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Beste Freunde und heimlich ineinander verliebt. Und das seit der Schulzeit. Bei Holly und Alex kam immer etwas dazwischen, und der perfekte Moment war nie da. Dann zog Holly nach London, um zu studieren, und Alex blieb allein in der Provinz zurück. Elf Jahre später ist endlich die Zeit für eine Veränderung gekommen.
»Das Beste, das mir nie passiert ist« ist ein temporeicher und herzzerreißender Liebesroman, eine Geschichte über ein Paar, das nie zusammenkommt. Fast nie. Denn wenn eine zweite Chance für die erste Liebe greifbar ist, sollte man die nicht verstreichen lassen. Oder?
 
 

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Laura Tait und Jimmy Rice sind beide Anfang 30 und leben in London. Sie kennen sich bereits seit dem Journalistikstudium an der Sheffield University. Zehn Jahre lang haben sie sich in Pubs getroffen und über das Leben und die Liebe philosophiert. Viel hat sich nicht verändert, seitdem sie die Arbeit an ihrem Debütroman begonnen haben. Außer dass sie ihre Laptops mitbringen und alles aufschreiben. Ansonsten schimpft Jimmy noch immer mit Laura, weil sie ständig zu spät ist. Und Laura kann Jimmy noch immer unter den Tisch trinken.
Auf Twitter kann man ihnen unter @LauraAndJimmy folgen.
 
Ein Interview mit den beiden Autoren finden Sie am Ende dieses eBooks.

LAURA TAIT & JIMMY RICE

DAS BESTE, DAS
MIR NIE PASSIERT IST

Roman

Aus dem Englischen
von Marion Herbert

PROLOG ALEX

Mai 2010

»Es heißt ja immer, es bringt nichts, Sachen wieder aufzuwärmen, aber das machen doch alle. Es gibt für alles noch mal eine zweite Chance. Schlaghosen. Und Yes-Törtchen. Und sogar Take That.«

Ich liege ausgestreckt auf dem Rücken im Gras und schere mich nicht darum, ob mich irgendwelche Mücken stechen, während die letzten Sonnenstrahlen des Tages mein Gesicht und meine Arme wärmen. Neben mir sitzt Holly im Schneidersitz und bastelt eine Gänseblümchenkette.

»Wovon redest du, Al?«

»Von dir und mir. Es ist, als würden wir unser Comeback feiern.«

Holly konzentriert sich weiter auf ihr Projekt, aber ich erkenne aus den Augenwinkeln, dass sie ein Lächeln unterdrückt. »Schlaghosen sind vielleicht in Mothston wieder in, Alex, aber nirgendwo sonst.«

»Ich meine das ernst«, beharre ich. Meine Theorie hat ihren Ursprung in der Dose Cider, die neben meinem rechten Knie im Gras steht, aber sie fühlt sich trotzdem irgendwie tiefgründig an.

»Willst du damit sagen, du und ich, wir sind wie Take That?«

»Ja, wie Take That, nur ohne das ganze Geld und die kreischenden Fans.«

Holly sieht mich lächelnd an. »Dann wärst du Gary Barlow. Ganz seriös und vernünftig. Und immer attraktiver mit dem Alter.«

»Und du wärst Robbie.«

»Der, der früher dick war?«

»Nein«, ich lache. »Der Rebell, der sich beim ersten Mal aus dem Staub gemacht hat.«

Holly wendet sich wieder ihrer Kette zu, aber ihr Gesichtsausdruck ist nachdenklicher als vorher, als wäre sie nicht mehr mit ganzem Herzen bei der Sache.

»Es stimmt aber«, sage ich. »Das hier ist unsere Comeback-Tour.«

»Al?«

»Jep?«

»Kannst du mir noch einen Cider geben?«

Ich schüttle den Kopf, greife gleichzeitig in die Plastiktüte mit dem Cider und werfe ihr eine Dose zu. Ich lächle vor mich hin, bin froh, hier zu sein, mit Holly, und ich versuche die Tatsache auszublenden, dass die Sonne langsam verschwindet. Ich habe so lange auf diesen Moment gewartet, und ich will nicht, dass der heutige Tag zu Ende geht.

ERSTES KAPITEL HOLLY

September 1999

Als ich am Morgen danach aufwache, fühle ich mich anders.

Allerdings nicht die Art von anders, die ich erwartet hatte. Nicht die glücklich-mit-federnden-Schritten-die-Welt-mit-anderen-Augen-sehende Art von anders.

Aber ich weiß, was ich zu tun habe.

Wenn ich an letzte Nacht denke, zieht sich der schmerzhafte Knoten in meinem Bauch fester zusammen – selbst beim Gedanken an die Sachen am Anfang, als ich noch Spaß hatte. Als ich Turbo Shandys (50 Prozent Bier, 50 Prozent Smirnoff Ice, 100 Prozent NIE WIEDER) trank und mit Ellie zu »A Little Bit of Luck« durch den Garten tanzte. Für September war es ziemlich warm – erst nach Mitternacht verlagerte sich die Party in Ellies Haus. Und noch viel später habe ich Alex angerufen. Ich kann nicht fassen, dass ich ernsthaft dachte, ein betrunkener Anruf mitten in der Nacht wäre die perfekte Gelegenheit, um ihm zu sagen, was ich für ihn empfinde. Dass ich mehr als Freundschaft will. Dass das schon seit Ewigkeiten so ist.

Gott sei Dank ist er nicht rangegangen. Nicht, weil ich meine Meinung geändert hätte und es ihm nun nicht mehr sagen wollte. Ich finde nur, dass es irgendwie wichtig ist, dass ich nicht völlig hacke bin, wenn ich das tue.

Ich ziehe mein T-Shirt aus und vermeide es, in den Spiegel zu schauen, bevor ich nach meinem Bademantel greife und ins Bad sprinte. Ich habe knallheiß geduscht, als ich letzte Nacht nach Hause kam, und das mache ich jetzt noch mal und genieße dabei das Brennen und die rötliche Farbe, die meine Haut annimmt, dann zwinge ich mich aufzuhören und ziehe mir eine Bootcut-Jeans und ein marineblaues Trägertop an – Alex sagt immer, marineblau sei meine Farbe –, bevor ich die Treppe hinunter ins Wohnzimmer stürme.

»Mum, kannst du mich zu Alex fahren?«

»Klar, Hols. Diagnose: Mord ist gleich zu Ende.« Ihre Augen huschen vom Fernseher zu mir und wieder zurück. »Ich habe eine Theorie. Siehst du diesen Mann? Alle glauben, dass er seine Frau umgebracht hat, aber ich glaube, sie täuscht ihren eigenen …«

Damit komme ich jetzt nicht klar. Ob irgendein Typ in einer Serie seine Frau umgebracht hat, ist mit Abstand meine geringste Sorge. Zum Glück war Mum im Bett, als ich letzte Nacht nach Hause kam. Heute kann ich mich zusammenreißen, aber letzte Nacht hätte ich die beste Schauspielerin der Welt sein müssen, um ihr etwas vorzumachen.

»Schon okay, ich geh zu Fuß.« Wenigstens kann ich dann darüber nachdenken, was ich sagen soll.

