihr Kopf hob sich bei jedem Atemzug und sank dann wieder zurück; die Wangen blähten sich, während aus ihren halb geöffneten Lippen ein sonores Schnarchen kam. Ihr Mann beugte sich zu ihr herüber und steckte ihr vorsichtig einen kleinen ledernen Geldbeutel in die über dem umfangreichen Bauch gekreuzten Hände.

Diese Berührung weckte sie, und benommen, mit dem Stumpfsinn unterbrochenen Schlummerns, besah sie das Ding. Der Geldbeutel fiel herunter und öffnete sich. Goldstücke und Banknoten flogen durch die Kalesche. Sie erwachte vollends; und die Heiterkeit ihrer Tochter löste sich in hellem Gelächter.

Der Baron las das Geld auf und sagte, es ihr auf die Knie legend: »Hier, liebe Freundin, ist alles, was von meinem Pachthof in Életot übrig ist. Ich habe ihn verkauft, um Les Peuples reparieren zu lassen, wo wir nun häufiger wohnen werden.«

Sie zählte sechstausendvierhundert Francs und steckte sie seelenruhig in ihre Tasche.

Es war der neunte Pachthof von dreißig an der Zahl, der so verkauft worden war, und zwar einer, den ihre Eltern hinterlassen hatten. Sie besaßen indessen außerdem noch zwanzigtausend Pfund Rente an Ländereien, die, gut verwaltet, leicht dreißigtausend Francs im Jahr eingebracht hätten.

Da sie ohne großen Aufwand lebten, wäre dieses Einkommen ausreichend gewesen, hätte es nicht ein stets geöffnetes, bodenloses Loch im Hause gegeben, die Güte. Sie brachte das Geld in ihren Händen zum Versiegen wie die Sonne das Wasser der Sümpfe. Es zerrann, verflog, verschwand. Und wie? Das verstand niemand. Alle Augenblicke sagte einer von ihnen: »Ich weiß nicht, wie das passiert ist, ich habe heute hundert Francs ausgegeben und habe doch nichts Besonderes gekauft.«

Diese Freigebigkeit war im Übrigen eine der großen Beglückungen ihres Lebens; und sie verstanden sich in diesem Punkt auf prachtvolle und rührende Weise.

Jeanne fragte: »Ist es jetzt schön, mein Schloss?«

Der Baron erwiderte fröhlich: »Du wirst es sehen, Töchterchen.«

Doch allmählich ließ die Heftigkeit der Sturzflut nach; dann war es nur noch eine Art Nebel, ein sehr feiner Staub verfliegenden Regens. Die Dunstglocke schien sich zu heben, heller zu werden; und plötzlich fiel auf die Wiesen durch ein Loch, das man gar nicht sah, ein langer, schräger Sonnenstrahl.

Und als sich die Wolken geteilt hatten, erschien das Blau des Firmaments; dann weitete sich der Spalt, wie ein Schleier, der zerreißt; und über die Welt spannte sich ein schöner, klarer Himmel in reinem Azur.

Ein kühler, sanfter Hauch strich vorüber, wie ein glücklicher Seufzer der Erde; und wenn sie an Gärten oder Wäldern entlangfuhren, hörte man mitunter den lebhaften Gesang eines Vogels, der seine Flügel trocknete.

Es wurde Abend. Alles schlief nun im Wagen, außer Jeanne. Zweimal hielten sie an Gasthöfen, um die Pferde verschnaufen zu lassen und ihnen etwas Hafer und Wasser zu geben.

Die Sonne war untergegangen; in der Ferne läuteten Glocken. In einem kleinen Dorf wurden die Laternen angezündet; und mit einem Gewimmel von Sternen erstrahlte auch der Himmel. Hier und da tauchten erleuchtete Häuser auf, die Finsternis mit einem Lichtpunkt durchdringend; und mit einem Mal erschien hinter einem Hang zwischen den Zweigen der Tannen, rot, riesig und wie schlaftrunken, der Mond.

Es war so warm, dass die Fenster heruntergelassen blieben. Jeanne, erschöpft von Träumen, befriedigt von glücklichen Visionen, ruhte nun aus. Bisweilen ließ das Taubheitsgefühl durch immer dieselbe Haltung sie die Augen wieder öffnen; dann schaute sie hinaus und sah in der hellen Nacht die Bäume eines Gehöfts vorüberziehen oder ein paar hier und da in einem Feld liegende Kühe, die den Kopf hoben. Dann suchte sie eine neue Stellung, bemühte sich, eine begonnene Träumerei wiederaufzunehmen; doch das fortgesetzte Rollen des Wagens lag ihr in den Ohren, ermüdete ihr Denken, und sie schloss die Augen wieder, da sie sich im Kopf so gerädert fühlte wie im Körper.

Unterdessen hielten sie an. Männer und Frauen standen mit Laternen in der Hand vor den Wagentüren. Man war angekommen. Jeanne, plötzlich hellwach, sprang auf. Während ein Bauer ihnen leuchtete, mussten Vater und Rosalie die völlig erschöpfte Baronin nahezu tragen, die vor Verzweiflung seufzte und ununterbrochen mit erlöschender Stimme wiederholte: »Oh, mein Gott! Meine armen Kinder!«

Sie wollte nichts trinken, nichts essen, ging zu Bett und schlief noch im selben Moment.

Jeanne und der Baron saßen zu zweit beim Souper.

