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Näher können sich Natur und Wort nicht kommen

John Lewis-Stempel kennt den Cockshutt Wood von den Wurzeln der Buchen bis zu den Kronen der Eichen und auch sämtliche Tiere, die dort leben: die Füchsin, die Fasane, die Waldmäuse und Käuze. Für viele der Tier- und Pflanzenarten sind Wälder wie der Cockshutt Wood die letzte Zuflucht. Und auch der Autor findet hier seine Heimat. ›Im Wald‹ zu lesen bedeutet, ein Jahr inmitten seiner Bewohner und umringt von seinen Bäumen zu verbringen. Sei es Herbst, Frühling, Sommer oder Winter: Cockshutt Wood ist ein Stück Wald, das man nicht mehr verlassen möchte.

»Englands bester Nature Writer« The Times

autor

© privat

John Lewis-Stempel ist Farmer und Autor zahlreicher hochgelobter Bücher. Er ist zweifacher Preisträger des renommierten Wainwright Prize for Nature Writing. Bei DuMont sind bisher ›Ein Stück Land‹ (2017) und ›Mein Jahr als Jäger und Sammler‹ (2019) erschienen. Mit seiner Frau und seinen zwei Kindern lebt er in England und Frankreich.

Sofia Blind lebt als Übersetzerin und Autorin in Lahntal und hat für DuMont u. a. die Bücher von John Lewis-Stempel übersetzt.

John Lewis-Stempel

IM WALD

MEIN JAHR
IM COCKSHUTT WOOD

Aus dem Englischen von
Sofia Blind

Titel

 

Du weißt, ich bin kein Reisender. Ich habe immer den Wunsch, mich niederzulassen wie ein Baum, für immer. [1]

Edward Thomas

Inhalt

VORWORT

DEZEMBER: Ein Spaziergang im Wald

JANUAR: Kernholz

FEBRUAR: Wurzeln

MÄRZ: Knospen

APRIL: Blüten

MAI: Blätter

JUNI: Mittsommernacht

JULI: Auf einem Baum im grünen Wald

AUGUST: Im grünen Schatten

SEPTEMBER: Die Vögel sind fort

OKTOBER: Die Früchte des Herbstes

NOVEMBER: Abschied vom Wald

Anhang

VORWORT

Dies ist die Geschichte eines Waldes – seines natürlichen, alltäglichen Lebens und seiner Vergangenheit.

Es ist ein bestimmter Wald, aber einer, der beispielhaft für die kleinen Wälder Englands stehen kann. Für immer.

Der Cockshutt Wood im Südwesten von Herefordshire, das sind anderthalb Hektar Mischwald (Laub- und Nadelbäume) mit einem versteckten Teich, in dem der Wintermond lebt.

Vier Jahre lang habe ich diesen Wald bewirtschaftet, deshalb kannte ich ihn vom Ende seiner Buchenwurzeln bis in die Wipfel seiner Eichen. Ich kannte die Tiere, die dort lebten – den Fuchs, die Fasane, die Waldmäuse, den Waldkauz –, und wusste, wo die schönsten Hasenglöckchen wuchsen. (Eine ausgesprochen britische Eigenheit, blühende Hasenglöckchen im Wald.)

Ich weiß, warum Waldstücke wie Cockshutt etwas Besonderes sind: Für Fauna und Flora bilden sie oft die letzte Zuflucht. Sie sind Festungen der Natur gegen das Anbranden der Menschen und der Agrarindustrie.

Auch für mich war Cockshutt ein Zufluchtsort, ein Ort unaufhörlichen Staunens über die Jahreszeiten, an dem ich mich in die Stille zurückzog. Niemand kommt einen im Wald suchen. Man ist sicher vor neugierigen Blicken, einfach eine weitere dunkle, aufrechte Gestalt zwischen lauter anderen: ein menschlicher Baumstamm.

Im Herzen von Cockshutt gab es oft nur den Klang der Natur – das lederne Knarren einer alten Eiche im Frühlingswind, das Trommeln des Spechts, die schlabbernde Zunge des Dachses am Teichufer im Morgengrauen.

Ehrlich gesagt ist das gelogen. Manchmal kam das Bellen eines Hausschweins und das bronchitische Raspeln einer Säge dazu. Ich bewirtschaftete Cockshutt auf die beste Art von allen: auf die alte Art, indem ich primitive Nutztiere darin herumstreifen ließ und die Bäume »auf den Stock setzte«, sie also über dem Boden absägte, damit die Stümpfe neu austreiben konnten.

Jedes Buch braucht seine Berechtigung – und ein Buch über einen Wald vielleicht am meisten. Wie viele Bäume mussten für seine Seiten gefällt werden? Die Entschuldigung – nein, die Begründung –, die ich vorzubringen habe, ist folgende: Ein Wald sollte kein Museum sein. Die Vorstellung, ein Waldgebiet wäre etwas Statisches und Majestätisches, definiert durch die Anordnung ausgewachsener Bäume, ist modern – und falsch.

In Cockshutt wurde eine halb vergessene Erinnerung wieder lebendig. Kühe und Schweine wuchsen dort heran, genau wie in mittelalterlichen Zeiten, und der Wald lieferte uns alles, von Feuerholz bis zu Pilzen zum Frühstück. Cockshutt war ein Wirtschaftswald.

Ein Wirtschaftswald ist etwas anderes als ein Urwald. Er ist wild, aber nicht so wild, dass er furchteinflößend wäre. Man kann sich dort nicht physisch verirren, nur im Geist und in der Fantasie darin versinken.