Soll ich einfach damit herausplatzen? Oder soll ich eine Erklärung vorausschicken? Ihm von der schlimmsten Nacht meines Lebens erzählen – schon allein beim Gedanken an das, was passiert ist, muss ich die Augen zusammenkneifen, und es schüttelt mich. Soll ich ihm sagen, dass der einzige Mensch, den ich danach sehen wollte, er war? Dass er mein bester Freund ist und ich zwar immer wusste, wie wichtig er mir ist, dass er mir in den letzten paar Jahren aber mehr als nur wichtig geworden ist?

Das habe ich bisher nicht mal vor mir selbst zugegeben. Ich bin bis über beide Ohren in Alex Tyler verliebt. VERLIEBT. In meinen besten Kumpel, der immer alle anderen – seinen Dad, seine Freunde, mich – wichtiger nimmt als sich selbst, obwohl er es in den letzten paar Jahren am allerschwersten hatte. Ich liebe es, dass ich mit ihm über alles reden kann und er mir sagt, was er wirklich denkt, und nicht, was ich seiner Meinung nach hören will. Ich liebe es, dass er mir immer noch jedes Mal anbietet, mir meine Tasche abzunehmen, egal wie oft ich ihm sage, dass ich sie sehr gut allein tragen kann. Ich liebe es, dass er Wollpullis anzieht – und das ist nicht mal ironisch gemeint. Ob ich irgendwann auch seine nerdigen Haare lieben kann? Klar. Und wenn nicht, kann ich ihn immer noch zu einem ordentlichen Friseur schicken. Ich liebe es, wie er mir mit einem Desinfektionstuch hinterherwischt, wenn ich uns Sandwiches mache. Ich liebe es, dass er sich so gut mit Sternbildern und Musik und Büchern auskennt – mit Dingen, auf die andere Jungs keinen Gedanken verschwenden. Ich liebe es, dass er seine CDs alphabetisch sortiert. Ich liebe es, dass er meine CDs alphabetisch sortiert hat – obwohl ich damals darüber gelacht habe. Habe ich mich überhaupt dafür bedankt? Ich werde es heute erwähnen, nachdem ich ihm gesagt habe, dass ich ihn buchstäblich über alles liebe. (Ich liebe es sogar, wenn er mich darauf hinweist, dass ich das Wort »buchstäblich« falsch benutze.)

Wie wird er reagieren, wenn ich es ihm sage? Wird er antworten, dass er mich auch liebt? So wie ich ihn kenne, wird er erst mal darüber reden wollen. Es nach Alex-Manier überanalysieren, um sicherzugehen, dass ich auch alles gründlich durchdacht habe.

Oder vielleicht wird er entsetzt gucken und mir betreten mitteilen, dass er mich immer nur als beste Freundin – sogar als Schwester – sehen könne und sich zwar geschmeichelt fühle, aber NEIN danke, daraus werde nichts. Ich erinnere mich an den ersten Tag in der Oberstufe, kurz nachdem seine Mum gestorben war. Wir unterhielten uns auf dem Schulweg und kamen irgendwie auf seine Mum und seinen Dad zu sprechen, und weil er so traurig aussah, wollte ich ihn umarmen, aber sein Gesichtsausdruck … Man hätte meinen können, ein tollwütiger Hund hätte mit ihm kuscheln wollen.

Die Erinnerung schmerzt immer noch, aber doch nicht so sehr, dass ich deshalb umkehren, wieder hochgehen und mich ins Bett verkriechen würde. Ich muss es so oder so wissen, und es könnte jetzt meine letzte Chance sein.

Okay, das Timing ist nicht gerade optimal, so kurz bevor ich zum Studieren nach London gehe, während er hier oben in Yorkshire bleibt. Nicht, dass ich die Wahl meiner Uni von ihm abhängig gemacht hätte – so was würde ICH nicht machen. Aber es ist schon ein bisschen frustrierend daran zu denken, dass wir in den letzten sieben Jahren nur ein paar Straßen voneinander entfernt gewohnt haben und trotzdem nichts lief. Wieso hatte ich nicht den Mut, es ihm zu sagen? Ich hätte auf meine Mum hören sollen, die ständig Witze darüber macht, dass wir mal heiraten werden. Das haben alle anderen auch getan, aber ich sagte immer, sie sollten die Klappe halten – und dass wir nur Freunde wären. Ich schätze, eine Ewigkeit lang sagte ich das, weil ich es wirklich für die Wahrheit hielt. Und später dann, weil ich Angst hatte, wenn ich nicht genug protestiere, würden alle wissen, was ich tatsächlich fühle, und sich über mich lustig machen.

Jetzt ist mir egal, was die anderen denken. Und wenn wir es beide ernsthaft wollen, kriegen wir das mit der Fernbeziehung schon hin. Ich werde in allen Ferien nach Hause kommen, und wir können telefonieren – wir telefonieren ja auch jetzt schon immer ewig. Und wir können uns jede Menge Liebesbriefe schicken – das wird total romantisch. Und wenn ich auf Reisen gehe, kann Alex mitkommen. Ich hab was über Briten gelesen, die im Ausland Englisch unterrichten – er will sowieso Lehrer werden.

Es ist verdammt kalt heute – ich schätze, damit ist der Sommer wohl offiziell vorbei –, ich gehe lieber schnell los und lenke mich mit Tagträumen von unseren zukünftigen gemeinsamen Wochenenden ab. Wie ich aus dem Zug steige und direkt in seine Arme laufe, wie er mich hochhebt und ich die Beine um seine Hüften schlinge … Und auch wenn ich in meiner Fantasie aus einer altmodischen Dampfeisenbahn steige, wird es nicht weniger romantisch sein, wenn ich mit der Midland Mainline ankomme, meinen Rollkoffer bis zu ihm ziehe und dann in seine Arme springe.

»Oh, hallo Holly.« Alex' Dad tritt zur Seite, um mich hineinzulassen. »Hast du keine Jacke an? Es ist schon ganz schön kühl geworden. Möchtest du eine Tasse Tee?«

Normalerweise bin ich immer bereit zu einem Plausch mit Alex' Dad – er ist wahrscheinlich ziemlich einsam –, aber ich lehne ab und versuche, seine Enttäuschung zu ignorieren.

»Sohnemann! Holly ist da«, ruft er die Treppe hinauf. »Geh einfach rauf, Mädchen.«

Alex hat das offensichtlich nicht gehört – er ist in der Dusche und singt irgendetwas darüber, ein »Creep« zu sein, ich glaube, ich kenne die Melodie aus seinem Auto. Ich setze mich auf sein Bett und warte.

Alex' Zimmer ist mir so vertraut wie mein eigenes. Das große Che-Guevara-Poster über dem Bett. Seine Schulbücher in ordentlichen Stapeln auf dem Schreibtisch. Ein knitterfreier Schlafanzug an seinem üblichen Platz – sauber zusammengefaltet auf dem Kopfkissen.