Sie sahen sich lächelnd an, reichten sich über den Tisch hinweg die Hände; und von kindlicher Freude erfasst, machten sich beide daran, das instand gesetzte Herrenhaus zu besichtigen.

Es war eines jener hohen und weitläufigen normannischen Anwesen, die etwas von einem Bauernhaus und von einem Schloss haben, erbaut aus ergrauten weißen Steinen und so geräumig, dass eine ganze Sippe darin untergebracht werden konnte.

Eine riesige Halle teilte das Haus in zwei Hälften und ging, ihre großen Portale zu beiden Seiten öffnend, von vorne bis hinten. Eine Doppeltreppe schien dieses Entrée zu überspannen, indem sie die Mitte aussparte und ihre beiden Aufgänge im ersten Stock wie eine Brücke wieder verband.

Im Erdgeschoss trat man rechts in den ungeheuer großen Salon, ausgeschlagen mit Tapisserien voller Blattwerk, in dem Vögel umherspazierten. Das ganze gobelinbezogene Mobiliar war eine einzige Illustration der Fables von La Fontaine; und Jeanne erschauerte vor Vergnügen, als sie einen Stuhl wiederfand, den sie als kleines Kind geliebt hatte und der die Geschichte vom Fuchs und vom Storch zeigte.

Vom Salon ging es zur Bibliothek voller alter Bücher und zu zwei anderen, ungenutzten Räumen; zur Linken lagen das neu getäfelte Speisezimmer, die Wäschekammer, das Anrichtezimmer, die Küche und ein kleines Kabinett, in dem eine Badewanne stand.

Ein langer Flur lief durch den ganzen ersten Stock. An diesem Gang reihten sich die zehn Türen der zehn Zimmer. Ganz hinten rechts war Jeannes Domizil. Sie gingen hinein. Der Baron hatte es gerade ganz neu herrichten lassen und dabei einfach Tapeten und Möbel verwandt, die nutzlos auf den Dachböden übrig geblieben waren.

Tapisserien, die aus Flandern stammten und sehr alt waren, bevölkerten diesen Ort mit seltsamen Gestalten.

Doch als das junge Mädchen sein Bett sah, schrie es vor Freude auf. Ganz schwarz und glänzend poliert, wurde das Lager an allen vier Ecken von vier großen Vögeln aus Eichenholz getragen, die seine Hüter zu sein schienen. Die Seiten stellten zwei breite Girlanden geschnitzter Blumen und Früchte dar; und vier fein geriefelte Säulen, die in korinthischen Kapitellen endeten, stützten eine Kranzleiste von verschnörkelten Rosen und Putten.

Monumental und dennoch anmutig stand es da, trotz der Strenge des durch die Zeit gedunkelten Holzes.

Der Überwurf und der Betthimmel schimmerten wie zwei Firmamente. Sie waren aus einer dunkelblauen alten Seide genäht, auf der sternengleich hier und da goldgestickte Lilienblüten leuchteten.

Als sie es ausgiebig bewundert hatte, hob Jeanne ihr Licht und betrachtete die Tapisserien, um ihr Motiv zu erfassen.

Ein junger Herr und eine junge Dame, aufs Absonderlichste in Grün, Rot und Gelb gekleidet, plauderten unter einem blauen Baum, wo weiße Früchte reiften. Ein dickes Kaninchen gleicher Farbe knabberte ein wenig graues Gras.

Genau über den Figuren sah man in herkömmlichem Hintergrund fünf runde Häuschen mit spitzem Dach; und oben, fast im Himmel, eine gänzlich rote Windmühle.

Durch all das wanden sich große Ranken, in denen Blumen prangten.

Die beiden anderen Flächen glichen sehr der ersten, außer dass man vier Männchen aus den Häusern kommen sah, die wie Flamen gekleidet waren und zum Zeichen äußerster Verwunderung und Empörung die Arme zum Himmel erhoben.

Doch die letzte Tapete stellte ein Drama dar. Neben dem Kaninchen, das immer noch graste, schien der junge Mann tot dazuliegen. Die junge Dame blickte ihn an und stach sich einen Degen in den Busen, und die Früchte des Baumes waren schwarz geworden.

Jeanne gab es auf, sich einen Reim darauf zu machen, als sie in einer Ecke ein mikroskopisch kleines Tierchen entdeckte, welches von dem Kaninchen, wäre es lebendig gewesen, wie ein Grashalm hätte gefressen werden können. Und doch war es ein Löwe.

Da erkannte sie das traurige Schicksal von Pyramus und Thisbe; und obwohl sie über die Naivität der Darstellung lächelte, war sie glücklich, von diesem Liebesabenteuer umgeben zu sein, das ihr immerfort von teuren Hoffnungen spräche und jede Nacht diese antike, zärtliche Liebeslegende über ihrem Schlummer schweben ließe.

Das ganze übrige Mobiliar vereinte die verschiedensten Stilarten. Es waren die Möbel, die jede Generation in der Familie hinterlässt und die aus alten Häusern gleichsam Museen machen, in denen sich alles mischt. Eine prachtvolle Louis-quatorze-Kommode mit glänzenden Beschlägen wurde flankiert von zwei Louis-quinze-Sesseln, die noch in ihre Blumenseide gekleidet waren. Ein Sekretär aus Rosenholz stand gegenüber dem Kamin, der unter einem runden Glassturz eine Pendeluhr aus dem Empire präsentierte.