Ich kannte die Bäume von Cockshutt. Jeden einzelnen. Ein Wirtschaftswald ist etwas Persönliches; der Urwald bleibt immer unnahbar. Es gibt zu viel davon. Auf diese Weise entdeckte ich das Geheimnis im Herzen von Cockshutt, den kleinen Bestand von Elsbeerbäumen, Überbleibsel jenes Urwaldes, der hier zu Anbeginn wuchs.

Dies ist das Tagebuch meines letzten Jahres in Cockshutt. In jenem Jahr fuhr ich nicht in Urlaub; ich verpasste keinen einzigen Tag des Zusammenseins mit meinem Wald.

DEZEMBER

Ein Spaziergang im Wald

Abb

Ein Spaziergang ans hintere Ende von Cockshutt – mein waldloses Leben – Waldschnepfen – die Füchsin bellt – Judasohren – in den winterlichen Ruinen der Eichen – »Agroforstwirtschaft« – Old Brown, der Waldkauz – Was steckt im Namen eines Waldes? – Stechpalme – Rinderhaltung im Wald – »Cold Song« – Weihnachtsscheit – »Für die Briten war die Eiche so etwas wie der Büffel für die Sioux«

1. DEZEMBER: In den Wald.

Über den Zaunübertritt, auf den Weg, der an der ganzen Westseite von Cockshutt entlangläuft. An der Esskastanie vorbei; ein vergnügter Gruß mit den Fingerspitzen an die Riesenbuche mit ihrer Rinde aus kaltem Schiefer. Zu meiner Linken liegt die Waldlichtung, die wir geschaffen haben, indem wir Brombeeren und Bergahorn weghackten, zu meiner Rechten die enge Schlucht, in der im März die Sumpfdotterblumen gelb blühen und im November alle Nebel dieser Welt produziert werden. Ein riesiger Ahornbaum ist übrig geblieben; er nagelt den flatterigen Waldrand fest.

Es ist ungefähr drei Uhr nachmittags, und die Saatkrähen fliegen heim nach St. Weonards; nicht der übliche zerfranste Flug, sondern ein stilles, entschlossenes Rudern. Schnurgerade, wie Rabenkrähen.

Ich passiere eine schlummernde Esche mit einem Kaninchenbau darunter, am Eingang liegen harte Köttel. Unten in der Schlucht, die parallel zum Weg verläuft, hängt der violette Schimmer von Erlenkätzchen.

An der Rückseite der Schlucht steht eine Gruppe ausgewachsener Eschen, eine davon in Efeu verpackt; als Wohnort von Baumläufer, Waldkauz und – im Dachgeschoss – Ringeltaube ist sie ein Vogelhochhaus. Jenseits der Esche sind die Überreste des grasbewachsenen alten Reitpfads zu erkennen, dahinter die steinernen Scheunen, die sich einst in den Wald hineinfraßen, inzwischen aber selbst tot sind. Hinter den Ruinen noch mehr Eschen.

Schneller jetzt, um der früh einbrechenden Dunkelheit zuvorzukommen. Wie dürr, wie düster der Eichhörnchenkobel in der Wildkirsche aussieht.

Die Umrisse der kahlen Bäume vor dem leeren Winterhimmel: eine Art Schriftzeichen. Oder ein sich schließendes Netz.

Der Wald erklimmt langsam eine Böschung. Unten in der Schlucht liegen die Wracks gefallener Stämme und Äste. Dazwischen stehen Erlen mit ihren entblößten Rattenschwanz-Wurzeln.

Jetzt bin ich im Herzen des Waldes, der länger als breit ist, angekommen – am Teich mit seinem Kranz aus Schilf. Es ist grau, verkrüppelt; der ganze Tag ist grau. Ein V wandert durchs matte Wasser: die Bugwelle des Teichhuhns, das wendet und sein weißes Rücklicht warnend aufblitzen lässt.

Ich liebe Teichhühner. Jeder Teich sollte ein Teichhuhn haben, das müsste gesetzlich vorgeschrieben sein. In der Mitte der Wasserfläche, die sich über ungefähr tausend Quadratmeter erstreckt, liegt eine Insel mit fünf Erlen, wie aus einem Abenteuerroman für Kinder. In diesem späten, flachen Licht ist sie ein Schiff auf hoher See.

Sandbirken säumen das Westufer des Teiches; am hinteren Ende wachsen Haselsträucher, Erlen und Salweiden.

Weiter, weiter. Mein persönliches Gesetz der Schwerkraft lautet: Je schneller man geht, desto leichter die Last. (Wenn Isaac Newton weniger Zeit damit verbracht hätte, unter Apfelbäumen herumzulungern, hätte er das vielleicht auch entdeckt.) Auf meiner Schulter ruht ein Ballen Heu.

Durch den Fichtenhain; eine grimmige Parade disziplinierter nordischer Wachsoldaten, gefangen in ihrem eigenen, ewig säuerlichen Zwielicht. (Nordische Fichten, auf unserer Insel fremd, wurden aufgrund irgendeines unausgegorenen Subventionsplans in den 1970ern angepflanzt und erstickten sämtliche Blumen unter sich.)

Die ersterbende Wintersonne, weiß und atomar, tastet sich durch die Lärchen, an denen ich vorübergehe.

Kein Vogelgesang ist zu hören – außer dem eines überdrehten Rotkehlchens in einer jungen Buche, die mit verkrumpeltem kupferrotem Laub behängt ist. Diese eine Buche ist der einzige Baum im ganzen Wald, der noch sein Blätterkleid trägt.

Der Dezember, wenn die Bäume in ihrer nackten Wahrheit herumstehen, ist die richtige Zeit, um einen Wald zu besichtigen und zu bewerten.

Das Rotkehlchen gibt seine Melodie auf und beginnt dann von Neuem, als hätte mein Vorbeigehen es an seine Absicht erinnert.