Ich kann nicht fassen, dass es eine Zeit gab, in der ich das spießig fand. Sogar ein bisschen langweilig, wenn ich ehrlich bin. Aber nachdem Alex' Mum starb, bin ich oft hergekommen, um ihn aufzumuntern. Dann haben wir bis spät in die Nacht geredet, bis ich angezogen auf der Bettdecke einschlief, und ich begann, sein Zimmer mit anderen Augen zu sehen. Es ist ein Zufluchtsort. Hier ist man sicher. »Oh, hi«, sagt Alex. Er steht mit einem Handtuch um die Hüften in der Tür, und ich spüre, wie ich rot anlaufe. Wassertröpfchen glänzen auf seiner erst kürzlich kräftiger gewordenen Brust und fließen hinunter zu seiner schlanken Taille. Als ich versuche, hallo zu sagen, ist meine Kehle trocken, und meine Stimme klingt krächzend. Reiß dich zusammen, Holly. Das ist nicht das erste Mal, dass du Alex oben ohne siehst. Mit nassen Haaren und nassen Wimpern, nach Seife duftend.

Ich habe mir noch nie in meinem Leben so sehr gewünscht, jemanden zu umarmen.

»Was kann ich für dich tun, Süße?«

SÜSSE?!

Ich ignoriere seine seltsame Begrüßung und greife nach seiner Hand. »Ich muss dir was sagen.«

»Wegen letzter Nacht, hab ich recht? Wie war's?«

Bilde ich mir das ein, oder ist da etwas leicht Sarkastisches in seinem Tonfall? Ich versuche, ihm in die Augen zu sehen, aber er lässt meine Hand los und schaut sich in seinem Zimmer um, als würde er etwas suchen, was merkwürdig ist, weil sein Zimmer blitzsauber und wie immer perfekt aufgeräumt ist. Ich stecke die Hände in die Taschen meiner Jeans, um meine Verlegenheit zu überspielen.

»Ja, genau darüber will ich mit dir reden. Ich hab versucht, dich letzte Nacht anzurufen. Ich …«

»Ach ja – sorry, dass ich nicht rangegangen bin.« Er grinst, während er sich Deo unter die Arme schmiert. »Ich hatte ein Date, und sagen wir mal, ich war anderweitig beschäftigt. Wenn du verstehst, was ich meine.«

Für den Fall, dass noch irgendwelche Zweifel daran bestehen könnten, was er meint, zwinkert er mir auffällig zu.

Was um alles in der Welt geht hier vor? Dies ist ein völlig Alex-untypisches Verhalten. Der Alex, den ich kenne, ist freundlich, aufmerksam, lieb … und vor allem, mit wem zum Teufel hatte er ein DATE?

»Mit wem hattest du ein Date?«

»Du kennst sie nicht. Sie heißt Jane. Sie ist ziemlich heiß. Große Brüste. Gute Küsserin.«

Ich glaube, ich bin im falschen Film. Solche Sprüche kommen sonst eigentlich nur von Kev. Und wenn er die ablässt, versteckt Alex normalerweise sein Gesicht in den Händen und schüttelt den Kopf.

Ich habe mir schon tausendmal vorgestellt, wie es wäre, Alex meine Gefühle zu gestehen, aber ich hätte nie gedacht, dass ich dabei so nervös sein würde. Ich kann einen Typen fragen, ob er mit mir zusammen sein will. Ich muss nicht das arme, verschüchterte Mauerblümchen spielen, das wartet, bis es gefragt wird. Und ganz ehrlich, er kann keine sehr tiefen Gefühle für diese Jane haben – sie haben sich bestimmt gerade erst kennengelernt. Es kann unmöglich mit dem vergleichbar sein, was wir haben. Oder?

»Und hast du vor, sie wiederzusehen?« Sag nein, sag nein, sag nein.

»Aber hallo, ich hoffe sogar, dass ich sie heute Abend wiedersehe. Deswegen habe ich geduscht.«

Er zwinkert noch einmal, und mir bleibt das Herz stehen, ob vor Eifersucht oder Scham, weiß ich nicht. Ist das alles ein GEWALTIGER Fehler? Dachte ich die ganze Zeit nur, ich wäre in Alex verliebt, obwohl ich eigentlich in irgendeine fiktive Version von Alex verliebt bin, die nur in meinem Kopf existiert, und in Wirklichkeit kenne ich ihn gar nicht? Wie damals, als ich jahrelang für unseren Französischlehrer Mr Abel schwärmte und einen ganzen Sommerurlaub mit Tagträumen verbrachte, in denen ich fünfundzwanzig war und ihn in einem Café in Paris kennenlernte, wo wir uns bei einem Croissant verliebten und unter dem Eiffelturm küssten. Und dann ging ich im September ganz beseelt in seine erste Stunde, aber als er dann mit seinem über die Ferien neu gezüchteten Schnurrbart hereinkam und anfing, von der Konjugation französischer Verben zu reden, dachte ich nur: Voulez-vous mich verarschen?

Vielleicht ist dieser Schmerz nicht mein Herz, das gerade zerbricht. Vielleicht ist es nur die Enttäuschung darüber, dass Alex doch so ist wie die anderen Jungs – die so tun, als würden sie einen wirklich mögen, nur damit sie kriegen, was sie, beziehungsweise ihre Schwänze, wollen.

Aber er wäre mir nicht so wichtig, wenn meine Gefühle nicht echt wären. Und ich kann ihn doch unmöglich die ganze Zeit falsch eingeschätzt haben, oder? Ich versuche noch einmal, Blickkontakt herzustellen.

»Wieso starrst du mich so an?«, fragt er lachend, und ich spüre, wie meine Wangen glühen. Ich habe nicht mal Zeit, es abzustreiten, bevor er fortfährt: »Was wolltest du mir denn sagen, Süße?«

Okay, woher kommt jetzt bitte schön dieser »Süße«-Scheiß? Ich habe ihn noch nie in seinem Leben irgendjemanden Süße nennen hören – er klingt komisch, wenn er das sagt. Ich bin's, Holly!, will ich rufen. Aber ich kann nicht. Ich kann nichts von den Dingen sagen, die ich eigentlich sagen will, denn das hier hätte komplett anders laufen sollen.

Stattdessen schlucke ich den Kloß in meinem Hals hinunter und lächle resigniert. »Ich wollte mich nur verabschieden. Die nächsten paar Tage bin ich mit Packen beschäftigt, und dann fährt Dad mich runter nach London. Und wer weiß, wann wir uns dann wiedersehen?«

Ich mustere ihn und warte auf eine Reaktion, aber sein Gesicht ist ausdruckslos. Als er den Mund aufmacht, um etwas zu sagen, gestatte ich mir dennoch einen Augenblick lang die Hoffnung, dass er fragen wird, was ich da rede – dass wir uns natürlich in den nächsten Tagen sehen werden, selbst wenn das bedeutet, dass er mir beim Packen helfen muss. Und selbstverständlich werden wir uns ganz oft besuchen. Und dann wird er mich an sich ziehen, um mich zu umarmen, und …

»Wer weiß?« Er zuckt mit den Schultern. »Vielleicht gibt es in zehn Jahren ein Nachtreffen in der Schule. Bis dann bist du zurück von deinen Reisen, hast einen sexy Australier geheiratet und einen Haufen Kinder bekommen.«

»Ja, vielleicht.« Ich lache leise. »Aber dann bist du schon irgendwo anders Rektor geworden und zu beschäftigt mit deiner eigenen Schule, um zur Mothston Grammar zurückzukommen.«

»Vielleicht.«

Ich greife nach seiner Hand, und wir sehen einander etwa sieben Sekunden lang in die Augen, bevor er sich losreißt und sich das nasse Haar aus dem Gesicht streicht. Dann zupft er an einem losen Faden an seinem Handtuch und sieht dabei so beklommen aus, wie ich mich fühle, also murmele ich einen letzten Abschiedsgruß, stehe auf und schließe hinter mir die Tür.