Es war ein bronzener Bienenkorb, der auf vier Marmorsäulen über einem Garten vergoldeter Blumen schwebte. Ein winziges Pendel, das durch einen länglichen Einschnitt aus dem Bienenkorb ragte, ließ ewig über diesem Beet eine kleine Biene mit Flügeln aus Emaille hin- und herschwirren.

Das Zifferblatt war aus bemalter Fayence und in die Wand des Bienenkorbes eingelassen.

Sie begann, elf zu schlagen. Der Baron umarmte seine Tochter und zog sich in sein Gemach zurück.

Widerstrebend legte Jeanne sich nun schlafen.

Sie ließ einen letzten Blick durch ihr Zimmer schweifen und löschte ihre Kerze. Doch das Bett, das nur mit dem Kopfende an der Wand stand, hatte zur Linken ein Fenster, durch welches das Mondlicht hereinflutete und sich in einer hellen Lache auf dem Boden verbreitete.

Das Licht fiel hier und da auf die Wände, ein bleicher Schein, der sanft über die reglose Liebesgeschichte von Pyramus und Thisbe strich.

Durch das andere Fenster, zu ihren Füßen, sah Jeanne einen großen Baum, der ganz in mildes Licht gebadet war. Sie drehte sich auf die Seite, schloss die Augen und schlug sie binnen Kurzem wieder auf.

Ihr war, als werde sie immer noch geschüttelt von den Stößen des Wagens, dessen Rollen sich in ihrem Kopf fortsetzte. Erst blieb sie still liegen, in der Hoffnung, diese Ruhe ließe sie schließlich einschlafen; doch ihre innere Unrast ergriff bald ihren ganzen Körper.

Es zuckte in ihren Beinen, ihr wurde immer heißer. Da erhob sie sich, und barfuß, mit bloßen Armen, schritt sie in ihrem langen Hemd, in dem sie wie ein Geist aussah, durch den Teich aus Licht, der sich über die Dielen ergossen hatte, öffnete das Fenster und schaute hinaus.

Die Nacht war so klar, dass man darin sehen konnte wie am helllichten Tag; und das junge Mädchen erkannte die ganze ehemals in ihrer Kindheit geliebte Gegend.

Vor ihr lag da zunächst ein großer Rasen, unter dem nächtlichen Licht gelb wie Butter. Vor dem Schloss standen an den Ecken zwei riesige Bäume, im Norden eine Platane, im Süden eine Linde. Ganz am Ende der weiten Grasfläche schloss ein Wäldchen das Anwesen ab, das vor den Stürmen der offenen See durch fünf Reihen alter Ulmen geschützt wurde, die von dem immerfort blasenden Seewind gekrümmt, geschoren, beschnitten und abgeschrägt worden waren wie ein Dach.

Diese Art Park wurde rechts und links von zwei langen Wegen mit gewaltigen Pappeln begrenzt, in der Normandie Peuples genannt, welche das Herrenhaus von den beiden angrenzenden Pachthöfen trennten, der eine von der Familie Couillard, der andere von der Familie Martin bewohnt.

Diese Peuples hatten dem Schloss ihren Namen gegeben. Jenseits dieser Einfriedung erstreckte sich eine mit Stechginster übersäte weite, brachliegende Ebene, über die Tag und Nacht brausend der Wind pfiff. Danach fiel die Küste plötzlich hundert Meter ab, senkrecht und weiß stand die Felswand in den Wellen.

Jeanne sah hinaus auf die weite, schillernde Fläche der Fluten, die unter den Sternen zu schlafen schienen.

In dieser Besänftigung durch die Abwesenheit des Sonnenlichts entfalteten sich sämtliche Gerüche der Erde. Ein um die unteren Fenster gerankter Jasmin verströmte unablässig seinen durchdringenden Hauch, der sich mit dem schwächeren Duft der sprießenden Blätter mischte. In schwachen Böen trug der Wind die starke Würze der salzigen Luft und des modrigen Tangdunstes heran.

Das junge Mädchen genoss zunächst in vollen Zügen das Glück der frischen Luft; und die ländliche Stille beruhigte sie wie ein kühles Bad.

Alle Tiere, die erwachen, wenn der Abend kommt, und in nächtlicher Stille ihr geheimes Leben führen, erfüllten das Halbdunkel mit lautlosem Wirken. Große Vögel, die keinen Ton von sich gaben, flatterten wie dunkle Flecken, wie Schatten davon; das Sirren unsichtbarer Insekten streifte das Ohr; ein stummes Gewimmel durchzog das taunasse Gras oder den Sand der verlassenen Wege.

Nur ein paar Kröten quakten ihr knappes, eintöniges Lied zum Mond hinauf.

Jeanne war, als weite sich ihr Herz, erfüllt von Gemurmel wie dieser klare Abend, plötzlich wimmelnd von tausend vagabundierenden Sehnsüchten, ähnlich dem nächtlichen Getier, dessen Treiben sie umgab. Eine Verwandtschaft verband sie mit dieser lebendigen Poesie; und in der matten Helle der Nacht fühlte sie übermenschliche Schauer umgehen, unfassliche Hoffnungen aufzucken, so etwas wie ein Wehen des Glücks.

Und sie begann, von der Liebe zu träumen.

Die Liebe! Sie erfüllte sie seit zwei Jahren angesichts ihres Näherrückens mit wachsender Unruhe. Jetzt war sie frei zu lieben; sie musste ihm nur noch begegnen, ihm!

Wie wäre er? Sie wusste es nicht genau und fragte es sich nicht einmal. Er wäre er, das war alles.