Tiefer in den Wald: Ich folge dem schwachen Tuschestrich des Lehmpfads, der sich an meinen Lieblingsbäumen entlangschlängelt, der gegabelten Wünschelruteneiche und dem riesigen Küstenmammutbaum (»Hallo, Big Boy!«). Welcher Traum, welche Hoffnung brachte wohl vor einem Jahrhundert einen Farmer dazu, hier, an dieser äußersten Grenze Englands, wo es unsichtbar in Wales übergeht, einen Mammutbaum zu pflanzen?

Inzwischen ist es fast dunkel: Der Viertelmond schafft es nicht, die Wolke zu durchdringen, die am westlichen Himmel heranzieht. Ich habe beinahe die Gruppe königlicher Eichen erreicht, die alle anderen Bäume des Waldes überragen, außer dem Mammutbaum.

Der Charakter von Bäumen hängt von der Jahreszeit ab: Im Frühling beobachten sie einen. Zu Beginn des Winters, in der Einsamkeit unter großen, leeren Himmeln, enthalten sie nicht mehr Botanik als ein Stein.

Heute Abend sind die sieben Eichen die Tempelsäulen einer untergegangenen Kultur.

An der Weggabelung zaudere ich nicht, sondern halte mich links, auf das Jahr 1 nach Christus zu, oder so ungefähr, und komme an dem Horst aus drei Elsbeerbäumen vorbei. Das Trio aus Sorbus torminalis ist ein Überbleibsel des ursprünglichen Urwalds. Cockshutt existierte schon, als Wilhelm der Eroberer einfiel, sogar schon, als die Römer in Richtung Hereford marschierten.

Die rechte Gabelung führt quer durch die schmale Seite des Waldes, durch die Brombeeren zu den Stechpalmen und zur Salweide – und zu den Knäueln aus Geißblattranken, die aussehen, als würden sie den ganzen Wald herunterreißen, wenn man daran zöge. Dort liegt auch der Fuchsbau.

Das Ziel meiner Reise: Die vier Red-Poll-Kühe, Rote Hornlose, liegen in einem krummen Kreis auf der letzten Lichtung, wo sie Ausschau nach den Säbelzahntigern böser Rinderträume halten.

Ich werfe den Ballen in ihren Metalltrog. Hinter der Heuraufe liegt eine letzte Baumgruppe aus Fichten und Lärchen.

Das ist der Cockshutt Wood: ein Wäldchen im wogenden Hügelland, hauptsächlich aus Eschen, Eichen und Salweiden bestehend, in einem Archipel ähnlicher Wäldchen in Herefordshire. Von oben gesehen hat er wohl die Form eines Weidenblatts, dessen Spitze nach Norden zeigt. Rings um Cockshutt liegen Viehweiden und ein kleines Getreidefeld, das in meiner Obhut ist. Am westlichen Waldrand erstreckt sich ein langes Feld – nicht von mir bewirtschaftet –, das einem eintönigen Zyklus aus Weizen und Raps unterworfen wird. Dahinter kann man die Wanderfalkenbuckel der Black Mountains erspähen. Um Cockshutt von der Landstraße aus zu erreichen, wo ich parke, muss ich immer eine Koppel überqueren, die wir unseren Schweinen überlassen haben.

Ich gehe den Pfad entlang zurück. Inzwischen ist es dunkel, aber das macht nichts. Ich bin diesen Weg in den letzten drei Jahren so oft gegangen, dass ich ihn in schwärzester Nacht beschreiten kann.

Ich habe Wälder spät entdeckt. Eigentlich bin ich kein Waldmensch, obwohl mein Urgroßvater väterlicherseits der »Vogt« (eine wunderlich altmodische Bezeichnung) oder Verwalter eines Waldgebiets im Besitz des Barts Hospital in Aconbury war, gleich hinter dem Berg. Aber dann kam der Erste Weltkrieg, und die Familie wurde entwurzelt.

Ich wurde in die Landwirtschaft hineingeboren, was eine waldlose Kindheit bedeutete, bis auf das kreisförmige Wäldchen auf einem Hügel bei Westhide. Wie viele verstreute Waldstücke inmitten von Ackerland diente es dem Zweck, Unterschlupf für Federwild zu bieten. Meine Freunde und ich kickten uns durch das Laub am Boden, auf der Suche nach glänzenden gebrauchten Schrotpatronen, bunt wie exotische Vögel (bis auf die orangefarbenen Eley-Patronen, die keiner wollte). Im Herefordshire der 1970er-Jahre ging das Sammeln von Schrotpatronen als Hobby durch.

Alle anderen Walderlebnisse meiner Kindheit sind nur Fragmente, abgesplitterte Rindenstücke des Gedächtnisses:

1.) Auf dem Dachboden lag die Abschlussarbeit meiner Stiefmutter für ihr Pädagogikstudium – über die Laubbäume von Haugh Wood, mit Beispielknospen, die mit durchsichtiger PVC-Klebefolie auf den Seiten befestigt waren, einem ebenso sicheren Anzeichen für die 1970er wie Schwarzwälder Kirschtorte und Hüpfbälle.

2.) Wir pflückten Hasenglöckchen in Haugh Wood und wilde Narzissen in Bent Orchard.

3.) Es gab aber auch Bäume: die jahrhundertealten Steineichen im Park von New Court in Lugwardine, wo ich reiten lernte; den Birnbaum im Vorgarten mit dem daran hängenden Baumläufer; unsere Apfelbäume; das Sammeln von Kastanien, mit ihrer wie Teakholz polierten Haut und ihrem säuerlichen Hefeduft; die Tricks beim Conkers-Spielen, wie die an Schnüre gebundenen Kastanien vor dem Gegeneinanderschlagen in Essig einzuweichen oder im Ofen zu backen.