Erst als ich die Treppe hinunter- und zur Haustür hinausgehe, fange ich an zu weinen. Ich weiß nicht, wann und ob ich Alex Tyler je wiedersehen werde, aber eins weiß ich: Ich kann es gar nicht erwarten, so schnell wie möglich aus dem Kaff hier herauszukommen.

ZWEITES KAPITEL ALEX

Januar 2010

ONOMATOPOESIE.

Ich drehe mich um und frage meine Siebtklässler, was das Wort an der Tafel bedeutet. Acht Hände schießen nach oben. Die üblichen Verdächtigen.

»Ja, Isabella?«

»Onomatopoesie ist ein Wort, das so klingt wie die Sache, die es beschreibt«, verkündet sie, als würde sie aus einem Lehrbuch vorlesen. »Wie zum Beispiel knallen oder klatschen.«

»Gut«, sage ich pflichtgemäß. »Okay, fallen jemandem noch andere Beispiele für lautmalerische Wörter ein?«

Diesmal ignoriere ich diejenigen, die schnipsen, und versuche stattdessen, Blickkontakt zu den weniger mitteilsamen Schülern herzustellen.

»Jack?«, sage ich hoffnungsvoll.

Jack Couchman ist derjenige, der in der Mothston Grammar die Rolle des Rebellen am ehesten erfüllt, obwohl seine schlimmsten Vergehen darin bestehen, dass er sich weigert, sein Hemd in die Hose zu stecken, und dass er hin und wieder ein paar freche Antworten gibt. In den letzten paar Jahren habe ich mich oft dabei ertappt, wie ich mir wünschte, die Jugendlichen hier hätten etwas mehr Widerstandsgeist. Ich sehne mich danach, einen meiner Neuntklässler in der Sackgasse hinter dem Technikgebäude beim Kiffen zu erwischen oder wenigstens eine Spur von Vandalismus in einem der Computerräume zu entdecken. Nicht, dass ich so etwas gemacht hätte, als ich hier selbst Schüler war und an dem Platz saß, den nun Isabella Streber eingenommen hat.

»Was ist mit Fotze, Sir?«, antwortet Jack, wobei er einen Kugelschreiber zwischen zwei Fingern wippen lässt. Die anderen prusten anerkennend los, und ich lasse Jack in seinem Erfolg baden. Er ist unproblematisch, wenn man ihm ab und zu etwas durchgehen lässt. Außerdem bin ich an diesem Nachmittag nicht mit ganzem Herzen bei den Grundbegriffen der Linguistik. Ich bin aufgeregt wegen heute Abend.

»Warum machen wir das, Sir?«, fragt Jack, nachdem das Gelächter verklungen ist. »Wieso müssen wir wissen, was Onomatodingsbums ist?«

Ich schaue zum Fenster hinaus in der Hoffnung, dort Inspiration zu finden. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich in den letzten sechs Jahren gefragt wurde, warum wir etwas machen, und trotzdem fällt mir immer noch keine befriedigendere Antwort ein als: »Damit ihr eure Prüfung besteht.« Was garantiert das Einzige ist, worüber die meisten Schüler der Mothston Grammar sich je Sorgen machen müssen, aber trotzdem.

Als ich davon träumte, Lehrer zu werden, sah ich mich als einen dieser mitreißenden Typen, die man aus Filmen kennt – eine Mischung aus Coach Carter und John Keating in Der Club der toten Dichter. Aber irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, wie Samuel L. Jackson oder Robin Williams eine Diskussion über Onomatopoesie führen. Oder über Geschlechtsorgane, wenn wir schon mal dabei sind.

Fünf Stunden nach dem letzten Klingeln der Woche betrete ich den Bahnhof von Mothston, wo die Fensterläden des kleinen Lokals bereits geschlossen sind, das einst Sue, einer Freundin meiner Mum, gehörte. Sue hatte schwache Nerven, was das Tragen einer Tasse inklusive Untertasse zu einer lärmintensiven Angelegenheit werden ließ, und nachdem sie einen Zusammenbruch erlitt, verkaufte sie schließlich das Café. Sie versuchte sich als Friseurin, und Mum lud sie oft in unsere Küche ein, um an meiner Wenigkeit zu üben, als hätte ich noch irgendwelche Hilfe dabei gebraucht, Frauen abzuschrecken.

Ich gehe an dem Café vorbei, schaue auf die elektronische Anzeigetafel, um zu sehen, wann der nächste Zug aus York ankommt, und setze mich neben den Fahrkartenautomaten. Dort wollen wir uns treffen. Ich ertappe mich dabei, wie ich mit den Fingern nervös auf meine Oberschenkel klopfe, also stecke ich die Hände in die Taschen, während ich zum Glasdach hinaufblicke und feststelle, dass es mit Taubendreck übersät ist. Vor meinen Augen bilden sich verschiedene Kot-Konstellationen, und ich frage mich, wieso ich dieses Fäkaluniversum bisher nie bemerkt habe. Ich denke gerade, dass es irgendwie so ähnlich ist, wie die Sterne zu betrachten, als ein Schatten mir die Aussicht verdunkelt.

Sie ist es. Fiona. Mein erstes Onlinedate. Sie trägt eine enge Jeans, einen Mantel mit Gürtel und einen wie mit der Wasserwaage geschnittenen Pony, der sie wie eine Frau aussehen lässt, die etwas Interessantes zu sagen hat.

Ich weiß, wie das klingt: Online-Dating. Der einzige Grund, weshalb ich mich letzten Monat dafür angemeldet habe, war, dass ich mich langsam fragte, wie ich je eine Freundin finden sollte in einer Stadt, wo jede infrage kommende Frau meine Lebensgeschichte kennt, einschließlich der Anekdote, dass ich als Teenager einmal im Religionsunterricht eine Erektion bekam. Ich hatte keine Erektion im Religionsunterricht – meine neue Cordhose hatte sich im Schritt aufgebauscht. Aber sobald Dean Jones »Alex Tyler hat einen Steifen!« schrie, hatte ich meinen Ruf weg.

Und hier bin ich nun und halte Fiona die Tür auf, als wir das White Horse betreten.

»Du siehst toll aus«, sage ich, aber sie reagiert nicht auf das Kompliment.

Ich habe das White Horse ausgesucht, weil es einer dieser urigen kleinen Pubs ist, in denen Dekorationen an den Balken hängen, und vor allem, weil es dort viele ruhige Ecken gibt, wo man jemanden in Ruhe kennenlernen kann, ohne von den Einheimischen begafft zu werden.

»Alex!«, ruft eine Stimme, als wir uns der Bar nähern, eine Stimme, die ich augenblicklich Rod, einem Kumpel meines Dads, zuordne. Er stellt seinen Humpen auf die Bar, mustert Fiona und schenkt mir ein anerkennendes Zwinkern, das in etwa so subtil ist wie die Badebekleidung von Sacha Baron Cohen in Borat.

Beschämt hole ich eine Flasche Rotwein und entschuldige mich bei Fiona, als wir uns im leeren Hinterzimmer an einen Tisch setzen.