Sie wusste nur, dass sie ihn mit ganzer Seele anbeten und dass er sie nach Kräften mit Liebe umgeben würde. An Abenden wie diesem würden sie unter dem leuchtenden Flimmern umherwandeln, das von den Sternen fiel. Sie würden dicht nebeneinander Hand in Hand gehen und ihre Herzen schlagen hören, die Wärme ihrer Schultern spüren, ihre Liebe mit der süßen Klarheit der Sommernächte verquickend, so sehr eins, dass sie allein durch die Macht ihrer Zärtlichkeit mit Leichtigkeit selbst ihre heimlichsten Gedanken erraten würden.

Und das würde unendlich so weitergehen im himmlischen Frieden einer unzerstörbaren Zuneigung.

Und plötzlich war es ihr, als spüre sie, wie er sich an sie drängte; und jäh überlief sie von den Füßen bis zum Kopf ein unerklärlicher, sinnlicher Schauer. In einer unbewussten Regung schlang sie die Arme um die Brust, wie um ihren Traum an sich zu drücken; und über ihre dem Unbekannten dargebotenen Lippen strich etwas, das sie fast die Besinnung verlieren ließ, als habe der Frühlingshauch sie liebend geküsst.

Mit einem Mal hörte sie, dort hinter dem Schloss, auf der Straße, in der Dunkelheit jemanden gehen. Und in einem Aufschwung ihrer verzückten Seele, einem Aufwallen von Glauben an das Unmögliche, an vorausbestimmte Zufälle, an göttliche Vorhersehungen, an romanhafte Verknüpfungen des Schicksals, dachte sie: »Wenn er es wäre?« Begierig lauschte sie dem rhythmischen Schritt des Gehenden, sicher, dass er am Gittertor stehen bliebe, um nach Unterkunft zu fragen. Als er vorüber war, war sie traurig wie nach einer Enttäuschung. Doch sie begriff die Überspanntheit ihrer Hoffnung und lächelte über ihren Wahn.

Ein wenig besänftigt, ließ sie nun ihre Gedanken in einer vernünftigeren Träumerei treiben, indem sie versuchte, ihr Leben zu entwerfen und so die Zukunft zu ergründen.

Mit ihm würde sie hier leben, in diesem stillen Schloss über dem Meer. Sicher hätte sie zwei Kinder, einen Sohn für ihn, eine Tochter für sich. Und sie sah sie zwischen der Platane und der Linde über das Gras laufen, während Vater und Mutter, liebevolle Blicke über ihren Köpfen wechselnd, ihnen entzückt nachsahen.

Und so träumte sie lange, lange vor sich hin, während der Mond, seine Reise über den Himmel vollendend, sich anschickte, im Meer zu verschwinden. Die Luft wurde kühler. Gen Osten erhellte sich der Horizont. Ein Hahn krähte im rechten Gehöft; andere antworteten im linken. Durch die Wand der Hühnerställe schienen ihre heiseren Stimmen von sehr weit her zu kommen; und in dem unmerklich verblassten riesigen Himmelsgewölbe verschwanden die Sterne.

Irgendwo erklang ein leiser Vogelruf. Gezwitscher, schüchtern zunächst, kam aus den Blättern; dann wurde es kühner, klangvoller, fröhlicher und verbreitete sich von Ast zu Ast, von Baum zu Baum.

Jeanne spürte plötzlich, dass sie im Hellen war; und als sie den Kopf hob, den sie in ihren Händen versteckt hatte, schloss sie die Augen, geblendet vom Glanz der Morgenröte.

Ein purpurrot verfärbter Wolkenberg warf, halb hinter der großen Pappelallee verborgen, einen blutroten Schimmer über die erwachte Erde.

Und den hellen Dunst zerreißend, die Bäume, das weite Land, den Ozean, den ganzen Horizont mit Feuer überschüttend, erschien langsam die riesige flammende Kugel.

Und Jeanne fühlte, wie sie vor Glück den Verstand verlor. Eine wahnsinnige Freude, eine unendliche Rührung angesichts der Herrlichkeit der Dinge überschwemmte ihr stockendes Herz. Es war ihre Sonne! Ihr Morgenrot! Der Beginn ihres Lebens! Das Aufgehen ihrer Hoffnungen! Sie streckte die Arme aus zu dem strahlenden Himmelsraum und hätte am liebsten die Sonne geküsst; sie wollte etwas sagen, etwas rufen, etwas, das göttlich war wie dieser Tagesanbruch; doch sie blieb gelähmt in ohnmächtiger Begeisterung. Da legte sie die Stirn in die Hände und merkte, dass ihr die Augen feucht wurden; und sie weinte köstliche Tränen.

Als sie den Kopf hob, war das prächtige Bild des anbrechenden Tages verschwunden. Sie fühlte sich beruhigt, ein wenig matt, wie abgekühlt. Ohne ihr Fenster zu schließen, streckte sie sich auf ihr Bett, träumte noch ein paar Minuten und schlief so fest ein, dass sie um acht Uhr das Rufen ihres Vaters gar nicht hörte und erst aufwachte, als er in ihr Zimmer trat.

Er wollte ihr die Verschönerungen des Schlosses zeigen, ihres Schlosses.

Die dem Land zugewandte Fassade war durch einen mit Apfelbäumen bepflanzten geräumigen Hof vom Weg getrennt.

Dieser Weg, Vizinalweg genannt, lief zwischen den Grundstücken der Bauern hindurch und mündete eine halbe Meile weiter in die Landstraße von Le Havre nach Fécamp.