In einem kleinen, aber meiner Meinung nach ehrenhaften Protestakt gegen Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften habe ich meinen Sohn auf eine Schule geschickt, an der das Conkers-Spielen Pflicht war.

2. DEZEMBER: An den schattigen Stellen hält sich der Raureif den ganzen Vormittag über.

Was steckt in einem Namen? Manchmal ist eine ganze Bedeutungs-Archäologie darin enthalten. »Cock« stammt von woodcock, »Waldschnepfe«. »Shutt« ist mittelalterliches Englisch für shut, »eingeschlossen« oder »in der Falle«. Der Cockshutt Wood ist ein Wald, in dem – vor Jahrhunderten – Schnepfen mit Netzen gefangen wurden.

Früher gab es viele Schnepfen (deshalb ist der Name Cockshutt für englische Wälder so allgegenwärtig). Ein paar brüten immer noch in der Gegend, drüben auf dem Gemeindeland von Ewyas Harold, aber die vier Waldschnepfen, die sich heute im Brombeerdickicht von Cockshutt aneinandergedrängt wärmen, sind Herbstmigranten. Als Gott die plumpe Waldschnepfe erschuf, muss Er in der gleichen schrulligen Stimmung gewesen sein wie beim Zusammenschustern des Schnabeltiers. Obwohl sie nur so groß ist wie eine menschliche Hand, ragt aus dem Gesicht der Waldschnepfe ein Stilett.

In Vogelbüchern werden die braun-weiß gefleckten und gestreiften Federn der Waldschnepfe als »Tarnfärbung« beschrieben; »Magie« käme der Sache näher. Nur der Brachvogel, der Wendehals und die Bekassine haben eine ebenso wirkungsvolle Tarnung. Bei schneefreiem Wetter verschmilzt das rotbraune Gefieder der Waldschnepfe mit der Laubstreu am Waldboden.

Waldschnepfen gehen nahtlos in ihre Umgebung über. Sie sind das Blatt, das durch den Buchenwald weht, der vermoderte Holunderstumpf am Wegrand, das Fleckchen Grau im abendlichen Schatten.

Ich weiß nur deshalb, dass die vier Waldschnepfen unten im Brombeerdickicht sitzen, weil ich gesehen habe, wie sie vom Ostwind hergeblasen wurden. Erschöpft taumelten sie zu Boden, während der Morgen dämmerte und ich Feuerholz sammelte und der Raureif die Stängel der Weidenröschen erstrahlen ließ.

Einige Anmerkungen zu Feuerholz: Esche, ob saftig oder trocken, ergibt weiß glühendes Holz; Sandbirke ist irrsinnig lodernd, pyromanisch; Kiefer ist hektisch; Apfel, Kirsche und Weide duften süß; Stechpalme flammt grün und strahlend auf; Eiche ist ein langsamer, fester Brennstoff, wie Kohle, und riecht genauso stechend.

Die englische Redensart by hook or by crook, »auf Biegen und Brechen«, bedeutet wörtlich »mit Haken oder Hirtenstab«; sie stammt aus dem Mittelalter, als Dorfbewohner nur Totholz sammeln und weder Bäume noch Büsche fällen durften. Umgestürzte Bäume und Totholz konnten mit einem Hirtenstab oder Jätehaken freigeräumt und herausgezogen werden.

Obwohl im mittelalterlichen England Menschen bestraft wurden, die lebende Bäume fällten oder verletzten, war das Recht nicht so brutal wie die Gesetze in Deutschland. Dort bestand die Strafe für alle, die es wagten, die Rinde von einem lebenden Baum abzuschälen (und ihn dadurch umzubringen), darin, ihren Nabel herauszuschneiden, an den Baum zu nageln und sie um den Baum herumzutreiben, bis all ihre Gedärme um den Stamm gewickelt waren.

John Gilbert, der Bischof von Hereford, begnügte sich im Jahr 1383 damit, diejenigen zu exkommunizieren, die im nahe gelegenen Wood of Ross Bäume gefällt hatten.

Feuerholz zu sammeln oder zu sägen, produziert Wärme; es zu verbrennen, produziert Hitze. Ein segensreicher Kreislauf.

Holz war der erste vernünftige Brennstoff. Insofern bin ich jeden Tag, wenn ich mich bücke, um Eschen- oder Weidenzweige und Reisig zum Anfeuern zu sammeln, nichts weiter als das visuelle Echo eines Steinzeitmenschen. Wir Menschen nutzen seit mehr als fünfhunderttausend Jahren Holz für Wärme.

3. DEZEMBER: Ich stelle einen weißen Plastikgartenstuhl am Teich auf, an der Stelle, wo der Laubbaumbestand aufhört und das Gebiet der Kiefern anfängt; in der Mitte von Cockshutt, wo ich Bug und Heck des Waldes sehen kann. Der Blick aus diesem Stuhl wird Zeitrafferbilder für meine Erinnerung liefern.

Der Fichtenhain: Aus einem bestimmten Winkel gesehen, stehen die Fichten so dicht beisammen, dass sie einen unpassierbaren Holzwall bilden. Der Fichtenduft ist variabel – mal erfüllt er die Luft, mal, wie heute (tiefgekühlt und trocken), ist er inexistent.

Vor mir am Teichufer stehen die Sandbirken, Schneeköniginnenbäume; niemand hat sich jemals Birken als männlich vorgestellt. Trotz ihrer Anmut sind Sandbirken zäh; nach der letzten Eiszeit waren sie die ersten Bäume, die Großbritannien besiedelten.

Die Sandbirke, Betula pendula, hat im Gegensatz zu ihrer Cousine, der Moorbirke, Rindenbuckel am unteren Stammende.