In diesem Teil des Nordens gibt es zwei Arten von Städten: Städte, die für irgendwas berühmt sind (Kuchen, eine Fernsehshow, eine große rechte Wählerschaft), und Städte, die das nicht sind. Mothston gehört zu Letzteren, und der einzige Grund, weshalb Leute hier wohnen, ist, dass sie schon immer hier gewohnt haben. Wie Rod und ich.

Ich gehörte nicht zu jenen, die es in ihrer Jugend gar nicht erwarten konnten, von hier zu verschwinden, aber ich hatte auch nie vor, so lange zu bleiben. Mum starb kurz vor der Oberstufe, und als ich mich dann für eine Uni entscheiden musste, brachte ich es nicht übers Herz, Dad allein zu lassen.

»Du wirst hier drin bald was über mich lesen«, sagte er, nachdem ich erwähnte, dass ich den Südwesten, vielleicht Exeter, in Erwägung zöge. In dem Moment überflog er gerade die Todesanzeigen in der Lokalzeitung. Als ich Zweifel äußerte, ob man den Herald wohl in Exeter bekommen würde, zog er sich mit einer Flasche Diazepam in sein Zimmer zurück, und ich entschied mich, lieber doch nach York zu pendeln.

Vier Jahre später machte ich meinen Abschluss, und obwohl Dad keine Tabletten mehr nahm, wusste ich, dass er allein nicht klarkommen würde. Mein Dad, der das Internet noch immer eine Datenautobahn nennt, mein Dad, der einfach nicht weiß, was der Unterschied zwischen »als« und »wie« ist. Also bewarb ich mich um eine Stelle an der Mothston Grammar.

Anfangs nahm ich es ihm übel, gab ihm die Schuld daran, dass ich so vieles nicht gemacht hatte, aber je älter ich wurde, umso leichter konnte ich mir vorstellen, wie es für ihn gewesen sein muss, den Menschen zu verlieren, den er am meisten auf der Welt geliebt hatte. Kein Wunder, dass ihn das aus der Bahn geworfen hat.

Ich entscheide mich dagegen, an diesem Punkt meine Lebensgeschichte mit Fiona zu teilen, und stattdessen sitzen wir da und lassen uns von den ersten paar Schluck Wein die Kehle wärmen, als vier Typen in Fußballtrikots zur Tür hereinstürmen. Ich erkenne die Farben von Leeds United; Dad hatte früher eine Dauerkarte.

»Du bist aber kein Fußballfan, oder?«, zischt Fiona, wobei sie das Wort »Fußball« mit so viel Verachtung ausspricht, als würde sie über Hitler oder Pädophilie oder so reden.

»Eher nicht«, antworte ich mit einem beschwichtigenden Lächeln. Meine Samstagnachmittage verbrachte ich schon früher in der Regel auf dem Sofa, las Klassiker und trank mit Mum heiße Schokolade.

»Ist es zu viel verlangt, dass du keiner bist?«

»Nope.«

»Wieso sind alle Männer so verrückt danach?«

»Bin ich nicht.«

»Bei meinem Ex hieß es andauernd Arsenal dies und Arsenal jenes. Am Ende habe ich ihn vor die Wahl gestellt: entweder ich oder Arsène Wenger und sein verfluchter Idiotenverein.«

»Und für wen hat er sich entschieden?«

»Für Arsène Wenger.«

Fiona lehnt sich zurück, reibt sich über die Arme, als wäre ihr kalt, und ehe wir uns versehen, sind wir mitten in unserem ersten peinlichen Schweigen. Es ist wie ein schwarzes Loch – je weiter wir vordringen, desto schwerer wird es, wieder herauszukommen.

»Und, macht dir das Unterrichten Spaß?«, fragt sie schließlich, und ich trinke einen Schluck Wein, bevor ich antworte.

Manche Lehrer landen in einem Klassenzimmer, weil ihnen nach der Uni nichts Besseres eingefallen ist. Und das ist okay. Bei einigen der besten Lehrer, die ich kenne, ist es so gelaufen. Aber ich gehöre zu den anderen, zu den naiven Trotteln, die glaubten, sie könnten etwas bewirken.

Fiona steckt sich zwei Finger in den Hals, als ich das erkläre, und mir wird bewusst, wie klischeehaft das klingen muss, aber so denkt man nun mal mit zweiundzwanzig.

»Okay«, sage ich, um ein weiteres kosmologisches Vakuum zu vermeiden. »In deinem Profil steht, dass du gern liest. Welches Buch würdest du mit auf eine einsame Insel nehmen?«

»Wie man Freunde gewinnt«, platzt sie heraus, ohne eine Sekunde nachzudenken, und ich versuche, nicht zu irritiert zu gucken.

»Wofür würdest du das brauchen auf einer …«

»Du solltest das auch lesen, vielleicht hilft es dir bei den Schülern.« Fiona schluckt den Rest ihres Weins hinunter. »Oder mach es wie ich: Gründe eine Druckerei. Übrigens, hundertzwanzigtausend – das war mein Umsatz letztes Jahr.«

Ich hatte mir für heute Abend Hoffnungen gemacht. Die Website sagte, wir seien kompatibel, und wir hatten uns zahlreiche, lange E-Mails geschrieben. Aber wenn ich ein Bild für unser Date finden müsste, wäre es bisher nichts als ein Vogelküken, das verzweifelt mit den Flügeln schlägt, während es versucht, zum ersten Mal zu fliegen.

Wir lächeln einander über den Tisch hinweg schweigend an, und ich schlage vor, etwas essen zu gehen, damit wir uns leichter entspannen können. Sie will erst noch eine rauchen. Sie sieht unglücklich aus, wie sie den Rauch seitlich durch ihre immer schmaler werdenden Lippen bläst und mit trotzigem Blick vor sich hin starrt. Ich fülle die Stille, indem ich sie frage, ob sie auf einen bestimmten Typ steht, und erfahre, dass ihr Traummann exakt eins achtundachtzig groß ist (ich bin eins fünfundachtzig), kurze dunkle Haare hat (meine Haare sind dunkel, gehen mir aber bis über die Ohren), athletisch (Fehlanzeige) sowie erfolgreich ist (ich wohne immer noch bei meinem Dad) und sich mit ihren Freunden gut versteht (ich bezweifle, dass ich sie jemals kennenlernen werde).

Ich höre geduldig zu, während sie ihre Auswahlkriterien auflistet. Ich für meinen Teil wünsche mir einfach eine Frau, die ich attraktiv finde, die etwas mit ihrem Leben anfangen will und die meinen Humor versteht. Ist das zu viel verlangt?

Ich lasse eine bösartige Vorstellung in meinem Kopf Gestalt annehmen, die Vorstellung, ich würde immer schneller gehen, bis sich meine Schritte zu einem Sprint beschleunigen. Ich renne, ohne mich noch einmal umzusehen, die kühle Luft des späten Januars kann mir nichts anhaben dank der Wärme meiner Erleichterung darüber, entkommen zu sein.

Ich bin in Gedanken schon fast zu Hause angelangt, als ein Kellner mir eine laminierte Speisekarte reicht. Und genau in diesem Moment geraten Fiona und ich in unser finales schwarzes Loch. Das ist der Punkt, ab dem es kein Zurück mehr gibt.