Eine gerade Auffahrt führte vom Tor bis zur Freitreppe. Die Gesindewohnungen, mit Stroh gedeckte kleine Gebäude aus Strandkieseln, standen in einer Reihe zu beiden Seiten des Hofes an den Gräben der beiden Pachthöfe.

Die Dächer waren erneuert worden; das ganze Fachwerk war wiederhergestellt, die Mauern ausgebessert, die Zimmer neu tapeziert, innen alles neu gestrichen. Und der verwitterte alte Herrensitz trug seine in silbrigem Weiß frisch gestrichenen Fensterläden und seine neu verputzten Stellen auf der großen hellgrauen Fassade wie Abzeichen.

Die andere Fassade, diejenige, in der sich eines von Jeannes Fenstern befand, blickte über das Wäldchen und die vom Wind beschnittene Ulmenwand von Weitem auf das Meer.

Jeanne und der Baron schauten sich Arm in Arm alles an, ohne eine Ecke auszulassen; dann spazierten sie gemächlich durch die langen Pappelalleen, die den sogenannten Park umschlossen. Unter den Bäumen war Gras gewachsen und breitete seinen grünen Teppich aus. Das Wäldchen ganz am Ende war zauberisch mit seinen durch Laubwerk getrennten, verschlungenen Pfaden. Unerwartet sprang ein Hase auf, der dem jungen Mädchen einen Schreck einjagte, dann hoppelte er die Böschung hinunter und nahm im Seegras Reißaus zur Steilküste.

Da Madame Adelaide nach dem Déjeuner, noch immer erschöpft, erklärte, dass sie sich hinlegen wolle, schlug der Baron vor, bis nach Yport hinunter zu gehen.

Sie brachen auf und durchquerten zunächst den Weiler Étouvent, in dem Les Peuples lag. Drei Bauern grüßten sie, als seien sie ihnen von jeher bekannt.

Sie kamen in den Wald am Hang, der sich, einem gewundenen Tal folgend, bis zum Meer hinunterzog.

Bald erschien das Dorf Yport. Frauen, die auf der Schwelle ihrer Wohnung sitzend Kleider flickten, blickten auf, als sie vorübergingen. Die steile Straße, mit einer Gosse in der Mitte und Haufen von Unrat vor den Türen, roch stark nach Lake. Braune Netze, in denen wie Silberstückchen hier und da noch glänzende Schuppen hingen, trockneten an den Türen der elenden Behausungen, aus denen die Gerüche kinderreicher Familien drangen, die einen einzigen Raum bewohnten.

Ein paar Tauben spazierten am Rande der Gosse entlang und suchten nach Nahrung.

Jeanne betrachtete dies alles, das für sie so seltsam und fremd war wie ein Bühnenbild.

Doch als sie um eine Mauerecke bog, sah sie mit einem Mal das Meer, welches sich in undurchsichtigem und gleichförmigem Blau erstreckte, so weit das Auge reichte.

Sie blieben vor dem Strand stehen und schauten. Weiß wie Flügel von Vögeln zogen Segel über die offene See. Zur Rechten wie zur Linken ragte die gewaltige Steilküste empor. Auf der einen Seite wurde der Blick von einer Art Kap begrenzt, während sich die Küstenlinie auf der anderen endlos fortsetzte, bis sie nur noch ein unmerklicher Strich war.

In einem der nächsten Einschnitte erschienen ein Hafen und Häuser; und winzige Wellen, die das Meer mit einem Schaumrand säumten, rollten leise auf den steinigen Strand.

Die auf den abschüssigen Kiesstrand gezogenen heimischen Boote lagen auf der Seite und hielten ihre geteerten runden Wangen in die Sonne. Ein paar Fischer machten sie bereit für die abendliche Flut.

Ein Seemann trat heran, um Fisch anzubieten, und Jeanne kaufte einen Butt, den sie selbst nach Les Peuples tragen wollte.

Da bot der Mann seine Dienste für Ausflüge auf dem Meer an und sagte immer wieder seinen Namen, damit er sich gut einprägte:

– Lastique, Joséphin Lastique.

Der Baron versprach, ihn nicht zu vergessen.

Sie machten sich auf den Rückweg zum Schloss.

Da der große Fisch für Jeanne zu schwer war, schob sie ihm den Spazierstock ihres Vaters, von dem jeder ein Ende nahm, durch die Kiemen; und schwatzend wie zwei Kinder, die Stirn im Wind und mit glänzenden Augen, stiegen sie fröhlich den Hang wieder hinauf, während der Butt, der ihre Arme allmählich müde machte, mit seinem dicken Schwanz über das Gras fegte.

II

Ein reizendes und freies Leben begann für Jeanne. Sie las, träumte und streifte ganz allein durch die Gegend. Gedankenverloren schlenderte sie auf den Landstraßen umher; oder sie sprang die gewundenen Senken hinab, deren Hänge, wie einen goldenen Überwurf, ein Vlies von Ginsterblüten trugen. Ihr durch die Wärme aufs Höchste gesteigerter starker und süßer Duft machte sie trunken wie ein schwerer Wein; und eine kräftige Dünung wiegte ihren Geist zum fernen Rauschen der auf einen Strand rollenden Wellen.