Wie unsere Wälder entstanden sind: Als sich vor zehntausend Jahren das Eis zurückzog, bestand Großbritannien aus baumloser, mit dem Kontinent verbundener Tundra. Als das Klima milder wurde, war die Zeit reif für eine Bauminvasion. Nach der Birke kamen Wacholder, Weide und Kiefer; sie bildeten die Vorhut der Bäume.

Aus dem Augenwinkel sehe ich eine Bewegung. Die Füchsin. Im Zwielicht strahlt ihr Pelz. Sie brennt bei lebendigem Leib.

Sie kreischt ihren Balzruf, das Klagen der Trauernden.

Mir war vorher schon kalt, aber jetzt wird mir noch kälter. Sie heult wieder und spitzt die Ohren nach einer Antwort. Nichts schallt über die bitter-harten Wiesen oder durch die Bäume zurück. Sie trabt weiter, ist schon fast bei mir angekommen, als sie plötzlich meinen Geruch wittert. Ihr Gesicht blitzt auf, dann schießt sie los und ist weg, wie eine erloschene Flamme.

In einem Wald spielen Bäume die Hauptrollen, aber ich applaudiere auch den Nebendarstellern.

5. DEZEMBER: Nebel schmiegt sich in die Schlucht; an ihrem Grund plätschert ein Rinnsal aus dem Teich. Ein Fischreiher kommt durch den Dunst herauf wie ein altgriechischer Dreiruderer, der über die Wellen gleitet, und lässt sich am Teichufer nieder.

Der Porling an der Weide sieht aus wie ein trockenes Regalbrett; wenn man daraufklopft, klingt er wie Styropor. In einer so anspruchslosen, unbeweglichen Lebensform liegt möglicherweise unsere Zukunft als Menschheit; Porlinge könnten die nächste Quelle für Antibiotika werden.

Die Waldschnepfen sind weggeflogen.

Manchmal fürchte ich, dass der Cockshutt Wood aufgrund seiner Kleinheit eher ein Wäldchen als ein Wald ist. Aber er fühlt sich alt an und vermittelt von der Landstraße aus einen Eindruck von Stabilität, so als gehörte er hierher.

Zu Beginn gab es die wilden Wälder. Dann kamen die Steinzeitmenschen; sie schlugen die ersten Löcher in das endlose Blätterdach. Der Urwald versorgte die nomadischen Jäger mit Wildbret, Beeren, essbaren Wurzeln, Blättern, Samen, Holz und bedeckte fast die ganze Landfläche Großbritanniens inklusive der Berggipfel. Pollenzählungen in prähistorischem Torf zeigen, dass die Ulmenbestände um das Jahr 3000 vor Christus plötzlich abnahmen und die Brennnesseln sich im gleichen Maße vermehrten. Die Abholzung des Urwaldes durch die Bauern der Jungsteinzeit hatte begonnen; die Steinzeitmenschen töteten die Bäume ihrer Wahl meist durch »Ringeln« – indem sie die Rinde mit einer Steinaxt ringförmig abschälten, wie es Rotwild tut. Dann kamen die Kelten mit ihren Eisenwerkzeugen. Die Römer verwandelten einen Großteil des britischen Tieflandes in eine kaiserliche Kornkammer, trotzdem gab es im 9. Jahrhundert immer noch große Landstriche mit natürlichen Wäldern: Der Kent and Sussex Weald erstreckte sich über zweihundert Kilometer. Die Verwandlung der Landschaft ist den angelsächsischen Landwirten zuzuschreiben; sie legten Grenzen für Felder, Wälder und Gemeinden fest, die bis heute gelten. Als 1066 die normannische Eroberung stattfand, war die offene Struktur unserer modernen Landschaft bereits geprägt. Nur ungefähr fünfzehn Prozent der Flächen, die das Domesday Book als erstes englisches Grundbuch im 11. Jahrhundert erfasste, bestanden aus Wald oder Waldweiden. Es wird vermutet, dass der Forest of Dean der letzte natürliche Urwald Englands war; er wurde im 13. Jahrhundert abgeholzt.

Damals bewirtschafteten wir unsere Wälder. Die Produkte des Niederwalds beheizten die Öfen der Dörfer wie der Städte. (In einem Niederwald werden die Bäume immer wieder bis zum Boden gekappt, damit sie neu austreiben. Der Rhythmus dieses Rückschnitts hängt von der Baumart ab; Haselbüsche werden in einem Sieben- bis Zwölf-Jahres-Zyklus gefällt, Eschen alle zwölf bis fünfzehn Jahre und Eichen ungefähr alle dreißig Jahre. Weiter oben gekappte Bäume wie beispielsweise Kopfweiden sind sozusagen erhöhter Niederwald; die Bäume werden oberhalb der Reichweite von weidenden Nutztieren beschnitten.) Die Wälder lieferten das Holz für die Kriegsflotten von Oliver Cromwell und König George III., die das britische Weltreich begründeten. Unsere einheimischen Wälder wurden nicht mehr genutzt, sobald die Industrielle Revolution dem menschlichen Streben eine neue Richtung gab, angetrieben von Kohle und Eisenproduktion.

Zwei Weltkriege, das Abholzen von Bäumen für die Bezahlung von Erbschaftssteuern und die Geißel des Ulmensterbens rafften einen Großteil dessen dahin, was noch übrig war.

Man nimmt an, dass es in Großbritannien nur neununddreißig einheimische Baumarten gibt. Von diesen wachsen in Cockshutt:

EicheLärche
BucheErle
SalweideHolunder
HaselnussUlme
WildkirscheElsbeere
SandbirkeStechpalme
Esche 

Cockshutts »fremde«, importierte Bäume sind Fichte, Küstenmammutbaum, Esskastanie, Bergahorn.