»Wann kapierst du endlich, dass heutzutage niemand mehr Dates hat?«, spottet Kev, als ich mich dem Ende meiner Geschichte nähere.

»Es kommt noch mehr«, sage ich mit einem matten Lächeln. Ich erzähle, dass Fiona, sobald wir beim Restaurant ankamen, erklärte, sie sei Vegetarierin.

Kev stellt sein Glas auf die schmuddelige Ahornplatte und hustet in seine rechte Hand. »Na und?«

»Und als ich ein Steak bestellt habe, hat sie verlangt, dass ich was anderes nehme.«

»Ähm, sie hat es verlangt?«

»Jep, sie hat mir die Spinatlasagne vorgeschlagen.«

»Und was hast du gemacht?«

»Ich hab meine Bestellung geändert.« Ich warte, bis er empört den Mund aufreißt. »Ich habe stattdessen die gemischte Grillplatte genommen.«

Ich weigere mich, mit ihm abzuklatschen, und zwar nicht, weil ich etwas gegen Abklatschen hätte (obwohl ich schwöre, dass er mir in der Schule einmal übel auf den Arm gehauen hat, als ich es versuchte). Es liegt an den Viren, die er gerade in seiner Handfläche abgeladen hat. Und an der Tatsache, dass ich nicht besonders in Feierlaune bin.

»Wer hat das Essen bezahlt?«, fragt er.

»Ich.«

»Und wie viel hat es gekostet? Fünfzig Tacken?«

»Ein bisschen mehr.«

»Das ist so typisch von dir, Alex. Ein echter Vollidiot, was Frauen anbelangt.«

»Typisch für…« Ich geb's auf. Eine Exfreundin sagte mir einmal, man müsse mindestens fünfzig sein, um die Ausdrucksweise anderer Leute außerhalb des Klassenzimmers ungestraft korrigieren zu dürfen. Das reicht mir schon fast, um mich auf mein mittleres Alter zu freuen.

»Vergiss es. Was meinst du damit, dass die Leute heutzutage keine Dates mehr haben? Wie soll man denn sonst eine Freundin finden?«

»Ähm, man vögelt, Alex. Man vögelt, und dann vögelt man noch mal. Und wenn es nach dem fünften Mal immer noch Spaß macht, ist sie deine Freundin.«

»Für mich klingt das eher nach einer Bettbeziehung.«

»Hattest du schon mal eine Bettbeziehung, Alex?«

»Nope, ebenso wenig wie …«

»Also, dann halt's Maul, wenn es um Bettbeziehungen geht.«

Wieso gebe ich mich immer noch mit Kev ab? Wieso komme ich immer noch jeden Samstagnachmittag in den Lion? Vermutlich, weil es in Mothston sonst nichts zu tun gibt. Früher waren wir hier immer zu dritt, aber Rothers ist nach seiner Verlobung in den gesellschaftlichen Ruhestand getreten.

Vor ein paar Jahren sah es für Kev etwas rosiger aus, als er sich noch freiwillig den Kopf rasierte und sein Bauch nicht so groß war, dass man ein Bierglas darauf abstellen konnte. Und was mich angeht? Ich schlafe immer noch in dem Zimmer, in dem ich vor Jahren dieses Poster mit dem Periodensystem aufgehängt habe. Ich schätze, ich habe darauf gewartet, mit jemandem zusammen einen Bausparvertrag abzuschließen, und jetzt, mit Ende zwanzig, drehe ich mich im Kreis: keine Freundin, keine Chance, mir ein Haus leisten zu können; kein Haus, geringere Chancen, eine Freundin zu finden.

Kev hebt sein leeres Glas hoch und wedelt mir damit vor dem Gesicht herum, und als ich mit der nächsten Runde zurückkomme, ist von irgendwo mein Dad aufgetaucht und hat sich neben Kev gesetzt, wo er unruhig hin und her rutscht. Er fragt, wie mein Date gelaufen sei, obwohl ich es ihm gegenüber nie erwähnt habe. Kev zuckt mit den Schultern, wie um zu sagen: Was schaust du mich an?

»Was führt dich denn hierher?«, frage ich, aber anstatt zu antworten, kratzt er sich in der Handfläche und schaut dabei abwechselnd auf mich und auf seine Hand. Nach einer Ewigkeit holt er tief Luft und verkündet, dass er das Haus verkaufen werde.

»Was meinst du damit, du verkaufst das Haus?«, stammle ich.

»Ich habe ein Boot gekauft.«

»Du hast ein Boot gekauft?« Jetzt muss ich lachen. Das ist offensichtlich irgendein Streich, den die beiden gemeinsam ausgeheckt haben. Wahrscheinlich gibt sich in den nächsten Sekunden ein Fernsehteam zu erkennen.

»Ein Hausboot.«

»Ich kann nicht in einem Hausboot wohnen.«

Kev lehnt sich zurück, verschränkt die Arme und genießt das sich entfaltende Drama.

»Es wird ein paar Monate dauern, bis ich das Haus verkauft habe, du wirst also nicht von jetzt auf gleich auf der Straße sitzen.«

Ich starre ihn ungläubig an.

»Wovon in aller Welt redest du? Seit wann willst du denn in einem Hausboot wohnen?«

»Deine Mutter und ich haben oft darüber gesprochen. Ich habe darauf gewartet, dass du ausziehst, aber, na ja …«

»Du hast darauf gewartet, dass ich ausziehe?«

Dad schenkt mir ein Lächeln, das ich als versöhnliche Geste interpretiere, so als würde er es mir nicht nachtragen, dass ich ihn all die Jahre daran gehindert habe, seinen Traum zu verwirklichen.

In meiner Kehle stauen sich tausend empörte Erwiderungen. Eine oder zwei Minuten lang sagt niemand ein Wort, bis Kev mit beiden Händen flach auf den Tisch schlägt.

»Ich hab's«, verkündet er und dreht sich begeistert zu mir. »Die Lösung all deiner Probleme. Du kannst bei mir einziehen. Es sieht nicht so aus, als würden meine Eltern aus dem sonnigen Spanien je wieder zurückkommen. Wir können uns die Miete teilen und aus dem Haus eine richtige Junggesellenbude machen. Was sagst du dazu, Sackgesicht?«

DRITTES KAPITEL HOLLY

 

»Hallo, du fette, erbärmliche, alte Katzenmutti.«

Was Geburtstagsglückwünsche angeht, ist das nicht gerade der netteste, den ich je gehört habe. Aber er kommt von Jemma, und wenn ich jedes Mal beleidigt wäre, sobald sie etwas Beleidigendes sagt, würde ich andauernd so aussehen wie der Typ auf der Brücke von dem Bild Der Schrei.

»Nur noch ein Jahr bis zur großen Drei-Null, was? Du tust mir echt leid«, fährt sie in ihrem breiten Glasgower Akzent fort, während sie sich ihre Jeansjacke auszieht. »Was machst du überhaupt hier? Wir fangen doch erst in fünfundvierzig Minuten an zu arbeiten.«

»Ich bin immer um diese Uhrzeit hier. Nur du bist nie hier, um es zu bemerken. Die Frage ist eher, was du hier machst. So FRÜH.«

»Ich bin gekommen, um deinen Tisch mit Luftballons und diesen kleinen Happy-Birthday-Dingern zu dekorieren, die man noch nach Wochen in sämtlichen Körperöffnungen findet.«

»Herzlichen Dank«, sage ich, obwohl es mich innerlich schüttelt.