Mal streckte sie sich in einem Gefühl der Ermattung auf dem dichten Gras eines Abhangs aus; und dann wieder, wenn sie plötzlich bei einer Talbiegung, in einer Rasensenke, ein Dreieck des in der Sonne glitzernden blauen Meeres erblickte, mit einem Segel am Horizont, geriet sie in maßlose Freude, wie beim geheimnisvollen Herannahen über ihr schwebender glücklicher Aussichten.

Eine Liebe zur Einsamkeit überkam sie bei der Sanftheit dieses blühenden Landes und dem Frieden der weich geschwungenen Linien am Horizont; und sie blieb so lange auf der höchsten Erhebung der Hügel sitzen, dass zu ihren Füßen kleine wilde Kaninchen vorüberhoppelten.

Elektrisiert von der frischen Luft der Küste, begann sie oft auf der Steilküste zu rennen, ganz hingerissen von einem köstlichen Vergnügen, sich unermüdlich zu bewegen wie die Fische im Wasser oder die Schwalben in der Luft.

Überall säte sie ihre Erinnerungen, wie man Körner auf die Erde streut, jene Erinnerungen, deren Wurzeln sich bis zum Tode halten. Ihr war, als werfe sie in alle Furchen dieser kleinen Täler ein wenig von ihrem Herzen.

Voller Begeisterung begann sie zu baden. Sie schwamm, so weit das Auge reicht, denn sie war kräftig und kühn und sich der Gefahr nicht bewusst. Sie fühlte sich wohl in diesem kalten, klaren und blauen Wasser, das sie trug und wiegte. War sie weit vom Ufer entfernt, legte sie sich mit auf der Brust verschränkten Armen auf den Rücken, den Blick verloren im tiefen Azur des Himmels, das rasch der Flug einer Schwalbe oder der weiße Umriss eines Seevogels kreuzte. Man vernahm nichts mehr als das ferne Raunen der Fluten am Kiesstrand und ein vages Rumoren vom Land, das noch über den Wellenschlag glitt, jedoch undeutlich, fast unhörbar. Und dann hob Jeanne den Kopf, und in einem Anfall von Freude stieß sie spitze Schreie aus und schlug mit beiden Händen aufs Wasser. Manchmal, wenn sie sich zu weit hinausgewagt hatte, holte ein Boot sie zurück.

Blass vor Hunger kehrte sie heim ins Schloss, aber frisch und wach, mit einem Lächeln auf den Lippen und glückstrahlenden Augen.

Der Baron seinerseits dachte über große landwirtschaftliche Unternehmungen nach; er wollte Versuche machen, den Fortschritt organisieren, neue Geräte erproben, fremde Arten einführen; und er verbrachte einen Teil seiner Tage im Gespräch mit den Bauern, die zu seinen Experimenten ungläubig den Kopf schüttelten.

Oft fuhr er auch mit den Matrosen aus Yport auf das Meer hinaus. Als er die Höhlen, die Quellen und die Felsspitzen der Umgebung besichtigt hatte, wollte er fischen wie ein einfacher Seemann.

An windigen Tagen, wenn das geblähte Segel den pausbackigen Bootsrumpf auf dem Rücken der Wellen laufen lässt und beidseits die von Makrelenhorden verfolgte Langleine auf den Meeresgrund hängt, hielt er in seiner begierig bebenden Hand die dünne Schnur, die man zittern fühlt, sobald ein gefangener Fisch daran zappelt.

Er brach bei Mondschein auf, um die am Vorabend ausgebrachten Netze einzuholen. Er liebte es, den Mast knarren zu hören, die pfeifenden und kalten nächtlichen Böen zu atmen; und wenn er lange gekreuzt hatte, um die Bojen wiederzufinden, wobei er sich vom Kamm einer Klippe, dem Dach eines Kirchturms und dem Leuchtturm von Fécamp leiten ließ, genoss er es, reglos zu bleiben unter den ersten Blitzen der aufgehenden Sonne, die den klebrigen Rücken der breiten Fächerrochen und den fetten Bauch der Steinbutte an Deck zum Glänzen brachte.

Bei jeder Mahlzeit erzählte er begeistert von seinen Ausflügen; und Mamachen sagte ihm ihrerseits, wie oft sie durch die große Pappelallee gegangen war, durch die rechte, am Gehöft der Couillards, weil die andere nicht sonnig genug war.

Da man ihr geraten hatte, »sich zu bewegen«, war sie hartnäckig darauf bedacht umherzuwandern. Sobald die nächtliche Kühle vergangen war, kam sie, auf den Arm von Rosalie gestützt, herunter, in ein Cape und zwei Schals gehüllt und den Kopf verborgen unter einem schwarzen Kapotthut, den noch dazu ein gestricktes rotes Tuch bedeckte.

Den linken, ein wenig schwerfälligen Fuß nachziehend, der auf der ganzen Strecke, die eine auf dem Hin-, die andere auf dem Rückweg, zwei staubige Furchen hinterlassen hatte, wo das Gras abgestorben war, begab sie sich nun unaufhörlich auf eine endlose Reise in gerader Linie von der Schlossecke bis zu den ersten Sträuchern des Wäldchens. Sie hatte an jedes Ende der Bahn eine Bank stellen lassen; und alle fünf Minuten blieb sie stehen und sagte zu der armen, gutmütigen Geduldigen, die sie stützte: »Setzen wir uns, mein Kind, ich bin ein wenig erschöpft.« Und bei jedem Halt legte sie auf der Bank bald das Stricktuch ab, das ihren Kopf bedeckte, bald einen Schal, und dann den anderen, dann den Kapotthut, dann das Cape; und all das bildete an den beiden Enden der Allee zwei große Kleiderhaufen, die Rosalie auf ihrem freien Arm trug, wenn sie zum Déjeuner zurückkehrten.