Und was ist der Unterschied zwischen Bäumen und Sträuchern? Sträucher haben viele »Triebe«, Bäume einen einzigen Stamm. Im Allgemeinen.

6. DEZEMBER: Eine milchig-wässrige Schwüle liegt über allem. Windstille. Fast eine Ouvertüre zum Frühling.

Ich lasse die Ferkel aus ihrem Pferch am unteren Ende von Cockshutt in die Schlucht; sie rasen herum, alle neun, absolut synchron.

Sie sind erst vor einem Monat auf die Welt gekommen; elfenohrige, rippenknochige, kolbenmäulige Ferkelbabys sind nicht attraktiv. Mit zunehmendem Alter sind sie niedlicher geworden.

Im unzeitgemäß milden Wetter explodieren Pilze, kegelförmige Roststielige Samthäubchen, am Teich; eine verrottende Science-Fiction-Stadt.

Später, kurz vor Einbruch der Dunkelheit: ein Schwarm Dohlen über dem Wald. Der Schwarm zieht sich zu einer Kugel zusammen, dann öffnet er sich wie ein Damenfächer und verwandelt sich erst in einen dreißig Meter langen chinesischen Drachen, dann in einen von unsichtbaren Händen geschüttelten Teppich.

Wälder haben Ohren. Die milden und feuchten letzten Tage haben auf dem an der Schlucht herumlungernden Holunder die größte Menge an Judasohr-Pilzen wachsen lassen, die ich je gesehen habe. Das Judasohr trägt seinen Namen aufgrund seiner außerordentlichen Ähnlichkeit mit dem menschlichen Hörorgan und wegen der Legende, dass Judas Iskariot, der Christus für dreißig Silberlinge verraten hatte, sich an einem Holunderbaum aufgehängt haben soll. (Der lateinische Name lautet Auricularia auricula-judae, »Ohr des Judas«.) Zu seinen englischen Volksnamen gehört jelly ear, »Geleeohr«, was sich auf die gallert- oder gummiartige Konsistenz dieses Pilzes bezieht.

Zu den schönen Seiten des hässlichen Judasohrs gehört, dass es unmöglich mit einem Giftpilz verwechselt werden kann. Ich nehme einen der Pilze mit nach Hause; er ist mehr als zehn Zentimeter breit. Groß genug für eine Twitter-Meldung.

15.30 Uhr. Rotdrosseln landen in den Haselbüschen hinter dem Teich: ein Wasserfall aus Gezwitscher.

16.30 Uhr. Der rote Himmel wird von den Feuern des Hephaistos erhellt. Wintergoldhähnchen pulen Samen aus den kleinen schwarzen Zapfen der Erle.

Ein weiterer Dohlenschwarm: Diesmal sind es zweihundert Vögel, und kleine Trupps vereinigen sich mit der Masse wie Zuflüsse, die in einen Strom münden. Die Dohlen krächzen am lautesten, wenn sie die Richtung wechseln.

Vom anderen Ende des Waldes: Huu-huu … H-u-u-u-u-u-u-u. Nachtmusik: der Ruf eines Käuzchens.

Gibt es einen Indikator für Käuzchenglück? Ich glaube schon. In den drei Jahren, die wir den Wald bewirtschaften, hat die Ehefrau von Old Brown immer größere Gelege produziert. Zwei Eier. Drei Eier. Und dieses Jahr vier Eier.

Der Grund für die immer größeren Gelege der Waldkäuze liegt darin, dass wir ihre Nahrungsversorgung verbessert haben, indem wir die zudringlichen Brombeeren zurückdrängten; dieser Stacheldraht der Natur bedeckte fast den ganzen Waldboden. Vorher war Old Brown schlicht nicht in der Lage, die Dornenranken zu durchdringen, wenn er auf der Jagd war.

Ich sage, »wir« hätten die invasiven, dominanten Brombeeren eingedämmt, aber die echte Schwerstarbeit wurde von den Tieren geleistet, von Hufen und Zähnen der Kühe, Schweine und Schafe. Mehr als ein Drittel des Waldbodens besteht jetzt aus Laub, heruntergefallenen Ästen und grasigen Lichtungen. Old Brown muss nicht mehr am Waldrand leben oder von Waldstück zu Waldstück fliegen. Seine Mahlzeiten aus Spitz- und Waldmäusen wuseln zu Hunderten rings um sein Heim.

8. DEZEMBER: Ich schieße einen Fasan (als Weihnachtsbraten), unter einer schwarzen Wolke, die so groß ist wie ganz Europa.

Der Fasan, ein Männchen, saß an seiner üblichen Stelle, der mehrstämmigen Erle an der Ecke des Teichs. Er landet mit einem dumpfen Schlag. Ich bedauere sofort, ihn getötet zu haben. Ich mochte seine Präsenz auf den Wiesen und im Wald.

Die seitlichen Kleckse an seinem Gesicht sind scharlachrot, um mich daran zu erinnern, dass ich sein Blut vergossen habe.

Das Nachmittagslicht verblasst nicht, sondern versinkt so schnell wie ein fallender Stein.

Fasane gibt es hier wahrscheinlich erst seit der Römerzeit. Der römische Schriftsteller Palladius beschrieb schon um 350 nach Christus, wie man sie aufzieht. Einen eindeutigen Beweis ihrer Existenz liefert eine Verordnung des Klosters Waltham Abbey aus dem Jahr 1059. Die Jägerzunft hat ihre Fasane immer schon verteidigt – mit Zähnen und Klauen. Am 18. Januar 1816 unternahm ein gewisser John Allen mit weiteren Männern aus Gloucestershire eine Wilderertour auf die Ländereien von Colonel Berkeley, der in Berkeley Castle lebte. Berkeleys Jagdaufseher Thomas Clarke und neun weitere Wildhüter warteten schon auf sie. Jemand feuerte einen Schuss ab (angeblich der Wilderer John Penny) und tötete einen der Wildhüter. Am 3. April 1816 standen die Wilderer wegen Mordes vor Gericht. John Allen und John Penny wurden zum Tode verurteilt, die übrigen zur Deportation.