»Du musst dich nicht bedanken – ich hab die Deko aus Versehen in der U-Bahn liegen lassen.«

»Das macht nichts – der gute Wille zählt.«

Ich habe Jemma wirklich gern, aber Gott sei Dank ist sie nicht jeden Tag um diese Uhrzeit hier. Ich genieße die erste Stunde, bevor alle anderen kommen – dann kann ich ganz ungestört meine Arbeit erledigen. Melissa ist normalerweise auch früh da, aber sie gibt sich nicht mit Small Talk ab.

»Unfassbar! Jetzt bin ich einmal früh dran, und genau an dem Morgen hat mein Chef ein Frühstücksmeeting.« Jemma schmollt in Richtung von Martin Coopers Tür. »Ich hätte die Schleimpunkte gut brauchen können – er hält mich garantiert für eine grottenschlechte Assistentin.«

Sie ist eine grottenschlechte Assistentin, aber den Kommentar spare ich mir.

»Dann schreibe ich ihm eben einfach eine Mail, damit er weiß, dass ich da war.« Sie beginnt, auf ihrer Tastatur herumzuhacken. »Was ist mit deinem – ist er schon da?«

Wie auf Kommando kommt Richard Croft aus seinem Büro.

»Morgen, die Damen. Du siehst gut aus, Jemma – hast du irgendwas mit deinen Haaren gemacht?«

»Ich probiere gerade eine neue Pflegeserie aus«, sprudelt sie los, während sie sich ihre gesträhnten Locken über die Schulter wirft. »Wie schön, dass du das bemerkt hast.«

»Kein Problem. Holly, hast du kurz Zeit für ein Update?«

Richard ist schon fast wieder an seiner Tür angelangt, als Jemma ruft: »Übrigens, Holly hat heute Geburtstag. Falls du ihr einen Geburtstagskuss geben willst oder so.«

»Oh, ja. Ähm, alles Gute, Holly.« Richard zögert für den Bruchteil einer Sekunde, kommt dann an meinen Tisch zurück und drückt mir einen weltrekordverdächtig kurzen Kuss auf die Wange, bevor er sich wieder umdreht.

»Äh, danke«, stammle ich in Richtung seines Rückens.

»Du wirst rot, Hols«, kichert Jemma, sobald er verschwunden ist. »Mann, morgen sage ich auch, dass ich Geburtstag habe, wenn ich dafür einen Kuss von Richard Croft bekomme.«

»Hoffentlich erstickst du an deinem Croissant«, antworte ich liebenswürdig und folge Richard in sein Büro.

»Das war vielleicht seltsam«, sagt er, als ich die Tür schließe.

»Gott, ich weiß – tut mir leid wegen Jemma. Außerdem war das der schlechteste Geburtstagskuss der Welt. Kann ich jetzt bitte einen richtigen haben?«

Richard steht auf und lacht, während er mit einer Hand meine Taille umfängt und die andere an meinen Hinterkopf legt. Er beginnt damit, ganz leicht und sanft über meine Mundwinkel zu streichen. Seine Lippen werden voller und fester, als sie meine erreichen, und das ist so ziemlich der Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt – wir schießen die Richterskala der leidenschaftlichen Hingabe hinauf.

Plötzlich merke ich, dass der Kuss vorbei ist und ich immer noch mit geschlossenen Augen dastehe. Ich fühle mich wie auf Wolken. Ich sollte wohl besser etwas sagen, damit er nicht denkt, ich wäre tot.

»Danke noch mal für das Geschenk – es ist wunderschön«, beginne ich, während ich die Handflächen auf seine feste Brust lege. Er ist gestern Abend mit mir essen gegangen und hat mir eine schwarze Mulberry-Tasche aus weichem Leder geschenkt. Es ist die teuerste Tasche, die ich je hatte. Mit kilometerweitem Abstand. Selbst wenn alle meine anderen Taschen zusammen gegen sie antreten würden, hätten sie trotzdem keine Chance zu gewinnen. Ein Teil von mir möchte, dass ich sie für immer in meinem Schrank aufbewahre, damit ihr ja nichts passiert, so schön ist sie, aber ich will auch nicht, dass Richard denkt, sie würde mir nicht gefallen.

»Sehr gern, Liebling. Ich muss heute Mittag noch mit Martin zu einem Pitch-Meeting bei einem Kunden, deshalb wollte ich die Chance nutzen, um dir zu gratulieren.«

»Danke. Aber du hättest mich heute Morgen ruhig wecken können – ich wäre mit dir hergekommen.«

»Du hast so schön ausgesehen, wie du dalagst und geschlafen hast – ich wollte dich nicht wecken.« Er streicht mir das Haar hinters Ohr. »Außerdem habe ich deinen Boss gefragt, und er fand auch, dass du es verdient hast, an deinem Geburtstag auszuschlafen. Du hast so hart gearbeitet – wenn du nicht gewesen wärst, hätten wir keine Chance bei diesem Pitch. Ohne dich würde hier gar nichts laufen. Das habe ich gestern auch zu Martin gesagt.«

Ich winke ab und lächle beschämt.

»Ich meine das ernst«, sagt er. »Ich will, dass er dich auf dem Schirm hat. Er soll dich nicht als Sekretärin abstempeln.«

Er rückt seine blaue Hugo-Boss-Seidenkrawatte zurecht und setzt sich wieder an seinen Schreibtisch.

»Kannst du heute Abend sicher nicht kommen?«, frage ich beiläufig, während ich mein marineblaues Wickelkleid glattstreiche.

»Süße, ich würde unheimlich gern kommen. Aber ich konnte gestern nicht nein sagen, als Martin mich gebeten hat, mit ihm heute länger zu bleiben – ich kann ihm ja schlecht sagen, wo ich hinmuss. Es tut mir wirklich leid.«

»Schon okay«, sage ich schnell. »Es ist nur so, dass Leah, Rob und Susie dich unbedingt kennenlernen wollen – und Susie bringt auch ihren neuen Freund mit, um ihn uns vorzustellen.« Ich füge nicht hinzu, dass ich nicht besonders scharf darauf bin, mich an meinem Geburtstag wie das fünfte Rad am Wagen zu fühlen.

»Ich weiß. Ich finde es auch echt schade, dass ich nicht dabei sein kann.«

»Es ist wirklich nicht so schlimm. Es wird noch andere Gelegenheiten geben.«

Jetzt sind wir schon neun Monate zusammen, und er hat meine zwei besten Freundinnen immer noch nicht kennengelernt. Aber wenigstens wissen sie, dass wir zusammen sind. Sonst weiß es niemand. So ist das eben, wenn man seine Beziehung geheim hält. Trotzdem ist das vermutlich immer noch besser, als es allen zu sagen und in ihren Augen dann als die Klischee-Sekretärin dazustehen, die mit ihrem Chef vögelt.

So ist es nämlich überhaupt nicht. Denn er ist nicht verheiratet, und wir haben auch keine AFFÄRE – wir waren beide Single, als wir zusammenkamen.

Er ist nicht ALT oder SCHMIERIG. Er ist fünfunddreißig, gut in Form, und er berührt mich nur dann unangemessen, wenn es angemessen ist.