Und nachmittags begann die Baronin etwas matter von Neuem, mit längeren Ruhepausen, bei denen sie sogar auf einer Chaiselongue, die man ihr herausgeschoben hatte, dann und wann eine Stunde schlief.

Sie nannte das »ihren Gang« machen, so wie sie »meine Hypertrophie« sagte.

Ein Arzt, den man vor zehn Jahren konsultiert hatte, weil sie Atemnot verspürte, hatte von Hypertrophie gesprochen. Seither hatte sich dieses Wort, dessen Bedeutung sie kaum verstand, in ihrem Kopf festgesetzt. Beständig ließ sie den Baron, Jeanne und Rosalie nach ihrem Herzen tasten, das niemand mehr spürte, so tief war es unter der Aufgedunsenheit ihrer Brust begraben; doch aus Angst, dass weitere Krankheiten bei ihr entdeckt würden, lehnte sie es energisch ab, sich von irgendeinem neuen Arzt untersuchen zu lassen; und sie sprach bei jeder Gelegenheit von »ihrer« Hypertrophie, und das so oft, dass es den Anschein hatte, dieses Leiden sei ihr vorbehalten, gehöre zu ihr wie etwas Einzigartiges, auf das andere keinerlei Anspruch hatten.

Der Baron sagte »die Hypertrophie meiner Frau« und Jeanne »Mamas Hypertrophie«, als hätten sie »das Kleid«, »der Hut« oder »der Schirm« gesagt.

In ihrer Jugend war sie sehr hübsch gewesen und schlanker als ein Schilfrohr. Nachdem sie in den Armen sämtlicher Uniformen des Empire Walzer getanzt hatte, war sie bei der Lektüre von Corinne in Tränen ausgebrochen und seither von diesem Roman gleichsam gezeichnet.

Je unförmiger ihre Taille geworden war, desto mehr hatte sich ihre Seele für Poesie begeistert; und als die Fettsucht sie in einen Sessel verbannt hatte, schweifte sie in Gedanken durch galante Abenteuer, für deren Heldin sie sich hielt. Einige darunter waren ihr besonders lieb, und sie kehrte in ihren Träumen immerfort zu ihnen zurück, so wie ein aufgezogener Musikautomat endlos dieselbe Melodie wiederholt. Alle schmachtenden Romanzen, in denen von eroberten Frauen und von Schwalben die Rede ist, ließen unweigerlich ihre Lider feucht werden; und wegen der Sehnsüchte, die sie zum Ausdruck bringen, mochte sie sogar bestimmte anzügliche Lieder von Béranger.

Oft saß sie stundenlang reglos bei ihren Träumereien; und ihr Wohnsitz Les Peuples gefiel ihr unendlich gut, weil er den Romanen ihrer Seele einen Rahmen gab, indem er sie sowohl durch die umliegenden Wälder wie die einsame Heide und die Nähe des Meeres an die Bücher von Walter Scott erinnerte, die sie seit einigen Monaten las.

An Regentagen blieb sie in ihrem Zimmer, um sich das anzusehen, was sie ihre »Reliquien« nannte. Es waren all ihre alten Briefe, die Briefe ihres Vaters und ihrer Mutter, die Briefe des Barons, als sie seine Verlobte gewesen war, und noch andere.

Sie hatte sie in einem Sekretär aus Mahagoni verwahrt, der an seinen Ecken Sphinxfiguren aus Messing trug; und sie sagte mit einer ganz eigenen Stimme: »Rosalie, mein Kind, bring mir die Schublade der ›Erinnerungen‹.«

Das junge Hausmädchen schloss das Möbel auf, nahm die Schublade heraus und stellte sie auf einen Stuhl neben ihrer Herrin, die langsam, einen nach dem anderen, diese Briefe zu lesen begann, indem sie ab und an eine Träne darauffallen ließ.

Jeanne nahm bisweilen Rosalies Stelle ein und führte Mamachen, die ihr Kindheitserinnerungen erzählte, spazieren. Das junge Mädchen erkannte sich in diesen Geschichten aus vergangenen Zeiten wieder und wunderte sich über die Ähnlichkeit ihrer Gedanken und die Verwandtheit ihrer Sehnsüchte; denn so glaubt jedes Herz, vor allen anderen unter unzähligen Empfindungen erbebt zu sein, welche doch schon die Herzen der ersten Geschöpfe zum Klopfen gebracht haben und noch die der letzten Männer und Frauen entflammen werden.

Ihr langsames Schreiten folgte der Langsamkeit des manchmal von Beklemmungen unterbrochenen Berichts; und dann übersprangen die Gedanken von Jeanne die Anfänge der Abenteuer, stürzten sich in die von Freuden erfüllte Zukunft und ergingen sich in Hoffnungen.

Eines Nachmittags, als sie sich auf der hinteren Bank ausruhten, sahen sie plötzlich am Ende der Allee einen wohlbeleibten Priester, der auf sie zukam.

Er grüßte von Weitem, setzte eine lächelnde Miene auf, grüßte von Neuem, als er drei Schritte vor ihnen stand, und rief: »Nun, Frau Baronin, wie geht es uns?« Es war der Priester des Ortes.

Mamachen, geboren im Jahrhundert der Philosophen, erzogen in Revolutionstagen von einem nicht sehr gläubigen Vater, ging kaum zur Kirche, obwohl sie in einer Art von weiblichem religiösem Instinkt die Priester mochte.