Ungefähr 25 Millionen Fasane werden jedes Jahr im Vereinigten Königreich aufgezogen und freigelassen. Der Fasan in der Erle war von einer Jagd versprengt, obwohl Fasane in Cockshutt auch brüten.

9. DEZEMBER: Der Himmel ist blutunterlaufen violett.

Als ich den Kühen zwischen den Eichen ihr Heu hingeworfen habe und mich umdrehe, um zurückzugehen zum oben an der Landstraße geparkten Landrover, beginnt es zu schneien. Der Schnee ist hart, und er schimmert knisternd.

Und ich denke: An einem Winterabend in einem Wald zu stehen, wenn der Schnee durch blattlose Eichen rieselt, ist pure, auf die Elemente reduzierte Existenz.

10. DEZEMBER: Entgegen den Wünschen meiner Kinder ist Schnee im Dezember etwas Ungewöhnliches, aber hier im Hochland bekommen wir manchmal doch welchen.

Schnee macht alles alt, uns eingeschlossen, wenn wir uns unter ihm ducken.

Frisch gefallener Schnee lähmt Geräusche. Die Stille des Hochsommers ist in Wahrheit ein Hintergrundbrummen monotoner, sich ähnelnder Geräusche: Bienensummen, Ringeltaubengurren, Grashüpferzirpen.

Ich stehe im Wald – zwischen den schwarzen Bäumen, zu meinen Füßen liegt der bläuliche Nachmittagsschnee – und halte Ausschau.

Neben mir durchstöbert ein einsamer Baumläufer die Rinde einer Erle wie eine Putzkraft, die nach einem Konzert unter den Bankreihen nach Abfällen sucht.

Der Schnee ist schnell wieder weg, außer unter den Hecken, wo er noch tagelang in den Schrunden liegt.

Bei Wäldern an einem Schneeabend

Wem sind die Wälder rings im Kreis?

Sein Haus liegt fern im Dorf, ich weiß.

Er sieht mich nicht am Wald hier stehn,

Ihn anzustarr’n voll Schnee und Eis.

Mein kleiner Gaul denkt: Was geschehn?

Hier, wo kein Stall ist, stillzustehn

Bei Wäldern und gefrornem Pfad,

Die schon im kargen Licht vergehn.

Sein Rütteln am Geschell besagt,

Dass ihm der Schneewald nicht behagt.

Eintönig faucht in diese Ruh

Ein eisiger Wind, der Flocken jagt.

Wie wär der Wald so weiche Truh’!

Doch sag ich Nein und schwör mir’s zu

Und fahr noch weit, bevor ich ruh,

Und fahr noch weit, bevor ich ruh. [2] 

Robert Frost

12. DEZEMBER: Die Morgendämmerung eines Hexers, rot und brutal; ein Turmfalke sitzt als glühende Kohle auf dem Telefondraht.

Hausschweine sind keine Frühaufsteher. Ich bringe den Säuen und den neun Ferkeln im Pferch das Frühstück ans Bett; untypischerweise waren die Schweinchen früh auf und sind aus dem Nachtpferch abgehauen in den Wald.

Ich renne zwischen den Bäumen hindurch, die aus der Ferne undurchdringlich wirken, aber aus der Nähe für mich beiseitetreten. Endlich finde ich die frechen Ferkel und scheuche sie zurück zu ihrem Frühstück. Später am Vormittag, zu Hause, ruft mich eine Kundin an und fragt: »Sind Ihre Schweine aus Freilandhaltung?« Ich: »Madam, sie sind praktisch wild.«

Der Nachmittag ist nichts als Nieselregen und Nebel; mein Atem verstärkt den weißen Schleier. Ein unsichtbares Grauhörnchen schimpft. Der Teich zittert vor winzigen Regentropfen; der Waldboden hat keine Farbe außer Rindenbraun. Sämtliche Brennnesseln und die turmhohen Weidenröschen sind inzwischen unter dem Gewicht der Jahreszeit zusammengebrochen, der nicht abzuschüttelnden Last der Zeit.

19.25 Uhr. Ich komme an der Landstraße an. Unten in Cockshutt höre ich einen Fuchsrüden bellen; ein arrogantes Bellen. Wah. Wah. Wah.

14. DEZEMBER: Die Kaninchen haben an einer oben gekappten Erle herumgekratzt und rosa Narben auf ihren flatternden, freiliegenden Wurzeln hinterlassen.

Im Sonnenschein leuchten die Fichten strahlend bunt, mit ihren knallgrünen Nadeln und ihren langen, orangefarbenen Gürteltier-Zapfen, das muss ich zugeben.

Heute habe ich eine Arbeit beendet, die ich vor drei Jahren begonnen habe – einen Katasterplan aller Bäume in diesem Wald.

Es gibt 647 Bäume, die das Stadium des Sämlings hinter sich haben.

Wie das französische Wort forêt und der deutsche Forst stammt das englische Wort forest vom mittellateinischen forestis ab, das wahrscheinlich seinerseits vom lateinischen forīs abgeleitet ist; das bedeutet letztlich »außerhalb« der normalen Rechtsprechung, also einem getrennten »Waldrecht« unterworfen. Das Waldrecht war primär dazu gedacht, Wild für die königliche Tafel zu schützen und zu liefern. Zu einem forest konnten auch große baumlose Ländereien gehören, beispielsweise Felder oder gar ganze Städte.