Ich versuche nicht, mich HOCHZUSCHLAFEN. Obwohl Richard mich immer ermutigt, mich in der Firma mehr in den Vordergrund zu stellen, bin ich gern seine Assistentin – wir sind ein gutes Team. Der einzige Grund, weshalb wir beschlossen haben, unsere Beziehung geheim zu halten, war, weil wir nicht wollten, dass die Leute die Situation in irgendeiner Weise falsch interpretieren. Außerdem war das ganze Versteckspiel ziemlich heiß.

Wenn man mal darüber nachdenkt, sieht es eigentlich gar nicht mehr aus wie ein einziges, riesiges Klischee. Eher wie eine klassische Liebesgeschichte.

Junge und Mädchen lernen sich kennen. Das Mädchen verliebt sich in den Jungen. Der Junge verliebt sich in das Mädchen, obwohl er das nicht tun sollte, und zusammen überwinden sie sämtliche Hindernisse des Lebens, um allen Widrigkeiten zum Trotz ein Paar zu werden.

Wollen wir doch mal sehen, ob wir nicht glücklich und zufrieden leben bis ans Ende unserer Tage.

Inzwischen sind alle an ihren Plätzen eingetrudelt, und ich werde empfangen von einem Chor aus »Alles Gute, Holly«, »Glückwunsch, Hols«, »Schlag ein, alte Schachtel!« (Danny) und »Geht das auch ein bisschen leiser?« (Melissa). Ich schnappe mir meinen Block und beginne mit meiner To-do-Liste.

Ich liebe To-do-Listen. Andere Leute stehen auf Schuhekaufen, Schokodonuts oder Facebook. Ich stehe darauf, die Dinge aufzuschreiben, die ich erledigen muss, und sie dann durchzustreichen, sobald sie erledigt sind. Das war schon in der Uni so. Leah und Susie haben mich immer damit aufgezogen. Wenn ich nicht hinschaute, fügten sie meiner Liste abwechselnd Dinge hinzu wie »Toilette putzen«, »Meinen Mitbewohnerinnen Tee kochen« und »Mich mit wichtigeren Dingen als dieser Liste beschäftigen«.

Ich rufe beim Restaurant an, um die Reservierung für das Essen heute Abend von sechs auf fünf Leute zu korrigieren, und streiche mit meinem Stift gerade zufrieden RESTAURANT ANRUFEN durch, da wirft Martin Coopers Eins-fünfundneunzig-Silhouette einen Schatten über meinen und Jemmas Schreibtisch.

»Schiff ahoi«, donnert er. »Jemma, kannst du kurz in mein Büro kommen, damit wir die Leinen losmachen?«

Er verschwindet hinter der Holztür mit seinem Namensschild, während Jemma einen Notizblock aus einem ihrer Müllhaufen fischt.

»Okay, ich geh rein«, sagt sie. »Aber wenn er auch nur versucht, mit mir irgendwas loszumachen, rufe ich die Frauenbeauftragte.«

Ich habe drei weitere Dinge von meiner Liste gestrichen, bis Jemma wieder rauskommt und Danny auf seinem Drehstuhl heranrollt.

»Alles klar, Essex?«, spottet Jemma.

»Hello, Scotland«, antwortet er in einem misslungenen Versuch, Jemmas Akzent nachzuahmen. »Ladys, ich habe eine Frage an euch. Hättet ihr lieber einen Finger zu wenig oder einen Zeh zu viel?«

»Das ist einfach«, antwortet Jemma. »Einen Zeh zu viel. Die Füße sind ja die meiste Zeit versteckt, die Hände sieht man fast immer.«

»Außerdem, wo würde man Handschuhe mit vier Fingern auftreiben?«, füge ich hinzu, ohne vom Bildschirm aufzuschauen. »Bei Socken hingegen werden die Zehen nicht unterteilt, also macht es keinen Unterschied.«

Danny nickt zufrieden. »Einverstanden. Das sind gute, logische Argumente.«

Wir mögen Danny, obwohl er jeden dritten Satz mit »wenn du verstehst, was ich meine?« beendet, auch wenn er nie irgendwas sagt, was auch nur ansatzweise missverständlich wäre.

»Okay«, sagt Jemma, »würdet ihr lieber nie wieder einen Orgasmus haben oder nie wieder jemanden zum Orgasmus bringen?«

»Haben«, sage ich.

»Bringen«, sagt Danny gleichzeitig.

»Egoist«, sage ich.

»Lügnerin«, sagt er gleichzeitig.

Das ist keine Lüge. Nicht, dass ich mir bei Richard deswegen Sorgen machen müsste. Er versucht es immer weiter, bis ich so weit bin, selbst wenn es die ganze Nacht dauert. Zumindest fühlt es sich manchmal so an. Früher habe ich über Frauen gelacht, die zugaben, einen Orgasmus vorzutäuschen, aber ich habe vor Kurzem gelernt, dass es manchmal schlicht und einfach notwendig ist. Ich komme nun mal nicht immer. Das heißt nicht, dass es mir keinen Spaß macht. Und Richard ist der Erste, mit dem ich zusammen bin, der das nicht akzeptiert, was sehr lieb von ihm ist. Nur manchmal eben auch ein bisschen unbequem.

Das ist natürlich alles bei Weitem zu persönlich, um es Danny zu erzählen. Aber er rollt sowieso schon zurück an seinen Platz, als gleichzeitig Martins und Richards Türen aufgehen.

»Zeit, in den sauren Apfel zu beißen«, verabschiedet sich Martin.

»Noch einen schönen Geburtstag, Holly«, fügt Richard mit einem heimlichen Zwinkern hinzu, von dem ich Gänsehaut kriege. »Wenn du magst, kannst du ein bisschen früher gehen.«

»Danke, Richard«, antworte ich in einem Ton, der, wie ich hoffe, höflich und freundlich genug ist, um einen angemessenen Respekt vor meinem Chef zum Ausdruck zu bringen, jedoch in keiner Weise impliziert, dass ich ihm je erlaubt hätte, mich mit dieser Hugo-Boss-Krawatte an seinen Bettpfosten zu fesseln.

Eine Gratwanderung.

»Grund Nummer vierundneunzig, weshalb dein Boss besser ist als meiner«, stöhnt Jemma, während sie den beiden hinterhersieht.

»Ja – es ist nett, dass er mich früher gehen lässt.«

»Klar, das auch. Aber ich meinte seinen Hintern.«

Ich mache bis etwa 16 Uhr weiter mit meiner Liste, als ich merke, wie sich ein paar Leute gespielt unauffällig um meinen Tisch versammeln. Offensichtlich warten sie, dass ein Kuchen zum Vorschein kommt, damit sie »Happy Birthday« singen können. Ich hasse das. Es ist so peinlich. Soll ich sie anlächeln und so schauen, als würde ich einen Kuchen erwarten, oder soll ich so tun, als hätte ich nichts gemerkt? Dann fangen sie endlich an zu singen, und ich kann die Kerzen ausblasen.

»Sorry, dass er nicht ganz unseren üblichen Standards entspricht«, sagt Jemma, während sie eine Schoko-Biskuit-Torte neben meine Tastatur schiebt. »Aber wir konnten dich ja schlecht bitten, deinen Kuchen selbst zu backen, also mussten wir auf die Supermarktversion ausweichen.«

SELBST