Sie hatte Abbé Picot, ihren Pfarrer, völlig vergessen und errötete, als sie ihn sah. Sie entschuldigte sich, seinem Bemühen nicht zuvorgekommen zu sein. Doch der gute Mann schien darüber keineswegs gekränkt; er blickte auf Jeanne, beglückwünschte sie zu ihrem gesunden Aussehen, setzte sich, legte seinen Dreispitz auf seine Knie und wischte sich die Stirn. Er war sehr dick, sehr rot und schwitzte in Strömen. Alle Augenblicke zog er ein schweißgetränktes riesiges kariertes Schnupftuch aus der Tasche und fuhr sich damit über Gesicht und Hals, doch kaum war das feuchte Linnen wieder in den dunklen Tiefen seiner Robe verschwunden, sprossen neue Tropfen auf seiner Haut und hielten, auf seine am Bauch vorgewölbte Soutane fallend, in kleinen runden Flecken den losen Straßenstaub fest.

Er war ein heiterer Mensch, ein wahrer Landpfarrer, ein toleranter, redseliger und gutmütiger Mann. Er erzählte Geschichten, sprach über die Leute der Gegend, schien nicht bemerkt zu haben, dass seine beiden Pfarrkinder noch nicht zur Messe gekommen waren, wobei sich die Trägheit der Baronin durch ihren verworrenen Glauben erklärte und Jeanne überglücklich war, vom Kloster erlöst zu sein, wo sie die frommen Zeremonien leid geworden war.

Nun erschien der Baron. Sein pantheistischer Glaube machte ihn Dogmen gegenüber gleichgültig. Er war liebenswürdig gegenüber dem Pfarrer, den er entfernt kannte, und bat ihn, zum Diner zu bleiben.

Dank jener unbewussten Schlauheit, welche der Umgang mit Menschen auch einfachsten Gemütern verleiht, wenn der Zufall sie in die Lage versetzt, über ihresgleichen Macht auszuüben, wusste der Priester zu gefallen.

Die Baronin bedachte ihn mit Aufmerksamkeiten, vielleicht angezogen durch ein Gefühl der Verwandtheit, das ähnliche Naturen zusammenbringt, da das sanguinische Gesicht und die Kurzatmigkeit des dicken Mannes ihrer schnaufenden Fettleibigkeit gefielen.

Zum Dessert entwickelte er die Begeisterung eines leicht beschwipsten Pfarrers, jene vertrauliche Ungezwungenheit beim Abschluss heiterer Mahlzeiten.

Und als sei ihm ein guter Gedanke durch den Kopf geschossen, rief er plötzlich: »Ich habe da ja ein neues Pfarrkind, das ich Ihnen vorstellen muss; Monsieur le Vicomte de Lamare!«

Die Baronin, die das gesamte Wappenbuch der Provinz auswendig kannte, fragte: »Gehört er zur Familie de Lamare aus dem Eure?«

Der Priester verneigte sich: »Ja, Madame, er ist der Sohn des im letzten Jahr verstorbenen Vicomte Jean de Lamare.«

Nun stellte Madame Adelaide, die den Adel über alles liebte, eine Menge Fragen und erfuhr, dass sich der junge Mann, als die Schulden des Vaters bezahlt waren und er das Schloss seiner Familie verkauft hatte, einen kleinen zweiten Wohnsitz in einem der drei Pachthöfe eingerichtet hatte, die er in der Gemeinde Étouvent besaß. Dieser Besitz entsprach insgesamt fünf- bis sechstausend Pfund Leibrente; aber der Vicomte wollte gut haushalten und vernünftig sein und zwei oder drei Jahre lang in diesem sehr schlichten Häuschen in aller Bescheidenheit leben, um so viel zu sparen, dass er in der Gesellschaft würde glänzen und vorteilhaft heiraten können, ohne Schulden zu machen oder Hypotheken auf seine Landgüter aufzunehmen.

Der Pfarrer setzte hinzu: »Er ist ein ganz reizender Junge; und so ordentlich und ruhig. Aber unterhaltsam ist diese Gegend für ihn nicht gerade.«

Der Baron sagte: »Bringen Sie ihn mit, Herr Pfarrer, das wird ihn ab und an zerstreuen.«

Und man sprach über andere Dinge.

Als man nach dem Café in den Salon ging, bat der Priester darum, eine Runde im Garten machen zu dürfen, da er die Gewohnheit hatte, sich nach seinen Mahlzeiten ein wenig zu bewegen. Der Baron begleitete ihn. Sie schlenderten an der ganzen weißen Fassade des Schlosses entlang, um dann kehrtzumachen. Ihre Schatten, der eine dünn, der andere rund und mit einem Pilzhut auf dem Kopf, wanderten bald vor, bald hinter ihnen auf und ab, je nachdem, ob sie dem Mond entgegenspazierten oder ihn im Rücken hatten. Der Pfarrer kaute auf einer Art Zigarette herum, die er aus seiner Tasche gezogen hatte. Mit der Unbekümmertheit der Menschen vom Lande erklärte er ihren Nutzen: »Um das Aufstoßen zu fördern, da ich eine etwas schwerfällige Verdauung habe.«

Zum Himmel hinauf blickend, durch den das leuchtende Gestirn seine Bahn zog, verkündete er plötzlich: »Von diesem Schauspiel bekommt man nie genug.«