Die eindeutige Definition des Wortes forest ist im Englischen verloren gegangen. Ein baumbestandenes Gebiet kann forest oder wood heißen, wobei Ersteres inzwischen für etwas außerordentlich Großes steht. »Woodland« klingt nach Natur, aber das ist eine falsche Vorstellung. Die Bäume wurden gekappt oder gefällt, und seit der Bronzezeit weideten Nutztiere darunter.

Dieses Wissen ist aus dem westlichen Gedächtnis beinahe entschwunden, obwohl es in Baum- und Blumennamen bewahrt bleibt. Die Salweide heißt im Englischen auch goat willow, weil Ziegen gern ihre Blätter fressen.

Alle gängigen Nutztiere, außer Schafe, stammen von Waldtieren ab. Ein Großteil der mittelalterlichen Wirtschaft basierte auf frei im Wald herumstreunenden Schweinen. Hühner bevorzugen Waldgebiete; schließlich stammen sie von indischen Dschungelvögeln ab. Raubvögel brauchen eine freie »Landebahn« – Bäume blockieren diese. Frei laufende Hühner bewegen sich nur widerwillig hinaus auf baumloses Gelände. Für Kühe, Schweine und Hühner liefern Wälder Knollen, Nüsse, wirbellose Tiere (für Schweine und Geflügel), außerdem »Äsung« (Gräser, Kräuter, Blätter) sowie Schutz und Schatten. Im Gegenzug düngen Vieh und Geflügel das Land, brechen kleine Äste ab und öffnen dichtes Unterholz dem Licht. Schweineschnauzen, Hühnerschnäbel und Rinderhufe durchwühlen die Erde und liefern ideale Bedingungen für das Keimen von Samen und Nüssen. Die Tiere imitieren das Verhalten jener Auerochsen und Wildschweine, die einst den Urwald durchstreiften. Vom Rotwild abgesehen, sind die Einwirkungen größerer Tiere auf Waldgebiete vom Spätmittelalter bis zum 21. Jahrhundert weitgehend verloren gegangen.

Ich bin nicht der Einzige, der wieder Nutztiere im Wald hält. Die neumodische Landwirtschaft im Wald hat sogar einen Namen: »Agroforstwirtschaft«, was so viel bedeutet wie die parallele Produktion von Bäumen und Nutztieren oder konventionellen Nahrungspflanzen.

15. DEZEMBER: Ein Wintervollmond am Morgen, perfekt rund, perfekt weiß.

Der Fischreiher steht in der Schlucht; nach dem Regen und der Schneeschmelze wirkt der Talboden wie ein afrikanisches Flussdelta vom Flugzeug aus gesehen: schimmerndes Silber, verzweigte Gewässer.

Rotkehlchengesang tröpfelt durch den Wald. Ein Grauhörnchen springt an einer Birke empor – es klettert nicht, sondern schnellt energisch in die Höhe und krallt sich fest; das Ganze noch einmal, dann überquert es das Blätterdach oberhalb meines Stuhls; ein Zweig ist zu dünn, es testet einen anderen, setzt seine Parcours-Vorstellung fort, klettert zuletzt hinunter und schlendert sorglos davon.

Im Wald ist immer etwas Unvorhersehbares zu spüren; ständig hat man das Gefühl, hinter der nächsten Wegbiegung, dem nächsten Baumstrunk warte eine Überraschung.

16. DEZEMBER: Abenddämmerung: Die Ringeltauben fliegen in die Lärche, allein und zu zweien, bis sich ungefähr dreißig von ihnen niedergelassen haben.

Am undurchschaubaren Teich: Das Schilf löst sich ins Dunkel auf bis zur Nichtexistenz.

Eine überraschende Menge an Vogelstimmen: Amsel, Fasan, Zaunkönig.

Wälder: Sie besiedeln den Geist.

Old Brown, der Waldkauz, beginnt zu rufen; er verkündet seine Herrschaft über diesen Wald. Käuzchen sind im Herbst am lautstärksten, wenn die Männchen durch ihre Rufe Anspruch auf Brutreviere erheben. Zum ersten Mal sind sie Ende September zu hören, wenn die Vögel die Mauser hinter sich haben; bis zum Dezember nimmt ihre Häufigkeit zu. Als Nachttiere kommunizieren Käuze vor allem über Geräusche.

Die Sachsen nannten diesen Vogel Ule, nach seinem klagenden Schrei. Der Waldkauz ist Shakespeares »Kauz, der nächtlich kreischt und über unsere schmucken Geister staunt«.

Old Brown wird weiterrufen bis morgen früh gegen 7.45 Uhr, eine lange Schicht. Der Kauz, der am lautesten und längsten singt, ist wahrscheinlich von besserer Abstammung als einer, der sich nur kurze Gesangsphasen erlauben kann.

Vor drei Jahren hat Old Brown die Revierrechte über Cockshutt errungen. Seitdem hat er es gegen alle Neuankömmlinge verteidigt – Eulen, Füchse, Dachse. Einmal ging er unseren Jack Russell an; zum Glück war ich in der Nähe.

Ich verschränke meine Finger, drücke die Handballen gegeneinander und blase Old Brown ein imitiertes Hu-huu zu.

Es braucht drei Anläufe, aber dann antwortet er. Huuhuu-huu-h-u-u-u. Welch ein Ruf.

Sammelbegriffe für Bäume:

Allee – eine oder mehrere Reihen von Bäumen zu beiden Seiten einer Straße

Bestand – kleine Baumgruppe; von Förstern häufig als Bezeichnung für Bereiche ähnlich bewirtschafteter Bäume verwendet

Dickicht – dicht verwachsene Sträucher und Dornbüsche

Forst